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Das Finanzsystem Witte.

Von

Paul Rohrbach.

I.

Die Epoche der Herrschaft des Finanzministers Witte in Rußland wird für alle Zeiten in der politischen wie in der Wirthschaftsgeschichte ein merkwürdiges und kaum je anderswo in gleicher Ausgeprägtheit begegnendes Beispiel dafür bilden, bis zu welch einem Grade es einem begabten, mit höchster finanztechnischer Gewandtheit, politischem Verstand und einer eijernen Stirn vor dem Auslande ausgestatteten Staatsmanne gelingen kann, nicht nur im Innern eines großen Reichs auf ausgehöhlten und schwankenden Grundlagen eine Zeit lang Erfolg über Erfolg zu thürmen, sondern auch nach außenhin selbst zu einer Zeit noch groß und vertrauenerweckend dazustehen, wo thatsächlich bereits fast alle Stüßen des Systems niederbrechen. Es kann jetzt keinem Zweifel mehr unterliegen, daß es nun mit dem Witte'schen System in Rußland thatsächlich am Ende ist, und für das deutsche Publikum wie namentlich für unsere große Bankwelt wird jedenfalls demnächst die Thatsache, noch zu den Leßten gehört zu haben, die vor seinem Sturz dem „Verderber Rußlands" etliche hundert Millionen in die Hand drückten, eine Veranlassung nicht ungemischter Gefühle bilden. Damit soll nicht gesagt sein, daß es Herrn von Witte nicht noch einmal, vielleicht sogar noch einige Mal gelingt, einen Goldstrom von jenseits der Grenze her in sein vertrocknendes Rußland hinein zu lenken und den gegenwärtigen Stand der Dinge noch für eine Weile aufrecht zu erhalten. aber das wäre dann höchstens ein Beweis: sei es für die zwingende Kraft allgemein politischer Erwägungen, sei es für das Unvermögen des Auslandes, den thatsächlichen Stand der Dinge in Rußland zu begreifen.

Während in Frankreich bereits die Broschüre des früheren Finanzagenten Cyon mit ihrem heftigen aber von persönlichen

Motiven nicht freien Angriff auf den russischen Finanzminister einen merklichen Eindruck machte, wurde in Deutschland das Vertrauen auf die Solidität der russischen Finanzen und des Herrn von Witte einstweilen noch nicht erschüttert, ist es übrigens im Grunde auch jezt noch nicht. Zwar muß es befremdlich erscheinen, daß diejenigen Bankhäuser, welche die letzte russische Anleihe von 300 Millionen Mark auf den deutschen Markt brachten, sich für die Vermittelung des Geschäftes eine so außerordentliche hohe Provision haben bezahlen lassen. Diese ist, wie mittlerweile aus Rußland selbst durchgefickert ist, noch höher, als ich in meiner Politischen Korrespondenz im Maiheft d. I. nach deutschen Mittheilungen angab. Das russische Finanzministerium hat die zu 97,2 Prozent aufgelegte Anleihe nicht zu 947/8, sondern sogar zu 9378 Prozent an die Banken vergeben müssen. Das bedeutet eine Vermittelungsgebühr von rund 11 Millionen Mark. Derartige Provisionen pflegen, wo es sich um zweifellos sichere Kreditverhältnisse handelt, nicht gefordert, noch viel weniger aber bewilligt zu werden. Bis auf das Erscheinen einiger erst in jüngster Zeit veröffentlichter, theils russischer, theils auf russischem Material fußender Publikationen, die dem Witteschen System mit einem erdrückenden Beweismaterial zu Leibe rücken, habe ich selbst, troß Chon, zu denen gehört, die Herrn von Witte im Wesentlichen trauten. Dann aber, als die Angriffe nicht mehr von einer moralisch zweifelhaften Seite, sondern von guten und begeisterten russischen Patrioten kamen, mußte man an dem bisher allgemein getheilten Vertrauen auf die Persönlichkeit und auf das System des russischen Finanzministers irre werden.

Die öffentliche Meinung und die deutsche Politik haben die Aufgabe, sich die gegenwärtige Lage Rußlands um so klarer zu vergegenwärtigen, als das drohende Ausscheiden Rußlands als eines gewichtigen Machtfaktors aus der großen Politik unter Umständen zu einer für Deutschland höchst ungünstigen Gestaltung der internationalen Gesammtlage führen kann. Daß wir unsererseits keinen besonderen Grund haben, für Rußland stimmungsmäßig irgend welche erhebliche Sympathien zu hegen, liegt ja auf der Hand. Rußland hat sich zwar von direkten und öffentlichen Feindseligkeiten gegen uns fern gehalten, es hat aber, wo es ihm nur möglich war, versucht, eine Politik zum Nachtheil der deutschen Interessen zu machen. Das war namentlich in Ost-Asien so und ist jetzt in der Frage der Bagdadbahn der Fall, wo von russischer Seite troß

des zwischen der türkischen Regierung und der anatolischen Eisenbahngesellschaft geschlossenen Abkommens immer noch alle möglichen Hebel angesezt werden, um der angeblichen deutschen Machtsteigerung" in der Türkei entgegen zu wirken. Man wird freilich dabei annehmen dürfen, daß es sich hier seitens des Herrn von Witte, der mit besonderem und geflissentlich hervorgekehrtem Mißvergnügen der „deutschen“ Bagdadbahn zu Leibe geht, bereits eher um eine Fechterstellung handelt, die dem Zwecke dient, die eigene ins Wanken gerathene Stellung zu festigen, als um eine wirkliche, von politischen Prinzipien getragene nationale Aktion. Daß die Bagdadbahn in ihrer jetzt festgesezten Führung den russischen Interessen in der Türkei, so weit solche überhaupt vernünftig verstanden werden, keinen Abbruch thut, ist klar, und einem so klugen Manne wie Herrn von Witte am allerwenigsten verborgen. Die „deutsche“ Bahn in der Türkei ist aber nun einmal in Rußland ein Phantom, auf das jeder vaterlandsliebende Russe mit Keulenschlägen glaubt loshauen zu müssen. Diesen Wind nicht in seine Segel zu fangen, scheint Herrn von Witte, vielleicht mit Recht, gefährlich, und so thut er es denn. Er thut auch noch anderes, viel Unglaublicheres, aus ähnlichen Motiven. Er hat dem Kaiser Nikolaus II. eine mehrere hundert Druckseiten umfassende Denkschrift eingereicht, die von der Nothwendigkeit handelt, das Prinzip der „Selbstherrschaft“ und der Bureaukratie bis in seine leßten und äußersten Konsequenzen durchzuführen; auf dem flachen Lande wie in den Städten die leßten Ueberbleibsel der kommunalen und landschaftlichen Selbstthätigkeit zu beseitigen und auf diese Weise Rußland dem endlichen Heile zuzuführen. Das ist, namentlich wenn man die spezialisirten Ausführungen jenes dickleibigen Dokumentes liest, um es kurz zu sagen, eine so ausbündige Thorheit, daß man vor einem Räthsel stände, wie ein Minister von so ausgesprochener Intelligenz wie Herr von Witte nur auf dieses Stück verfallen konnte wenn nicht die Lösung so einfach wäre. In Rußland ist seit der Zeit des Kaisers Alexander III. in steigendem Maße das Dogma von der absoluten gottbegnadeten „Selbstherrschaft“ des Zaren zum politischen Schlagwort der herrschenden Partei geworden. Die Hingebung an die „Selbstherrschaft“ bildet, und das entspricht nur der Absicht der in erster Linie betheiligten Persönlichkeiten, das Kennzeichen, um die politisch zuverlässigen Elemente von den unzuverlässigen zu sondern, und in Folge dessen besteht bei allen nach Ansehen, Beruf und Einfluß strebenden Leuten

ein derartiger Wettlauf in der Versicherung und dem praktischen Erweis unbedingter Anbetung dieses Gößen, daß es schon sehr starker Künste bedarf, um nach dieser Richtung hin noch einen sich besonders hervorhebenden Eindruck zu machen. So ist es dazu gegekommen, daß selbst die höchsten Reichsbeamten zu dem Mittel griffen, Denkschriften über die weitere und tiefere Ausgestaltung eben dieser „Selbstherrschaft“ auf den verschiedensten Gebieten des staatlichen und sozialen Lebens in Rußland auszuarbeiten, nicht etwa weil sie sich davon ein besonderes Heil versprachen oder weil fie einen inneren unüberwindlichen Drang dazu verspürt hätten, sondern um damit eine Probe ihrer bedingungslosen politischen Zuverlässigkeit zu geben. Als erster beschritt der Justizminister Manassein diesen Weg; ihm folgte der kürzlich ermorderte Sipjagin, damals noch Direktor der Kaiserlichen Bittschriftenkanzlei, mit einem Elaborat, das, scheinbar zur größeren Herrlichkeit der „Selbstherrschaft“ geschrieben, in Wirklichkeit darauf abzielte, den Direktor der Bittschriftenkanzlei zum Regenten Rußlands zu machen. Schließlich glaubte Angesichts dieses Wettlaufens auch Sergei Juljewitsch Witte, um seiner Stellung und seines Rufes willen, nicht mehr zurückstehen zu können, und hat jenes vorhin charakterisirte Werk verfaßt, um es als Ausdruck seiner politischen Ueberzeugung dem Kaiser einzureichen. Das Nähere über diese Vorgänge mag man in dem vortrefflichen Buche „Rußland am Vorabend des 20. Jahrhunderts“*) nachlesen. Solche und noch einige andere Beobachtungen lafen, wie gesagt, darauf schließen, daß der Finanzminister sich nicht mehr unter allen Umständen auf seinem Posten so absolut ficher fühlt, wie es noch vor einigen Jahren der Fall war, und man kennt auch zur Zeit in hohen Stellen der russischen Finanzverwaltung Persönlichkeiten, die aus ihrer Kritik des Systems Witte kein Hehl machen und ihm sogar öffentlich in der russischen periodischen Presse entgegentreten.

Es giebt nun Staaten, zum Beispiel England und OesterreichUngarn, die fast unter allen Umständen von einem Sturze oder einer lange dauernden Schwächung der russischen Macht nur Vortheile hätten, ja denen in einem solchen Falle vielleicht noch eine ungeahnte Zukunft blühen könnte. Deutschland aber gehört nicht zu dieser Gruppe. Zwar ist es auch für uns Voraussetzung des gedeihlichen politischen Nebeneinanderlebens mit unserm Nachbarn im Osten, daß er uns gegenüber, so gut wie auch wir es zu thun

*) 4. Auflage, Berlin, Verlag von Hugo Steinig 1901. Seite 91 ff. (russisch).

bereit sind, ehrliche Politik macht, d. h. sich aufrichtig mit dem Gedanken abfindet, daß auf eine erhaltene reale politische Leistung eine ebenso reale Gegenleistung gehört. Will man mit uns Politik nach dem Prinzip des bloßen geschäftlichen Uebervortheilens machen oder nach dem der Durchkreuzung unserer legitimen Interessen um jeden Preis überall dort, wo unter Umständen der anderen Partei durch unsere natürliche Entwicklung ein vermeintlicher oder wirklicher erhoffter Vortheil entgeht, dann ist es allerdings schwierig, mit einander auszukommen. Hand wird nur von Hand gewaschen, wenn du nehmen willst, so gieb! Gilt aber dieser Saß auch zwischen uns und Rußland, so haben wir ein großes Interesse daran, daß die russische Krisis sich nicht zu einer Katastrophe gestaltet, und wir könnten ganz wohl in den Fall kommen, uns auch das Wie und Wo praktischer Hilfeleistung zu überlegen. Diesem Finanzminister gegenüber darf es aber unter dem Gesichtspunkt der deutschen Interessen keine andere Parole mehr geben, als: keinen Pfennig weiter!

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Unter den Argumenten, die von Seiten des russischen Finanzministeriums benutzt zu werden pflegen, um den blühenden Stand der russischen Volkswirthschaft vor aller Welt zu beweisen, spielen eine besonders hervorragende Rolle das ununterbrochene kolossale Anwachsen der Staatseinkünfte und die Entwicklung der russischen Industrie.

Es betrugen nach den jährlichen Budgets, auf die das Finanzministerium immer wieder hinweist, für das Jahrzehnt von 1889 bis 1898 die ordentlichen Einnahmen des russischen Staates (in Tausenden von Rubeln):

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