ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

Die Last der Schmuß- und Schimpfreden, die von katholischer Seite auf das Andenken der Reformatoren abgeladen worden sind und noch täglich abgeladen werden, ist wahrlich keine geringe, indeß bei näherem Zusehen bemerken wir, daß in katholischen Schriften geschichtlichen Inhalts, die nicht für geistliche Schulen und Seminarien, sondern für einen weiteren Kreis gebildeter Leser bestimmt sind, namentlich der lutherischen Reformation ein steigendes Verständniß, ja vielfache Anerkennung entgegengebracht wird. Ursachen verschiedener Art haben zusammengewirkt, um da, wo früher nur tödtlicher Haß und finsterer Fanatismus das Wort führte, einem Streben nach Gerechtigkeit den Boden zu bereiten. Insbesondere kommt hier in Betracht das immer stärkere Ueberwiegen der nationalen Sympathien über die religiösen. Das durchschlagende Moment aber ist, daß alle moderner Bildung irgendwie zugäng lichen Gesellschaftskreise sich der dogmatischen Betrachtungsweise geschichtlicher Dinge mehr und mehr entwöhnen und der historischen zuwenden. Die ganze Entwicklung unserer Zeit mit all den gewaltigen Veränderungen und Umgestaltungen, die sie hervorgebracht, drängt dem besonnener Urtheilenden die Einsicht auf, daß man mit einem absprechenden: gut oder schlecht, wahr oder falsch dem Verständniß der Dinge nicht näher kommt, sondern daß diese zunächst aus den Bedingungen der Zeit, der sie entstammen, ihre Deutung und Würdigung erhalten müssen.

Für katholisch-gläubige Schriftsteller ist es indeß außerordentlich schwierig, bei der Beurtheilung geschichtlicher Ereignisse von der dogmatischen Auffassungsweise zur rein historischen durchzudringen, mit Bezug auf religiöse und kirchliche Dinge sogar ganz unmöglich. Die kirchliche Lehre kennt nur absolute Werthungen. Was mit dieser Lehre und ihren Geboten übereinstimmt, ist als wahr und gut zu betrachten, immer, überall, unter allen Umständen; was von ihr abweicht oder gar ihr widerspricht, ist unwahr, schlecht und verderblich. Der erste katholische Schriftsteller, der, wenn auch keineswegs in wohlwollender Absicht, so doch mit ernstem Sinn den Versuch machte, das Positive im Lutherthum vom historischen Standpunkt aus zu begreifen und zu würdigen, ist Ignaz Döllinger in seinem 1846-1848 erschienenen dreibändigen Werk: „Die Reformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen im Umfang des lutherischen Bekenntnisses“. Zu Anfang des Jahres 1851 erschien dann noch ein kurzer Essay: „Luther", vom Verfasser selbst als Skizze bezeichnet, die er aber mit viel Sorg

[ocr errors]

falt ausgearbeitet habe. Döllinger besißt in vollem Maße die dem. Historiker unerläßliche Fähigkeit, das Wesentliche und Folgenschwere aus der Menge des Unwesentlichen und Bedeutungslosen herauszufinden. Er erkennt, daß die Seelenkämpfe, in denen der junge Doktor Martinus sich einen neuen Glauben errang, daß diese inneren Kämpfe und Siege es gewesen sind, welche der deutschen Reformation Richtung und Inhalt gegeben haben. „Ehe noch der Ablaßstreit begann“, sagt Döllinger, „hatte Luther sich von der bisherigen Theologie und der allgemeinen Lehre der Kirche in einem Punkte entfernt, der neben dem Dogma von der Person Christi der wichtigste im ganzen kirchlichen Lehrgebäude ist und über die Auffassung und Gestaltung des ganzen praktisch-christlichen Lebens entscheidet im Dogma von der Rechtfertigung des Menschen. Der Keim, aus welchem sein ganzes nachheriges System hervorwuchs, war bereits in den Jahren 1515 und 1516 bei ihm entwickelt, und seine Doktrin, wie er sie an der Universität vortrug, hatte bereits Anstoß und Veranlassung gegeben, von einer neuen, auf Irrwegen befindlichen Theologia zu reden; er selber aber war freilich noch nicht einmal der nächsten und unabweisbarsten Konsequenzen, die sich aus seiner Vorstellung ergaben, sich bewußt geworden.“

Für jeden psychologisch tiefer Blickenden und ohne Befangenheit Urtheilenden wird eben durch diesen einfachen thatsächlichen. Hinweis Döllingers klar ins Licht gestellt, wie das Werk Luthers von allem Anfang an mit dem Stempel des Genius gekennzeichnet war. Namentlich der letzte Saß, der auf das Unbewußte als die Werkstätte hinweist, wo die Waffe geschmiedet wurde für die größte Befreiungsthat, die jemals der Menschheit gelungen ist, erinnert lebhaft an die Aeußerungen Goethes, in welchen dieser von dem Drängen und Treiben des „dämonischen Geistes“ in seinem Innern eine Vorstellung zu geben sucht. Wenn Luther der nächsten Konsequenzen seiner Vorstellung von der Rechtfertigung sich unbewußt blieb, so ist dies der deutlichste Beweis, daß es sich bei diesem über die Gestaltung des ganzen praktisch-christlichen Lebens entscheidenden Gedanken nicht um das Ergebniß eifrig gepflegter theologischer Dialektik handelte, sondern um ein großes inneres Erlebniß, das dann Tausende und aber Tausende nacherlebt haben. Von diesem Vorgang im Herzen des Genius hatte Döllinger kaum eine Ahnung. Sein Blick blieb auf die „Irrlehre“ des theologischen Dozenten geheftet, die er aus dem „peinigenden und trost

losen Geisteszustand“, in dem sich Luther dazumal befunden habe, zu erklären und einigermaßen zu entschuldigen sucht.

Und nun kommt die sophistische Sinnverdrehung,die mehr als drei Jahrhunderte lang von den katholischen Theologen oder theologifirenden Geschichtschreibern unermüdlich wiederholt worden ist mit dem Erfolg, daß in den Augen des katholischen Volkes die Vorstellung von dem positiven Sinn und Inhalt der lutherischen Reformation nicht nur entstellt, sondern unmittelbar in ihr Gegentheil verkehrt worden ist. Luther, durchaus ein Mann der lebensfreudigen That, leugnete die Gottwohlgefälligkeit aller „Werke“ der Askese, der Selbstpeinigung, der zwecklosen Abnegation und der mystischen Träumerei; er verwarf den Rosenkranz, das Knierutschen, das Anschreien der Heiligen, das methodische Hungern und alle dergleichen Uebungen, die von der Kirche als „gute Werke" par excellence gestempelt waren; er legte allen Nachdruck auf die Rechtfertigung, d. h. auf das raftlose sittliche Streben, das aber allerdings, in Anbetracht der menschlichen Schwäche einerseits und der über alles Menschliche weit erhabenen göttlichen Reinheit und Heiligkeit andererseits, niemals zu dem Ziele führen könne, auf das alles religiöse Sehnen gerichtet ist: zur Vereinigung mit Gott. Verzweiflung war das Loos des Menschen, der mit allen seinen Kräften Gott suchte, der nur in Gott seine Ruhe finden konnte, wenn sich ihm nicht als Rettung in der äußersten Seelennoth der Glaube darbot, daß durch den Opfertod Christi die Kluft, die den endlichen und sündhaften Menschen von dem Allheiligen und Unendlichen scheidet, für den auf die Wirksamkeit dieses Sühnetodes gläubig Vertrauenden vollkommen ausgefüllt sei. Luther glaubte und war bereit zu sterben für diesen Glauben, daß kein irdisches Werf, und entspräche es noch so sehr den Vorschriften des Geseßes, den Menschen zu Gott erheben könne, wenn nicht die Gnade von oben der menschlichen Unzulänglichkeit zu Hilfe komme. Diesem protestantischen Glauben hat später Goethe in jenen wundervollen, beim Tode Fausts vom Himmel her gesprochenen Worten Ausdruck verliehen:

Wer immer strebend sich bemüht,

Den können wir erlösen.

Und hat an ihm die Liebe gar

Von oben Theil genommen,
Begegnet ihm die selige Schaar
Mit herzlichem Willkommen.

Eine neue Wahrheit, die ins Volk dringen will, kann des rhetorischen Nachdrucks, der in der Paradorie liegt, nicht wohl entrathen. Luther hat mit dem triumphirenden Selbstgefühl des Helden, der das Jahrhundert in die Schranken fordert, von diesem rednerischen Mittel vielleicht über Gebühr Gebrauch gemacht und die Antithese zwischen der Rechtfertigung durch den Glauben und der durch Werke zu erwerbenden Gerechtigkeit in provozirender Weise verschärft. Jedenfalls haben seine Feinde aus einzelnen derartigen Aeußerungen Anlaß genommen, ihm die Behauptung unterzuschieben, daß „der Mensch nicht durch Anstrengung, durch die Arbeit der Buße und Besserung, sondern auf die leichteste und bequemste Weise, durch einen bloßen Akt des gläubigen Annehmens und sich Zurechnens vor Gott gerecht und seines ewigen Heils gewiß werde.“ Daß ein sonst so trefflicher und ehrenwerther Mann wie Ignaz Döllinger in diesen Ton einstimmte, könnte Wunder nehmen. Das Staunen wird schwinden, sobald man sich klar hält, daß Döllinger in Luther eben nur den Theologen sah, der am katholischen Dogma rüttelte und ein neues Dogma aufstellte. In den Augen des strenggläubigen Katholiken erscheint solches Beginnen als ein Verbrechen, das keinen Pardon zuläßt, und als eine Gefahr, die mit allen Mitteln abzuwehren heilige Pflicht ist.

Das Grundprinzip des Protestantismus ist sittliche und religiöse Selbstbestimmung, das Wesen der katholischen Kirche ist begriffen in dem Wort: Autorität. Im Katholizismus ist die Religion nicht die Befriedigung subjektiven Empfindens; er hat einen objektiven Inhalt, er umschließt ein System von Wahrheiten, welche Antwort geben auf die höchsten und letzten Fragen. Sprechen wir vom Prinzip des Katholizismus, so ist darunter zu verstehen die Anerkennung der Kirche als der von Christus gestifteten, in der Menschheit wirkenden Heilsanstalt und insbesondere die Anerkennung des kirchlichen Lehramts zur Bewahrung der von Gott geoffenbarten und in der Kirche hinterlegten Heilswahrheiten. Mit der Aufrechterhaltung dieses Prinzips, welches dem der historischen Betrachtungsweise geschichtlicher Dinge diametral entgegengesett ist, steht und fällt der Katholizismus. Die Kirche verkündet absolute Wahrheit und nimmt für sich absolute Autorität in Anspruch, am Absoluten läßt sich nicht mäkeln.

Wie bringt es nun aber der sogenannte liberale Katholizismus, der neuerdings für seine Bestrebungen die Formel einer Versöh=

nung der katholischen Weltanschauung mit der modernen Kultur aufgestellt hat, wie bringt dieser katholische Liberalismus es fertig, der Reformation und dem von der Kirche tausendmal verfluchten Kezer Luther allerhand anerkennende Worte zu widmen? Zunächst durch Vertuschung und Verflachung der Gegensäße. In dem bekannten Buch des Professors Ehrhard, „Der Katholizismus und das zwanzigste Jahrhundert" wird zwar immer wieder betont, daß in dem „ertremen Subjektivismus" der Reformatoren Luther und Zwingli die eigentliche materia peccans gegeben sei, welche den Umsturz der objektiven kirchlichen Institutionen bewirkte; indessen, sagt Ehrhard, in Folge der Verschiedenheit des Inhalts der religiösen Grundgedanken hat die Reformation verschiedene Formen angenommen, deren hauptsächlichste sich in zwei Gruppen zertheilen lassen, eine kirchenbildende und eine kirchenzerstörende. Die erste Gruppe umfaßt das Lutherthum, den Zwinglianismus und den Calvinismus. Weil diese drei Formen der Glaubensneuerung, im Gegensatz zu den Schwarmgeistern verschiedenster Art, doch wieder eine religiöse Ordnung und Autorität herstellten, kann man praktisch über das Prinzip des Subjektivismus, aus dem die Auflehnung gegen den überlieferten Glauben hervorging, hinwegsehen und das Gute anerkennen, was die Reformationskirchen troß ihres autoritätfeindlichen Ursprungs an sich haben mögen. Ausgehend von dieser Betrachtungsweise kommt Ehrhard zu folgender Würdigung des Reformationswerkes und der Persönlichkeit Luthers. „Der Grundzug des Lutherthums“, sagt er, „war praktisch-religiöser Subjektivismus. Luther ging nicht von einer bewußten Kritik der kirchlichen Lehren und Institutionen aus; sein Kampf gegen die katholische Kirche war die Konsequenz seiner Stellungnahme zur großen religiösen Frage nach dem persönlichen Verhältniß des Menschen zu Gott in ihrer Zuspißung auf die Gewißheit des Heilsbesizes. Die Antwort darauf fand er unter dem Einfluß seines ungesunden, unharmonischen (recte: Wahrheit verlangenden, tiefgründigen) inneren religiösen Lebens, der Unzufriedenheit mit der herrschenden kirchlichen Frömmigkeit und ihren Aeußerungen, der Abwendung von der verknöcherten Scholastik, endlich des einseitigen Studiums der deutschen Mystiker, des hl. Augustin und besonders der heiligen Schrift, unter deren Büchern er die Psalmen und die Paulusbriefe bevorzugte, in der Rechtfertigung durch den Glauben ohne die Werke, wodurch die Gewißheit des Heitsbesites unmittelbar gegeben ist. Diese Ant

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »