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Worte, die niemand dramatisch nennen kann und in denen der Vers keine Steigerung bringt. Diese Kühle und Förmlichkeit des Ausdruckes, dieser Mangel an durchgängigem Nachdruck und Pathos des Verses, wohl auch an Färbung der Rede der einzelnen Personen, ist offenbar von den Einen zu weit auf den Inhalt selbst bezogen worden, während wieder Andere erst die Kunst wahrnehmen, wo der Kenner schon Künstlichkeit erblickt. Dies wohl die Erklärung der berührten Verschiedenheit des Urtheils.

Man hat wiederholt in Goethes natürlicher Tochter eine Tendenz gesucht und gefunden, was wohl voreilig sein mag bei einem Stück, dem noch zwei andere folgen sollten und das mit diesen erst ein Ganzes bildet. Grundsäße, von einzelnen Personen des Dramas ausgesprochen, sind ohnehin noch nicht die des Werkes und des Dichters. Es scheint aber als ob man zur Zeit des Erscheinens, damals der allgemeinen Erschütterung näher stehend, gerade am Schluß besonders aufgefaßt habe, was hier über den Conflict der gesellschaftlichen Vorurtheile mit allgemein Menschlichem gesagt, oder vielmehr angedeutet wird, in welcher Rücksicht denn auch der Bericht von Carolina von Herder bemerkenswerth ist. Die Verbindung Eugeniens mit dem Gerichtsrath legte man sich schon als eine dem Bürgerstand gemachte Concession aus, und maß den Worten des Gerichtsraths, daß die Liebe den größten Abstand auszugleichen wisse und von des Bürgers hohem Sicherstand" eine überwiegende Bedeutung bei, als ob es sich hier um eine Versöhnung der Stände handeln sollte und als ob eine Tragödie, um Werth zu haben, durchaus didaktisch sein müsse, wie Lessings Nathan. Man hat auch hier nicht bedacht, daß ja die Verbindung nur vorübergehend ist, keine wahre Eheschließung. Als Frau von Herder später diese Entdeckung machte, grollte sie mit sich über ihren Irrthum und gab Goethe, der weiterhin den Conflict „doch zu Gunsten der Stände lösen" werde, eine Wolfsnatur." Nun hat aber der Dichter

sehr ausdrücklich, und sogar mit Unbequemlichkeit für das Drama, der Heldin jeden anderen Ausweg verschlossen, weder der Gouverneur noch die Aebtissin kann ihr helfen gegen das Machtwort der Tyrannei, und selbst das Wort, das sie zum Orakel nehmen zu wollen schon gelobt, widerspricht ihrem Herzen. Die Vaterlandsliebe ist es, welche das sogenannte Standesvorurtheil besiegt, die Liebe zum Leben zugleich aber auch die Bestimmung der Heldin im zweiten und dritten Stück. Troß alledem scheint das Publicum zu Weimar und Lauchstädt sich ganz besonders für diese bürgerliche Verbindung interessirt zu haben, es sympathisirte also mehr mit der Revolution als der Dichter. Aber auch noch im Jahr 1833 spricht Schubarth (in dem Hirschberger Schulprogramm) von „Apologie der mittleren Stände", welche die Tendenz des Stückes sein soll. Um so auffallender nun, daß wieder andere mit nur noch lauterem Wort dem Stück die entgegengesette Tendenz unterlegen: es folle Rührung gewonnen werden für die Entsagung, für das Aufgeben der Standesvorrechte, es handele sich darum Prätensionen und Vorurtheile der höchsten Stände zu rechtfertigen, zu heiligen, kurz Goethe der Aristokrat, der Absolutist zeige sich hier in seinem Glanz! Auffassungen, denen Weber in seinen ästhetischen VorLesungen (1831) umständlich zu begegnen sich gemüßigt sah.

Bedarf es noch eines Schußes für das Stück, so möge dazu Schillers Urtheil in einem Brief an Humboldt dienen (vom 18. August 1803): „Es ist ganz Kunst und ergreift dabei die innerste Natur durch die Kraft der Wahrheit." Schiller dachte offen= bar auch an die Kunst der Composition, und es ist nicht zu leugnen, daß Goethe hier viel geleistet, daß er viel von den alten Tragikern angenommen, zunächst die Einfachheit und Großheit; allein Schiller*)

*) Aus frischem Eindruck schrieb er, Lauchstädt 6. Juli 1803 an seine Schwägerin Carolina von Wolzogen: „die Natürliche Tochter ist am Montage gut gegeben worden und hat, besonders die leßte Hälfte, viel Effekt gemacht, doch konnte sich das Publicum in die longueurs, die den Gang des Stückes aufhalten, nicht recht finden, und ich werde Goethen sehr anliegen, es merklich zu verkürzen.“ Ob dies geschehen ?

selbst hat durch eigene Leistungen nicht wenig beigetragen, daß das Urtheil vom Jahr 1803 jezt gewisser Einschränkung bedarf: wahre Meisterschaft tragischer Kunst in Anlage und Führung der Fäden und Charaktere, in der Steigerung, Zusammenhaltung, Hinausführung müssen wir doch Anstand nehmen Goethe zuzueignen. Er erstrebte die Tragödie im großen Stil, doch eben er erstrebte sie nur. Die Erreichung dieses Zieles war noch nicht an der Zeit. Der nahe Anschluß an die Memoiren ließ noch manches Epische zurück, das Stück ist mehr Drama als Tragödie, ja, wir können es nicht leugnen, mehr dramatisirte Erzählung, wie sich dies auch eben in der Ausdehnung zur Trilogie kund giebt, die wir nur für eine Nothform erklären können, um so mehr als das Stück wesentlich übergreift und in sich feinen Abschluß hat also während es hierin von dem dramatisirten Göß nicht so gar weit verschieden ist, bleibt es als Bruchstück hinter ihm zurück.

Wenn aber die wahre Tragödienform im Ganzen nicht gewonnen wurde, was schon bei der fragmentarischen Gestalt nicht möglich war, so konnten doch im Einzelnen wichtige Fortschritte gemacht und künftiger Bestrebung ein Ziel gezeigt werden, gleichviel ob der Dichter selbst oder ein Anderer davon den Gewinn hatte. Dies behaupte ich nun aber, und zwar in Bezug auf Schiller. Goethe hat sich hier dem Wesen der antiken Tragödie mehr angenähert als jemand vor ihm und als er selbst in seinen früheren Werken. Es ist hier ungleich mehr tragisches Gewicht, tragisches Motiv, es zeigt sich schon ein Fortschreiten in großen breiten Massen, Lebendigkeit und Nachdruck bei höchster Simplicität, wir haben sogar schon etwas von dem dunkeln Hintergrund und von dem Walten eines finsteren Schicksals. Ja man darf, bei allem was wir ausstellten, nicht Anstand nehmen, das Stück dramatischer und selbst theatralischer zu nennen als Iphigenie und Tasso. Wenn dagegen in den Gesprächen mit Eckermann Goethe sich äußert, Eugenie könne nur eben darum kein Gück auf der Bühne machen, weil hier alles motivirt sei, so ist das aufzunehmen wie so manches in diesem Buch. Wir

glauben uns über Tugenden und Mängel bestimmter ausgesprochen zu haben; als Summe unserer Darstellung aber möge der Eindruc bleiben, daß wir es hier mit einer der bedeutendsten und großartigsten Bestrebungen des Dichters zu thun haben, über welcher jedoch ebenso in jeder Art ein ungünstiges Gestirn gewaltet hat, wie über Hermann und Dorothea ein glückliches.

IX.

Faust.

Das Werk des großen Dichters, an das wir jezt hinantreten, gilt für den Höhenpunkt seiner Leistung und somit zugleich für den Höhenpunkt der bisherigen deutschen Literatur, es gilt für Goethes bedeutendstes und ist jedenfalls sein berühmtestes Werk*). Es hat überdies den Dichter von der frühesten Zeit seines Schaffens bis in sein spätestes Alter beschäftigt, so daß es in allen diesen Beziehungen unsere vorzügliche Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.

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„Faust, ein Fragment“, erschien im Jahr 1790 im siebenten Bande der bei Göschen herausgegebenen Goethes Schriften", 168 Seiten des weitläufigen Drucks in klein Octav. Der Eindruck war sogleich ein entschiedener; wer Goethe nach seinen höheren Vorzügen, in dem, worin er einzig ist, zu schäßen wußte, mußte hier nicht nur wiederfinden, was Göß und Werther so hinreißend macht, sondern der Dichter erschien in ungleich höherem Glanz, seine Genialität trat noch leuchtender und unmittelbarer hervor, Töne der verschiedensten Art werden angeschlagen, und jeder übt eine tiefe und unauslöschliche Wirkung auf das Herz des Lesers, und wäre er der unempfänglichste. Das Fragment wurde später zur Tragödie Faust erweitert, ohne auch hier seinen Abschluß zu finden, dann

*) Heinrich von der Hagen nennt es die divina Commedia der Deutschen, die stets neuer Bertiefung und Erläuterung bedürfe, und gleiche Bedeutung mißt ihm Jacob Grimm bei.

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