ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

geworden. Sein ganzes Wesen ist zusammengefaßt und bietet sich jeden Augenblick in seiner ganzen Schönheit dar. Er läßt in Ehrfurcht Kräfte wirken, denen er sich nur nicht seindlich zu zeigen braucht, um sie zu fördern" u. s. w. (S. 480.) Man merkt: Es liegt etwas Goethisches in diesem Arnold Ansorge oder vielmehr: es soll liegen. Ich finde nämlich, daß er vom Dichter wohl groß angelegt ist, sich aber sehr unbedeutend entwickelt. Er kommt also, um seiner Aufgabe nachzugehen, nach Wien. Hier tritt er nicht etwa gleich als ein Prediger und Agitator auf. Er sezt sich vielmehr als nächste Aufgabe, dieses ganze Gewimmel von Hyperkultur, das sich Großstadtleben und Gesellschaft nennt, zu begreifen und innerlich zu verstehen. Er arbeitet also zunächst an seiner „Bildung". Das mag ganz recht und wohl noch bedeutsam sein. Es wäre wirklich ein interessantes Problem, wie ein in sich sicherer und auf der fruchtbaren Grundlage der Natur ruhender Mensch mit alledem, was wir so in Wien und Berlin Kultur und Gesellschaft nennen, fertig wird. Ansorge aber löst diese seine eigentliche Aufgabe nicht. Er geht in den Finessen des gesellschaftlichen Lebens, ehe er sich dessen versieht, zu Grunde. Auch dieser Untergang könnte von hohem Interesse sein. Denn es ist immer bedeut sam, wenn ein bedeutender Mensch zu Grunde geht. Es ist aber eine höchst kleinliche Manier, wie der junge Ansorge mit seiner Lebensaufgabe zum Scheitern gebracht wird. Wassermann nennt seinen Roman „Der Moloch" und will mit diesem Titel ein Bild und eine Bezeichnung der Großstadt geben. Er müßte doch nun diese Großstadt in der ganzen Fülle ihrer die Sinne und die Seelen bethörenden Lüste zeichnen, er müßte ein Gesammtbild der Großstadt entwerfen, etwa wie Zola die Börje oder das Bergwerf oder die Markthallen schildert. Natürlich wäre Wassermanns Aufgabe unendlich schwieriger, da er tausend Mal mehr Psychologie bieten müßte. Wassermann verjagt in geradezu kläglicher Weise. Repräsentanten des „Molochs" sind bei ihm jüdische Börsenbankerotteure und ein paar dekadente Unter- und Ueberweiber. Uebrigens machen auch die Personen, die nicht Juden sind, einen jüdischen Eindruck, und die schließlich, die keinen jüdischen Eindruck machen, rufen überhaupt keinen Eindruck hervor, sondern sind leblose und konstruirte Puppen. Es muß das nothwendiger Weise konstatirt werden, auch wenn man keineswegs auf dem Standpunkte des „Literarhistorikers“ Adolf Bartels steht, der eine sehr hervorragende Berliner Schriftstellerin, der er für ihre Person den Vorwurf jüdischer Abstammung nicht machen kann, damit beurtheilen und verurtheilen zu können und zu müssen glaubt, daß er feststellt, sie sei eine verehelichte Cohn.

Wassermann sieht mit jüdischen Augen. Ich leite daraus nicht den mindesten Vorwurf her. Ich will damit auch keineswegs sagen, daß solche Leute darum nicht geeignet jeien, einen unter Umständen hervorragenden Play unter den in deutscher Sprache schreibenden Dichtern einzunehmen. Ich meine nur: Das Veste in der Kunst werden sie leisten, wenn sie wirklich das darstellen, was sie sehen, wofür sie den Blick haben, was sie

innerlich miterleben oder miterlebt haben: jüdische Verhältnisse. Es wäre ein Irrthum, daß solche Dichtungen außerhalb jüdischer Kreise ohne Werth wären. Der Werth einer Dichtung ist gar nicht abhängig vom Milieu, sondern von der Seele des Dichters. Und wenn nun ein Dichter eine große Seele besißt und er ist der Abstammung nach Jude und sieht darum die Welt mit jüdischen Augen an, so wird seine große Seele in seiner Dichtung immer zum Vorschein kommen und zur Wirkung gelangen, auch wenn er jüdische Menschen darstellt; daß er aber in vollster Ehrlichkeit die Menschen so darstellt, wie er sie sieht, als Juden nämlich, wird seiner Dichtung als Kunstwerk sogar zu statten kommen, weil es ihr nämlich Anschaulichkeit, Wahrheit und Lebendigkeit verleiht, also ihre sinnenfällige Eindrucksfähigkeit erhöht. Selbstverständlich ist mit diesen im Vorübergehen gemachten Bemerkungen das Thema „Literatur und Judenthum“ nicht im Mindesten erschöpft. Es ist nur die rein künstlerische und ästhetische Seite der Frage berührt: Wie wird ein spezifisch jüdischer Dichter das zureichendste Kunstwerk schaffen?

Statt das zu erkennen, ohne Schen mit aller Ehrlichkeit, gefällt man sich heute an manchen Stellen in einer merkwürdigen Fiktion: Man jezt nämlich das Jüdische in einen Gegensaß nicht etwa zum Germanischen oder Romanischen oder Slavischen, sondern zum Geschichtlichen, im Besonderen zum Staat und seinen geschichtlich gewordenen Institutionen. Und dann identifizirt man das Jüdische mit dem rein Menschlichen, mit dem, was in unseren Tagen mit Recht oder Unrecht, angeblich oder thatsächlich den Kampf gegen eine rohe und zerrüttete Kultur für eine höhere Stufe des Menschen und Kulturdaseins führt. Ja, so kommt man sogar dazu, das Jüdische mit dem Goethischen zu identifiziren: Auf diese Weise ist heute Goethe „Mode“ geworden. Ich beziehe diese Bemerkungen keineswegs mehr auf Wassermann und sein leßtes Werk allein, sondern ich habe eine ganze Gruppe von Erscheinungen im Auge, Erscheinungen, die sich nicht nur auf die Literatur beschränken, sondern auf die Politik übergegriffen haben.

Also Jacob Wassermann, der treffliche Dichter der „Juden von Zirndorf", dem ein so einzigartiges Werk wie die Geschichte der jungen Renate Fuchs" gelungen ist, hat sich in seinem „Moloch" an einen Stoff gemacht, dem er nicht gewachsen ist. Arnold Ansorge ist eine konstruirte Figur, aber feineswegs ein bedeutender Mensch. Den Sterbenden wenigstens will Wassermann noch zur Höhe erheben. In Erkenntniß seiner Verfehlung nämlich tödtet sich Ansorge selber. Von der Bedeutung dieses Todes im Sinne des Verfassers vermag ich mich nicht zu überzeugen. Der Moloch“ ist ein Mißgriff als Ganzes genommen.

"

"

Auch in Einzelheiten ist er feineswegs der Geschichte der jungen Renate Fuchs" gleichzustellen. Die ganze Komposition ist wenig geschlossen, ohne Kraft und Konzentration. Dasselbe gilt vom Stil. Er ist oft affeftirt und manirirt, mit unpassenden Bildern überhäuft. Ich führe zwei Bei

spiele an, auf Seite 361: Hanka legte seine Unterhaltung bewußt auf das Tiefere an wie der Spieler, der eine einzige Saite über eine ganze Melodie mitschwingen läßt." Glaubt Wassermann damit wirklich das, was er sagen will, besonders eindrucksvoll versinnbildlicht zu haben? Viel schlimmer noch ist dieser Vergleich: „Arnold redete mit einer ganz kleinen lleberspannung des Temperaments, etwa wie ein Mezger das richtige Fleischgewicht in scheinbarem Wohlmeinen durch Knochenzulage überbietet.“

Ich verwerfe also diejen Roman und vermag ihm als Kunstwerk keinen besonderen Werth zuzuerkennen. Bemerkenswerth ist er vom zeitpsychologischen Standpunkte aus. Arnold Ansorges Leben und Wandeln ist auf das Triebhafte und Unbewußte gestellt; „er besißt die innere Stimme, die nicht fehlrathen kann“, genau wie Maeterlincks Monna Vanna. Aber noch stärkere Vergleichspunkte bietet er mit Maxim Gorkis Foma Gordjejew nur daß das Werk des Russen in psychologischer wie in künstlerischer Hinsicht ungleich vollendeter ist.

"

"

*

Peter Boies Freite" (Verlag von Hermann Seemann Nachf. in Leipzig, 1903; Mt. 2,50) ist der Schlußband einer Romantrilogie, in der Johannes Schlaf sich die Aufgabe gestellt hat, die Psychologie des menschlichen Typus zu geben, wie er sich mit und aus der literarischen Strömung entwickelt hat, die in den achtziger Jahren ihren Anfang nahm. Liesegang, Falck und endlich Peter Boie sollen die Entwicklungsstadien darstellen, die jener Typus durchlaufen hat. Johannes Schlaf begnügt sich nicht damit, Zeitpsychologie zu treiben, er stellt sein Werk auch auf philosophische Grundlage bezugsweise seyt seine Menschen in ein philosophisches Milieu, umhüllt sie mit philosophischer Atmosphäre: Die Niezsche und Whitman meint er sind unsere Männer“, „wir stehen nicht mehr im Zeichen des Materialismus, sondern des Individualismus und Monismus, und die trockenen Resultate der erakten Wissenschaften haben begonnen, sich uns zu neuen Gefühlswerthen zu wandeln." Ich für meine Person halte weder von Whitman als Dichter noch von diesem jogenannten Monismus, der eigentlich ein naturalistischer Panpsychismus ist, als Philosophie irgend etwas. Ich brauche mich aber dieserhalb keineswegs mit Schlaf auseinanderzusehen. Ich kann nämlich nicht finden, daß der Dichter seine Aufgabe auch nur annähernd löst. Es wird mir immer klarer, daß Schlaf sich, in einem bemerkenswerthen Mißverständniß seiner selbst, in eine zeitpsychologische und philosophische Stellung hinaufposirt, in die er gar nicht gehört. Beinahe möchte ich behaupten, daß Schlaf ein ganz altmodischer oder überhaupt nicht modischer, sondern ganz einfacher Mensch ist, den ein Zeitstrudel gefaßt hat, in dem er nicht zu schwimmen vermag. Schlaf ist ganz entschieden Dichter und Künstler von hervorragender Begabung. Aber seine Begabung liegt in der Betrachtung und Werthung des Kleinen, und ist aufs Engste an ein ganz schlichtes und reines Naturgefühl gebunden. Nun befindet

sich Schlaf in diesem merkwürdigen Verhältniß zur Dekadenz unserer Zeit: Diese Zeit strebt aus Ueberkultur zum Primitiven und zu gesucht neuen Anfängen. Schlaf ist von Natur primitiv und Dorfmensch. In den Zeitstrudel gerathen und der Zeitprobleme sich intellektuell bewußt, bildet er sich ein, ein Hypermoderner zu sein, der er doch von Hause aus ein ganz llnmoderner ist. Er verwechselt seine natürliche Natur mit der gesucht „primitiven“, die von der Dekadenz unserer Tage zur Mode erhoben ist. Nun ist es allerdings sehr leicht möglich, ja es ist so gut wie sicher, daß er in diesem Zwiespalt von Wahn und Wesen wirklich dekadent und daß ihm darum der „moderne Mensch“ zur „zweiten Natur“ geworden ist. Aber seine wahre Natur vermag er doch nirgends zu unterdrücken, wo er künstlerisch und dichterisch wirklich rein wirkt. Man lese einmal Peter Boie" auf diese reine psychologische Analyse hin! Man wird gar nicht verkennen können, wie an dem Roman alles Philosophische und Zeitproblematische nur wesenlose Maskerade ist und wie als Kern eine sehr simple, aber sehr feine und poetische Liebesgeschichte übrig bleibt. Max Lorenz.

"

Geben und Nehmen. Schauspiel in fünf Aufzügen von Martin Langen. Verlag von Albert Langen, München 1902. Ein soziales Drama, das Fabrikherrschaft und Fabrikarbeiterschaft im Kampf zeigt und beider Kampf im Widerstreit erscheinen läßt zu dem. was wichtiger und werthvoller ist als alle Arbeits- und Lebensordnung, zum Leben selbst. Die Arbeiter des Fabrikanten Brüggemann streifen. Von den ihr soziales Interesse vertretenden Parteien hebt sich in doppelter Gestalt das ab, was rein und ewig menschlich ist: Addie mit ihrem Kind und Emilie mit ihrem Kind. Addie ist des Fabrikherrn kürzlich zur Wittwe und zur Mutter gewordene Tochter. Emilie ist das Dienstmädchen, das aus dem Hause gejagt worden ist, als die Frucht ihrer illegitimen Liebe mit dem Kutscher offenbar zu werden begann. Nun fügt es sich, daß Addies Kindchen_todt= frank ist, weil die Mutter nicht nähren kann und eine Amme schwer aufzutreiben ist. Emilie wäre eine vorzügliche Amme, wenn sie es sein wollte, wenn sie die ihr angethane Schmach, aus dem Hause gejagt zu sein, verzeihen könnte. Emilie, eines Fabrikarbeiters Tochter, will den Ammendienst übernehmen, wenn Brüggemann die Forderungen der streikenden Arbeiter bewilligt. So ringen also miteinander Naturrecht bezugsweise Naturpflicht

die Pflicht, ein Menschenleben zu retten mit dem sozialen Recht und der sozialen Ehre. Sie ringen so lange miteinander, bis das kleine Kindesleben ausgeathmet hat. Das kleine Herzchen hat ausgeschlagen", ist das Ende von all dem Menschenstreit.

"

Die Manier, wie Martin Langen die Gegensäge zu einander stellt, hat in der That für den ersten Blick etwas Primitives und Kindliches an sich,

wie Jemand, der mir das Drama zur Lektüre empfahl, bei seiner Empfehlung von vornherein bemerkte. Das Lächeln über dieje Primitivität der Gegenfäße verließ mich aber, als ich den Schlußsaß des Ganzen las: „Das kleine Herzchen hat ausgeschlagen". Dieses Schlußwort sezt alles in eine ganz andere Beleuchtung. Es erhebt mit einem Male ein kleines Wesen zur Hauptperson, um die sich allerdings schon vieles im Stück gedreht hatte, ohne daß wir aber davon berührt worden wären. Und dann mit einem Male als Wirkung des Ganzen: „Das kleine Herzchen hat ausgeschlagen“. Mit diesem ausgeathmeten Leben des kleinen Kindchens greift uns ein großer Jammer, ein tieses Lebensleid ans Herz. In ursprünglichster Primitivität fühlen wir die Heiligkeit des Lebens. Alles andere, was in den fünf Akten vorher gethan und noch mehr geredet ist, empfinden wir als etwas Sinnloses, in dem aber doch ein teuflischer Zweck lauert, der auf einen Mord gerichtet ist.

Langens Fehler ist es, daß er uns in seinen fünf langen Alten das Teufíische, das eigentlich in dem Gehabe und Gethue der Menschen liegt, nicht hat schaudervoll empfinden lassen. Das wäre allerdings sehr schwer gewesen, der Dichter hätte über eine gewaltige suggestive Stimmungskraft gebieten müssen. Denn seine Personen hätten nicht etwa „teuflische“ Reden führen dürfen; im Gegentheil: sie hätten nüchtern und fachlich bleiben müssen, an der Oberfläche schwimmende soziale Charaktere, wie sie es wirklich sind. Nur die Zuhörer hätten aus der Rede noch immer eine zweite Rede hören müssen, so daß sie jeden Augenblick empfinden: es dreht sich viel weniger um Menschenrecht und Menschensaßung, als um ein Menschenleben. Maeterlinck und Ibsen verstehen sich gut auf solchen Doppelsinn der Worte. Der Kardinalfehler des Stückes also ist: Es fehlt ihm seine fünf Akte hindurch die tragische Suggestion. Und diesen Fehler erkläre ich mir so, daß Martin Langen sein Stück weniger aus einem tragischen Weltempfinden der Seele herausgeschaffen, denn als ein ihn interessirendes soziales Problem gearbeitet hat.

Die Vorzüge des Dramas sind: Sachliche und geradlinige Behandlung des Themas, Mangel jeder Effekthascherei, objektive und richtige Darstellung der sozialen Verhältnisse und Charaktere. Gut ist u. A. die Abstufung in der sozialpolitischen Position der drei Brüggemanns. Richtig geschildert ist auch die Arbeiterkonferenz. Als individuell am besten charakterisirt sind die beiden alten Günthers. In deren Charakterisirung steckt gute Beobachtung, die von psychologischem Blick zeugt.

Ich bin entschieden der Ansicht, daß dieses Drama in vielfacher Beziehung werthvoller und der Aufführung würdiger ist, als manches, das uns von den Bühnendirektoren wirklich vorgesezt ist. Es ist zum mindesten eine ernste und verständige Arbeit, die zu interessiren und in sozialpolitischer Hinsicht ein Laienpublikum ganz sicherlich zu erziehen und aufzuklären vermag. Und solchen didaktischen Zweck soll man der Masse des Publikums

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »