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Das bedeutendste Urtheil von allen ist aber das Schillers, der in einem Brief vom 21. Juli 1797 an H. Meyer über Goethes neues episches Gedicht schreibt: „Sie werden gestehen, daß es der Gipfel seiner und unserer ganzen neueren Kunst ist“ ein Urtheil, das Schiller um so mehr Ehre macht, als Goethe sich hier in einer Richtung bewegt, die der seinigen so entgegengesezt ist. Ob Goethe in späteren Werken sich selbst übertraf, müssen wir gespannt sein.

VI.

Die Jagd. Tell.

Noch war Hermann und Dorothea nicht vollendet, als Goethe schon den Gedanken zu einem zweiten epischen Gedicht faßte; er fühlte eben ganz seinen Beruf als epischer Dichter. Aber er wollte der Sache einen neuen Charakter geben, ein anderes Versmaaß wählen. Er dachte an die Terzine; bei Schiller fragt er an, ob er das Maaß wählen solle, in dem Schlegels Prometheus geschrieben sei (Br. 434), doch, wie er hinzuseßt, will es ihm nicht gefallen, „weil es gar keine Ruhe hat und man wegen der fortlaufenden Reime nirgends schließen kann". Schiller stimmt dem bei: „Im Allgemeinen gefällt mir dieses Metrum auch nicht, es leiert gar zu einförmig fort, und die feierliche Stimmung scheint mir unzertrennlich davon zu sein. Eine solche Stimmung ist es wahrscheinlich nicht, was Sie bezwecken. Ich würde also die Stanzen immer vorziehen, weil die Schwierigkeiten gewiß gleich sind, und die Stanzen ungleich mehr Anmut haben." So entschloß sich denn Goethe zu den Ottaverimen aber das Gedicht kam dennoch nicht zu Stande. Er hat den Inhalt später in Prosa gegeben.

Ein solches zweites Epos von Goethe nach Hermann und Dorothea verdient unsere volle Aufmerksamkeit, welche dadurch in manchem Sinne nur noch gesteigert werden kann, daß der Dichter weiterhin die poetische Form aufgab. Sorgfältig ist darum zu sammeln, was sich an Nachrichten und Andeutungen darüber vor= findet. In dem Brief an Schiller vom 19. April 1797 (Br. 300)

hat Gothe von dem Erforderniß des Retardirens im Epos gefprochen, es seien darum alle Plane zu verwerfen, die geradehin nach dem Ende zu schreiten. Er fährt fort: „Der Plan meines zweiten Gedichtes hat diesen Fehler, wenn es einer ist, und ich werde mich hüten, bis wir hierüber ganz im Klaren sind, auch nur einen Vers davon niederzuschreiben. Mir scheint die Idee außerordentlich fruchtbar. Wenn sie richtig ist, muß sie uns viel weiter bringen, und ich will ihr gern alles aufopfern." Schillers Antwort lautet: "Ihre Idee von dem retardirenden Gange des epischen Gedichts leuchtet mir ganz ein. Doch begreife ich noch nicht ganz, nach dem, was ich von Ihrer neuen Epopöe weiß, daß jene Eigenschaft bei dieser fehlen soll." Dagegen äußert Schiller am 25. April 1797 andere Bedenken. Die Handlung sei dem Tragiker Zweck, dem Epiker nur Mittel, sie dürfe bei dem leßteren nie zu sehr als Zweck interessiren: „Ich gestehe, daß ich dieses lettere bei Ihrem neuen Gedicht einigermaßen fürchte, obgleich ich Ihrer poetischen Uebermacht über den Stoff das Mögliche zutrauen darf." Ferner: „Ich erwarte Ihren Plan mit großer Begierde. Etwas bedenklich kommt es mir vor, daß es Humboldten damit auf dieselbe Weise ergangen ist, wie mir, ungeachtet wir nicht vorher darüber communicirt haben. Er meint nämlich: daß es dem Plan an individueller epischer Handlung fehle. „Wie Sie mir zuerst davon sprachen, so wartete auch ich immer auf die eigentliche Handlung, alles was Sie mir erzählten, schien mir nur der Eingang und das Feld zu einer solchen Handlung zwischen einzelnen Hauptfiguren zu sein, und wie ich nun glaubte, daß diese Handlung angehen sollte; waren Sie fertig. Freilich begreife ich wohl, daß die Gattung, zu welcher der Stoff gehört, das Individuum mehr verläßt, und mehr in die Masse und ein Ganzes zu gehen zwingt, da doch einmal der Verstand der Held darin ist, der weit mehr unter sich als in sich faßt." Und er seßt hinzu: „Uebrigens mag es mit der epischen Qualität Ihres neuen Gedichtes bewandt sein, wie es will, so wird es gegen Ihren Hermann gehalten immer eine andere Gattung sein und wäre also der Hermann ein reiner Ausdruck der epischen

Gattung und nicht bloß einer epischen Species, so würde daraus folgen, daß das neue Gedicht um so viel weniger episch wäre." Dieses Theoretisiren scheint Goethe nicht ganz behagt zu haben, denn er antwortet sehr diplomatisch, zugleich aber doch tief aus seiner innern Natur heraus: „Gestern, als ich der Fabel meines neuen Gedichtes nachdachte, um es für Sie aufzuseßen, ergriff mich aufs neue eine ganz besondere Liebe zu diesem Werke, welche nach allem, was indeß zwischen uns verhandelt worden ist, ein gutes Vorurtheil für dasselbe giebt. Da ich nun weiß, daß ich nie etwas fertig mache, wenn ich den Plan zur Arbeit nur irgend vertraut oder jemanden offenbart habe, so will ich lieber mit dieser Mittheilung noch zurückhalten; wir wollen uns im Allgemeinen über die Materie besprechen und ich kann nach dem Resultate im Stillen meinen Gegenstand prüfen. Sollte ich dabei noch Muth und Lust behalten, so würde ich es ausarbeiten, und fertig gäbe es immer mehr Stoff zum Nachdenken als in der Anlage; sollte ich daran verzweifeln, so ist es immer noch Zeit auch nur mit der Idee hervorzutreten." Schiller, sehr begreiflich, schweigt nun, und Goethe sieht sich veranlaßt ein paar Monate später den Gegenstand leicht zu berühren: „Das Interessante meines neuen epischen Plans geht vielleicht auch in einem solchen Reim- und Strophendunst in die Luft; wir wollen es noch ein wenig cohobiren *) lassen.“ Das lockte denn von Schillers Seite eine freundlich eingehende Aeußerung hervor, die für uns nun zugleich eine höchst schäßbare Nachricht ist von dem damaligen Stadium des Gedichtes; auch begegnet uns hier zuerst der Name. Schiller schreibt vom 26. Juni: „Wenn ich Sie neulich recht verstanden habe, so haben Sie die Idee, Ihr neues episches Gedicht, die Jagd, in Reimen und Strophen zu behandeln. Ich vergaß neulich ein Wort darüber zu sagen, aber diese Idee leuchtet mir ein, und ich glaube sogar, daß dies die Bedingung sein wird, unter welcher allein dieses neue Gedicht neben Ihrem

*) Ein Ausdruck der Chemie, bei wiederholter Destillation.

Hermann bestehen kann. Außerdem, daß selbst der Gedanke des Gedichtes zur modernen Dichtkunst geeignet ist und also auch die beliebte Strophenform begünstigt, so schließt die neue metrische Form schon die Concurrenz und Vergleichung aus; sie giebt dem Leser eben sowohl als dem Dichter eine ganz andere Stimmung, es ist ein Concert auf einem ganz anderen Instrumente. Zugleich participirt es alsdann an gewissen Rechten des romantischen Ge= dichts, ohne daß es eigentlich eines wäre; es darf sich, wo nicht des Wunderbaren, doch des Seltsamen und Ueberraschenden mehr bedienen, und die Löwen- und Tigergeschichte, die mir immer außerordentlich vorkam, erweckt dann gar kein Befremden mehr. Auch ist von den fürstlichen Personen und Jägern nur ein leichter Schritt zu den Ritterfiguren, und überhaupt knüpft sich der vornehme Stand, mit dem Sie es in diesem Gedicht zu thun haben, an etwas Nordisches und Feudalisches an. Die griechische Welt, an die der Hexameter unausbleiblich erinnert, nimmt diesen Stoff daher weniger an, und die mittlere und neue Welt, also auch die moderne Poesie, kann ihr Recht reclamiren." Goethe erwiedert am 27. Juni, nachdem er gesagt, Faust fessele ihn an das Reimwesen: „Es scheint mir jezt auch ausgemacht, daß meine Tiger und Löwen in diese Form gehören; ich fürchte nur fast, daß das eigentlich Interessante des Sujets sich zuleßt gar in eine Ballade auflösen möchte. Wir wollen abwarten, an welches Ufer der Genius das Schifflein treibt."

Wir wissen es jeßt: die poetische Form scheiterte, das Ganze gelangte an das Ufer der Prosa und ward hier geborgen. Man sieht, daß Schillers und Humboldts theoretische Bedenken nicht grundlos waren, wie sie denn auch auf Goethe tiefer wirkten als er sich eingestehen mochte. In der That ist die Sache von großem theoretischen Interesse, denn daß ein Dichter von dieser Bedeutung in der Fülle seiner Kraft, als er eben im Begriff ist seine Meisterschaft durch ein zweites ebenbürtiges Werk zu bestätigen, doch genöthigt wird davon abzustehen und einen Hafen zu suchen, muß in hohem Grade die Aufmerksamkeit erregen. Gewiß fühlte

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