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eigenthümlich ist. Und ich habe es für meine Person gleich vielen anderen übrigens — praktisch erfahren, daß wir speziell für die dramatische Kunst des Aeschylos heute gar kein Organ mehr haben, das diese Kunst wirklich unmittelbar genießen könnte. Der Verfasser ist ferner der Ansicht, daß uns von Aristoteles über Diderot, Lessing, Freytag allgemein giltige, unabänderliche dramatische Kunstgeseße überliefert seien, die auch heute noch mit vollstem und einzigem Recht in den „Werken der beliebtesten Meister lebendig" wären. Da ich nun meine, daß jede Zeit ihre dramatische Kunst hat, so folgt daraus auch meine weitere Meinung, daß jede dramatische Kunst ihre eigenthümlichen Geseze hat. In die aristotelischen Regeln hat man von jeher allerlei hineingelegt, was gerade den Zeitumständen entsprach: objektiv ausgelegt sind sie bis auf den heutigen Tag nicht. Prinzipiell und methodologisch stehe ich zur Frage der Technik des Dramas" so: Das Drama ist wie die Philosophie in anderer Weise ein Ausdruck der Zeitseele, oder besser und besonders in Beziehung auf den Gipfelpunkt des Dramas, die Tragödie ausgedrücktes ist eine Manier, wie die Zeitseele sich mit der Weltjeele abfindet. Das Drama geht also hervor aus einer Bewegung der Seele. Entsprechend dieser Bewegung hat es zunächst etwas, das ich „innere Form" nennen möchte. Durch diese innere Form wird dann wieder in organischer Weise die äußere, d. h. die eigentliche Technik bedingt. Ich gebe die Erläuterung durch ein tonkretes Beispiel: Wiederholt habe ich in diesen Jahrbüchern auseinandergejezt, daß die naturalistische Kunst in ihrem Grundwesen bedingt ist durch einen Bankrott und eine totale Niederlage des modernen, speziell des bürgerlichen“, liberalen Geistes, der in Schiller seinen Anfangs- und zugleich Höhepunkt gehabt hat. Die Passivität dieses Geistes, die sich in der willenlosen Hingabe an äußere Eindrücke charakterisirt und solche Hingabe ist das Wesen des naturalistischen Dichters bedingt, daß das naturalistische Drama keine Willensdichtung" sein, keinen dramatischen Konflikt im höchsten Sinne enthalten, keine Helden" besigen, keine eigent= liche Tragödie sein kann. In solcher Weise ist seine innere Form" bestimmt. Daraus ergiebt sich die äußere Form, die z. B. in dem Zusammenhang der Menschen mit dem Milieu, in der Art der Szenenführung, der Rede u. s. w. zum Ausdruck kommt. Habe ich das erkannt, so kann mir nicht im Entferntesten der Gedanke kommen, an Hauptmann oder Holz oder Schlaf die Forderung zu stellen: dichtet wie Shakspere, ent= wickelt starke Konflikte mit großen Helden! Ich sehe mir vielmehr die "Familie Selicke" an und sage oder denke: „Riesig interessant, sehr zeitgemäß!" Bei näherer Betrachtung sehe ich dann wohl noch den Zujammenhang zwischen Geist und Form zu ergründen. Robert Hessen dagegen verwirft dieses Drama mit den Worten: Prüfen wir das Ganze, so finden wir: fein aufregendes Moment, keine Steigerung, keinen Höhepunkt, feine Umkehr, keine leßte Spannung." Hessen gestattet sich den Saz: Man hatte das Andringen neuer Motive, d. h. neuen Inhaltes,

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mit der Nothwendigkeit einer neuen Form verwechselt." Ich meinestheils verlange für jeden neuen Inhalt auch eine dem Inhalt entsprechende neue Form oder vielmehr: ich verlange gar nichts, sondern bin der Ansicht, daß jeder Inhalt von vornherein das Prinzip seiner Form in sich trägt.

Man könnte gegen mich und meinen Standpunkt den Vorwurf erheben, daß ich selber als Kritiker Naturalist wäre und als solcher den Eindrücken, die von modernen Kunstwerken an mich herantreten, be= dingungslos unterläge. Meine Leser wissen längst, daß das nicht zutrifft. Wohl konstatire ich objektiv den naturalistischen Zeitgeist und suche seine Produkte zu verstehen; ich verwerfe ihn aber in Hinsicht auf die Entwickelung des nationalen Geistes. Ich verwerfe ihn aber nicht, indem ich meine Feder gegen die an den Zeitgeist gebundenen Hauptmann, Holz und Schlaf spize; ich frage vielmehr, wie wir den schwach gewordenen Willen wieder aufrichten könnten. Und da gebe auch ich, gleich Avonianus, die Parole aus Zurück zu Shakspere! Ich verbinde aber damit nicht die Forderung, unsere Dichter sollten sich schleunigst an Shakspere ein Beispiel nehmen. Ich meine vielmehr, wir sollten zunächst einmal das unfruchtbare Verhältniß zum Allzugegenwärtigen lösen und unsere zu neuen Willensimpulsen bereiten Seelen von der männlichen Kraft des Shakspereschen Geistes befruchten lassen. Wie ich mir das Verhältniß unserer Zeit zu Shakspere denke, habe ich in meiner Theaterkorrespondenz des vorigen Monats angedeutet.

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Es ist ein vernünftiger und zutreffender Grundjag, den Hessen aufstellt, daß das Theaterstück vor Allem wirken soll. Das soll es; soust hat es seinen Beruf unter allen Umständen verfehlt. Die stärksten Theatererfolge, die ich erlebt habe und die als solche fast allgemein konstatirt worden sind, haben in den letzten Jahren Fuhrmann Henschel“ und „Ueber unsere Kraft“ (erster Theil) davon getragen. In diesen Werken decken sich in meinem Sinne Inhalt und Form, neuer Inhalt und neue Form. Ich glaube aber faum, daß in diesen Werken. auch nur ein einziges der Aristotelischen Kunstgeseße Erfüllung gefunden hat. Hessen erwähnt diese Dichtungen mit keiner Silbe. Es möchte mir fast scheinen, daß ihr Erfolg die ganze dramatische Handwerkslehre über den Haufen. wirft.

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Die Konsequenz der dramatischen Handwerkslehre: ...,,Andererseits sind ganz verruchte und verbrecherische Menschen ungeeignet, den Mittelpunkt eines Dramas abzugeben; denn da sie sich allzuweit von uns selbst unterscheiden, hören wir auf, das, was ihnen an Leiden widerfährt, für uns selbst zu fürchten. Wie daher in jenem Fall (ganz edler Menschen) die rechte Form des Mitleids, so kann im zweiten eine rechte Furcht nicht aufkommen, und es gebricht von vornherein an den beiden Grundelementen

der Tragik. Dies ist so sonnenklar und richtig, daß in der That nur die Kunst eines Shakspere uns einen Bösewicht wie Richard III. er= träglich zu machen wußte durch die geniale Spannkraft seines Wesens und die in uns erweckte Neugierde (!), ob er wohl mit seinen Anschlägen, von der Nemesis unereilt, durchdringen werde." (S. 219.)

Die tragische Schuld der dramatischen Handwerkslehre: Auch Hamlet ist ja durchaus nicht absolut fehlerlos. Er besißt sichtbarlich das Gefühl seiner überlegenen Persönlichkeit und ist bei aller Herzensgüte außerordentlich abweisend, ja von schneidendem Hohn gegen solche, die ihm nicht kongenial sind, also — nicht ohne Stolz. Dieser Stolz, so verzeihlich er sein mag, erweckt ihm selbstverständlich bitterste Feinde, denn kleine Naturen handeln mit Vorliebe aggressiv aus verleßten Wichtigkeitsgefühlen, und obschon kein Staatsanwalt vom Beginn des Stückes bis zur vierten Szene des dritten Aktes ihm irgend eine „Verschuldung“ vorzuhalten vermöchte, verstehen wir doch sehr wohl, weshalb Hamlet an diesem Hof keine Existenzberechtigung hat. Alles Auszeichnende, was den Einzelnen über jeine Umgebung emporhebt, ist eben schon durch die ganz natürliche Erweckung von Neid und Schadenfreude tragisch prädestinirt oder kann es doch sein.“ (S. 220.)

Diese Darlegungen kritisiren sich selbst. Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß eine ganz ausgezeichnete, aufschlußreiche, im Geiste Eduard von Hartmanns gehaltene und diesem gewidmete Abhandlung Zur Metaphysik des Tragischen" soeben von Leopold Ziegler veröffentlicht ist. (Verlag der Dürr'schen Buchhandlung in Leipzig.)

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Zu einer allgemeinen Bemerkung giebt mir diese Ausführung Anlaß: Tagegen sind alle rohen und Feigheitsverbrechen, wie Raubmord oder Vergiftung behufs Erbschleicherei, höchstens für das Gegenspiel, niemals für den tragischen Helden recht verwerthbar, weil sie im Allgemeinen so selten sind. daß man getrost annehmen kann, das Publikum, das sich in einem Theater versammelt, jei frei von ihnen." (S. 290.) Wie aber steht's mit der Unterschlagung von Depositen? Der wahre Grund, warum jene Verbrechen für den tragischen Helden nicht brauchbar sind, ist dies: Das Tragische wurzelt im Weltprozeß und im tragischen Ringen des Helden dreht es sich um die individuelle Lebensbehauptung gegenüber dem ewig giltigen Lebensgesey, nach dem das Individuelle zum Tode verurtheilt ist und zwar in der Form, daß es stirbt, weil es wächst. Jene Verbrechen aber wurzeln in der vorübergehenden sozialen Zeitstruktur und berühren das eigentliche, innerste Wesen der Menschenseele und das dieser Seele anhaftende tragische Problem des Stirb und werde" in feiner Weise.

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Die dramatische Handwerkslehre kulminirt in zwei Abschnitten über Hamlet. Da Avonianus in sehr zutreffender Weise bemerkt, daß wohl

jedem Dramatiker und Kritiker teutonischer Abkunft" seine Stellung zu Hamlet eine Gewissensfrage" ist, gestatte auch ich mir ein paar Ge= danken zu dem Thema zu äußern.

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Avonianus macht sich völlig die den Lesern der Jahrbücher so gut bekannte Auffassung des Professors Hermann Conrad zu eigen. Ich per= sönlich bin der Ansicht, daß sich Conrad durch seine Entdeckung über die Beziehungen der Hamlettragödie zum Schicksal des Grafen Esser das größte objektive Verdienst innerhalb der ganzen Shalspereforschung überhaupt erworben hat. Anerkennen kann ich aber nicht, daß damit auch schon bewiesen ist, Graf Esser sei das Urbild, das Modell des Hamlet. Die Frage bleibt doch noch strittig, was Hamlet mit Essex persönlich und psychologisch gemein hat. Zweifellos sind Stoff, Geschehnisse und Personen der Essex= Tragödie entnommen. Aber die Hamlettragödie giebt das wieder in der Auffassung, im Spiegel des Shakspereschen Geistes, wie der „Fall Essex“ von Shafipere subjektiv empfunden ist. Hamlet ist materiell bis zu gewissem Grade Essex, psychologisch aber ist er Essex in die Shaksperesche Seele hineinprojizirt. Wohl hat Hamlet bis zu gewissem Grade die Verhältnisse mit Esser gemein, aber nicht die Eigenschaften. Die hat er von Shakspere. Die Hamlettragödie ist die in dramatischer Form vollzogene jubjektive Entladung Shaksperes von dem Leid, mit dem der Fall Essex jeine Seele belastet hatte.

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Hamlet ist Shakspere und hat mit ihm den Grundzug des Wesens gemein. Der Grundzug des genialen Dichters ist gegeben durch die Fähigkeit und Nothwendigkeit der Seele, in ästhetischer Anschauung die Welt mit ihren Verhältnissen und Menschen als Bild zu sehen. Wie ein spiegelglattes Meer fängt das dichterische und ebenso das philosophische Genie das Bild der Welt auf. Dadurch aber unterscheidet sich die geniale Seele vom Meer, daß in ihr jedes abgespiegelte und aufgefangene Bild als ein lebendiges Wesen sich manifestirt. Das Genie und das trifft besonders auf Shakspere zu fennt alle Menschen, weil eben in seiner Seele jedes aufgefangene Menschenbild ein lebendiges Dasein führt, mit dem das Genie mitzufühlen und mitzudenken weiß. Das tragische Schicksal des Shafspere- Hamlet besteht darin, daß er mit seiner genialen Seele in eine von Schurken beherrschte Welt gesezt ist. Indem alle diese Schurken sich in ihm spiegeln, indem alle diese Schurken auch in ihm lebendig werden. und ihr Wejen treiben, durchschaut er die Claudius und Genossen bis in ihr Innerstes. Der tragische Konflikt seiner Seele besteht nun darin, daß er als Genie Genüge daran fände, die durchschauten Schurken im Bilde zu genießen, während ihn seine Eigenschaft als Sohn und Menschen zu strafender That drängt.

Von dieser Grundauffassung aus lösen sich alle Schwierigkeiten und Zweideutigkeiten der Hamlettragödie und ergeben sich einige ganz neue Aufhellungen. Ich hebe in größter Kürze nur diese drei Momente hervor:

Das Schauspiel im „Hamlet“: Der unbefangene Betrachter kann

doch eigentlich nicht verkennen, daß das Schauspiel innerhalb der Tragödie vielleicht ein sehr bühnenwirksamer Tric, aber doch in Hinsicht auf seinen sachlichen Zweck ein recht weit hergeholtes, umständliches Mittel ist, so lange man es nur als äußeres Motiv, als Einfall, als Erfindung Hamlets gelten läßt. Bedenkt man aber, daß Hamlets Grundzug eine ästhetische Weltauffassung ist, dann liegt nichts so nahe, dann ist nichts 10 natürlich, als daß die geniale Künstlerseele Hamlet sich zunächst einmal mit dem Vorfall und mit Claudius im Bilde, im Schauspiel abfindet. Das Schauspiel hat eine innere und eine äußere Bedeutung. Es ist zugleich der symbolische Ausdruck der seelischen Grundverfassung Hamlets und äußeres, die Handlung fortführendes und steigerndes Moment.

Hamlets Thaten: Man hat gestritten, ob Hamlet eigentlich zu Thaten fähig oder unfähig wäre, ob er planvoll oder willkürlich handelt. Er handelt, wie alle ästhetischen Genies. Eigentlich möchte er nicht handeln. Trifft aber von außen her ein Schlag seine Seele, so reagirt er sofort mit äußerster Sensibilität. Da er seine Pappenheimer von vornherein kennt und ihre Handlungen immer schon um einen Moment anticipirt, so kommt er ihnen mit der Gegenhandlung stets ein bischen zuvor. Das ist ihm wiederum entsprechend seiner ästhetischen Grundlage sogar eine Art Spiel, dieser den gegnerischen Zug mattjeßende Gegenzug. Und weil ihm das Leben und seine Handlungen eine Art Spiel sind, ist es von symbolischer Bedeutung und voll des inneren, mit dem Ganzen organisch verquickten Sinnes, daß er schließlich wie aus Zufall im Fechterspiel sein. individuelles und irdisches Leben lassen muß.

Hamlets Wahnsinn: Ist Hamlet wahnsinnig oder stellt er sich oder erscheint er nur jo? Als Genie, das die Welt innerlich überwunden hat, in eine Welt der Schurkerei gejeßt, muß ihm diese Welt widersinnig, d. h. verrückt erscheinen. Die gewissermaßen naturalistische Art, mit dieser verrückten Welt fertig zu werden, besteht für Hamlet logischer und psychologischer Weise darin, sich der Welt zu afkommodiren, d. h., von seinem Standpunkt aus, auch verrückt zu werden. Er stellt sich also verrückt. Da die Mitmenschen das Genie nie begreifen können, da Hamlet die Claudius und Genossen durchschaut und ihren verbrecherischen Thaten im Moment mit Gegenzügen zuvorkommt, die objektiv Verbrechen sind, da er also den Menschen seiner Umgebung in einer Mischung von Tiefsinn und Verbrecherthum sich manifestirt, muß er dieser Umgebung objektiv verrückt erscheinen. Vom Standpunkt der Welt ist Hamlet objektiv verrückt. Von seinem Standpunkt des Genies degradirt er sich im tragischen Zwang der Verhältnisse zu einer diesen Verhältnissen in Wahrheit einzig und allein angemessenen Verrücktheit. Man wird nicht verkennen, wie gerade diese doppeldeutige Verrücktheit es ist, durch die Hamlet in denkbar vollkommenster Weise zum tragischen Helden gestempelt wird.

Berlin-Karlshorst, 20. Juni 1902.

Max Lorenz.

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