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V. Diskussion über das Verhältniß des modernéu
Staats zur Religion.

Nachdem der Redner unter gespanntester Aufmerksamkeit der Versamm lung geendigt, ergreift zuerst Vice-Präsident von Holzendorff das Wor und spricht etwa folgende Worte:

Ehe ich das Präsidium wieder zurückgebe, glaube ich im Sinne de Versammlung zu handeln, wenn ich Herrn Geheimrath Bluntschli Ihre Dank sage für sein treffliches Referat. Es ist dasselbe die Frucht nicht n einer langjährigen wissenschaftlichen Thätigkeit auf dem Gebiete der Staat wissenschaft, wo wir den Herrn Referenten als eine hochangesehene Autorit verehren, sondern auch die Frucht einer reichen praktischen Erfahrung Staat und in der Kirche, welche derselbe reichlich zu sammeln Gelegenhe hatte, als Bürger des politisch vielbewegten republikanischen Staatswesen der Schweiz, dann in Baiern, diesem Siz des Ultramontanismus, endlic als einer der hervorragendsten Kämpfer in den politischen und kirchliche Bewegungen Badens, dessen neueste Geschicke nicht wenig mit seinem Namen verknüpft sind. Es erfolgt zustimmende Acclamation aus der Versammlung Ueber den Gegenstand selbst ergreift nun zunächst das Wort Hofpr diger Schweizer aus Gotha:

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Hochgeehrte Herren! Erlauben Sie mir nur einen Punkt aus de reichen Inhalte des gehörten Vortrages zu berühren. Ich habe mit groß Freude gehört, daß der Staat als das „organisirte Volk“ bezeichnet wurde Ist nun der Staat das organisirte Volk und hat damit die Pflicht, sich möglichsten sittlichen Vollendung zu entwickeln, und zwar, wo es noth that durch Gesez und Zwang, während die Kirche (was fie vom Staate unter scheidet) durchaus keinen Zwang anwenden kann und darf, so werden daran eine Reihe von Folgerungen hervorgehen. Ich möchte daraus die Aufme samkeit nur auf eine Frage richten, nämlich: Wie verhält es sich mit de Schulzwange? Der Staat, wurde gesagt, verlangt, daß die durchschnit liche Bildung, welche im Volke herrscht, auf die einzelnen Mitglieder dessai ben übertragen werden soll; zu diesem Zwecke gebraucht er seine Maßregel und ich glaube, wir als Protestanten, wenn wir auch im Sinne unser protestantischen Kirche allen Zwang verwerfen, müssen doch wünschen un vom Staate fordern, daß er den Schulzwang zu dem angegebenen Zwecke au übt. Ebenso halten wir den Zwang von seiner Seite nach einer ander Richtung hin für berechtigt. Indem auseinandergesezt wurde, wie die Kin

ar zum Segen des Staats wirken kann, aber auch zum Nachtheil des taats sehr oft wirkt und gewirkt hat, so glaube ich doch, daß wir als Prostanten wünschen müssen und sogar fordern dürfen, daß der Staat auch von en Männern, die innerhalb der Kirchengemeinschaft die Leitung übernehmen, e höhere Bildung in Anspruch nehmen muß, die er von den Leitern der öffentHen Angelegenheiten überhaupt fordert, daß er also nicht zuläßt, daß in er Kirchengemeinschaft irgend Jemand die Leitung übernimmt, der nicht die niversitätsbildung, wie er sie von den Männern, welche ihn selbst leiten, fordert, halten hat. Dieser Zwang, wonach das Volk im Allgemeinen eine durchhnittliche Bildung erlangen soll, und die andere Forderung, daß die Leiter ie höhere wissenschaftliche Bildung haben, dieser Zwang besteht nach meiner Keinung durchaus mit der Freiheit, die die Kirche beanspruchen darf und uß. Der Staat, indem er die Pflicht übernimmt, diejenigen Gemeinschafen, welche zu seiner eigenen Entwicklung förderliche Kräfte bieten, in seinen schuß zu nehmen, beeinträchtigt damit durchaus nicht die freie Selbständigkeit ieser so geschäßten kirchlichen Gemeinschaft. Es ist das ungefähr so wie as Verhältniß des Staats zur Wissenschaft und Kunst. Diese entwickeln ch ebenfalls im Staate, der Staat läßt ihnen seinen Schuß und seine Pflege u Theil werden, aber er reicht mit seinen Zwecken in das eigentliche Inere der Kunst und Wissenschaft nicht hinein. Er erkennt an: sie sind zyr öheren Entwickelung des Volks nothwendig; er pflegt sie daher und läßt e frei wirken. Die wissenschaftliche und künstlerische Entwicklung ist jedoch ine andere, wie die geistige. Die Künste und Wissenschaften sind nicht so ingethan zur Bildung von Gemeinschaften, die, wie religiöse Gemeinschaften, #em Staat gegenüber stehen.

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Noch einen Punkt möchte ich berücksichtigt wissen. Der Staat hat kein Bekenntniß, er ist confessionslos; im modernen Staat kann Jeder nach seiner Façon selig werden. Ich sage daher, daß, je mehr die Kirche sich selbst verteht, sie um so mehr und bestimmter vom Staat fordern wird, daß derselbe uch das atheistische Bekenntniß freigiebt, und, wenn sie sich bilden könnte — vas ich freilich nicht glaube auch einer atheistischen Gemeinschaft das Recht giebt, sich zu bilden. Ich fordere dieses im Namen des Christenthums, veil ich weiß, wie elend der Mensch ist, welcher nicht an Gott glaubt. Dieenigen, welche Atheisten sind, sind es doch unter dem Einflusse des Christenhums, und sie genießen den Segen desselben in reichem Maße. Damit wir aun diese Versuche zur Bildung solcher Gemeinschaften überwinden können, gebe man ihnen freie Bahn, beschränke sie nicht durch äußere Mittel, damit vir zeigen können, wir überwinden sie durch den Geist Gottes und durch den Glauben an Christus, der in uns lebendig geworden ist.

Zum Schluß noch einen Punkt. Der Staat hat die Pflicht, den ver schiedenen Kirchengemeinschaften gegenüber dafür zu sorgen, daß er in seiner

eigenen Gemeinschaft nicht Schaden leide, und wir, glaube ich, als protesta tische Christen, können nichts Besseres thun für die protestantische Kirche, ale: den Staat auf die Erfüllung dieser Pflicht hinzuweisen, daß also der Stat keine ihm feindlichen Gemeinschaften, wie z. B. die Gesellschaft Jesu, in si aufkommen läßt, und daß die Geseße, welche dagegen schon vorhanden side mit rechtem Ernst von ihm gehandhabt werden; daß der Staat ferner, die Kirche im Uebermaße und zum Schaden des Staates Güter befißt, die Anhäufung verhindert, damit dem Staate die Kräfte, welche er zu seine Bestehen gebraucht, verliehen werden, und er darin nicht durch eine religi Gemeinschaft gehindert werde.

Diese Punkte, bei welchen der Staat einen Zwang üben darf und kam beeinträchtigen die protestantisch - evangelische Freiheit nicht, und auf die möchte ich die Versammlung hingewiesen haben.

Professor von Holzendorff aus Berlin: Der Eindruck, welchen de Vortrag, den wir vorhin von unserem verehrten Referenten gehört, auf mi gemacht hat, besteht wesentlich darin, daß derselbe eben so gut von eine Theologen hätte gehalten werden können, wie von einem Staatsrechtslehre indem derselbe nicht nur die staatsrechtliche Seite der Frage gründlich erő tert hat, sondern auch, unter Voranstellung der Religion, die Verhältni derselben zum modernen Staat. Es ist nicht meine Absicht, über die ein zelnen Thesen mich näher auszulassen; vielleicht wäre ich dazu versucht ge wesen, wenn nicht der Vortrag manche für mich im ersten Augenblick vo handene Unklarheiten und Bedenken zerstreut hätte. Es kommt auch nicht darauf an, daß auf Grund dieser Thesen gewisse Consequenzen gezogen fint, z. B. über das Rechtsverhältniß des Staats zur Schule; sondern wir haber den Nachdruck darauf zu legen, daß der Standpunkt hier fixirt werde, vor dem bei Beurtheilung der einzelnen Verhältnisse ausgegangen werden kann Fassen wir das Verhältniß des Staats zur Kirche ins Auge. Es kann nicht mehr, wie im Mittelalter, eine Unterordnung des Staats unter die Kirch stattfinden; es ist auch nicht eine völlige Unterordnung der Kirche unter den Staat mehr vorhanden, sondern das Verhältniß zwischen Staat und Kirc ist aufzufassen als die wechselseitige und stillschweigend einge gangene Garantie zur Aufrechthaltung der beiderseitigen Herrschaftsverhältnisse. Man betrachte von diesem Standpunkte au eine Reihe von gegenwärtig praktisch-kirchlichen und politischen Systemen Einerseits sieht man die Kirche häufig als ein Mittel an, um auf die Masse im Sinne bestimmter politischer Systeme einzuwirken, wie das in der dritten These angedeutet ist. Auf der andern Seite spricht die Kirche, namentlich eine gewisse Richtung in ihr, sich zwar nicht aus, aber sie läßt erkennen, daß nach ihrem innersten Glaubensbekenntniß die Staatshülfe ihr unentbehr lich erscheint zur Aufrechthaltung ihrer eigenen Herrschaftsverhältnisse.

Es ist schwer zu sagen, ob in Beziehung auf diese gegenwärtigen VerItnisse des Staats und der Religion der Staat oder die Religion gegen ander in Nachtheil seien. Für mich liegt der Nachdruck auf der 13. hese, welche erklärt: „Das Christenthum schreibt keine besondere Staatsrfassung noch bestimmte Staatsgesetze vor." Es ist unmöglich, in unserer ibel irgend ein System nachzuweisen; aber von dieser einfachen Wahrheit it sich eine gewisse Richtung der Theologie, welche sich als ausschließliche zeichnet, immer nicht überzeugen können. Wir sehen, daß in manchen ragen die Kirche nicht nur beansprucht, ihr sittlich-religiöses Urtheil bzugeben, sondern daß sie auch dem Staat gegenüber zu treten sich estrebt in Fragen, wo sie ein Urtheil ihrem ganzen Wesen nach nicht bzugeben hat. Ich erinnere an die Ehegesetzgebung, ich erinnere ferner n die Frage, welche zu einem Principienstreit geworden ist, an die rage von der Todesstrafe. Ferne sei es von mir, in dieser Versammlung twas für oder gegen die Todesstrafe zu sagen; aber immerhin, glaube ich, t es eine bezeichnende Thatsache, daß in süddeutschen Staaten die Geistlicheit im Princip für die Aufrechthaltung der Todesstrafe sich erklärt hat, daß erner in der sächsischen Kammer die geistlichen Würdenträger, sowohl von er protestantischen wie von der katholischen Seite, sich für die Todesstrafe usgesprochen haben. Ich halte es für einen großen Mißbrauch und eine chwere Verirrung, wenn aus dem alten Testament eine Verpflichtung des Staats entnommen wird, dem Verbrecher das Leben zu nehmen. Es können iber diese Frage jedoch verschiedene Ansichten sein, ich wiederhole, daß ich n dieser Versammlung nichts über die Todesstrafe sagen werde. Ich halte nich aber doch für berechtigt, darauf aufmerksam zu machen, daß vom christlichen" Standpunkte aus die Aufrechthaltung der Todesstrafe befürwortet wird. Es ist aber ein bedenkliches Wagniß, aus theologischen Prinpien staatsrechtliche Theorien aufstellen zu wollen. Ich erinnere daran, daß diese Tendenz der Theologie, biblische Staatssysteme aufzustellen, dieser Mißbrauch der Bibel, nicht blos Revolutionen vorbereitet, Erschütterungen hervorgebracht, sondern auch zum Sturze von Monarchien beigetragen hat, daß nicht nur diese Nichtung den Stuarts und Bourbonen die Herr schaft gekostet hat, sondern auch in einem benachbarten früheren Königreiche theilweise mitverantwortlich gemacht werden muß für den Sturz des Herr scherhauses, welches von sich die Behauptung wagte, bis ans Ende der Tage bestehen zu bleiben. Die Theologie hat sich in solchen Fällen über die Grenzen ihrer Herrschaft sehr getäuscht, indem sie sich nach dieser Richtung hin eine Gewalt anmaßte, für deren Folgen sie verantwortlich zu machen ist. Es würde nicht angemessen sein, in dieser Versammlung dieses Thema weiter zu verfolgen; es ist nur vor dem Irrthum zu warnen, in welchem Diejenigen, welche an der Epiße der politischen Gewalten stehen,

befangen sind, wenn sie sich einreden, sie haben göttliche Pflichten, m ihnen das menschliche Recht fehlt. Das ist eine Anmaßung und Ueber hebung, für deren Folgen sie selbst verantwortlich zu machen sind. Hier lig für mich der Nachdruck darauf, daß in der That das religiöse Leben an das schwerste durch eine solche Anmaßung geschädigt wird.

Wenn wir allen Grund haben, über die Gleichgültigkeit gegen die Re ligion uns zu beklagen; wenn ein Theil unserer Aufgabe darin liegt, dieja Mangel an Vertrauen in die religiösen Principien zu bekämpfen; so habe wir die Pflicht es auszusprechen, daß die Anmaßung einer theologischen Ric tung, Staatssysteme aufzustellen, die Gleichgültigkeit gegen die Religion mi verursacht. Man kann nicht sagen, daß die Theologie berufen sci, Staate fragen zu lösen; noch viel verderblicher aber ist es, sich hineinzustürzen in politische Kämpfe, mit religiöser Vorgebung sich auf die eine oder die ander Eeite zu stellen. Nichts in der Politik ist unveränderlich, und da kann jed Prophezeiung eines Theologen, welche durch die Thatsachen widerlegt wit jedes System, welches aufgestellt wird, Schaden bringen für die heiligste Aufgaben der Religion. Nichts ist gefährlicher für die religiösen Interessen als wenn die Religion sich heftet an Dinge, welche ihrer Natur nach ver gänglich sein müssen. Keine Verfassungsform kann sich rühmen, in dem Sinne von Gottes Gnaden zu sein, daß ihr die Ewigkeit ihrer Dauer ge währleistet wäre, deßhalb wird an di ser Stelle auszusprechen sein, daß die Justitutionen von Staat und Kirche auseinander gehalten werden müssen, nicht nur um der Souveränetät des Staats, sondern auch um der religiösen Wahrheit willen, deren Interesse uns bewegt. Solche theologische Staatk systeme sind in Uebermaß bei einer Richtung der Theologie vorhanden; mar braucht nur die theologischen Zeitschriften aufzuschlagen, um sich davon z überzeugen. Es werden da ganze Systeme in codificirter Form mit dem Rechte der Religion vertheidigt; aber es wäre gut, wenn man, wie Luther das kanonische Recht, diese ebenfalls den Flammen übergeben würde. Allerdings gicht es einen Zusammenhang zwischen den religiösen und polit schen Lebensbeziehungen, allein dieser Zusammenhang liegt in dem Gewissen des einzelnen Menschen. Meine Ueberzeugung ist die, daß die wahre Frei heit, die wahre dauernde Freiheit nur möglich ist, wenn die Staatsthätigkeit von den religiösen Begriffen getrennt wird, besonders aber, wenn man sich auf beiden Seiten irgend welcher Zwangsgesche, welche eine Knechtung und Unterordnung der einen Interessen unter die anderen verlangen, enthält. (Bravo).

Professor Baumgarten:

Hochverehrte Versammlung! Der verchrte Referent sagte in seiner Ein leitung, es gebe zwei verschiedene Gesichtspunkte, um die vorliegende Frage zu behandeln: den staatsrechtlichen und den theologischen, und diese beider

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