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geschrieben zu werden oder in das Reich einer besseren Zukunft einzugehen. Der Restgedanke gehört von Hause aus zur Unheilseschatologie. Denn von einem Reste oder von Entronnenen redet man naturgemäß nur nach einer furchtbaren Katastrophe, die alles bis auf einen Rest vernichtet hat. Und in dieser Bedeutung ist uns der Restgedanke bereits aus den am Anfang dieses Paragraphen zitierten Prophetenworten geläufig. Die zwei, drei Beeren, die bei der Olivenlese, die zehn Mann, die im Kriege, die Beinchen und Ohrläppchen, die von der Löwenbeute übrig bleiben, enthalten den Restgedanken und verwenden ihn, um die Größe des Unheils zu veranschaulichen. Das ist verständlich. Aber innerhalb der Heilseschatologie ist der Rest nur verständlich als ein dogmatischer Terminus technicus. Alle die köstlichen und herrlichen Dinge, die von der Heilszeit ausgesagt werden, sollten ursprünglich einem Reste zuteil werden? Das wäre etwa so, wie wenn man in die wildwogenden Wellen des Ozeans zwei oder drei Tropfen Öl gießen wollte! Beide Tatsachen reimen sich nicht mit einander. Ein Rest und eine Heilseschatologie schließen sich eigentlich aus. Man kann sie freilich zusammenbiegen, indem man den Hauptgedanken ergänzt, und so wird es, wie wir vermuten dürfen, auch von den Propheten geschehen sein. Sie werden verkündet haben, daß Einige dem allgemeinen Verderben entrinnen, daß diese Wenigen sich bekehren und daß aus ihnen das neue Volk hervorgeht, über das die Fülle der paradiesischen Güter ausgeschüttet wird. Das Objekt des Heiles sollte nicht der Rest, sondern das neue Volk sein. Ein Beispiel mag statt vieler diese Behauptung illustrieren: Da mache ich das Hinkende zum Rest und das Versprengte1 zum zahlreichen Volk (Mch. 47). Der Rest ist hier ein völlig dogmatischer Ausdruck, der nach dem Parallelismus membrorum gleichbedeutend ist mit dem zahlreichen Volk. Er ist aus der Unheilseschatologie herübergenommen in die Heilseschatologie, offenbar in der Absicht, beide zu verbinden. Aber merkwürdig bleibt doch, wie wenig die Propheten diesen vielleicht einmal RUHL: De mortuorum iudicio (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten von DIETERICH und WÜNSCH. Bd. II. Heft 2). Gießen 1903. S. 101 ff.

1. Lies wie in V. 6.

lebendigen Vermittlungsgedanken des Restes benutzen, um nun wirklich eine konzinne Verbindung zwischen Unheil und Heil herzustellen! Beides klafft in den uns überlieferten Schriften trotzdem auseinander. Schon das führt darauf, daß die heilseschatologische Idee des Restes keine prophetische Neuerung ist, sondern bereits früher vorhanden war.

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gedacht hat.

Man hat Jesaja als den Schöpfer dieser Idee ausgeben wollen. Sein Sohn hieß Šear-Jašub: der Rest bekehrt sich (Jes. 73). »Nur dann natürlich«, sagt MEINHOLD (S. 109), »ist für Jahve eine Heilstat möglich, und daran zeigt sich der hohe Gottesbegriff des Propheten, wenn eine Bekehrung zu ihm stattfindet. Mit der Gewißheit der Bekehrung auch nur eines Teiles ist auch die Gewißheit einer Rettung gegeben. Es fragt sich nun, woran der Prophet bei dem Man wird annehmen müssen, daß bei Jesaja die Erkenntnis von einer bevorstehenden inneren, durch den wahren Glauben oder Unglauben gewirkten Scheidung zwischen einem Ἰσραὴλ κατὰ πνεῦμα und einem κατὰ σάρκα nicht von Anfang an vorhanden war. Sie ist ihm erst in heißen Kämpfen geworden«. Gegen diese psychologische Ableitung erheben sich gewichtige Bedenken. Die Benennung des Sohnes und der Grund für diese Benennung wird nicht erzählt. Wenn sie einer Idee Ausdruck geben sollte, die unter Wehen geboren war, so hätte der Prophet sie nicht stillschweigend bei seinen Lesern als bekannt voraussetzen dürfen. Und nun gar in diesem Falle, wo Jesaja auf die öffentliche Meinung einwirken wollte, konnte kein mystischer Name gewählt werden, den niemand verstand, der nur die Seelenkämpfe des Propheten verkörperte, von denen niemand etwas ahnte, sondern es mußte ein allgemein bekanntes und verbreitetes Schlagwort sein, das kräftig einschlug. Wer es hörte, mußte sofort wissen, worum es sich handle. Da wir in den hinterlassenen Fragmenten keine Spur von den »heißen Kämpfen<< finden, da Jesaja sich nur ein einziges Mal über die Bekehrung des Restes äußert (Jes. 1020ff.), so bestätigt dies unsere Vermutung, daß er einen damals schon geläufigen Terminus technicus aufgegriffen hat. War er volkstümlich, so lag ihm sicher nicht die Scheidung von einem Israel xarà vεvua und einem Israel narà oάgza zu Grunde, die überhaupt nicht hebräisch, sondern griechisch ist.

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Jesaja kann um so weniger als Schöpfer dieser Idee in Betracht kommen, als sich der Rest schon bei Amos als Terminus technicus belegen läßt: Sucht das Gute und nicht das Böse, damit ihr lebt, und Jahve, der Gott Zebaoth, mit euch sei, wie ihr behauptet. Haßt das Böse und liebt das Gute und richtet das Recht auf im Gericht, vielleicht wird Jahve, der Gott Zebaoth, dann dem Reste Josephs gnädig sein (Am. 514f.). Der Rest Josephs ist ein sehr merkwürdiger Ausdruck. WELLHAUSEN erklärt: »Joseph ist bis auf einen Rest heruntergekommen, durch viele Kalamitäten<<. Amos lebte zur Zeit Jerobeams II. Von eben derselben Zeit sagt eben derselbe WELLHAUSEN: »Unter Joas' Sohne, Jerobeam II., erstieg das Reich sogar einen Gipfel äußerer Macht, der an die Zeiten Davids erinnern konnte«. Und doch soll der Prophet von einem durch viele Kalamitäten heruntergekommenen Reste Josephs reden! WELLHAUSEN verweist freilich zum Belege auf Am. 46ff. 72ff., aber wir haben bereits oben (vgl. S. 168 ff.) gezeigt, daß hier eine Plagentheorie einwirkt. Der Rest Josephs paßt überhaupt nicht zur Bezeichnung des damaligen Volkes, da Joseph damals kein >>Rest«<, sondern eine blühende Nation war. Der Ausdruck muß sich vielmehr auf diejenigen beziehen, die aus der eschatologischen Katastrophe gerettet werden1. Verständlich ist er aber nur dann, wenn er bereits zur Zeit des Amos eschatologischer Terminus technicus war. Die Idee des Restes ist hier in eigentümlicher Weise verwertet worden, wie sonst nie wieder: Schon gegenwärtig soll Joseph sich bekehren, damit Jahve künftighin bei der hereinbrechenden Katastrophe dem Reste gnädig sei! Gewöhnlich hören wir, daß erst der gerettete Rest sich bekehren wird, ohne etwas über den Grund seiner Rettung zu erfahren.

Die Betonung der Buße dürfen wir vielleicht auf die Rechnung der Propheten setzen, aber der Restgedanke in seiner heilseschatologischen Fassung entstammt bereits dem Volksglauben, oder richtiger um seines dogmatischen Charakters willen den vorkanonischen Prophetenschulen. Von

1. Der Rest Josephs kann unmöglich Juda sein, wie MEINHOLD will. Er sucht aus Amos 12 (vgl. darüber o. S. 23) zu beweisen, daß Juda der Katastrophe entgehen werde.

alters her mag es solche Schilderungen gegeben haben, wie wir sie jetzt noch in den prophetischen Schriften lesen, wo der Gedanke des Restes zur Veranschaulichung der Größe des Unheils diente: Alle gehen zu Grunde bis auf den Rest. Aber daneben war nun einmal die Heilseschatologie gegeben, nach der keineswegs alle zu Grunde gehen konnten. Um den Widerspruch auszugleichen und eine Vermittlung herzustellen, klammerten sich die (vorkanonischen) Propheten an die Idee des Restes, die nun aus kritischen Bedenken heilseschatologisch umgebogen wurde1. Für den israelitischen Patriotismus mochte es dann selbstverständlich sein, daß die wenigen Glücklichen, die der Katastrophe entrinnen sollten, mit den Israeliten identisch seien (vgl. o. S. 150), obwohl der Ausdruck Rest nur wenig dazu paßte. Dem gegenüber betonten die (kanonischen) Propheten den ursprünglichen Sinn des Restes und illustrierten ihn vielleicht im Anschluß an ältere Vorbilder. Aber sie haben sich nicht gänzlich lösen können von dem volkstümlichen Glauben und haben der herrschenden Zeitauffassung mitunter den schuldigen Tribut entrichtet. Die ganze Heilseschatologie, die dem inneren Wesen der kanonischen Prophetie von Grund aus widerstreitet, ist ein mehr unfreiwilliges Zugeständnis an die populäre Eschatologie, in deren Vordergrund eben nicht das Unheil, sondern das Heil stand. Die Heilseschatologie war nun einmal in der Überlieferung gegeben, und wenn die Propheten sie auch keineswegs geleugnet haben, so fühlten sie sich dennoch berufen, vor allem die Sturmvögel des Unheils zu sein. Je nach dem Maße, in dem sie vom Volksglauben abhängig waren und das zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen verschieden stark gewesen sein mag, modifizierte sich die Schärfe, mit der sie den Umfang der kommenden Katastrophe bestimmten. Das kaleidoskopartige Schillern ihrer Weissagung (vgl. o. S. 67) erklärt sich zum Teil aus der wechselnden Stellung, die sie dem Volksglauben gegenüber einnahmen. Wir finden die mannigfachsten Nüanzen neben einander: Zwischen dem einen Extrem,

1. Ich bitte zu beachten, daß es sich hier um eine Rekonstruktion handelt, die vielleicht auch in anderer Weise versucht werden kann. Erklärt werden soll die Tatsache, daß der Restgedanke sowohl unheils- wie heilseschatologisch ist und schon bei Amos als Terminus technicus erscheint.

nach dem Israel wie in der populär-patriotischen Anschauung dem Unheil entrinnt, und zwischen dem anderen Extrem, nach dem der Tag Jahves nur Finsternis und kein Licht ist, liegt eine Reihe von Schattierungen.

Die Vermittlungsidee des Restes sollte die Brücke schlagen vom Unheil zum Heil; aber sie ist erst verhältnismäßig spät, wenn auch vor Amos, aufgetaucht. Wir können die Umbiegung einer anfänglich ganz anders gerichteten Vorstellung und die Umgestaltung eines anfänglich ganz anders geformten Stoffes noch in den Prophetenschriften einigermaßen deutlich verfolgen. Der Restgedanke konnte von vorneherein nicht das leisten, was er leisten sollte. Die Brücke war viel zu schwach, um die für sie bestimmte Last zu tragen. Daraus ergibt sich eine wichtige Konsequenz. Denn wenn dies richtig ist, dann sind in der israelitischen Eschatologie Unheil und Heil von Hause aus nicht mit einander organisch verbunden gewesen, sondern haben lose neben einander gestanden. Erst durch den Restgedanken sind sie unorganisch und mangelhaft mit einander verknüpft worden. Diesen trümmerhaften Charakter hat auch die prophetische Eschatologie bewahrt.

Für die Vorstufe, die der prophetischen Unheilseschatologie vorausging, war ein Weltuntergang durch eine wie immer geartete Katastrophe charakteristisch. Als Vorläuferin der prophetischen Heilseschatologie lernten wir die Vorstellung kennen, daß die Welt aufs neue gebaut und daß vor allem das Paradies wiederkehren solle. Da beide Ideen mythisch sind, so müssen sie beide notwendig alt sein, älter als die Prophetie. Mag nun die zweite Anschauung einen mit der ersten gemeinsamen Ursprung haben oder später, wenn auch schon in alter Zeit, hinzugefügt sein, so mußte man sich jedenfalls in dem Augenblick, wo sie entstand, über ihr Verhältnis zur ersten klar werden. Oder will man es für wahrscheinlich halten, daß es da, wo beide als lebendige Ideen neben einander existieren, keine Vermittlung zwischen ihnen gegeben habe? Der Glaube an eine neue Welt hat doch nur dann einen Sinn, wenn Menschen vorhanden sind, die die Freuden des Paradieses genießen können. Die Götter haben ihr Reich für sich und brauchen kein Neuland. Die Neuschöpfung geschieht allein um der Menschen willen. Sind aber die Menschen durch eine vorausgegangene Katastrophe

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