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VIII. Rede des Professor Dr. J. W. Hanne.

Ich hatte mir vorgenommen, die Einleitung zu diesem Vortrage im schluß an die beiden ersten von mir aufgestellten Thesen zur nähern Erört rung des Begriffs der Bibel vom historisch-kritischen Standpunkte aus ju benußen. Der kurz zugemessenen Zeit wegen aber muß ich mich über jede Art Einleitung hinausseßen, um sofort das Thema meines Vortrags seibi in Angriff zu nehmen. Ich weiß das nicht zweckmäßiger zu bewerkstelligen als wenn ich die Autorität der Bibel zuerst aus historischem Gesichtspunt und sodann in der zweiten Abtheilung vom Standpunkt des gegenwärtiger religiösen Bewußtseins, also von demjenigen Standpunkt aus, der seine Ve körperung im deutschen Protestantenverein gewinnen soll, in Betracht ziehe

I.

Fassen wir den Gegenstand unserer Betrachtung zuerst aus historischen Gesichtspunkte ins Auge, so zeigt sich sofort, wie das Ansehen der Bibel, unmittelbarsten Zusammenhang mit der Auffassung des Wesens der Reli gion und Offenbarung, mehrere geschichtliche Wandlungen durchlaufen hat Wir unterscheiden eine erste Phase in der Geschichte der Bibelautorität; da ist die Zeit der allmählichen Bildung und Befestigung des göttlichen Ansehens der heiligen Schrift, und diese Periode reicht von der ältesten kirch lichen Zeit bis etwa ein Jahrhundert über die Reformation hinaus. Sodan folgt vom fiebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert an die Periode der Rückbildung, Bekämpfung und endlichen wissenschaftlichen Auflösung der gött lichen Autorität der Bibel. Das ist die Zeit der negativen Kritik, in welcher sich aber seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, besonders durd Lessing und Herder bereits auch die Anfänge zu einer wahrhaft positiven, sowohl dem historischen wie dem religiösen Interesse gerecht werdenden Kriti zu bilden begannen, die dann seit Schleiermacher, Ewald, Weiße, Baur u.4. sich immer vollkommner entwickelt hat.

Das Charakteristische der ersten Periode ist, daß während derselben die theologische Reflexion sich ausschließlich an die göttliche Seite im Religions und Offenbarungsbegriff hielt. Damit gewann die Bibel nach und nach eine Autorität, die, als eine schlechthin übernatürliche, zuleßt und zwar inner halb der protestantischen Orthodoxie, zur äußersten Unnatur wurde und daher nothwendig zu Grunde ging.

Diese einseitige Betonung der göttlichen Seite im Wesen der christchen Religion und Offenbarung hatte ihren Grund in der supranaturaistischen Denkweise der alten Kirche. Wenn nun der theologische Supraaturaismus, freilich in sehr modificirter, von modernen Elementen getränkter zestalt, auch unter uns noch manche ehrenwerthe Theologen zu seinen Verretern zählt, wenn selbst ein so eminenter Denker, wie der selige, um unsern Zerein so hochverdiente Richard Rothe sich von ganzer Seele einen Supraiaturalisten nannte, so darf mich das doch nicht hindern, daß ich, unbescha›et meiner Anerkennung der relativen Berechtigung des Supranaturalismus ind ohne Beeinträchtigung meiner innigen Glaubens- und Liebesgemeinschaft nit jenen theuren Männern, die der Entwicklungsgeschichte jener theologischen Denkweise immanente Kritik, mit Beziehung auf die aus derselben geflossene ibernatürliche Autorität der Bibel von meinem Gesichtspunkt aus reimüthig hervortreten lasse. Wir sind ja, wie ich meine, in dem klaren Bewußtsein zu unserm Vereine zusammengetreten, daß wir von vorn herein sest entschlossen sind, uns von rechts und links her im Geist der christlichen Freiheit und Liebe nicht blos gegenseitig zu dulden, sondern in allem, was irgend zweifelhafter Natur ist und worüber die Ansichten nach rechts und links auseinander gehen, auch gegenseitig freundschaftlich zu bekämpfen, um durch dieß Aufeinanderplaßen der Geister uns immer tiefer dessen bewußt zu werden, was niemals zerplaßen kann, was sich daher aus allen Anzweifelungen immer wieder erhebt als der unerschütterliche Felsen, auf den wir uns mit einander gründen wollen für die christliche Praxis unseres evange= lischen Glaubens.

Zum Supranaturalismus gestaltete sich die kirchliche Theologie hauptsächlich durch die Einwirkung der späteren jüdischen Denkweise, der auch die Jünger Chrifti irgendwie ergeben waren. Ich verstehe unter dem Supranaturalismus diejenige theologische Ansicht, nach welcher man die Religion und Offenbarung lediglich oder doch überwiegend von außen an das menschliche Selbstbewußtsein heran treten läßt; nach welcher man also die Gottheit als einder Welt äußerliches, im Verhältniß zu derselben schlechthin überweltliches und transcendentes Wesen faßt, das die von ihm ausgehenden Mittheilungen göttlicher Wahrheiten und Heilskräfte durch einzelne, den Naturzusammenhang jeweilig unterbrechende Handlungen bewirkt; durch Einwirkungen, denen gegenüber sich der menschliche Geist gänzlich oder doch überwiegend passiv, unfrei und eben damit eigentlich unpersönlich verhält. Der Begriff der göttlichen Transscendenz gewann in der christlichen Kirche immermehr eine sinnnlich phantastische, die mythologischen Reflere des Heidenthums in sich abspiegelnde Färbung. Zwar ist der Gedanke der Immanenz, wonach Gott sich unausgesetzt und allgegenwärtig in den Wesen und Kräften der natürlichen und geistigen Welt bethätigt, der ältesten Kirchenlehre keineswegs fremd und was die Bibel

selbst betrifft, so durchathmet er die religiösen Grundanschauungen derselben in lebendigster Weise. Die theologische Reflexion der alten Kirche ging aber auf diese Seite des Gottesbegriffs zunächst nicht ein.

So entstand jener eigenthümliche, phantastisch-verständige Transcendentalismus, der bereits in den ersten fünf bis sechs Jahrhunderten, unter der Machteinwirkung des byzantinischen Cäsarenthums, in den symbolischen Lehren von der Dreieinigkeit, von der Gottheit Christi und von der Verderbtheit der menschlichen Natur zu seinem wesentlichen Abschluß kam. Seine anthropologische Unterlage gewann derselbe durch den großen, abendländischen Kirchenvater Augustinus, namentlich durch das von demselben be gründete Dogma, wonach der menschliche Geist, zufolge des mit dem Fal der Engel und Menschen entstandenen unheilvollen Risses zwischen Gottheit und Welt, der natürlichen Befähigung, die göttliche Wahrheit immanent in sich selber zu erkennen, für immer verlustig gegangen ist. Sollte nun die Menschheit in dieser Trennung von Gott nicht allgemein ins Verderben ver sinken, sondern wenigstens einem Theil nach gerettet werden, so mußte Gott durch schlechthin übernatürliche Acte ins Mittel treten. Nur im Wider spruch mit den Gefeßen der gefallenen Natur, nur durch das Wunder einer schlechthin übernatürlichen Offenbarung konnte Gott die zwischen ihm und der Welt gefeßte Kluft überbrücken.

Für ein Bewußtsein aber, das über den naiven, zwischen natürlichen und übernatürlichen Wirkungen Gottes noch nicht unterscheidenden Wunderglauben der h. Schrift durch die erwachte verständige Reflexion hinaus-, zu der vernünftigen Erkenntniß des fortdauernden Geist es wunders aber noch nicht hinaufgelangt ist, liegt das Wunder wesentlich in der Vergangenheit. Nur innerhalb des durch ein Wunder entstandenen Volkes seines Eigenthums war Gott dann und wann mit einzelnen, wunderbar erleuchteten Seelen in übernatürlichen Verkehr getreten, bis diese nur vorbereitenden Offenbarungen endlich im Wunder der Wunder, in der Menschwerdung der zweiten Person der Gottheit für immer ihren Abschluß fanden.

Um aber diese schlechthin übernatürliche, der Vergangenheit angehö rende Offenbarung mit zweifelloser Glaubensgewißheit ergreifen zu können, mußte die Kirche sich auch auf eine sichere, über allen menschlichen Irrthum erhabene Ueberlieferung stüßen dürfen. Nun konnte jedoch eine rein menschlich entstandene Ueberlieferung, nach der supranaturalistischen Vorausfeßung von der gänzlichen Verderbtheit der menschlichen Vernunft, eine derartige Sicherheit nicht gewähren. Das kirchliche Bedürfniß forderte mithin eine schlechterdings durch Gott allein zu Stande gekommene Ueberlie ferung der übernatürlichen Offenbarung. Je zweifelloser man nun diese göttliche Ueberlieferung in der Bibel erblickte, desto entschiedener mußte man auch die Entstehung der Bibel ganz ähnlich wie die Offenbarung selber, auf

in absolutes Wunder zurückführen, und so kam es zur Entwicklung des Dogmas von der Inspiration der heiligen Schrift. Schon die jüdische Theologie hatte demselben vorgearbeitet. Jemehr die prophetische Begeiste ung bei den aus dem Exil zurückgekehrten Juden erloschen und an die Stelle derselben die gelehrte, verständige Reflexion getreten war, desto höher var auch das Ansehen der Ueberlieferung und namentlich die Autorität der, eit Esra nach und nach gesammelten kanonischen Schriften des alten Testanents gestiegen. Schon bei Philo und Josephus findet sich der Glaube an die wörtliche Inspiration des alten Testaments im Wesentlichen ausgebildet vor, und wie sehr auch die Denkweise Christus selbst über dieses jüdische Dogma erhaben war, so hatten doch die Jünger sich desselben noch nicht zu entschlagen vermocht, und so ging es auch in die von denselben gestifteten Gemeinden über.

Auf die von der Mitte des ersten bis zur Mitte des zweiten Jahrhunderts und zum Theil auch erst später bekannt gewordenen Schriften des neuen Testaments übertrug man indeffen das göttliche Ansehen des alten Testaments erst seit den lezten Zeiten des zweiten Jahrhunderts.

So gab es von nun an zwei übernatürliche Offenbarungsbehälter für das kirchliche Bewußtsein: die mündliche Tradition einerseits und das heilige Schriftthum, das von nun an als Bibel beide Testamente in sich begriff, anderseits.

Eine Zeitlang standen beide Offenbarungsquellen auf gleicher Höhe; bald aber trat das Ansehen der Bibel immermehr in Schatten gegen das Ansehen der Tradition. Und je zuversichtlicher und unbestrittenener die mittelalterliche Kirche sich als die unmittelbare, infallible Stellvertreterin Gottes auf Erden gebahrdete, um so üppiger wucherte fortan das kirchliche Saßungswesen in immer neuen Trieben aus dem dunstgeschwängerten Boden der Tradition hervor. Schon drohte dieses verderbliche Unkraut den Weizen der göttlichen Offenbarung vollends zu ersticken, da trat die Reformation ein. Je reiner und herrlicher aber die Reformatoren das, was ihr tieferregtes Junere bewegte, in der heiligen Schrift verkörpert fanden, um so entschiedener und nachdrücklicher erklärten sie die Bibel, und zwar ohne Unterschied des Alten und Neuen Testaments, für die alleinige Quelle der göttlichen Offenbarung, für die einzige Autorität in Glaubenssachen.

Dennoch ist die Reformation in erster Linie nicht eine Frucht des Glaubens an die göttliche Autorität der Bibel, sondern ein Werk ihres tief innerlich bewegten religiösen Gefühls und ihres, über das Verderben der Kirche, über die todten Werke und die Creaturvergötterung derselben sittlich empörten Gewissens. Zufolge seines durch die deutsche Mystik genährten Glaubens an Christus, als den die Menschheit allgegenwärtig durchwirkenden Offenbarer der Gottheit, und kraft jener urgewissen Zuversicht, mit welcher er

der göttlichen Heilswahrheit als einer gottmenschlich-präsenten Offenbarungs und Erlösungsmacht unmittelbar in seinem eigenen, geisterfüllten 3 mächtig geworden war, stellte Luther sich nicht selten geradezu über die heilige Schrift. In bestimmtester Weise verlangt er, daß man inwendig befinde, es sei Wahrheit, auch wenn ein Engel des Himmels und all Welt dagegen predige (Walch. 19, 736). Ich frage, ruft er im Gefühl der Selbstbezeugung des göttlichen Geistes in seinem Geiste, ich frage ga nichts nach allen Sprüchen der Schrift, wenn du ihr noch mehr wider mich aufbrächtest; denn ich habe auf meiner Seite den Meister und Herrn übe die Schrift, mit dem will ichs halten (Walch VIII, 2839). Wenn unsere Widersacher, heißt es an einer andern Stelle (Walch XIX, 1750), auf die Schrift dringen wider Christum, so dringen wir auf Chriftum wider die Schrift! Die Bibel ist also in Wahrheit für Luther, so oft er sich in die volle Kraft des ihn bewegenden reformatorischen Princips zurückzieht, nicht die primäre, sondern die secundäre Quelle der göttlichen Wahrheit und ihrer Offenbarung. Als der unmittelbaren Quelle der letteren ist er sich seines eigenen, göttlich erregten Innern bewußt. Indem er aber so immer wieder an die persönliche Selbstgewißheit in der Wahrheit, an die unmittel bar in seiner eigenen Innerlichkeit präsente, durch sich selbst für ihre Realität sprechende göttliche Offenbarung appellirte, stand er in der That schon auf dem Punkte, mit der supranaturalistischen Grundvoraussetzung im Prin cip zu brechen und demnach die heilige Schrift von vorne herein nur bedingungsweise, d. h. nur so weit als Autorität anzuerkennen, als sich das eigene, Christus erfüllte Gottes- und Selbstbewußtsein auf das Bestimmteste in dem selben wieder erkennt.

Allein nur zu bald sollte dieser, in primitiver Weise wieder hervorleuch tende Silberblick des christlichen Offenbarungsgeistes noch einmal völlig ver schlackt werden. Die mit der Reformation von Neuem durchbrechenden Grundtöne des christlichen Bewußtseins verhallten nur zu bald wieder und verhielten sich so nur als die Vorlaute des erst im neunzehnten Jahrhundert völlig zu fich kommenden Protestantismus. Schon Luther selbst zog sich, nach den von ihm gemachten, sein Herz immer mehr verengenden bittern Erfahrungen und in steigender Angst vor neuen bedenklichen Ausschreitungen des manchmal, nach seiner ersten Entfessellung, ungestüm aufschäumenden protestantischen Subjectivismus mehr und mehr auf den objectiven Buchstaben der Schrift zurüd und neigte immer stärker dazu hin, aus dem dogmatisch verquickten Bibelwort einen festen steinernen Damm gegen jeden künftigen Anprall aufzumauern. Noch engherziger verfuhren die Epigonen der Reformation. Das Palladium der protestantischen Gewissensfreiheit, die freie Forschung, welche zugleich das Hauptbanner aller Fortentwicklung des christlichen Geistes ist, wurde immer mehr umzäunt, wurde endlich ganz gefangen genommen unter die Herrschaft

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