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Also: Maurice Maeterlincks neue Dichtung hat mich in einen tiefen Zwiespalt gestürzt. Ich werde dem Leser diesen Zwiespalt vorführen, indem ich eine doppelseitige Analyse des Dramas gebe.

Das Stück spielt in und vor Pisa am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. Pisa ist von einem unter Leitung des Feldhauptmanns Prinzivalli stehenden Heer der Florentiner belagert und vermag sich keinen Tag länger zu halten. Die Belagerten sterben am Hunger. Der Kommandant von Pisa, Guido Colonna, sieht kein anderes Mittel, als daß die noch waffenfähigen Männer in einem lezten Verzweiflungskampfe fallen, oder daß die Stadt dem Feinde übergeben wird. Da fehrt Guidos greiser Vater, Marco Colonna, aus Prinzivallis Lager zurück und bringt ein Rettungsmittel. Lange zögert er, das Ungeheure zu nennen. Er redet hin und her und schrickt immer wieder zurück, das Wort vor seinem Sohne über die Lippen zu bringen. Endlich theilt er Prinzivallis Forderung mit: Die Stadt soll gerettet sein, wenn in kommender Nacht Guidos tugendreine Gattin Giovanna sich zu ihm ins Lager begeben wolle nackt, nur mit ihrem Mantel bekleidet und bereit, bis zum Morgen bei Prinzivalli zu verweilen. Guido Colonna rast ob des frechen Angebots. Der greije Marco räth, das Opfer Giovannas für das Leben von Tausenden zu bringen. Der Sohn droht, den Vater in den tiefsten Kerker zu werfen, damit Niemand in Pisa nur ein Wort des schmachvollen Vorschlags vernehme. Marco erklärt, dem Rath der Stadt vom Verlangen Prinzivallis bereits Mittheilung gemacht zu haben. Höhnend bezweifelt der tobende Guido nicht, daß die alten Krämerjeelen ohne Bedenken Giovanna zum Opfer ihrer Tugend und Ehre verdammen werden. Er irrt. Die Signoria hat es abgelehnt, zu entscheiden. Die Entscheidung und damit Rettung oder Untergang der Stadt soll allein bei Giovanna bleiben. Guido bezweifelt keinen Augenblick den Entschluß jeines reinen Weibes. Marco erklärt, sie habe sich noch garnicht ent= schieden. Da erscheint Giovanna. Sie soll sogleich verlangt der Gatte dem alten, greisen, in seiner Greisenhaftigkeit feige und närrisch gewordenen Manne die gebührende Antwort geben. „Mein Vater, ich werde heute Abend gehen", so entscheidet schlicht und jest Giovanna. Guido zweifelt an ihrer Liebe. Sie versichert, ihn treu und innig zu lieben — und doch will sie heute Abend gehen nackt, nur in ihren Mantel ge= hüllt, um morgen früh wiederzukehren. Vater, Du kanutest sie besser als ich!" ruft Guido verzweiflungsvoll am Schlusse des ersten Aktes. Giovanna geht, nach ihrer Erklärung, weil man in Pija Hungers stirbt und morgen noch viel schneller sterben würde." Aus weiblichem Mitleid also bringt sie das Opfer ihrer weiblichen Ehre und damit ihrer Persönlichkeit. Mitleid und Opferwilligkeit sind Kardinaltugenden der weiblichen Seele; die unbefleckte Reinheit aber macht das Wesen des Weibes aus. Judem Giovanna durch die Verhältnisse in einen Zwiespalt zwischen Handeln und Sein gedrängt wird, indem ihre weibliche Mensch

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lichkeit und ihre weibliche Persönlichkeit in Konflikt zu einandergesetzt werden, wird sie eine echt tragische Gestalt bestimmt zum Untergang.

Der zweite Akt spielt Nachts in Prinzivallis Zelt. Der florentinische Feldhanptmann ist nicht Florentiner von Geburt, dem Adel der Stadt entsprossen. Er ist dunkler Herkunft, ein Fremdling, ein Abenteurer, der im Kriege sein Glück gemacht hat. Und schon ist der Moment da, in dem er von der Höhe seines Glückes stürzen soll. Trivulzio, ein Florentiner Staatsmann, in dessen genialer Seele der Staatsgedanke übermächtig lebendig ist, hat erkannt, daß der Fremdling und Abenteurer an der Spiße der Heeresmacht schließlich eine Gefahr für den Staatsbestand werden müsse. Darum hat er dafür gesorgt, daß der Florentiner Senat dieser Gefahr vorbeuge. Mag Prinzivalli als Sieger oder Besiegter nach Florenz zurückkehren auf alle Fälle ist ihm der Tod gewiß. Für die Zukunft hat Prinzivalli nichts mehr vom Leben zu erwarten, nur noch für diese Nacht vom Weibe. Zu diesem Manne tritt Nachts ins Zelt Giovanna nackt, nur in ihren Mantel gehüllt. Prinzivalli steht vor ihr, in seligem Anschauen versunken. Er enthüllt sie nicht, er berührt sie nicht. Er redet zu ihr mit zarten Worten. Er erzählt ihr, daß er sie schon seit vielen Jahren gekannt habe, als Kind in Venedig damals war er zwölf, sie acht Jahre. Und nie hat er sie vergessen, immer geliebt. In einer Liebe, die so standhaft ist, wie Eure, liegt etwas Heiliges, das auch die fälteste und tugendhafteste Frau beirren kann" entgegnet ihm Giovanna. Aber doch versichert sie auch: Meine Liebe zu Guido ist minder seltsam, als die, welche Ihr zu empfinden meint, aber gewiß ist sie gleichmäßiger, treuer und beständiger. Es ist die Liebe, die das Schicksal mir bestimmt hat; ich war nicht blind, als ich sie annahm; ich werde keine andere haben; und wenn sie einer bricht, ich werde es nicht sein.“ Schließlich aber fann es doch nicht verborgen bleiben, daß sie Prinzivalli liebt mit einer heiligen, trommen, seligen Liebe, wie er sie. Aber Beider Liebe. bleibt rein. Er berührt die Frau nicht, die Nachts zu ihm ins Zelt ge= treten ist nackt, nur in ihren Mantel gehüllt. Er folgt ihr nach Pija. Er muß ihr folgen, er muß bei dem Feinde vor dem Tode, den ihm die Freunde bereiten, Zuflucht suchen. Denn in jener Nacht noch wird ihm gemeldet, daß schon Häjcher aus Florenz da wären, die ihn fesseln und dem Todesurtheil überliefern sollten.

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In diesem zweiten Akte zeigt sich also, daß Giovanna keine tragische Gestalt ist, die dem Untergang geweiht wäre. Wir haben eine schöne und reine Frau vor uns, die das Unglück gehabt hat, sich über das Wesen ihrer Liebe zu ihrem Gatten zu täuschen, weil sie die wahre Liebe gar nicht kennen gelernt hat und die dann das Glück findet, das Wunder jener wahren und jeligen Liebe doch noch in sich zu erleben. Der Fall kann ja psychologisch wahr sein und poetisch sehr schön gestaltet werden. Aber der tiefe Sinn geht ihm ab. Es ist kein Fall, der zum Wesen und Sinn der Welt gehörte; es ist also kein tragischer und dramatischer Fall. Ja,

es ist sogar dem Sinne nach ein etwas gewöhnlicher Fall, nämlich der bekannte der sogenannten unverstandenen Frau. Vielleicht aber wird der Fall doch noch zu tragischer Höhe gehoben, wenn Giovanna im dritten Akt mit Prinzivalli vor den Gatten tritt.

Dieser dritte Aft wirkt, für sich allein außerhalb des Zusammenhangs betrachtet, außerordentlich und bringt auch eine sehr bedeutsame gedankliche Vertiefung. Dieser Akt enthält wirklich eine Tragödie. Giovanna alio kehrt mit Prinzivalli in die Stadt zurück und wird vom Volke, das ihr Blumen auf den Weg streut, als Retterin aus Todesnoth mit unbeschreiblichem Jubel empfangen. Nur Guido Colonna wendet sich von der vermeintlich Geschändeten ab. Vanna versichert, daß Prinzivalli sie nicht berührt habe. Guido glaubt ihr nicht. Vanna wiederholt die Versicherung immer wieder: „Höre mich an, sag' ich Dir! Ich habe nie gelogen; doch heute sage ich die tiefste Wahrheit, die man nur einmal sagt, die Wahrheit, die tödtet oder lebendig macht. Höre mich an, Guido, und schaue mich auch an in dieser Stunde, wenn Du mich bisher noch nicht gesehen hast; sie ist die erste und die einzige, wo Du mich lieben kannst, wie ich geliebt sein will. Ich spreche jezt im Namen unseres Ehelebens, im Namen alles dessen, was ich bin und was Du mir bist. Sei fähig, das Unglaubliche zu glauben. Dieser Mann hat mich nicht angerührt." Guido vermag nicht, das Unglaubliche zu glauben. Er vermag das nicht für Wahrheit zu halten, denn die Wahrheit „müßte doch ans Menschliche reichen!" Guido ruft alles Volk herbei, das eben noch Giovannas Weg mit Blumen bestreut hatte und fragt, ob Jemand sei, der Giovannas Worten Glauben schenken könne. Nur der alte Marco meldet sich und Niemand sonst. Guido besteht auf seiner „Wahrheit". Er will sie mit Gewalt erzwingen. Er befiehlt, Prinzivalli in den Kerker zu werfen, durch Foltern zum Geständniß zu bringen und zu Tode zu martern. Da eilt Giovanna zu Prinzivallis Rettung herbei. Man hat ihr die Wahrheit nicht geglaubt, so wird man ihr denn die Lüge glauben. Sie erklärt, sie habe gelogen, aus Scham und zur Rache. Wohl habe Prinzivalli sie berührt, mit wilder, efelhafter, gemeiner Liebe. Im Liebesbett habe sie ihn tödten wollen, aber er habe es verhindert und sie um so mehr geschändet. Da habe sie beschlossen, ihn mit List zum Tode zu führen ̧ Sie habe ihm Liebe geheuchelt und er habe ihrer Lüge geglaubt. „Er glaubte meinem Lächeln. Ach, die Männer sind Thoren! Es ist recht und billig, daß sie betrogen werden! Sie beten die Lüge an! Wenn man ihnen das Leben zeigt, so glauben sie, es sei der Tod! Und bietet man ihnen den Tod, so halten sie ihn für das Leben!“ Prinzivalli habe ihrer Lige so sehr geglaubt, daß er ihr nach Pisa gefolgt sei. Aus Scham habe fie Anfangs verleugnen wollen, wie sehr er sie geschändet habe. Sie wollte allein ihre Rechnung mit ihm erledigen, indem sie ihn in tiefster Kertereinsamkeit langjam zu Tode quäle. Auch jezt bitte sie, man möge ihr allein Prinzivalli überlassen, ihr die Schlüssel seines Kerkers geben, sie

wolle seine grausame Kerkermeisterin sein. Die so spricht, die mit solcher Lüge das Menschliche im Weibe um des Geschlechtlichen willen entweiht, der glaubt das Volk und der glaubt der Gemahl. Die vorher, treu ihrer Natur, die reinste und heilige Wahrheit geredet hatte, vermochte keinen Glauben zu finden. Und das nun ist das echt Tragische des Falles, in dem der Wahnsinn der Welt zum Ausdruck kommt, daß in diesem Leben Wahrheit Lüge und Lüge Wahrheit wird; das ist das Gesez des ganz gemeinen Menschlichen, an dem gerade das Hehrste und Heiligste scheitern muß. Es ist ein tragisches Schicksal, das Giovanna erleidet.

Es stimmt aufs Genaueste mit dem Schicksal überein, das Mariamne in Hebbels Drama erleidet. Auch Herodes vermag die wahre Natur seines Weibes nicht zu begreifen. Auch er mißtraut ihrer Reinheit und Wahrhaftigkeit. Auch ihm erscheint sie anders, als sie ist. Auch Mariamne darf ihr wahres und eigentliches Leben nicht leben. Sie lebt also in Wahrheit garnicht, das heißt: sie sezt sich gleich Giovanna ihrem wahren Wesen nach nicht durch. Genau wie Mariamne könnte auch Giovanna flagen:

Das Leben ist

In mir erloschen, ich bin längst nur noch

Ein Mittelding vom Menschen und vom Schatten
Und fass' es kaum, daß ich noch sterben kann.

Am Ende ergiebt sich aber doch ein fundamentaler Unterschied zwischen. dem Werk Hebbels und dem Maeterlincks. Mariamne nämlich muß in den Tod gehen. Giovannas tragisches Mariamne-Schicksal aber nimmt ein glückliches Ende, und somit ist es gar nicht tragisch. Giovanna findet das Glück ihres Lebens durch ihre Vereinigung mit Prinzivalli, dem sie durch List und Lüge das Leben rettet. Und dieser Schluß ist vom Standpunkte alles dessen, was wir bisher als tragisch angesehen haben, ein ungeheuerlicher Schluß. Dieser Schluß nimmt im Sinne der bisherigen Philosophie des Tragischen dem ganzen Stück jede tragische und dramatische Bedeutung. Wir haben hier kein Abbild der Welt mehr, nicht mehr die Deutung eines Lebensgefeßes, sondern nur noch ein in Hinsicht auf poetische Stellen allerdings hoch qualifizirtes Bühnenstück, in dem die nackte Frau im schwarzen Mantel ihre spannende und rührende Rolle spielt und ihren Erfolg erzielt, indem sie zugleich die Sinne und die Seelen der Zuschauer erregt.

Der Maeterlinck-Interpret, Herr von Oppeln-Bronikowski, berichtet im. „Tag" vom 8. Oktober, daß der Dichter ursprünglich einen anderen Schluß geplant hatte. „Vanna stürzte sich, um Prinzivalli zu retten und die Wahrheit ihrer Behauptung zu erhärten, das Treppenhaus hinunter, und als sie sterbend in Guidos Armen lag, glaubte er ihr — zu spät.“ Nun dieser Schluß wäre in der That der logischere Ausgang eines tragisch an= gelegten Dramas gewesen. Die Wahrheit, die im Leben sich nicht durch

zujeßen vermag, wäre durch den Tod lebendig geworden. Und doch wäre auch so das Drama noch keine echte Tragödie gewesen. Gesezt der Fall, Guido hätte seiner Gattin im Leben oder im Tode geglaubt, so sezte damit ein neuer Konflikt zur Entscheidung ein, nämlich der zwischen Liebe und Treue. Entzieht sich Giovanna durch den Tod diesem Konflikt, so löst sie ihn nicht im Sinne des Tragischen, wie ich den Begriff allein gelten lasse. Die Lösung eines tragischen Konfliktes beruht nämlich nicht darauf, daß ein menschliches Einzelschicksal sich subjektiv erfüllt, sondern daß durch den Tod des tragischen Helden das Prinzip einer höheren Lebensführung mit Allgemeingiltigkeit zum Leben erweckt wird. Der tragische Tod muß immer Leben gebären. Der Fall träte beim Tode Giovannas nicht ein. Sie wäre höchstens eine tragische Heldin im gemeinsten und unzureichendsten Sinne des Tragischen, indem sie nämlich eine „Schuld“ die Liebe zu Prinzivalli mit dem Tode büßte. Ich vermag aber diesen Schulmeisterbegriff des Tragischen keinesfalls anzuerkennen.

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So scheint es also, daß ich Maeterlincks neue Dichtung verwerfe. Ja, ich habe sie verworfen, als ich sie im Deutschen Theater" gesehen hatte. Aber ich konnte mich nicht dabei beruhigen, daß ein Maeterlinck ein Drama von so unzureichender innerer Logik und solchem flachen Optimismus in der Gestaltung des Menschenschicksals geschrieben haben sollte. Ich bin von dem Tiefsinn der früheren Dichtungen entzückt gewesen. Ich konnte mich unmöglich zu dem Glauben entschließen, daß der Tiefsinn von „Pelleas und Melisande“ so schnell zu der Flachheit dieser „Monna Vanna“ entartet sei. Und ich erinnerte mich der tiefgreifenden Würdigung, die Arthur Drews dem Dichter-Philosophen in den Jahrbüchern" wiederholt hat zu Theil werden lassen. Es wollte mir verstandesgemäß nicht einleuchten, daß ein Mann wie Maeterlinck so schnell so flach werden könnte. Wer verurtheilt, muß doch nach den Motiven des zu Verurtheilenden forschen. Ich vermochte solche zureichenden Motive nicht zu finden. Und dann endlich und das war das Entscheidende konnte ich mich der Wirkung eines ganz bestimmten Bildes nicht entziehen, von dem wir nur ganz flüchtig hören und das wir nur in unserer Phantasie sehen dürfen. Ein Licht hoch oben auf dem Campanile zu Pisa sollte Prinzivalli das Zeichen geben, daß Giovanna ihren Gang angetreten hat. Und dieses Bild nun ist es: In der Stadt hungern und sterben die Menschen. Das Feld ist mit Leichen und Trümmern bedeckt. Und aus dieser Stadt über dieses Feld geht in der Stille der Nacht einsam die Frau ihren Weg nackt, nur in ihren Mantel gehüllt. Und ihren Weg, gerade nur ihren Weg beleuchtet ein einziges einsames Licht, hoch oben vom Thurm des Campanile — wie ein Stern. Und ich mußte mir vorstellen, wie die Frau geht: ohne Zandern, mit schwebenden Schritten, wie von magischer Gewalt geschoben, mit nachtwandlerischer Sicherheit. Und ich mußte mir weiter vorstellen, wie dieser schwebenden Frau zu Muthe ist. Ich war sest überzeugt: Sie muß unendlich selig sein. Nicht, daß sie glücklich wäre. Ch nein! Ihre

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