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III.

Des Epimenides Erwachen.

Unter den mancherlei Festspielen Goethes, welche der deutschen Literatur wenig Zuwachs gegeben, wie sie denn auch seinen eigenen Ruhm nicht erhöht, verweilen wir nur noch bei einem, weil es durch die Zeit und die Umstände besonders hervortritt, überdies aber auch ein entscheidendes Licht auf den Charakter der lezten Werke des Dichters wirft. Man wollte in Berlin durch ein großes Theaterfest den Einzug des siegreichen Königs feiern, der Intendant, schon sonst Goethe befreundet, glaubte bei dieser außerordentlichen Gelegenheit sich an den Dichter Deutschlands wenden zu müssen, mit dessen Ruhm kein anderer sich messen konnte. Goethe nahm den Antrag bereitwillig an und man muß den Eifer loben, mit dem er sich in die erforderliche Stimmung versette. Unmöglich ist es, daß, wie theilnahmslos er auch bei den Zurüstungen zur Völkerschlacht geblieben, ihn der großartige Sieg nicht ergriffen und aus seinem Noli turbare circulos meos gerissen haben sollte, allein die Begeisterung des so Ueberraschten konnte doch nimmermehr derjenigen gleichkommen, welche man in der Hauptstadt des auferstandenen Volkes hatte, wo wohl niemand, sei es in Freud' oder Leid, an dem Sieg unbetheiligt war. Und wirklich neigte Goethes Dichterkraft sich schon stark abwärts, die neue Richtung seiner Kunstart schien für diese Aufgabe nicht zu passen, und er war dem Theater damals (ganz entfremdet, überdies hat er das Werk in roßer Eile gemacht, zu einer Zeit, wo die Ereignisse dennoch

schneller gingen und wohl selbst störend einwirkten. Goethe_begann das Werk am 14. Mai 1814 und war schon Anfangs Juni damit fertig; es tam am 20. März 1815 in Berlin zur Aufführung, etwas später in Weimar. Zelter berichtet von der enthusiastischen Aufnahme, wiewohl audere Stimmen nicht gleicher Meinung sind. Selbst wenn man den Willen für die That nahm und wenn die vorhandene Empfänglichkeit für eine Siegesfeier, dazu der Pomp der Ausstattung das Ihrige that, bleibt doch eine gewisse unüberwindliche Steifheit der allegorischen Dichtung. Die Allegorie bei dieser Gelegenheit zugegeben, kann man an der Erfindung des Ganzen manches loben. Epimenides, den der griechische Mythus als er fein Schaf sucht, in eine Höhle gelangen und hier fünfzig Jahre lang schlafen, dann aber erwachen und alles verändert finden läßt, er ist es der hier die Zeit der Erhebung verschläft ist versucht an Goethe selbst zu denken menides zu den Umstehenden sagt:

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man

zumal wenn dieser Epi

Doch schäm' ich mich der Ruhestunden,

Mit euch zu leiden war Gewinn:

Denn für den Schmerz, den ihr empfunden
Seid ihr auch größer als ich bin.

Und darauf der Priester antwortet:

Tadle nicht der Götter Willen,
Wenn du manches Jahr gewannst:
Sie bewahrten dich im Stillen

Daß du rein empfinden kannst.

Denn wer sähe nicht, daß diese Worte ganz aus Goethes Herzen und zu seiner Entschuldigung gesprochen sind. So bildet denn auch Epimenides nur den Rahmen. Als Hauptinhalt sind die Gestalten von Glaube, Liebe und Hoffnung dem Genius der Unterdrückung gegenüber gestellt. Dieser, der die Dämonen der List sich unterthan gemacht, fesselt auch die Liebe und den Glauben, nur die Hoffnung bleibt frei. Aber Genien lösen nun auch die Bande jener und

die Hoffnung richtet sie auf. Sie ruft: Freiheit! Darauf erscheinen die Krieger der drei siegreichen Heere, an ihrer Spiße der Jugendfürst. Der Entschluß schreitet in wenigen Strophen zur That vor; zulezt die Einigkeit“ mit der Mahnung, das Errungene festzuhalten. Läßt sich dieser Grundbau loben, so bleibt die Ausführung um so mehr zurück, die allegorischen Gestalten benehmen sich kälter als in ihrer Natur liegt, es fehlt gar sehr an Schwung der Sprache, mitunter selbst an Adel, überhaupt an Poesie, so daß auch das Gutgedachte und Wohlgemeinte nur matt und nüchtern, jedenfalls kühl, herauskommt. Es fehlt die Begeisterung gerade da, wo sie ganz unerläßlich scheint. Tadle man jedoch mehr den Besteller als den Dichter. Goethe that, was ihm möglich war, er hätte ein anderer sein, in einer anderen Zeit geboren werden, vor allem aber in den lezten zehn Jahren ein anderes Leben führen müssen, um einigermaßen den Forderungen zu genügen, die hier an den Sänger des großen Siegesfestes zu stellen waren.

IV.

Spätere Gedichte.

War Goethes Stellung in Weimar eine seltene und beneidenswerthe, so hatte sie doch die Last, daß sie mit verschiedenen Aemtern auch das eines Hofpoeten verband. Sehr verzeihlich wollte der Hof eben von dem Ruhm des Dichters seinen Privatvortheil ziehen und von ihm einen Glanz empfangen. Aber auch von Goethes Seite konnte diese unvermeidliche Verwendung der Poesie nicht wohl einem Jüngern überlassen werden, ohne die eigene Rolle beeinträchtigt zu sehen. So haben wir denn von dem Dichter Deutschlands eine große Zahl von Gelegenheitsgedichten für Hoffeste aller Art, welche seine Werke anschwellen, während sie für die Literatur kaum eine Bedeutung haben. Sie werden, wenn die Lesewelt nach einer engeren Auswahl der Goetheschen Werke verlangt, wohl mit ausscheiden; hier wenden wir ihnen keine andere Betrachtung zu, als daß der in solchen Dingen erfahrene Autor sich stets gewissenhaft der Aufgabe unterzogen und sie oft mit Gewandtheit gelöst habe. Allein die Uebung auf Gebieten, für welche sich keine wahre Begeisterung fassen ließ, konnte nur nachtheilig auf den Charakter seiner gesammten späteren Production zurückwirken, sie führte eben zur Gewöhnung in schönen Worten sich zu ergehen.

Aber auch eigentlich lyrische Stücke hat Goethe noch in späterer Zeit gedichtet; wir haben nunmehr das Wichtigste von dem zu beachten, was hier nach Schillers Tod erwachsen ist. Gesellige Lieder, zum Theil für die Loge oder einen engeren Freundeskreis,

später auch wohl auf Zelters Anregung gedichtet, sind immer noch zahlreich erwachsen und sie tragen noch Leben und Laune an sich. Wir bemerken vom Jahr 1806: Vanitas, von 1807 Mächtiges Ueberraschen“ und „Freundliches Begegnen," von 1808 (12. September) „Goldschmiedsgesell“, von 1810 (14. Februar) das überaus kecke „Rechenschaft“ und das heitere,,Ergo bibamus“, von 1811 drei fremde Lieder: sicilianisch, schweizerisch und finnisch, das erste freie Bearbeitung eines italienischen Volksliedes, das zweite wohl Nachklang von Vernommenem, leßteres aber nach Voyage pittoresque à Cap Nord par A. F. Sköldebrand (Stockholm 1801), wo es sich in französischer Uebersetzung findet; Goethe bildete das Versmaaß des Originals nach, aber ohne dessen Reime. Auf 1812 wird das „Mailied" geseßt, das um diese Zeit auffällt durch den Schwung der Liebe, wie es sich auszeichnet durch einige markige Striche der Naturschilderung; auf 1813 „Gefunden,“ das, so wie das folgende „Gleich_und Gleich“ auf seine Gattin bezogen wird; von 1814 datirt sich das sinnreiche Lied „Liebhaber in allen Gestalten,“ ferner das muntere Lied „Kriegsglück,“ und vom 15. Juni 1815 die Lustigen von Weimar"; von hier ab aber fließt alles Liedartige dem Divan zu, indem der Dichter bei vorschreitenden Jahren für erotische Ergüsse die orientalische Verkleidung glaubte vorziehen zu müssen.

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Auch an Balladen ist des Dichters spätere Periode noch reich. Den ersten Plaß nimmt hier ein Wirkung in die Ferne" vom Jahr 1810, 1815 gedruckt, vielleicht ganz des Dichters Erfindung. Der Ton, den er schon bei Schillers Lebzeiten in Ritter Curts Brautfahrt und der Braut von Corinth angeschlagen, sezt sich fort; er nimmt das romantische Element, das Schauerliche und Wunderbare auf. Besonders fruchtbar an solchen Stücken, die also neben dem Divan erwuchsen, ist das Jahr 1813; hieher gehören: die wandelnde Glocke, der getreue Eckart, der Todtentanz: Stücke, in denen sich wohl Goethes Hand erkennen läßt, die aber doch des wahren romantischen Zaubers entbehren und in denen auch schon hie und da sich ungefüge Wendungen und gewagte Ausdrücke melden

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