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Wenn man dieje lebenswarme Schilderung unter jedes mit dem Namen Shutowski versehene Straßenschild sezen könnte, dann wäre es allerdings ein Denkmal zur Erinnerung an ein Zeitalter lebendiger baltischer Romantik, das mit dem ersten und legten russischen Romantiker zugleich für immer begraben ist! So aber weiß Niemand was davon, und dessen Namen, der für deutsches Wesen in warmer Liebe einst erglüht war, soll im Tode dazu dienen, dieses Wesen zu ersticken. Denn das war doch das Motiv zum Antrage der Universitätsverwaltung zu Dorpat!

Aber nicht nur die Romantik ist mit dem alten Dorpat untergegangen, sondern ein Stück deutscher Kulturwelt mit dem Dorpat, wie es sich bis zur Russifizirung entwickelt hatte. Soeben liefert ein Russe, dem Namen nach zu urtheilen, allerdings ein russifizirter Deutscher, Herr Eugen Degen aus Südrußland, in einer russischen Monatsschrift vergleichende Betrach= tungen zwischen dem russischen und deutschen Studentenleben, wie es sich in Dorpat in den neunziger Jahren, also mit Beginn der Russifizirung entwickelt hatte. Seinem Fühlen und Denken nach vollständig Russe, schildert Herr Degen die ersten Eindrücke, die das ihm bis dahin offenbar fremd gebliebene Deutschthum in jeder Beziehung auf ihn gemacht hatte. Schon die Studentenwohnungen in Dorpat erscheinen ihm mit ihrem saubern Meublement und ihren Gardinen als „Komfort" gegen über den gewohnten kahlen und ungemüthlichen Räumen russischer Studentenwohnungen mit zwei wackeligen Tischchen, auf die man beim Schreiben kaum die Ellbogen stüßen konnte, und höchst primitiven Schlafstellen und Sizgelegenheiten. Die Aufnahme in die Zahl der akademischen Bürgermittels Handschlages und die Ausreichung der akademischen Geseye imponirt ihm, da er als russischer Student nur gewohnt war, Vorschriften zu sehen, die zu etwas verpflichteten" oder etwas verboten", während nach der in Dorpat noch bestehenden deutschen Universitätsverfassung dem Studenten auch gewisse Rechte“ ertheilt wurden. Die russischen Studenten, die damals nach Dorpat kamen, und die meist schon in sehr hohen Semestern standen, nachdem sie von verschiedenen russischen Hochschulen wegen der bekannten „Unruhen" entfernt worden waren fühlten sich in einem Dorpater Kolleg zum ersten Male in der Athmosphäre reiner Wissenschaft" berichtet Eugen Degen. Gegenüber den wohlgenährten“, rothwangigen" deutschen Studenten in ihren ordentlichen Anzügen und hartgeplätteten Kragen waren die Zuzügler aus Mostan, Kiew, Kasan mit ihren mageren, bleichen, nervösen Gesichtern, dem nicht immer gekämmten Haar, in ihren weichen ausgenähten oder auch einfachen sogenannten. russischen Hemden leicht zu erkennen. Nach einiger Zeit paßten die meisten dieser russischen Studenten sich der europäischen Norm" auch in ihrer Kleidung an. Aber es dauert nicht lange, schreibt unser Berichterstatter — und: nach den „Unruhen“ in irgend einer russischen Universität wälzt sich wieder eine Welle von Lederjacken, hohen Stiefeln und herausfordernden

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Frisuren heran, doch vollzieht sich schon nach einiger Zeit der Prozeß der Europäisirung.

Wichtiger ist es, was der Verfasser über das Verhältniß der russischen Studenten zu den deutschen sagt; Von unserer Seite war eigentlich kein nationaler Antagonismus vorhanden. Viele ihrer Charakterzüge (der deutschen) waren uns allerdings fremd, manche Eigenschaften ihres corporellen Lebens erschienen uns komisch und roh; aber ein unmittelbares Gefühl der Feindschaft hatten wir weder der ganzen Masse, noch auch dem einzelnen Individuum gegenüber, während sich von ihrer Seite ein blinder Haß uns gegenüber, ohne Rücksicht auf die persönlichen Eigenschaften des Einzelnen, fühlbar machte. In uns haßte man vor Allem die Vertreter desjenigen Prinzips, das die örtlichen Eigenthümlichkeiten mit Nivellirung bedrohte, während man doch, auch schon bei oberflächlicher Beobachtung, sehen mußte, daß die russischen Studenten mit der dortigen Politik am allerwenigsten zu thun hatten und in keiner Weise Eroberungsgelüste an den Tag legten." Diese Darstellung mag für eine gewisse Zeit richtig gewesen sein, wo die russischen Studenten der baltischen Frage ganz gleichgiltig gegenüber standen und an den baltischen Verhältnissen jedenfalls gar nicht zu rütteln wagten. Nachher wurde das anders, wie der Verfasser selbst schildert. Er führt aber zuerst noch Folgendes aus: Es ist anzunehmen, daß der nationale Gegenjaß durch die Standesunterschiede noch bedeutend verschärft wurde: die deutsche Jugend in Dorpat wahrte, wie überall in Deutschland, enge materielle, kulturelle und geistige Beziehungen zu ihrem angeborenen Milieu, d. h. der Landaristokratie und der wohlhabenden städtischen Bürgerschaft, während die russischen Studenten, wie überall in Rußland, von unbedeutender Herkunft und ihren Anschauungen und ihrer materiellen Lage nach durchaus demokratisch gesinnt waren. Natürlich kann man nicht behaupten, daß alle deutschen Studenten über stattliche Geldmittel verfügten; viele lebten sehr bescheiden, doch gab es unter ihnen keine Armuth; alle hatten ein bestimmtes Budget, über das sie nicht hinausgingen. Wer über seine Mittel lebt, verdient keine Achtung“ — das ist das weise Prinzip derer, für die das tägliche Sattwerden nicht ein über das Budget hinausgehender Lurus ist!"

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Nach dieser durchaus zutreffenden Schilderung des sozialen Unterschiedes, der noch heute die große Scheidewand zwischen Deutschen und Russen bildet, der Deutsche ist eben in Rußland nirgends Proletarier und dem genügenden Hinweis darauf, daß dieser proletarierhafte Charakter der russischen Studenten sie in die Arme des Sozialismus treibt, fährt er an anderer Stelle fort, ihr Verhältniß zur baltischen Frage zu erörtern. Er schreibt: „Wir russischen Studenten sahen auf die Einrichtungen wäh rend des alten deutschen Regimes nicht durch die rosa Brille: weder die aristokratischen Agrarier noch das städtische Bürgerthum flößten uns besondere Sympathien ein. Doch verstanden wir besser als alle Anderen die

Vorzüge der deutschen Kultur zu schäßen; wir konnten es nicht vergessen, daß wir unsere Freiheiten und die Möglichkeit, unsere wissenschaftliche Ausbildung zu vollenden. der deutschen Universität verdankten. Diejenigen, welche etwas von der Mittelschule in den baltischen Provinzen wußten, betrachteten mit einem gewissen Neid den Unterschied zwischen den wirklich erzieherisch wirkenden baltischen Institutionen und unseren Gymnasien vom Tolstoi-Deljanowschen Typus. Wir wußten auch, wie sehr die Elementarbildung unter der lettischen und esthnischen Bevölkerung verbreitet war. Ist diese Erscheinung auch nicht ein direktes Verdienst der Deutschen. (Wer hat denn den Letten und Esthen die Schulen gegeben?), so war sie doch aufs Engste mit dem alten Regime verknüpft. Wir standen den Deutschen so fern, zwischen ihnen und uns gab es so viele Differenzen in Anschauungen und Sitte, daß wir in keiner Weise Mitgefühl mit ihnen äußern konnten und wollten. Das erwartete auch Niemand von uns, und es hätte auch allen nur geschadet. Dagegen galt aber die allerkorrekteste Neutralität unter uns für eine Pflicht und war schon ganz traditionell geworden, wobei der deutschen Sprache und dem örtlichen Heimathsgefühl volle Achtung entgegengebracht wurde."

Nun kommt aber der Umschwung. Der Verfasser schreibt weiter: „So erschien uns denn das Auftreten eines Kameraden durchaus unerhört, welcher auf einem Abend russischer Studenten, welcher zufällig mit der Umbenennung Dorparts in Jurjew zusammenfiel, ganz unerwarteter Weise mit einem schallen= den Toast auf das „neue Jurjew“ hervorplaßte. . . . . Ein solcher Ausfall hätte in früherer Zeit, wenn er überhaupt vorgekommen wäre, momentanen und allgemeinen Protest hervorgerufen und wäre als Erguß eines Betrunkenen angesehen worden. Jezt aber war der herrschende Ton in der russischen Studentenschaft ein so weit anderer geworden, daß eine ganze Gruppe von Studenten sich dem merkwürdigen Toast begeistert auschloß, der größte Theil ganz gleichgiltig blieb und die einzelnen Protestruje gar feinen Eindruck machten. Dieser Veränderung im Charakter der russischen Studentenschaft in Dorpat war schon ein allmähliches Sinken des wissenschaftlichen Niveaus der Universität vorangegangen. Unter den deutschen. Professoren früherer Zeiten fonnte man wohl viele dem eigentlichen Leben fern stehende, hinter ihrer Zeit zurückgebliebene, engherzige Pedanten und kleinliche Buchstabenfresser finden, doch war ihr einziges Interesse, ihr einziger Lebensinhalt die Wissenschaft mochten sie sie noch so eng auffassen. Diejenigen Elemente, die sie jezt ersehen sollten, hatten meistentheils mit der Wissenschaft wenig gemein. ..." So wird hier der russische Berichterstatter, der der baltischen Frage eigentlich kühl bis ans Herz gegenübersteht, auf Grund der gemachten Erfahrungen zum Lobredner der deutschen Periode Dorpats. Noch drastischer tritt die Anerkennung deutschen Wesens in dem Lob der akademischen Freiheit nach deutschen Begriffen hervor. Unser Verfasser berichtet weiter darüber, daß die russische Studentenschaft Dorpats fast ausschließlich aus den „unruhigen" Elementen

der russischen Universitäten sich rekrutirte, und daß der Gedanke nahe lag. daß diese Elemente auch in Dorpat bei der ersten Gelegenheit zu einem stürmischen Ausbruch treiben würden doch, der zündende Funke fehlte eben gerade in Dorpat. Wenn die Universitäts- oder die Polizeiobrigkeit von uns verlangt hätte, - schreibt unser Berichterstatter daß wir ruhig blieben, uns unsere Zusammenkünfte verboten oder andere Maßregeln gegen uns ergriffen hätte, dann hätten sich wahrscheinlich die Dorpater (russischen) Studenten weder besser noch schlechter als alle anderen erwiesen. Die Obrigkeit dachte aber auch gar nicht daran, uns irgend eine Veranlassung dazu zu geben, sie ignorirte vielmehr vollständig unseren aufgeregten Zustand, und ich bin ganz überzeugt davon, daß während wir die Nächte durch im Schweiße unseres Angesichts unsere rednerische Begabung entwickelten, der Prorektor ruhig den Schlaf des Gerechten schlief oder über seinen dickleibigen Büchern saß. Von uns aus die Obrigkeit mit irgend welchen Forderungen zu bestürmen, hatten wir gar feine Ursache, denn wir besaßen alles das, was unsere Kommilitonen auf anderen Universitäten in ihren fühnsten Träumen nicht erhoffen durften!"

Es sind die Gegenfäße von Europa und Asien, die sich hier in diesem kleinen Bilde über die Vorgänge in Dorpat widerspiegeln. Wie leicht wären die russischen Studenten zu bändigen gewesen, wenn man, statt das alte deutsche Dorpat mit seiner akademischen Freiheit zu vernichten, von ihm gelernt hätte, die russische Jugend menschenwürdig zu behandeln! Allein die nationalen Gegensätze dienten hier nur zum Vorwande, um mit der akademischen Freiheit auch jede Spur von bürgerlicher Freiheit und Selbständigkeit zu zerstören! Man haßt die Deutschen theilweise gewiß wegen ihrer Ueberlegenheit auf allen Gebieten, aber hauptsächlich deswegen, weil sie sich jene unveräußerlichen Lebenskräfte sittlicher Freiheit bewahrt haben, durch die sie ihre Mission im Osten allein zu erfüllen vermochten! Der Zarismus aber braucht Sklaven! Von Memel bis Port Arthur joll nur ein Leichenfeld jein!

Nachdem das bewährte, in sich gefestigte deutsche Schulwesen in den baltischen Provinzen einmal von Grund aus vernichtet worden ist, muthet man jezt der Bevölkerung zu, alle die Experimente, die seit jeher mit der russischen Mittelschule besonders gemacht werden, auch an ihrem Leibe zu erfahren. Es kostet ja nur eine verdorbene Schulgeneration mehr! Wie viele solcher Generationen sind seit der Russifizirung im Jahre 1889 schon geopfert worden. Gewiß mag der Wettstreit zwischen klassischer und Realbildung sich auch anderswo abspielen, aber auch in anderer Weise als in Rußland, wo nicht abgeklärte Meinungen den Ausschlag geben, sondern bureaukratische Willkür. So kam es, daß die Reform der Mittelschulen eigentlich in den letzten Dezennien nie von der Tagesordnung in Rußland schwand. Bald triumphirte die eine, bald die andere Richtung. Jezt ist nun endlich, nachdem ein deutscher Altphilologe das russische Kultus

ministerium übernommen hat, das unter Wannowsky begonnene Werk der Reform zum wenigsten zum vorläufigen Abschluß gebracht worden. Es handelt sich dabei aber wieder nur um ein Interimistikum für das Schuljahr 1902/1903, wobei jedoch dem Kultusminister das Recht gewährt wird, nach Ablauf dieses Schuljahres, nach seinem Ermessen die Zahl der Lehrstunden in jedem Fach und ihre Vertheilung nach den Klassen, bis zur Einführung der neuen Statuten" zu verändern. Es ist also kein Ruhepunkt in der russischen Schulreform abzusehen. Die im gegenwärtig bestätigten Statut verschiedenen Gymnasien verschiedener Lehrbezirke ge= währte Ausnahmestellung hinsichtlich der allgemeinen Beschränkung des Unterrichts im Griechischen, ist nur geeignet, die Verwirrung in den Ansprüchen an die Universitätsvorbildung zu erhöhen.

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Der deutschen Sprache ist in den unteren Gymnasial- und Realschulklassen ein ziemlich bedeutender Raum gewährt worden. Daß der Unterricht jedoch im Deutschen ein obligatorischer geworden ist, hat natürlich in der russischen Presse, Angesichts der gewünschten Bevorzugung des Französischen, etwas arg verschnupft. Nur das Organ des Fürsten Uchtomski ist sehr warm für das Deutsche eingetreten, und zwar führt dasselbe unter verschiedenen Gründen dafür auch folgende an: Die Kenntniß der deutschen Sprache ist für jeden Russen wichtiger als die der franzö= sischen, weil, troß der bestehenden Freundschaft mit den Franzosen, mit den Deutschen eine größere Interessengemeinschaft besteht — sowohl mit denen, die innerhalb der Grenzen des russischen Reichs leben, als auch mit den allernächsten Nachbaren. Ferner wird auf die Bedeutung der deutschen Wissenschaft, und auch auf die leichtere Beschaffung der Lehrkräfte aus den Ostseeprovinzen hingewiesen. Was die Bedeutung der deutschen Wissenschaft, für Rußland betrifft, so wird dieselbe sehr instruktiv veranschaulicht durch die von den Professoren der Moskauer Universität empfohlenen Bücher. Für das Lehrjahr 1899 bis 1900 haben die circa 200 Universitätslehrer 1548 Lehrbücher empfohlen. Von diesen sind 470 oder 31 Prozent in deutscher Sprache abgefaßt, wenn man aber die aus dem Deutschen angefertigten Ueberseßungen hinzurechnet, so steigt die Gesammtzahl der empfohlenen deutschen Werke auf 700 oder 47 Prozent, während französische Original:verke und Ueberseßungen nur in der Gesammtzahl von 190 bezw. 240 oder 12 bezw. 16 Prozent empfohlen worden sind.

Die Abhängigkeit Rußlands vom Deutschthum ist viel zu groß. als daß die in den Ostseeprovinzen eingeschlagene Vernichtungspolitik gegenüber deutscher Sprache und deutschem Wesen nicht zu einer Reaktion im Reich führen sollte. Vorläufig haben die Balten noch nichts davon. Staatsrechtlich sind sie um ihr gutes Recht gebracht worden, ihre Kinder selbst zu erziehen und zu bilden. Es bleibt aber eine zu beachtende Thatsache, daß im russischen Reich ca. 2 Millionen Deutsche leben, denen nach der lezten Volkszählung ca. 4 Millionen evangelischer Letten, Esthen und Breußische Jahrbücher. Bd. CIX. Heft 3.

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