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lebigkeit in Russland Vorschub leistenden Verhältnisse kein Urtheil zusteht, so glaube ich mit d'Ivernois doch darin übereinstimmen zu müssen, dass man die Genauigkeit dieser Altersangaben um so mehr zu bezweifeln berechtigt ist, als Länder, deren Bevölkerung in entschieden günstigeren Verhältnissen lebt als die russische, verhältnissmässig nicht so viele Fälle von Langlebigkeit zu verzeichnen haben als diese. Ich führe hier beispielsweise die statistischen Erhebungen Belgiens vom Jahre 1831 an, nach welchen unter mehr als 4 Millionen Menschen nur 16 das hundertste Jahr überschritten haben. Diese Zahlen differenz ist eine so in die Augen springende, dass sie wohl keines Commentars bedarf. Bei dieser problematischen Sachlage scheint es mir geboten, von den makrobiotischen Consequenzen der russischen Mortalitätsstatistik zu abstrahiren und mich allein auf diejenigen zu beschränken, welche sich in Bezug auf das höhere Greisenalter aus den zwar weniger imposanten, aber dafür auch weniger illusorischen Todtenlisten Griechenlands ergeben. Die verhältnissmässig längere Lebensdauer in letzterem ist eben so wenig ein von irgend einer Seite bestrittenes Factum, als die Wahrheit der analogen makrobiotischen Ueberlieferungen des klassischen Hellenenthums von irgend welchem Alterthumskenner bezweifelt wird. Meines Wissens hat sich nicht nur keine Stimme gegen die Thatsache der neugriechischen Langlebigkeit erhoben, sondern es ist überdies Professor Carl Reclam in Leipzig, wie ich erst unlängst in Erfahrung gebracht habe, mit dem ganzen Gewicht seiner Autorität für die Richtigkeit derselben eingetreten 1). Der Schwerpunkt dieser auf die Gesundheitslehre bezüglichen Frage ist meines Erachtens die Eruirung der Ursachen, auf welche die hierorts längere Lebensdauer zurückzuführen ist. Diese Aufgabe ist keine leichte, doch werde ich die Lösung derselben versuchen, da es sich hier um eine so interessante Frage wie die der Völkerwohlfahrt handelt.

Nach meiner Ueberzeugung hängt die verhältnissmässig längere Lebensdauer in Griechenland im Wesentlichen davon ab, dass

1) Ich hatte in meiner literarisch isolirten Stellung keine Kenntniss von dem im Jahre 1863 unter dem Titel Das Buch der vernünftigen Lebensweise" veröffentlichten Werke dieses Autors, auf welches ich erst voriges Jahr durch eine hiesige Dame, die verwittwete Frau Hofprediger T... aufmerksam gemacht wurde. Obgleich ich einerseits durch die Publication desselben meine vermeintlichen Prioritätsansprüche auf die meines Wissens seither noch nicht statistisch begründete Thatsache der neugriechischen Langlebigkeit einbusse, so gereicht es mir andererseits zur nicht geringen Befriedigung, die von mir über diesen Gegenstand gemachten Beobachtungen von einem so anerkannt tüchtigen Forscher auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitslehre bestätigt zu sehen. Doch kann ich nicht umhin, meine Betretenheit darüber zum Ausdruck zu bringen, dass Reclam bei dem zur Zeit der Herausgabe seines Buchs bestehenden absoluten Mangel an derartigem statistischen Material obiges Factum zu constatiren vermochte, während ich erst heute im Stande bin, dasselbe einigermassen statitisch begründet der Oeffentlichkeit zu übergeben. Man muss die Umständlichkeiten und den Zeitverlust, mit welchem ein jedes statistisches Unternehmen hierorts verknüpft ist, zu würdigen wissen, um meinen Unmuth über diese ungeahnte Einbusse meiner Prioritätsansprüche gerechtfertigt zu finden.

1. die Vererbung von Krankheitsanlagen eine ungleich seltenere Erscheinung in der autochtonischen Bevölkerung des Landes ist als in den alten Kulturstaaten Europas und selbst unter den stammverwandten kretenser Einwanderern;

2. der Einfluss der Boden verhältnisse und des Klimas auf die Bewohner im Allgemeinen ein günstiger ist;

3. die Luft eine reine, temperirte und demzufolge der Gesundheit zuträgliche ist;

4. die Lebensweise im Allgemeinen den Anforderungen einer einfachen und naturgemässen Diätetik entspricht und der Ernährungsprocess demzufolge ein reger ist, und

5. die den Griechen innewohnende Widerstandskraft gegen äussere Schädlichkeiten eine caeteris paribus grössere ist als die der meisten abendländischen Völkerschaften.

Ich gehe jetzt zur Erörterung dieser fünf Punkte über.

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Was die unter Nr. 1 angeführte Ursache der Langlebigkeit anbetrifft, so kann ich dieselbe als solche aus meiner militärärztlichen Laufbahn überhaupt, besonders aber aus den Erfahrungen, welche ich in dieser Beziehung als Corpsarzt der im Jahre 1855 aufgelösten Grenzbataillone von Eurytanien zu machen Gelegenheit hatte, ableiten. Ich habe hiernach, abgesehen von der wenig homogenen Einwohnerschaft der Hauptstadt Athen und einiger weniger grösserer Seestädte, so wie von den Inseln Hydra, Spezzia und dem Städtchen Leonidi in dem Lande der Thakonen 1), in den verschiedenen Bevölkerungsschichten nur zwei deutlich ausgesprochene erbliche Krankheitsdiathesen festzustellen vermocht, nämlich das Spyrocolon oder die heutige Elephantiasis der Griechen und die Epilepsie. Bezüglich der erstgenannten Hautkrankheit, welche die Mehrzahl der griechischen Aerzte für ein Analogon des Scherlievo und demnach für eine Pseudosyphilis hält, mit welcher Ansicht ich beiläufig nicht einverstanden bin, kommen vereinzelte Fälle derselben in vielen Districten Griechenlands zur Beobachtung. Einen unverkennbar endemischen Charakter zeigt dieselbe jedoch nur auf gewissen Punkten, wie z. B. in den auf den westlichen Abhängen des Parnass gelegenen Dörfern Agoriani und Suvala, so wie in dem Dorfe Thaüssi in Messenien. In den beiden ersteren Ortschaften kennt man dieses ekelerregende und deshalb sehr gefürchtete Uebel erst seit ca. 30-40 Jahren, im letzteren dagegen, wenn man den localen Traditionen Glauben schenken darf, schon seit undenklichen Zeiten. Sollte es dem Leser um eine detaillirte Beschreibung dieser Krankheit zu thun sein, so verweise ich ihn auf die von Dr. Martin Lauzer herausgegebene Pariser Revue de Thérapeutique, in deren Jahrgången von 1861 und 1866 ich zwei Aufsätze über dieses in mancher Hinsicht merkwürdige Hautübel veröffentlicht habe. Ausser diesen zwei here

1) Bewohner der kynurischen Berge, deren Sprache in Worten und Wendungen dem Neugriechischen fremd ist und an die alten Dorier erinnert.

ditären Krankheitsanlagen, welche in der Landbevölkerung schon bei oberflächlicher Beobachtung zu Tage treten, floriren in Athen und in den Hafenstädten Syra, Patras und Nauplia die Syphilis in ihren verschiedensten Formen, die Scrofulosis mitior und die Lungenschwindsucht. In Hydra, Spezzia und Leonidi tritt letztere endemisch auf, sucht jedoch ihre Opfer fast ausschliesslich unter dem weiblichen Theile der Bevölkerung. Die Männer, welche als See- und Handelsleute ihrem Berufe nachgehen und nur hier und da, und zwar meistens nur auf kurze Zeit, bei den Ihrigen in der Heimat verweilen, erfreuen sich nicht allein einer vollständigen Immunität dieser gefährlichen Krankheit gegenüber, sondern es ist Thatsache, dass es keinen kräftigeren Menschenschlag in Griechenland giebt als eben die Hydrioten. Der letztere Umstand mag als Correctiv gegen die etwaige Voraussetzung dienen, dass die angedeutete Immunität in der albanesischen Abstammung dieser Insulaner 1) ihren Grund habe, während dieselbe ohne Zweifel in klimatischen und Bodenverhältnissen oder auch in beiden zugleich zu suchen ist. Die Beobachtung, dass diese beiden Factoren die körperliche und geistige Entwickelung eines Volkes bedingen, bestätigt sich auch hier. Es ist überdies ein bekannter Erfahrungssatz, dass die Lungenphthise das Greisenalter und speciell die Altersklasse über das siebenzigste Lebensjahr hinaus in der Regel verschont. Dass Hydra grade nicht arm an hochbejahrten Männern ist, spricht nicht gegen vorstehende Erklärungsweise, da dieselben erst im vorgerücktem Alter ihrem seemännischen Beruf zu entsagen und daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen pflegen. Was die zweite in der griechischen Massenbevölkerung sich manifestirende erbliche Krankheitsanlage, die Epilepsie, anlangt, so fehlen zwar über dieselbe, gleichwie über das Spyrocolon und die oben angeführten quasi localisirten Krankheitsdiathesen, irgend welche statistische Erhebungen, doch glaube ich nicht zu irren, wenn ich aus den unter meinem Vorsitze sich vollziehenden Recrutirungsoperationen während eines 19 jährigen Zeitraums den Schluss ziehe, dass die Fallsucht ein in Griechenland nicht selten vorkommendes Uebel ist. Es entspricht dem Zwecke der mir gestellten Aufgabe nicht, diese traurige Nervenkrankheit in den Kreis meiner Betrachtungen zu ziehen, doch dürfte ich über dieselbe, sowie über die hier häufigen Leistenbrüche gelegentlich einige statistische Daten veröffentlichen.

1) Nach neueren Forschungen scheint es historisch erwiesen, dass die Albanesen im 12. Jahrhundert fast gleichzeitig mit den Wlachen von nördlichen Gegenden her in Griechenland eindrangen und sich auf mehreren Punkten des Landes, vornehmlich in Attika, Bootien, Hydra und Spezzia festsetzten. Die Stadt Hydra liegt in der kleinen Bucht eines steilen, kahlen, von einem gewöhnlich stark wogenden Meere umspülten Felsens, dessen glatte, gänzlich baumlose Wände gegen die heftigen Nordostwinde keinen Schutz gewähren. Das tiefer im argolischen Meerbusen liegende Spezzia, das alte Tiparenos, ist zwar weniger den Winden ausgesetzt als Hydra und auch mehr bebaut, doch ist auch dort die Tuberculose endemisch, wenngleich in einem geringeren Grade. Leonidi schliesslich, liegt in einem schmalen, von 2 hohen Gebirgszügen gebildeten Thalkessel, ca. Stunde vom Meere entfernt und mitten in einem dichten Olivenwald, welcher jeden freien Luftdurchzug unmöglich macht.

Aus obigen usführungen über den sub Nr. 1 aufgestellten Satz erhellt zur Genüge, dass selbst eventuelle Maxima der mit erblichen Krankheitsanlagen behafteten Individuen doch immer nur einen kleinen Bruchtheil der griechichen Gesammtbevölkerung ausmachen und demgemäss einen geringeren Einfluss auf die höhere Lebensdauer auszuüben vermögen, als es in anderen Ländern der Fall ist.

Wenn ich mich schliesslich veranlasst fand, auch den Kretenser Einwandrern gegenüber der autochthonischen griechischen Bevölkerung in Anbetracht der bei letzteren seltneren Vererbung von Krankheitsanlagen eine Ausnahmsstellung anzuweisen, so geschah es, weil ich sowohl unter jenen, als auch unter den Bewohnern von Candia selbst im Jahre 1867 Gelegenheit hatte, eine auffällige Prädisposition zu Pustelexanthemen, wie Impetigo larvalis und Kopfgrind zu beobachten. Insbesondere gilt dies von einem, dem ulcerirten Aleppo- oder Dattelknoten analogen Geschwür auf der Wange, welches bei oberflächlicher Verschwärung eine glatte, weissglänzende und unvergängliche Narbe hinterlässt, bei tiefergehenden dagegen eine mit kammund brückenartigen Erhöhungen durchsetzte, die mit einer Brandnarbe Aehnlichkeit hat.

Indem ich mich aus Räumlichkeitsgründen jeder Vermuthung über die Aetiologie dieser Uebel enthalte, wende ich mich jetzt zu dem unter 2. aufgeführten, den Einfluss der Bodenverhältnisse und des Klima's auf die Longävität in Griechenland andeutenden Satze.

Griechenland ist im Ganzen ein wasser- und waldarmes Gebirgsland und demzufolge weniger zum Ackerbau als zur Viehweide geeignet. Keiner seiner Flüsse, von denen ich nur den Achelous (Aspropotamos), den Alphēus und den Spercheios (Alamana) für nennenswerth halte, ist schiffbar. Grössere Wälder finden sich nur auf der Südseite des Othrys im phthiotisch-eurytanischen Grenzgebiete, im Norden und mittleren Theile von Euboea und im westlichen Morea. Die vom Hämus und dem Rhodope aus das griechische Festland in verschiedenen Richtungen durchschneidenden und durch den Isthmus von Korinth mit den Gebirgen des Peloponneses zusammenhängenden Höhenzüge machen den unabweisbaren Eindruck eines alpenähnlichen Gebirgslandes, das von der Natur nicht dazu bestimmt war, das Auge des hellenischen Landwirths mit unabsehbaren Saatfeldern zu erfreuen 1). Die

1) Griechenland gehört zu den seinen Getreidebedarf nicht zur Genüge producirenden Ländern Europas. Seine jährliche Gesammternte beläuft sich auf ca. 4 400 000 hl, die Mehreinfuhr beträgt in runder Zahl 2 Millionen Hectoliter.

Die einzelnen Körnerarten in Millionen Hectoliter sind:

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Mannichfaltigkeit der Bodengestaltung, welche durch gutangebaute und fruchtbare Längenthäler und eine grosse Zahl von mehr oder weniger tiefen Kesselsenkungen mit Getreide und Tabakbau nebst einiger Obstzucht uud durch fortwährenden Wechsel von Land und Meer zum Ausdruck kommt, ändert an diesem Eindruck nichts. Ebenen besitzt das Land, mit Ausnahme der Hochebene von Tripolitza, eigentlich nur vier. Diese sind der Grösse nach die Messenische, welche 8-9 Stunden lang und 2-3 Stunden breit ist, die Böotische, die von Elis und die von Argos. Die angedeuteten hohen südlichen Ausläufer des Pindus, welchen das grosse Thal des Spercheios oder von Lamia 1), sowie die von ihnen ausgehenden zahllosen kleineren und von einander unabhängigen Binnenthäler ihr Entstehen verdanken, dachen sich meistens stufenweise und in den bizarrsten Formen gegen das Meer zu ab und bringen durch die Bildung von Meerbusen, Vorgebirgen, Landzungen und Buchten verschiedener Grösse eine ungemeine Abwechselung in die Configuration der langgestreckten Küstenstriche. Dies gilt besonders von der Ostküste Griechenlands, welche daher den Seefahrern sichere Ankerplätze bietet, während die westliche mit ihren im Ganzen felsigen und kahlen Gestaden und ihren jähen Abhängen den langjährigen, den Schuljahren entstammenden, Illusionen des zum ersten Male sich ihr nähernden Touristen ein schnelles Ende zu machen droht. Erst wenn man diese meistentheils mächtigen und öden Felswälle aus Schiefer oder Granit hinter sich hat und von dem vorwärts eilenden Dampfer landeinwärts an fruchtbaren mit Bäumen, Weingärten und Häusern bedeckten und oft romantisch gelegenen Gebirgsthälern vorübergetragen wird, treten die klassischen Traditionen wieder in den Vordergrund. Am Ende findet man, dass das heutige Griechenland zwar ein anderes ist, als das mit starkem poetischem Farbenauftrag ausgemalte der Mythenzeit, doch bekommt man bei Ausflügen, insbesondere nach den Inseln, manches anheimelnde, mitunter von der tiefblauen Meeresfluth bespülte Fleckchen Erde zu Gesicht, das wohl auch in Italien nicht anmuthiger und einladender anzutreffen sein möchte. Es wäre nicht zu verwundern, wenn bei einem, mit lebhafter Phantasie begabten Alterthumsforscher angesichts so ungewöhnlichen landschaftlichen Reizes die Vorstellung geweckt würde, dass ein an einem solchen Platze angesiedeltes Originalgenie der hellenischen Vorzeit da leicht einen idealen Aufschwung zu nehmen vermochte, wenn es zumal seiner Einbildungskraft mit zwei oder drei notnota des feurigen naxiotischen Sorgenbrechers zu Hülfe kam und diese sich alsdann von der Herrschaft des dлvous voòs zeitweilig etwas emancipirte. Nach diesem Hinweise auf antike Empfänglichkeit für Naturschönheiten und Naturproducte möge hier die in unbefangener und sachgemässer Auffassung wurzelnde Bemerkung Platz finden, dass schwerlich irgend ein anderes europäisches Land von gleichem Flächeninhalt mit Griechenland so bedeutende landschaftliche Kon

1) Ein anderes grosses Thal ist das von Lakedämon im Peloponnes.

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