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Ein falscher Rechtstitel der Pflichtversäumnis.

Es steht außer Frage, daß der amtliche Beruf jeder andern Thätigkeit vorgeht, daß insbesondere die Seelsorge, zumal in einer Gemeinde, die so große Gebrechen hat, wie die Ihrige, nicht nachdrücklich genug geübt werden kann. Aber mir will doch scheinen, als lasse sich auch von dem eifrigsten Seelsorger noch einige Zeit erübrigen für die Übung der allgemeinen Christenpflicht gegenüber den Juden. Beide Gebiete, Seelsorge an den Christen und Misfion unter Juden, sind ja so nahe verwandt, daß sie einander eher in die Hände arbeiten, als einander ausschließen. Es ist doch dieselbe Bibel hier wie dort, welche der Geistliche seiner Thätigkeit zu Grund legt; es sind dieselben Weissagungen, auf welche er fich beruft, es ist derselbe Heilsweg, den er dem Christen wie dem Juden vorhält.

Und wenn sie mit Ihrer Teilnahme an der Judenmission so lange hinzögern wollen, bis von Ihrer Gemeinde die jüdische in Schatten gestellt wird in sittlicher Beziehung, dann dürfte vielleicht dieser Zeitpunkt weder von Ihnen noch Ihrem Amtsnachfolger erlebt werden. Wo aber deutet die Hl. Schrift an, daß die Gläubigen nicht eher an die Ausbreitung des Evangeliums denken dürfen, als bis die eignen Gemeinden in allen Gliedern erneuert und zu Thätern des Wortes gemacht sind? Nirgends; im Gegenteil, der Herr befiehlt den Jüngern, nicht zu warten, bis ihr Volk das Evangelium angenommen hat, und dann erst es den Heiden zu bringen, sondern sein Befehl lautet: „gehet hin in alle Welt und prediget." So hat es auch die Kirche jederzeit gehalten! Hätten die angelsächsischen Missionäre mit der Mission in Deutschland warten wollen, bis ihre Heimat ein nach allen Seiten hin christliches Gepräge angenommen, dann fäßen wir Deutsche noch bis zur Stunde in Finsternis und Schatten des Todes. Und müßten nicht auch die von uns ausgesendeten Missionare zu Hause bleiben, wenn die Berechtigung zur Missionsarbeit von dem sittlichen Zustand der Heimatgemeinden abhienge?

Sie werden mir vielleicht entgegnen: Du redest da von Heidenmission; es handelt sich aber zwischen uns um Judenmission!

Judenmission und Heidenmission in Wechselbedingung. 117

da liegt die Sache anders. Ich erwidere: fie liegt gerade fo; was von der Heidenmission, gilt auch von der Judenmission. Die eine wie die andre ist uns aufgetragen: Paulus, wenn schon zunächst der Apostel der Heiden, hat doch sein Volk nie außer Augen gelassen, sondern „ist den Juden ein Jude geworden, auf daß er die Juden gewinne" (1 Kor. 9, 20). Es ist ein unbiblischer Standpunkt, Heidenmission und Judenmission zu trennen, jene gutzuheißen, dieser gleichgültig gegenüber zu stehen, für jene thätig zu sein, für diese weder Hand noch Fuß zu regen.

Lange genug hat die Kirche ihre Missionspflicht vernachlässigt und weder an Juden noch an Heiden gedacht. Gottlob, der böse Schlaf ist bei ihr zum Teil seit einem halben Jahrhundert gewichen; die Mission unter den Heiden wird mehr und mehr als Heilige Aufgabe anerkannt und zu lösen gesucht. Dagegen erfreut sich die Judenmission allgemeinerer Teilnahme noch nicht; fie steht noch als Aschenbrödel zur Seite. Aber nicht auf immer, schon jest dringt in immer weitere Kreise die Erkenntnis, daß die Judenmission die unentbehrliche Ergänzung der Heidenmission ist; diese ist in ihren lezten Erfolgen sogar durch den Erfolg jener bedingt, was deutlich genug Röm. 11, 15 (nach dem Grundtexte) bezeugt wird. Die Zeit wird noch kommen, wo die evangelischen Christen für Judenmission gleich große Opfer bringen werden wie für die Heidenmission, und der Erfolg wird nicht ausbleiben, ja dann „wird die Stunde der Bekehrung Israels gekommen sein."

In dieser Hoffnung auf die einstige Wiederbringung Israels eins mit Ihnen, verehrter Herr, zeichne ich mit ehrerbietigem Gruß als Ihr ergebenster

u.

Aus einem Briefe des Miffionars Meyerfohn aus St. Petersburg. Vom 4. Januar 1885.

Auch in unserem „Proselytenverein" haben wir, wenn auch mit sehr bescheidenem doch mit wahrnehmbarem Erfolg weiter

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arbeiten dürfen. Außer der materiellen Unterstüßung, welche unser noch so kleiner Verein gar manchem notleidenden Proselyten hat gewähren können (wir haben im verflossenem Jahre eine Einnahme von mehr als 300 Rubeln gehabt) ist gewiß auch das Wort Gottes, welches wir gemeinschaftlich betrachten, und gar manche brüderliche Ermahnung bei unsern allvierzehntägigen Versammlungen nicht ganz wirkungslos verhallt. Der HErr hat auch im verflossenen Jahre unsere mühselige Arbeit an Israel so reichlich gesegnet, daß wir wiederum dreißig Seelen durch die heilige Taufe in die evangelische Kirche aufnehmen durften. Gegenwärtig befinden sich 8 Personen bei uns im Taufunterricht. Außerdem haben wir mehrere Isracliten und Israelitinnen von uns ziehen lassen müssen, die zum Teil schon längere Zeit bei uns im Unterricht gewesen sind, weil entweder äußere oder innere Verhältnisse ihren Übertritt zur evangelischen Kirche gehindert haben.

Über die Juden in St. Petersburg hat die lezte Volkszählung sehr interessante Data geliefert. Es giebt in Petersburg 16826 Juden, was nicht ganz 2 Prozent der Bevölkerung ausmacht, doch werden sich hier mehr als 30000 Juden aufhalten. Troß dieser verschwindenden Minderheit der Juden gehören 43,4 Prozent aller Petersburger Handelskommissionäre ihnen an, und 40,7 Prozent aller derer, die sich mit Lombardgeschäften befassen, find Juden. In der industriellen Thätigkeit nimmt die Zahl ab; am geringsten ist dieselbe im Schmiedehandwerk (0,9 Prozent), am größten in der Tinten- und Stiefelwichsfabrikation (52,4 Prozent). Dieser hohe Prozentsag erklärt sich dadurch, daß viele die Tintenfabrikation nur als Aushängeschild benußen, um nebenbei unbemerkt allerhand andere Geschäfte betreiben zu können. Fast 8 Prozent gaben an, auf Kosten ihrer Verwandten zu leben.

Israel, Völkertum, Kirche.

Mit Bezug auf Joh. de le Roi's missionsgeschichtliches Werk. *) Von Johannes Bestmann.

Ranke schließt seine Schilderung der konstantinischen Zeit mit dem Gedanken, in jenem ersten christlichen Kaiser sei der geschichtliche Beruf des römischen Staats erst zu seinem rechten Schluß gekommen. Denn da Konstantin Christ wurde, sei auch das lezte Volk, das den Armen Roms noch widerstrebte, diesem innerlichst zu eigen geworden: in dem Christentum sei das Wesentliche von dem jüdischen Volk römisch geworden.

Aber wie viel fehlt doch daran, daß dieser geistreiche Gedanke das Ganze des geschichtlichen Vorgangs zum Ausdruck brächte! „Das Christentum die Blüte des jüdischen Volkstums", das Ewige die Frucht des Zeitlichen - nein das kann nicht sein. Und wo bleibt bei dieser Betrachtung das jüdische Volk? ist es bloß die Schlacke, der das Metall entzogen ist? Aber dann würde es längst nicht mehr sein. Daß das Volk noch existirt und so existirt, sich immer, jenem Grafen Douglas in der Fontaneschen Ballade vergleichbar, an den Zügeln des dahin eilenden Rosses des Völkertums d. H. jezt Japhets haltend, ist ein Beweis, daß es noch einen Beruf hat für die Heilsgeschichte. Deren Siegel zu lösen ist aber der ethnologische Gesichtspunkt, der bei Ranke vorwaltet, faum im Stande.

Wir leben in der Zeit, wo das Völkertum die Form des Evangeliums bestimmt. Das Völkertum, dies Wort im Sinne Christi und Pauli genommen, hat mannigfaltig seine Formen gewechselt. Es ist ein anderes in der römisch-hellenischen Welt, ein anderes in der romanisch-germanischen Welt des Mittelalters, ein anderes in dem Staatensystem der neuen Zeit gewesen. Aber in den verschiedenen Lebensformen ist eins immer das Gleiche

1) Die evangelische Christenheit und die Juden unter dem Gesichtspunkte der Mission geschichtlich betrachtet. Bd. 1 (bis zur Mitte des 18. Jahrh.) Karlsruhe u. Leipzig (Reuther 1884. 440 G.)

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Jsrael, Rom und die katholische Kirche.

irre leitend

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aber die Schwä

geblieben, das was Paulus Römer 1 schildert, die Verherrlichung des Geschöpflichen, Natürlichen im Gegensatz zu dem Ewigen, dem Schöpfer, Gott. Gott hat dem zu wehren sich ein Volk ersehen, das seine Herrlichkeit der Welt verkündigte. Durch diesen Beruf wurde das Volk Israel das Volk der Völker. Hamann nennt es den Edelmann unter den Völkern, das ist Israel ist nicht besser als die anderen Völker chen und die Stärken alles Völkertums kommen an ihm zur Erscheinung. Es ist gewissermassen der Exponent des Völkertums. Wo es daher seinen ewigen Beruf ergreift, ist es unerreicht groß, wo es ihn verwirft, ist es verworfener als alle Völker. Als in dem Evangelium Jesu Christi die Lebensfrage für dasselbe gestellt wurde, verwarf es in Christo sich selbst. Da behielt es nur noch das, was alles Völkertums Eigenart ist, den Geseßesbuchstaben, den Kultus seiner selbst.

Diese Erkenntnis, daß in Israel unsere eigene Art sich darstellt, daß in seinem Festhalten an dem Gesetz, das ihm kaum noch Gesetz Gottes ist, unser eigenes Thun und Gelüsten gewissermaßen in einem Hohlspiegel sich zeigt, ist entscheidend für das Verständnis auch der Geschichte dieses Volks.

=

In der alten Kirche durchdringt sich das hellenisch - römische Volkstum mit dem Evangelium, aber dieses selbst wird auch von jenem durchseßt. Nun ist bekannt, daß es das innerste Wesen des römischen Staates war, einen großen Verwaltungskörper darzustellen, in welchem die Wohlfahrt des Ganzen der leitende Grundsay ist: das Recht der Einzelnen tritt zurück. Dem entsprach es, daß auch die alte Kirche sich wesentlich als katholische erfaßt, wo das Anliegen und Sehnen des Einzelnen, wie das die Rechtfertigungslehre ausdrückt, bei Seite geschoben wird durch das Interesse an der Herrlichkeit und Heiligkeit der Gemeinschaft. Welche Stellung muß da nun das Volk Israel einnehmen? Ein Blick auf den Coder Justinians giebt die Antwort: gar keine! Das Volk Israel steht zu dem römischen Reich genau so, wie vor Zeiten etwa das ägyptische Volk zu dem Reich des Augustus

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