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Mißverstand, vielleicht an mancher Stelle Böswilligkeit, sprächen gegen Den Verein die härtesten Beschuldigungen aus. Er solle und werde sich Dadurch nicht beirren lassen. Der Herr selbst, da sein Geist ja immer auch ceformatorisch wirke, habe allen Seinigen voran dasselbe erfahren und diejenigen felig gepriesen, über die um seinetwillen die Leute Uebels redeten, so sie daran lögen." Sorge der Verein nur dafür, daß all dies Gerede Lüge sei und bleibe, und daß er sein Werk rein und richtig übe. Er werde es, wenn er aus keinem unlautern und fremdartigen Beweggrund handle, sondern aus dem Recht allein, das der Herr in dem verlesenen Terte gebe, und in der Pflicht, die er darin vorhalte.

Schon am Ende seiner irdischen Wirksamkeit stehend, habe er ausgesprochen: ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es eßt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten; denn er wird nicht von ihm selbst reden, sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen."

Dies Wort gelte den Jüngern aller Zeiten, denn in seinen ersten Jüngern habe der Herr immer gleichsam keimartig die Kirche gesehn, es gelte der ganzen christlichen Zukunft der Menschheit.

Keiner habe so dem Geist der Wahrheit vertraut, wie Jesus unser Herr, weil Keiner ihn. so in sich getragen. Denn dieser Geist ist ja der ewige Gott selbst, dessen Fülle in ihm wohnte und ihn dazu ausgerüstet habe, sprechen zu können ich bin die Wahrheit und das Leben“ und der durch ihn Wohnung machen will in der vernünftigen Menschenseele.

Dieser Geist, verheißt er, werde kommen; grade wie er wußte, daß in seiner Person das Reich Gottes da sei, und uns doch stets um das Kommen desselben beten lehrte.

Das Kommen dieses Geistes sei ein stetes und innerliches, und jedem neuen Geschlecht müsse und wolle er die ewige Wahrheit neu und lebendig sagen; mit Fortpflanzung heilig gehaltener Buchstaben habe er nichts zu thun.

Dieser Geist sei nicht ein selbstverwogener Menschengeist, er réde, was

er höre und er höre, was Christus sage.

Diesem Geiste dienend handle der Verein rein und richtig. Das Wort des Tertes entscheide die für den Verein so wichtige Frage, ob und in welchem Sinne das Christenthum der Vervollkommnung fähig und bedürftig sei.

Wenn man die Religion, wie sie Jesus der Christ in sich trug, Christenthum nenne, so sei das Christenthum vollkommen und nicht perfectibel; es sei dann nicht sowohl eine Religion unter mehreren, sondern die Religion selbst, erschienen in ihrer einfachen Reinheit und Wahrheit, und als solche der Menschheit vorgehalten durch die himmlische Berufung in Christo Jesu.

Aber wenn man unter Christenthum die Religion der Christen verstehe, so sei diese sehr perfectibel, und die Kirche sowohl, wie der Einzelne habe sich von dem Geist der Wahrheit in immer reinere Erkenntniß und Ausübung des echten Christenthums leiten zu lassen.

Die öffentliche Verkennung dieses Verhältnisses und die schlimmen Fol gerungen aus dieser Verkennung für Leben, Lehre, Verfassung und Cultu in der Gemeinde Christi haben den Verein erweckt. Die erste Wirkung des Wahrheits geistes sei der Wahrheits sinn. Wo eine Kirche oder Partei wie es unleugbar in unsrer Zeit sei, durch hierarchische oder büreaukratische Reaction, oder durch einen Geist herrschsüchtiger Ausschließlichkeit solche Ver kennung an den Tag lege, habe ihr der Herr zu sagen, daß sie verblende: sei über die eigene Beschränktheit und blind gegen seine Hoheit und Fülle und wenn der Verein im Dienst des Geistes der Wahrheit ihr das sage. handle er rein und richtig.

Der Tert sage weiter, der Geist werde „das Zukünftige ver kündigen."

Nicht als ob die Kirche des Herrn von Prophezeiungen zu leben Habe Christus sei, richtig verstanden, wie des Gesetzes und Priesterthums, so aud der Prophetie Ende. Es bedeute das Wort, daß der Geist über Alles, wal die Zukunft bringen werde, die Wahrheit verkündigen werde und die Christen, wenn auch unter Kämpfen, immer weiter in dieselbe hineinleiten.

Als der Herr jene Worte gesprochen, seien ja achtzehn Jahrhunderte noch Zukunft gewesen, die uns schon Vergangenheit seien. Wenn der Herr den Jüngern selbst am Schluß seiner persönlichen Lehrthätigkeit vieles noch nicht habe sagen können, weil sie es in ihrer Schwachheit noch nicht tragen konnten, wie hätten sie erst fassen können, was noch zukünftig war, was noch gar kein Gegenstand ihres Denkens und keine Aufgabe ihres Handelns sein konnte, wenn es auch dem Blick des Herrn, der die Jahrhunderte überschaute, vorschwebte. Zu diesem gehöre heute die Einsicht, daß die Kirche des Herrn ihn allein zum Grunde habe, und nicht das heidnische Staatskirchenprincip. Wir wüßten nun, wie die Menschheit sich entwickelt habe in Wissenschaft, Kunst, Staat, Recht, Sitte, Verkehr, und sich nach Gottes Ordnung auch immer weiter entwickeln solle und werde, und wie alles dies durch das Christenthum solle geheiligt, gottgefällig und gedeihlich werden, wie aber doch auch andrerseits dies nothwendig zu weiteren Entwicklungen des Christenthums führen müsse und solle.

Aber eben der Begriff der Entwicklung sei den Gegnern des Vereins in der Kirche ein so fremder, und doch sei Entwicklung das von Gott dem Herrn geordnete Gesetz der Geschichte, dem der Heiland für seine Person selbst unterthan gewesen und dem er in Gehorsam und Vertrauen gegen den Geist der Wahrheit sein Heilswerk in der Menschheit übergeben habe.

Wenn aber in der Kirche der Reformation selber in dieser unsrer Zeit, bie ja mit zu dem Zukünftigen gehört habe, dem der Herr damals die Veründigungen des Geistes verhieß, unleugbar der gesunden evangelischen Entwicklung die bedrohlichsten Hemmungen bereitet werden und unleugbar ein pielfach versponnenes Gewebe hierarchischer Tendenz durch diese Zeit geht, und der Verein strebe in Pflichtgefühl für evangelisches Recht und evange lische Freiheit dem entgegen, so handle er rein und richtig.

Man habe jüngst die Glieder des Vereins wie christliche Auswürflinge dargestellt; sie hätten zur evangelischen Kirche kein anderes Verhältniß mehr, als auch die Juden hätten. Nun, dem gegenüber und gegenüber den katholisirenden Grundsäßen, auf die auch in den Kirchen der Reformation mächtige Anempfehlungen und Maßregeln hinauslaufen, möge der Verein im Namen Jesu Christi, seines Hohenpriesters, das Wort des jüdischen Kaiphas immerhin zu dem seinigen machen: „Lassen wir sie also, so kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute."

Unter solchen Zeichen und tiefen Bedürfnissen der Zeit möge der Verein sich das verpflichtende, aber erhebende Wort des Herrn aneignen: „Ihr habt mich nicht erwählet, sondern ich habe euch erwählet und euch gescßet, daß ihr hingehet und Frucht bringet und eure Frucht bleibe", und das andere: So seid nun fest und unbeweglich und nehmet immer zu in dem Werk des Herrn, sintemal ihr wisset, daß eure Arbeit in dem Herrn nicht vergeblich ist." Amen.

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III. Eröffnung der Versammlung und die Thesen
Dr. Bluntschlis.

Nach dem Gottesdienste begaben sich die versammelten Gäste nach der Ansgarikirche, wo die Verhandlungen stattfinden. Die große Kirche füllt sich fast ganz. Auf den Emporbühnen und im Chore sißen auch zahlreiche Frauen. Die Verhandlungen beginnen damit, daß Herr Kirchenrath Dr. Schenkel, als Vicepräsident des Ausschusses, von dem lettern beauftragt, der Versammlung zur Wahl der Präsidenten folgende Vorschläge macht: als ersten Präsidenten: Geh. Rath Dr. Bluntschli, den Vorstand aller bisherigen Protestantentage, deren Leitung sich immer ausgezeichnet bewährt habe, und als zweiten: Professor Dr. von Holzendorff von Berlin. Nachdem beide Vorschläge von der Versammlung einstimmig angenommen sind, übernehmen die Präsidenten die ihnen von der Versammlung anvertrauten Aemter. Der Präsident Dr. Bluntschli eröffnet die Versammlung mit dem Danke für das ihm geschenkte Vertrauen und dem Ausdrucke der Freude, die dritte Versammlung des Protestantenvereins gerade in Bremen begrüßen zu können, indem kein anderer Versammlungsort sich würdiger an die bisherigen, an das Lutherland von großen Erinnerungen, welches den ersten Protestantentag in sich beherbergt hat, an das Land, in welchem das regste religiöse Volksleben den zweiten freudig begrüßt hat, angefchloffen hätte, die Stadt, welche von jeher den Namen hatte einer tiefen und aufrichtigen Religiosität einerseits und eines freien Sinnes andererseits, d. h. eben der Elemente, welche den Geist des Protestantenvereins zusammenseßen. Hierauf wird das Bureau gebildet und vom Präsidenten folgende Schriftführer ernannt: Domprediger Bulle aus Bremen, Prediger Lic. Hoßbach aus Berlin, Advokat Dr. Wildens aus Bremen, Stadtpfarrer Hönig aus Heidelberg. Dann beginnt Herr Geh. Rath Bluntschli seinen Vortrag über folgende von ihm vorgelegten Thesen.

Thesen

über das Verhältniß des modernen Staates zur Religion von Geh. Rath Dr. Bluntschli in Heidelberg.

1. Der moderne Staat ist nicht Religions- sondern Rechtsgemeinschaft, nicht religiöse, sondern politische Einheit.

2. Wie die Religion wesentlich unabhängig ist von der Politik, so ist e Politik wesentlich unabhängig von der Religion.

3. Der moderne Staat erfährt aber die mittelbare Wirksamkeit der Rezion in hohem Grade, theils indem die religiösen Stimmungen und Meiingen der Massen einen großen Einfluß üben auf ihre politischen Ansichten ad Bestrebungen, theils weil die Priesterschaft beziehungsweise Geistlichkeit ne Autorität und in Folge dessen eine Macht hat, die sie je nach Umständen ir oder gegen den Staat verwenden kann.

4. Der moderne Staat kann sich daher nicht gleichgültig verhalten, eder gegen die religiöse Erziehung der Nation noch gegen die religiösen inrichtungen der Kirchen in seinem Lande.

5. Der Maßstab, nach welchem der Staat den Werth der Kirchen beißt und die Regel, welche sein Verhältniß zu denselben bestimmt, ist nicht er religiöse Glaube noch die religiöse Wahrheit, sondern theils die rechtliche rwägung, in wiefern eine Kirche ein berechtigter Körper sei, theils die potische Rücksicht, auf die wohlthätige oder schädliche Einwirkung derselben auf ie Volkswohlfart.

6. Wenngleich der moderne Staat zunächst Menschenreich, nicht Gottes›ich ist, so ist er deshalb weder gottlos noch religionswidrig.

Der moderne Staat verehrt in Gott die ewige und unbegrenzte Nacht, durch welche die Existenz der Menschen bedingt ist und welche das Schicksal der Völker leitet.

7. Aber der moderne Staat hat kein besonderes religiöses Bekenntniß. Er 7 nicht mehr, wie der mittelalterliche Staat, ein Religionsstaat und nicht tehr, wie in den lezten Jahrhunderten, Confessionsstaat.

8. Die Bezeichnung der heutigen Staaten als katholische oder protestanische Staaten ist staatsrechtlich unrichtig und hat nur insofern noch einen jeschichtlichen und politischen Sinn, als die katholische oder protestantische keligion ausschließlich oder doch vorherrschend die Gesinnung des Volkes Destimmt, welches im Staate lebt.

9. Die Glaubenseinheit der Nation ist für den modernen Staat insofern her ein Nachtheil als ein Vorzug, als dieser eher durch jene in die Gefahr geräth, daß sein Recht und seine Politik von der Confession bestimmt und pon der Kirche beeinflußt werde.

10. Die Verbindung verschiedener Confessionen "in Einem Lande ist für Den modernen Staat deshalb vortheilhafter, weil seine natürliche Stellung außerhalb der Kirchen dadurch außer Zweifel gesezt wird, und er in seinen Entschlüssen freier erscheint.

11. Die einzelnen modern-europäischen Staaten find insofern christliche Staaten, als die europäische Civilisation großen Theils auf christlicher Erziehung beruht und die große Mehrheit der Bevölkerung aus Christen besteht

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