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Unrecht galten? Worin besteht das Wesen der Rache? Liegt ihre Quelle im Felde des Moralischen oder ausserhalb desselben ?

Diese Fragen erheischen eingehende Beantwortung: denn Verständniss und Geschichte der Strafe setzen Verständniss der Rache voraus.

§ 14.

Rachsucht und Gerechtigkeitsgefühl.

Der Verletzer hat an seinem Opfer ein plus von Macht oder Kraft bewiesen. Den Verletzten wurmt das ihm aufgezwungene Gefühl der Inferiorität. Er will nicht weniger, sondern ebensoviel oder mehr sein, als der andere. Es ist ein Hang der menschlichen Natur, von Seinesgleichen sich nicht ducken, nicht unterjochen zu lassen, eher andere unterjochen zu wollen, auch wenn kein Nutzen mit solchem Machtbeweise verknüpft ist.

Aeusserungen dieses Triebes sind, neben der Rachsucht, Ehrgeiz, Herrschsucht, Ruhmbegierde und Arten des Neides, des Hasses, der Schadenfreude.

Neid, zum Beispiel, geht nicht immer auf dasjenige, was ein Anderer mehr hat, sondern ebenso oft darauf, dass er mehr hat, mehr ist, als wir. Dieser Neid verwandelt sich in Schadenfreude, wenn der Andere sein beneidetes Gut verliert: nun ist er nicht mehr, ist wohl gar weniger, als wir. Manchmal sucht man, um sich diese Schadenfreude zu bereiten, das beneidete Gut zu vernichten, wenn auch der eigene Nutzen nichts dadurch gewinnt.

Die Schadenfreude, welche in dem Vergnügen besteht mehr zu sein, als Andere, tritt sogar nicht blos bei dem Un

glück vorher Beneideter ein, sondern oft auch bei dem uns gleichgültiger Personen: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Ja, wie La Rochefoucauld meint, finden wir selbst in dem Unglück unserer besten Freunde stets etwas, was uns nicht missfällt.

Wenn nun selbst bei dem Unglück unserer Freunde das Vergnügen, sich mehr zu fühlen, als sie, leise anklingt; bei dem uns gleichgültiger Personen als Spott sich äussern kann und bei dem Unglück vorher Beneideter in Jubel ausbricht, ja, wenn wir zuweilen das Unglück des Beneideten verursachen, gleichsam Rache dafür nehmend, dass er, wenn auch indirekt, durch seine Superiorität uns verletzt hat, wie vielmehr wird man danach lechzen, denjenigen, welcher uns direkt verletzt, verwundet, mit geistigen oder körperlichen Waffen geschlagen hat, wieder zu verletzen, wieder zu schlagen, um so das Gefühl der Inferiorität, zu welchem er uns verurtheilen wollte, los zu werden und statt dessen uns ebensoviel oder mehr zu fühlen, als er.

Die Süssigkeit der Rache ist somit etwas wesentlich Negatives, nämlich Aufhebung des Schmerzgefühls der Inferiorität. Dem Verletzten, sagt Publius Syrus, ist der Schmerz des Feindes Medikament für seinen Schmerz (laeso doloris remedium inimici dolor).

Um den Genuss der Rache, welcher nach Homer um vieles süsser ist als herabträufelnder Honig, zu verstärken, wühlen wilde Völkerschaften in den Wunden ihrer Feinde, trinken ihr Blut, fressen sie, wobei das Gefühl, sie zu be

"Klemm, Kulturgesch. d. Menschh. I, p. 274: Glühende Rachsucht, der Wunsch, den Gegner ganz und spurlos zu vernichten, verbunden mit Hunger, dies scheinen mir die wesentlichen Ursachen des Menschenfressens zu sein. — Williams, Fiji and the Fij. p. 209: revenge

herrschen, sie unter zu haben, von besonderer Stärke sein

muss.

Angenommen, dieser Hang, ebensoviel oder mehr sein zu wollen, als Andere, wäre nicht in der menschlichen Natur: dann würde eine Art des Neides und der Schadenfreude fortfallen und die Rache ganz. Unser Neid geht, wie gesagt, entweder darauf, dass der Andere ein „Prae" vor uns hat; oder wir sind auf irgend ein nützliches, angenehmes Gut neidisch, welches der Andere hat und wir haben möchten, abgesehen davon, dass der Besitz dieses Gutes ihn vor uns auszeichnet. Im ersteren Falle sind wir auf den Besitzer neidisch, im letztern auf das Besessene. Jener Neid würde fortfallen, der leztere bleiben. - Analoge Einbusse würde die Schadenfreude erleiden. Der Schaden Anderer könnte uns nicht mehr insofern freuen, als sie nun weniger haben, nun schlechter daran sind, als wir, sondern nur insofern, als ihr Verlust uns an das Nützliche oder Angenehme unsers Besitzes erinnert. Die Rache, wie gesagt, würde ganz fehlen. Man würde nur das Leid empfinden, aber nicht die Beleidigung, nur den Schaden, aber nicht die Demüthigung. Dem entsprechend würde man blos den Schaden repariren, das Verlorene wieder erlangen wollen, aber nicht den Schädiger zu unterjochen, zu verletzen trachten, weil er uns unterjocht, verletzt hatte.

Nun existirt aber jener Hang und mit ihm beide Arten des Neides, der Schadenfreude und die Rachgier.

Die Analyse der Rache lehrt somit, dass dieselbe nicht nothwendig Zufügung eines Unrechts voraussetzt, sondern

is undoubtely the main cause of cannibalisme in Fiji. — Gerland, Aust. d. Naturv. p. 69. Der Grund des Kannibalismus ist ursprünglich Hass und Rachedurst.

blos Zufügung eines Leides. Nehmen wir ein Beispiel aus der neuesten Geschichte. Als Preussen in der Schlacht bei Sadowa Oesterreich besiegte, litt das französische Prestige durch Preussens neugewonnene Machtstellung in Europa. Für diese Leidzufügung, welche doch nicht Unrecht war, forderten die Franzosen Rache (revanche pour Sadowa). Ein Dienstbote mag, auch seiner eigenen Meinung nach, nicht mit Unrecht fortgejagt sein. Trotzdem wird er, wegen des ihm zugefügten Leides, vielleicht Rache an seiner Herrschaft nehmen.

Also jede Leidzufügung kann, auch wenn sie von dem Verletzten nicht als Unrecht empfunden wird, eine Reaktion bewirken, nämlich diejenige der Rache.

Wie aber, wenn die Schädigung dem Betroffenen Unrecht dünkt? In diesem Falle sind drei Reaktionen möglich. 1) Die reine, ungemischte Reaktion der Rache.

Die ungerechte Verletzung verletzt nicht blos den Egoismus, sondern auch das Gerechtigkeitsgefühl des Beschädigten. Daher empfindet er gewöhnlich nicht nur Rachgier, sondern fordert auch die Bestrafung des Schädigers. Zuweilen jedoch wird der Umstand, dass in seiner Person auch das Recht verletzt worden ist, ihm gleichgültig sein: er fühlt blos die Schädigung seines Egoismus, nur das egoistische Verlangen nach Rache.

Insofern ungerechte Verletzungen verletzender wirken mögen, als andere, kann das Unrechte an ihnen die Rachgier erhöhen.

2) Die reine, ungemischte Reaktion des Gerechtigkeitsgefühls.

Die Rachgier schweigt vielleicht. Blos die Schädigung des

Rechts empfindet der Verletzte; nur sein Gerechtigkeitsgefühl reagirt.

Aeusserlich betrachtet fordert man aus Gerechtigkeitsgefühl und aus Rache dasselbe: Vergeltung, Leid dessen, welcher uns Leid zugefügt hat. Innerlich betrachtet aber liegt das Verlangen nach Strafe an einer andern Stelle des menschlichen Gemüths, wie dasjenige nach Rache. Während Rachgier aus dem Hang entspringt, sich nichts bieten, sich nicht unterjochen zu lassen, stammt das Verlangen nach Strafe aus jenem mysteriösen Bewusstsein in uns, aus dem Gewissen, welches bei manchen Handlungen (auf hohen Kulturstufen bei Schädigungen, die Jemand uns oder andern Menschen zufügt) laut wird und den Ausspruch thut, dass denjenigen, welcher so gehandelt hat, Leid treffen solle; nicht, wie bei der Rache, unsers Vergnügens, unserer Schadenfreude wegen, sondern weil es sich, jener inneren Stimme nach, so gebührt, dass auf gerade diese und diese Handlungen Leid als Vergeltung, das ist Strafe folgt. Wie dies geheimnissvolle Bewusstsein in den Menschen hineingekommen ist; warum es bei manchen Handlungen spricht, bei andern schweigt oder gar Lohn als deren Vergeltung fordert, kann erst später (§ 26) dargethan werden. Aber soviel ist bereits klar, dass Rachsucht, eine Schwester des Neides, der Schadenfreude, und das Verlangen nach Strafe, eine Aeusserung des sittlichen Bewusstseins, an keinem Punkte mit einander zusammenhängen. Ihre specifische Verschiedenheit zeigt sich noch in Folgendem.

Rachgier setzt eine Verletzung voraus, und zwar unserer selbst oder eines der Unsrigen: denn nur so wird der Hang, sich nichts bieten zu lassen, irritirt. Verlangen nach Strafe hingegen kann auch dann eintreten, wenn nicht gerade

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