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Mir scheint, bei allen diesen und ähnlichen Einwürfen gegen das Christen um werden zwei Dinge nicht genug beachtet, einmal das Wesen des eligiösen Geistes, sodann die Entwicklungsfähigkeit auch des hristenthums.

Es ist die Eigenart des echt religiösen Geistes, daß die menschliche Seele, idem sie Gott sucht, ganz und gar und rücksichtslos dem Ewigen zustrebt. in dem religiös gehobenen Momente tritt allerdings alles Uebrige, was sonst em Menschen werthvoll erscheint, in den Hintergrund zurück, weil es von er Verbindung mit Gott ablenken und ihre volle Hingebung stören könnte. Die Erde und alle ihre Güter erscheinen dann wirklich klein und werthlos im Zergleich mit dem höchsten Gute, das die Seele erfüllt. Aber es ist nicht ie Bestimmung des Menschen, in diesem Zustande fortwährend zu verharren. Der Mensch hat auch die Lebensaufgaben zu erfüllen, die ihm geseßt sind, nach seinen Gaben und nach den Bedürfnissen seiner Mitmenschen. Er st berufen und mit den erforderlichen Kräften ausgestattet, um auf diesem Felde der menschlichen Arbeit und der Vervollkommnung der menschlichen Zustände auch die Geseze dieser Thätigkeit selber zu erkennen und in bewußer Freiheit anzuwenden. Auf diesem Gebiete ist der Staat gegründet, der Törper des männlich wirkenden Volksgeistes,

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Das Christenthum spricht nun jene religiöse Wahrheit in vollkommenster Weise aus, aber es will keineswegs dieses Geseß der menschlichen Arbeit und des Staates verkünden. Wird das Gefeß der Religion, d. h. der Verbindung der Menschen mit Gott, auch zum Staatsgefeß gemacht oder wie ein Staatszeseg beurtheilt, so ist das der Fehler Derer, welche diese verschiedenen Dinge verwechseln, und nicht der christlichen Religion, welche nur das religiöse Leben und nicht das politische Leben bestimmt hat. Die volle und ungehemmte Versenkung der menschlichen Seele in Gott entnervt nicht für das thätige Leben, sondern stärkt und ermuthigt den Menschen in seinen Arbeiten und Kämpfen. Es besteht also kein Widerspruch zwischen der religiösen Zumuthung, vor dem Ewigen des Vergänglichen sich zu entäußern und dem Staatsbedürfniß der Anstrengung der menschlichen Kräfte; und es kommt nur darauf an, die beiden Beziehungen, jede an ihrem Orte und zu ihrer Zeit, zu beachten. Werden die obigen Einwendungen von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, so fallen sie zu gutem Theile hinweg. Manche Vorschrift ist ganz richtig für das religiös bewegte Gemüth, welche unpassend wird, wenn die staatliche Pflicht mit ihren Anforderungen an die männliche Thatkraft wieder in den Vordergrund tritt.

Es kommt aber noch eine zweite Rücksicht in Betracht. Jene staatswidrige Weltflucht, welche im Mittelalter die Klöster bevölkert und den Cölibat der Priester begünstigt hatte, entsprach wohl der Auffassung des Christenthums, wie sie dem unklaren Gemüthsdrange des Mittelalters gefiel.

Seither aber haben sich die Ansichten vom Christenthum erheblich verändert Während damals die mönchische Entsagung als höchste Tugend gepricja wurde und der Einsiedler, der ein unfruchtbares Leben in Buße und Geba verbrachte, wie der vollkommenste Mensch und Christ verehrt ward, so i dagegen die heutige verständigere Welt eher geneigt, Mönche und Einsiedle als thörichte Müßiggänger gering zu schäßen. Das Mittelalter erkannte die christliche Eigenschaft vorzugsweise in der reuigen Selbstkasteiung und in der Glaubenseifer, die heutige Welt eher in den Werken der Menschenliebe un in der Bewährung der Sittlichkeit. Das Christenthum ist also entwide lungsfähig, wie der menschliche Geist, der es aufgenommen hat, in der es fortlebt. Nur diejenige Religion kann das Leben der Menschheit begleiten welche mit diesem Leben fortzuschreiten fähig ist. Die, welche dem Christen thum diese Entwicklungsfähigkeit absprechen und meinen, es habe in eine früheren Periode der Geschichte seinen vollkommensten Ausdruck erlangt, a dem unter allen Umständen festgehalten werden müsse, wissen es nicht, dai fie damit dem Christenthum das Leben absprechen. Denn immer und mi Nothwendigkeit stößt das fortwachsende frische Leben die starrgewordenen un daher todten Formen des frühern Lebens aus. Dieselben fallen von den Lebensbaume ab, wie dürres Laub.

Wir unsererseits können uns der Wahrnehmung erfreuen, daß das he tige Christenthum reiner, verständiger, thätiger, vorurtheilsfreier und humaner geworden ist, als in irgend einer früheren Epoche der Weltgeschichte.

Vor einem Protestantenverein bedarf die Behauptung keines weiteren Beweises, daß auch die christliche Kirche mit all ihren Autoritäten, Päpsten und Concilien auf Irrwege hat gerathen können. Der Protestantismus it

ja ein Protest wider die Frrthümer und Verirrungen der römisch-katholischen Hierarchie. Auch die protestantischen Kirchen als menschliche Anstalten find nicht minder dem Irrthum ausgesezt, und die christliche Erkenntniß kann ebenso wachsen, wie alles andere Wissen. Die Arbeiten der Menschheit sind. nicht vergeblich. Es können neue Wahrheiten entdeckt und erwiesen werden, in deren Licht auch die religiöse und kirchliche Ueberlieferung, auch die in den Bekenntnißschriften formulirte und selbst die in den heiligen Schriften beurkundete Ueberlieferung der früheren Zeitalter berichtigt werden müssen. Diesen Fortschritten der geistigen Erkenntniß darf sich auch das Christenthum nicht verschließen. Wenn die Menschheit weiser und humaner wird, so geschieht das nicht auf Kosten der christlichen Religion. Sie kann in dem selben Verhältnisse auch christlicher werden. Freilich nicht im Sinne ir gend einer starren Orthodoxie, aber im Sinne des Christenthums, das Geist und Leben ist.

Zu 13. Die meisten Religionsstifter waren zugleich Geseßgeber ihrer Völker. Indem Moses sein Volk mit eiserner Zucht zur Verehrung des Einen

ottes antrieb, gründete er zugleich die Fundamente des jüdischen Staats. as Gesetzbuch Manûs umfaßt zugleich alle göttlichen und menschlichen Dinge nd ordnet die heiligen Gebräuche wie die Verfassung der Indischen Staaten. ie Reinigungsgeseße von Zarathustra enthalten zugleich politische Vorhriften. Die Lehre von Confucius ist mehr noch Staats- als Religionshre. In seinem Koran hat Muhammed das religiöse und das bürgerche Gesez zu einem Ganzen verbunden. Die heidnischen Götter der jellenen und der Römer waren zugleich Götter der Städte und Staaten, n denen sie ihren Wohnsiz hatten. Nur Buddha und entschiedener sogar ls dieser hat Christus sich aller staatlichen Gesezgebung auf das sorgfäl= igste enthalten, eben damit die Reinheit der Religion keine Trübung erleide urch die Beimischung politischer Jnteressen. Er wollte das Reich Gottes in as Herz der Menschheit einpflanzen, er wollte nicht das staatliche Reich ieser Welt einrichten, nicht das Reich des Kaisers" umgestalten.

Insofern ist das Christenthum eine unstaatliche Religion und ver rägt sich deßhalb mit den verschiedensten Staatsverfassungen.

Aus diesem Grunde sind daher alle Versuche einer specifisch christ ichen Staatslehre von dem heiligen Augustinus an bis auf Bossuet, de Maistre und Stahl gescheitert. Sie sind ein hölzernes Eisen, ein Widerspruch in sich, und weder christlich rein noch staatlich correct.

Ob in einem Staate ein Individuum regiere, ob eine Aristokratie, ob der Demos die Gewalt selber übe, ob der Volksvertretung bestimmte politische Rechte zukommen und welche, wie die Rechtspflege zu organisiren, mit welcher Schußwehr die bürgerliche Freiheit zu sichern sei, wie die Heeresverfassung am besten einzurichten sei, das Alles kann nicht von der christlichen Religion aus bestimmt werden; denn alle diese Dinge sind für das religiöse Verhältniß der Menschen zu Gott völlig gleichgültig. Das Christenthum verträgt sich daher mit allen Staatsverfassungen, monarchischen und republikanischen, freien und unfreien, absoluten und beschränkten, weil keine Staatsform die Verbindung der menschlichen Seele mit Gott zu verhindern vermag, und in jeder Staatsverfassung die Obrigkeit und die Unterthanen Christen sein können. Mit diesem Princip des Christenthums stimmen die Erfahrungen aller Zeiten und aller christlichen Völker zusammen.

Zu 14. So lange der Staat Confessionsstaat war, war er noch bis auf einen gewissen Grad auch dogmatisch gebunden. Auch zur Zeit der Kirchenreform noch erachtete sich der Staat pflichtig, die von seinen Theologen fiegreich bewährte Auslegung der heiligen Schrift als maaßgebend zu betrachten, selbst für seine Rechtsgeseße, z. B. für das Eherecht. Die Autorität der Bibel wurde in England und in Schottland noch im siebenzehnten Jahrhundert ebenso wie in dem calvinistischen Genf und in den neu-englischen Colonien von Nordamerika, in den Niederlanden und in den protestantischen Staaten

Deutschlands auch für die Staatsgefeßgebung ganz gewöhnlich als entscheiden angerufen. Seitdem der Staat wirklicher Rechtsstaat und politischer Volk staat geworden ist, seitdem er die confessionelle Beschränkung abgestreift h bedarf die obige Wahrheit keiner weitern Begründung. Sie ist selbstve ständliche Folge des frei gewordenen Staatsbewußtseins.

Die Dogmen können schon deßhalb, so wichtig sie immer sein möge für das religiöse Leben einzelner Individuen oder kirchlicher Genossenschafter für den Staat nicht rechtsverbindlich sein, weil ihre Wahrheit nur den Gla bigen, nicht aber den Nicht- oder Andersgläubigen einleuchtet, und die Recht gefeße des Staats eine Begründung erfordern, welche Allen verständli und gleichmäßig für Alle gilt. Der Inhalt des Dogmas ist eine res giöse Wahrheit und der Staat hat weder die Berechtigung noch die Fähigkeit über religiöse Wahrheiten zu entscheiden. Die Berufung auf das Dogme wenn Staatsgefeße oder Staatsgeschäfte in Frage sind, ist daher allem Berufung an eine unstaatliche und daher in diesen Dingen nicht com petente Autorität und deßhalb unzulässig.

Zu 15. Kann der Staat sich der Autorität der Dogmen einfach dadur entziehen, daß er erklärt, keinen dogmatischen Beruf zu haben, und daß e sich davor hütet, seine Anordnungen auf Dogmen zu stüßen, so kann er fi dagegen den oft empfindlichen Einwirkungen der verschiedenen Kirchenverfa sungen weniger leicht entziehen.

Ein tieferer Denker wird zwar auch einen Zusammenhang entdecker zwischen dem kirchlichen Dogma, das von der Masse oder ihren Führers geglaubt wird, und dem Charakter des Staates, in dem jene Masse oder diese Führer eine entscheidende Stimme haben. Aber der magnetische oder elektrische Rapport, in welchem der religiöse Glaube und der politische Wille zu einander stehen, wirkt mehr im Verborgenen als offenbar, eher mittelba als unmittelbar, und ist nur sehr schwer zu bemessen. Dagegen der Einfluß der Kirchenverfassung auf die Staatsverfassung tritt überall is sichtbarer Gestalt und in meßbaren Verhältnissen zu Tage. Die Kirche i eine geistige und leibliche Macht, welche der geistigen und leiblichen Mach des Staates gegenübertritt, mit der er sich auseinanderzuseßen, die zu beachter der Staat durch die Verhältnisse gezwungen ist.

Die große Frage über das Verhältniß von Kirche und Staat, welche im Mittelalter während Jahrhunderte die Politik der Päpste und Kaiser bewegt und die Nationen entzweit hat, ist heute noch eins der schwierigsten Probleme, auch für den modernen Staat. Wir deuten sie hier nur an, wir versuchen es nicht, sie zu beantworten. Die Erinnerung daran schon genügt, um es anschaulich zu machen, in welch hohem Grade diese Frage auch eine Machtfrage ist zwischen Staat und Kirche.

Zu 16. Das Dogma ist dem Staate fremd, der Glaube gehört dem indiduellen Leben und der religiösen Genossenschaft an. Die Kirchenverfassung ht dem Staate als ein anderer Körper gegenüber. Aber die sittliche Macht 3 Christenthums verspürt der Staat in seinem eigenen Leben. Indem der oderne Staat die nationale Volksgemeinschaft gestaltet und veredelnd fortIdet, indem er an der Vervollkommnung der Menschheit arbeitet und die lüthen und Früchte der Humanität entwickelt, erfährt er an sich selber die eltbewegende, die Menschheit veredelnde und erhebende Macht des Christenums. Die moralischen Kräfte auch der heutigen Völker werden durch das hristenthum erzogen und gekräftigt, ihr sittliches Leben wird durch dasselbe reinigt und vervollkommnet. Christliche Ideen leuchten noch an dem Horinte der civilisirten Menschheit, christliche Tugenden wirken fort in dem enschlichen Herzen, christlicher Trost richtet, wie vormals, die Unglücklichen ieder auf und stärkt die Verzagten. Christliche Demuth zähmt den aus, hweifenden Uebermuth; christliche Freiheit erfüllt die Menschen mit dem ewußtsein, Kinder Gottes zu sein; christliche Liebe treibt die Menschen einnder wohlzuthun. Zuweilen leuchtet auch die christliche Seligkeit mit rem Sonnenglanz über die Menschheit und erhebt sie zu der Höhe, auf elcher der Mensch den Strahl des göttlichen Lebens in der eigenen Brust ewahr wird. Auf diese praktische Seite des Christenthums muß der moderne Staat den höchsten Werth legen. Dieses Christenthum zu schüßen und irksam zu erhalten, ist für seine eigene Wohlfahrt von größter Bedeutung.

Der deutsche Protestantenverein, welcher „eine Erneuerung der proteantischen Kirche im Geiste evangelischer Freiheit und im Einklang mit der esammten Culturentwicklung unserer Zeit anstrebt“ und die ethische Beeutung des Christenthums höher schäßt, als die dogmatische Form, weiß ch in dieser Hinsicht in vollster Harmonie sowohl mit dem lebendigen Geiste es Christenthums, als mit dem Streben des modernen Staates.

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