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IX.

Die Geschwister. Triumph der Empfindsamkeit. Lila.

Wir folgen nunmehr Goethe nach Weimar und betrachten hier sein dichterisches Schaffen. Die in unserem Lebensabriß dargestellten Verhältnisse werden hier zunächst nicht die Entstehung großer Werke erwarten lassen, Zerstreuungen und später auch Geschäfte hinderten, dagegen floß der Humor reichlich und auch an erotischen Beziehungen fehlte es nicht lange. Die letteren freilich waren von ganz anderer Art als die früheren, wie das in der Natur der Sache lag, bei aller Laune und Ausgelassenheit übten die Hofverhältnisse doch ihren unvermeidlichen Einfluß und Goethes Muse mußte sich denselben bequemen. Obwohl offenbar der schriftstellerische Ruf unsern Dichter in diese hohen Kreise berufen hatte, so betrachtete er selbst doch noch immer sich nicht als Schriftsteller von Beruf und war um so leichter zu solchen Diensten zu bewegen, abgesehen davon, daß ihrer Natur nach seine Poesie am liebsten dem unmittelbarsten Ereigniß des Lebens sich anschloß und der Gelegen= heit diente. An dem kleinen Hof war aber kein Ueberfluß von Mitteln der Unterhaltung, ein Liebhabertheater, an dem die hohen Personen Theil nahmen, spielte in der Reihe der Hoflustbarkeiten eine bedeutende Rolle. So kommt es denn, daß hier, ähnlich wie in Frankfurt an Lilis Hof, zunächst kleinere dramatische Werke erwuchsen.

Es erscheint demnach angemessen in dieser Periode des Goethe: schen Dichtens den Dramatiker voranzustellen und von der Betrachtung der hieher gehörigen Dramen auszugehen.

Goethe brachte Anfänge des Egmont nach Weimar mit, allein hier war weder Aufforderung noch die nöthige Ruhe, um ein Werk von diesem Maaß und Gehalt zu Ende zu bringen. Er unterwarf Claudine von Villabella einer Bearbeitung, die aber erst 1787 Musik von Reichardt erhielt. Neu entstanden „die Geschwister“, nicht ohne Beziehungen auf in Weimar empfangene Anregungen und Eindrücke.

Die Geschwister, ein einactiges Schauspiel, sind ein Stück, dessen Werth und Bedeutung man ja nicht zu gering anschlage. Man erkennt darin deutlich den Verfasser des Werther, aber er ist gereift an Kunst, an Sicherheit seiner tief gemütvollen Pinselstriche. Das Werk ist trefflich in der Anlage, bewundernswürdig in seiner Einfachheit und meisterhaft in der Durchführung. Das Motiv ist so einfach, daß man es gewöhnlich nennen könnte, vielleicht sogar abgenugt und die Situation gemacht, allein in der Behandlung wird es zugleich neu und natürlich und hat überall Züge wahrer Originalität. Der Charakter der Marianne, ganz aus dem Vollen geschöpft, in dieser muntern Naivetät das Vorbild vieles Nachfolgenden, macht das Ganze erst möglich und in der Ausbildung der Scenen ist ein Reichthum der Entwickelung in immer neuen Situationen innerlichen Lebens, wobei die Charaktere sich allerseits auf das lebendigste und wahrste entfalten und die Empfindung stets den angemessensten, auf ihren Höhen aber einen wahrhaft hinreißenden Ausdruck erhält. Das Stück ist voll großer Schönheiten, die man oft für ein Werk so geringen Umfanges zu groß halten möchte. Ich meine das Schauspiel müsse noch immer das volle Interesse der ganzen Lesewelt besißen, während es dem Kenner, namentlich aber dem dichterischen Genossen, die höchste Achtung abgewinnt und ihn nicht selten mit Bewunderung erfüllt. Es ist schwer bei solchem Reichthum auf Einzelnes aufmerksam zu machen. Ich zeichne aus die Worte, welche Wilhelm im Rausch der Freude ausruft: Fahr fort! (weggewendet.) Ich muß ihn austrinken diesen Freudenkelch. Erhalte mich bei Sinnen, Gott im Himmel." Die Art der Lösung, die Haltung des Hauptcharakters Marianne bei

Enthüllung zeigt einen Künstler, der mit den größten Dramatikern mindestens Schritt hält. Hochvortrefflich ist auch, nachdem die volle Lösung gegeben ist, Mariannens Schlußwort: „Wilhelm, es ist nicht möglich!" Ein Wort, das an dieser Stelle eine Bedeutung von wahrhaft lyrischem Schwung erhält.

Die Region, in welcher das Stück sich bewegt, ist einerseits eine durchaus prosaische, und hier zeigt sich Goethe als kräftiger Kämpfer in der von Lessing und Lenz eröffneten Bahn des bürgerlichen Trauerspiels und Schauspiels, ja er steigt beinahe noch tiefer hinab, da wir hier einen zum Kleinhandel, zur Spedition herabgesunkenen Kaufmann haben, der sich, wenigstens einstweilen, in dieser Lage zufrieden fühlt; dazu das tief in die wirthschaftlichen Sorgen eintauchende Mädchen. Allein dadurch, daß die eigentliche Handlung ganz in der Gemütswelt spielt, überdies durch die außerordentliche Frische des Hauptcharakters wird die Enge der Verhältnisse aufgewogen und ein poetischer Gesammteindruck möglich, freilich nur ausnahmsweise. Nun aber spielt das Stück auf einer glatten Bahn, auf der nur eine geprüfte Kraft sich halten konnte, denn es behandelt das Thema von der Grenze der geschwisterlichen und der ge= schlechtlichen Liebe - ein Thema, das schwer ins Gewicht fällt, wenn es sich handelt um das Wesen der dem Dichter am meisten zusagenden Stoffe und um die Beurtheilung seiner Kunst von hier aus. Die feine moralische Grenzscheide und der Conflict von Sinnlichkeit und Sittlichkeit auf derselben mit dem aufregenden Element, das er einschließt, dies macht den wahren und unverkennbaren Inhalt des Schauspiels aus: der Dichter hat nicht nur viel psycholo= gische Feinheit, viel Zartheit in der Berührung der bedenklichsten und verfänglichsten Verhältnisse entwickelt, sondern vor allen eine Fülle der lebendigsten Darstellung, Wahrheit und Poesie reichen sich hier auf das innigste die Hand und ein tiefer und großer Zug ist es, daß die Natur, hier sprechend in der so kühn ge= zeichneten Naivetät des Mädchens, doch durchweg die Oberhand behält über das Geheimniß und die Convention. Die Natur des Mädchens fühlt keine Verwandtschaft des Bluts und macht eben

darum eine heißere Liebe möglich

so daß denn mit sicherem Zug die Unbefangenheit des weiblichen Herzens über die Gefahren der Situation hinweggeht, während doch allerdings für den Leser hier eine Aufregung bleibt, um nicht mehr zu sagen. Das Stück bildet den Uebergang vom Werther zur Stella und den Wahlverwandtschaften, der Dichter der lezteren ist hier schon vorgebildet. In seinem Inhalt und seiner Behandlung nach ist dieses Schauspiel, troß der Meisterschaft der dramatischen Behandlung doch mehr Roman als Drama, weil nämlich die Handlung mehr innerlich als äußerlich ist; schon darum war hier nur Ein Act möglich.

Man hat nach näheren Beziehungen des Stückes zu Goethes Erlebnissen gesucht; daß solche statthaben, ist bei unserem Dichter, zumal in dieser Zeit, nicht unwahrscheinlich, die Auffindung derselben aber nicht ohne Einfluß auf die Auffassung und Beurtheilung. Der Herausgeber von Goethes Briefwechsel mit der Frau von Stein*) nimmt directen Bezug auf diese an. Sie schreibt in einem Brief an Goethe: Die Welt wird mir wieder lich, ich hatte mich los von ihr gemacht, wieder lieb durch Sie. Vor anderthalb Jahren war ich so bereit zu sterben und ich bins nicht mehr." Diese Worte finden sich nun allerdings in den Geschwistern, wenigstens die Worte: „Vor einem halben Jahr war ich so bereit zu sterben, und ich bins nicht mehr!" Allein wer spricht diese Worte? Das

Mädchen? Nein, Wilhelm. Dies allein schon ändert die Sache gar sehr und so bin ich denn auch nicht der Einzige, der hier ein Bedenken hat. Der Verfasser eines Auffages in der Europa **) (1859, Nr. 33) giebt nun eine andere Beziehung, in deren Auf

*) Im deutschen Museum 1851 Nr. 1.

**) Der Verfasser macht noch besonders geltend, das Stück sei 1776 ent standen, gerade zu einer Zeit, als Frau von Stein Goethe durch ihre Abwesenheit auf Kochberg erzürnt hatte und, wie er ihrem Bruder eingestand, „in den acht Wochen ihrer Entfernung viel in ihm verschüttet worden war.“ Er nannte sich damals selbst „einen ganz sinnlichen Menschen“.

findung er aber nicht der erste ist. Nach Versicherung von Zeitgenossen soll das Stück entstanden sein, als Goethe für die damals (nach Böttiger) „reizend aufknospende“ Amalie Kozebue schwärmte, für welche die Rolle der Marianne zugeschnitten war. Wirklich spielte sie auf dem Weimarischen Liebhaber - Theater diese Rolle, während Goethe ihr als Wilhelm gegenüberstand. Schäfer stellt indeß jede andere Beziehung zu dieser Amalie Kozebue als das Zusammenspiel auf der Bühne in Abrede und meint, das Stück erinnere vielmehr an das Verhältniß Goethes zu seiner Schwester Cornelia, „deren leidenschaftliche Zärtlichkeit die äußersten Grenzen der geschwisterlichen Liebe berührte". Hier paßt nun freilich wieder das ganze Motiv des Stückes nicht und noch weniger der Charakter der Marianne; es scheinen sonach alle diese besonderen Auslegungen fehlzutreffen und Goethe hier nicht so unmittelbar nach der Natur gearbeitet zu haben. Aber doch mittelbar, denn daß Kozebues reizende Schwester ihm zum Charakter der Amalie gesessen, wird nicht abzulehnen sein, dieselbe, nach welcher Kozebue seine Gurli bildete, wenn man nicht vielmehr sagen will, Goethes Auffassung als Marianne habe dazu erst den Weg gezeigt. Daß der Dichter noch außerdem Erfahrungen und Anschauungen gehabt und daß hier auch seine Schwester ein Uebriges beigetragen, mag immerhin gelten, allein, was nicht außer Acht zu lassen und von Wichtigkeit für die Auffassung seines gegenwärtigen Standpunktes ist, er schaltet eben jezt freier mit den der Natur abgewonnenen Zügen, wie davon auch schon die künstlerische Abrundung und durchgeführte Formgebung des Werkes Zeugniß giebt. Anlangend die Worte der Frau von Stein, die sich im Stück wieder: finden, so soll auch diese Beziehung nicht geleugnet werden, es ist aber zu erinnern, daß die Sache nur die Oberfläche des Kunstwerkes berührt und daß dies, ganz unabhängig von dem Wesen des Stückes, nur ein kleiner Privat Scherz war, den Goethe sich mit seiner Freundin erlaubte, um ihr zu zeigen, daß er ihrer noch gedächte. Man sieht übrigens, wie der Dichter alles benußte und wie reich an Beziehungen aller Art seine Werke

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