ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

nicht einmal das Papier in die Hand giebt, auf das der allerhöchste Befehl geschrieben ist. Da ich in den mir gewordenen Mittheilungen weder ein Verbot für die Zukunft noch einen Vorwurf wegen etwas thatsächlich Vorgefallenem finde, so bin ich also genöthigt, Sie zu bitten, Allerhöchst Seiner Kaiserlichen Majestät von der stattgehabten Verkehrung der Wahrheit Kenntniß zu geben und so den ungerechter und mißverständlicher Weise auf mich herabgezogenen Zorn des Kaisers von mir zu nehmen was mir die Möglichkeit einer ruhigen und festen Arbeit wiedergeben würde, gemäß meinem geleisteten Eide, in Unterwerfung unter die bestehenden Geseze und im Vollbesitz der Rechte, die sie für das Amt eines Adelsmarschalls vorsehen ohne Verwirrung meines Gewissens, sei es durch die Furcht vor unverdienter Ungnade, sei es durch die Nothwendigkeit, mich vor solcher durch Willfährigkeit in dienstlichen Angelegenheiten statt durch Pflichterfüllung zu sichern "

Einen längeren und in viel entschiedenerem Ton gehaltenen Brief richtete der Graf Heyden, Kreis-Adelsmarschall von Opotschka und Präsident der Kaiserlichen Freien Dekonomischen Gesellschaft, an den Minister Plehwe. Desgleichen antwortete M. A. Stachowitsch, der bekannte Adelsmarschall von Orel, dem Gouverneur Kristi (26. September) von vornherein mit der Erklärung, daß er sich „auf das Allerentschiedenste weigere", zu ge= horchen, und legt eingehend dar, daß er dazu nicht verpflichtet sei. Dann fährt er fort:

"

Endlich wird erfahrungsgemäß eine solche Vorschrift eher zu der dem Herrn Minister unangenehmen Anfrage führen, als sie verhindern. Man kann doch im Ernst nicht annehmen, daß ein jolches Cirkular, welches die gesetzlichen Rechte der Adelsmarschälle und ihre Ehre verlegt, deshalb geheim bleibt, weil es heimlich verschickt wird. Es wird bekannt werden, und selbstverständlich wird jeder Adelsmarschall, der auf seine und seines Standes Ehre hält, sich lieber wegen einer illegalen Berathung zur Verantwortung ziehen lassen, als die Vorstellung sich einwurzeln lassen, daß er ein gehorsamer Erfüller ungefeßlicher Forderungen des Ministers ist. nicht ein unabhängiger Vertreter des höchsten Standes. Wir sind nur dem Gesez zum Gehorsam verpflichtet, und außer ihm dem erhabenen Gesetzgeber selbst. Die ehrenvolle Autorität des Amtes der Adelsmarschälle ist, ich wage es Ihnen zu versichern, vor allen Dingen auf diese persönliche Unabhängigkeit desjenigen Mannes begründet, dessen Erwählung durch seine Standesgenossen dafür bürgt, daß er auch das Vertrauen des Monarchen verdient. . .

Ich habe für nöthig gefunden, all dieses deshalb genauer auszuführen, weil es nicht mehr der erste Fall in letzter Zeit ist, daß die Manieren und Verfügungen der Administrativbehörden sich in offenbarem Widerspruch mit dem Geset befinden und vollends nicht damit übereinstimmen, was der Gesetzgeber selbst gejagt hat.

Noch vor Kurzem geruhte der Herr und Kaiser, sich dahin über den

Adel zu äußern, daß dieser ein starkes Bollwerk der Ordnung und sittlichen Kraft für Rußland sei, den Bauern aber zum dritten Mal zu wiederholen, daß Sein Vertrauen auf den Adelsmarschällen beruht und daß Er die Leitung der ländlichen Verhältnisse ihnen übertrage.

"

Nach solchen gnädigen Worten konnte ich umsoweniger die rücksichtslose Verlegung meiner Rechte als Adelsmarschall erwarten und beabsichtige durchaus nicht, den Dienst, den ich nicht um der Furcht, sondern um des Gewissens wegen" thue, zu kompromittiren . . . Das habe ich auf den vollkommen vertraulichen Brief Eurer Exzellenz zu erwidern für meine Pflicht gehalten, und zwar vollkommen nicht vertraulich, vielmehr mit der Bitte, es dem Herrn Minister weiterzugeben, da es diesem einmal beliebt hat, mit mir durch Ihre Vermittlung in Beziehungen zu treten."

Daß in dieser Weije Jemand in Rußland an den Minister des Innern oder einen Gouverneur zu schreiben wagt, ist kaum erhört und erklärt sich überhaupt nur aus der unter den russischen Liberalen weit verbreiteten Ueberzeugung, daß weder der Minister des Juneren, noch sonst überhaupt eine verantwortliche Persönlichkeit in diesen Fragen einen zuverlässigen Rückhalt an der Allerhöchsten Stelle hat. Man weiß, daß der Kaiser, der sich Anfangs mit persön= licher Bestimmtheit auf die Seite der unter seinem Vater Alexander III. mächtigen reaktionären Partei stellen zu wollen schien, in Wirklichkeit in der innerpolitischen Frage so wenig wie in den meisten anderen Dingen ein eigenes Urtheil hat, ja daß es ihm überhaupt an der nöthigen Kenntniß der Verhältnisse mangelt. Es ist z. B. vorgekommen, daß Personen, denen von Seiten des Ministers die allerhöchste Unzufriedenheit mitgetheilt worden war, sich bei gegebener Gelegenheit direkt an den Souverän wandten, wobei sich herausstellte, daß dieser offenbar gar nicht wußte, worum es sich handelte und den Frager an den Minister verwies. Nach einiger Zeit kommt dann von dort der kurze Bescheid, es habe bei der seiner Zeit geschehenen Eröffnung sein Bewenden! Daß Nikolaus II. von dem wahren Zustande seines Reiches ganz unzutreffende Vorstellungen bat, geht auch aus verschiedenen Wendungen hervor, die er bei den Manövern in Kursk den dorthin beschiedenen Vertretern des Adels und der Bauern= schaft gegenüber gebrauchte. So äußerte er z. B. wörtlich folgenden Say: „Der adlige Grundbesitz durchlebt eine schwere Zeit; auch beim bäuerlichen giebt es ungeordnete Verhältnisse." Einen solchen Ausdruck für die Lage des russischen Bauernstandes kann der Kaiser in einer programma=. tischen, für die Oeffentlichkeit bestimmten und der Oeffentlichkeit übergebenen Ansprache nur brauchen, wenn er von der wirklichen Lage der Dinge keine Ahnung hat. Bei diesen ungeordneten Verhältnissen" des Bauernstandes, d. h. bei der Nothwendigkeit, um der zum Zusammenbrechen auf dem Volke lastenden Ueberschuldung willen alljährlich ein Viertel der zur eigenen Ernährung des Volkes nur nothdürftig ausreichenden Ernte ans Ausland zu verkaufen, liegt ja die Wurzel der ganzen, das Mark der Nation auf

"

zehrenden Noth Rußlands! Dies Wort von den ungeordneten Verhältnissen" hat in Rußland Entrüstung und zugleich die schmerzliche Gewißheit hervorgerufen, daß nicht einmal in dieser Grundfrage der gegenwärtigen Zustände der Kaiser über die Wahrheit unterrichtet ist.

Der Mangel einer festen persönlichen Leitung an der höchsten Stelle drückt sich mit besonderer Schärfe in dem Kampf der beiden Minister aus, dessen Ausgang für die nächste Zukunft Rußlands von entscheidender Bedeutung sein wird. Der nach der Ermordung Sipjagins zum Minister des Innern ernannte frühere Staatssekretär für Finland, v. Plehwe, hat in aller Form einen Feldzug gegen den bisher allmächtigen Finanzminister unternommen. Muß es schon auffallen, daß die dem Ministerium des Innern unterstehende Zensurverwaltung Angriffe auf das Wittesche Finanzsystem mit großer Liberalität behandelt, so wird die Lage vollends dadurch deutlich, daß Preßorgane, die Herrn v. Plehwe zur Verfügung stehen. offen einen kritischen, ja einen ironischen Ton gegen den Finanzminister anzuschlagen wagen. Es ist fein Geheimniß mehr, daß Herr von Witte im Begriff ist, eine politische Schwenkung in das Lager eines. wenn auch bedingten Konstitutionalismus zu vollziehen. Er hat es in verschiedenen Unterhaltungen mit den nach Petersburg zitirten Mitgliedern der Moskauer Semstwo-Konferenz direkt ausgesprochen, daß er die Einführung des konstitutionellen Regimes in Rußland lediglich für eine Frage der Zeit" halte, und daß er im Grunde seines Herzens die Prinzipien der Selbstverwaltung", um die sich jezt der Kampf der russischen Liberalen gegen die bureaukratische Regierung dreht, billige. Diese Frage erhält jezt aus Anlaß der Arbeiten der „besonderen Konferenz“ eine aktuelle Zuspihung. Der Finanzminister ist der Vorsizende der Konferenz: er hat das Programm ihrer Arbeiten entworfen und öfters in gelegentlicher Aussprache betont, der Kaiser wünsche die ganze Wahrheit" über den Stand der Dinge im Lande zu erfahren. Nun ist aber Plehwe ausdrücklich zu dem Zweck berufen, mit allen Mitteln das bisherige autokratisch-bureaukratische System aufrechtzuerhalten. Unter diesem Gesichtspunkt muß ihm die von dem Finanzminister den Provinzial- und Kreiskomitees der „bejonderen Konferenz" ertheilte Ermächtigung, bei den Verhandlungen über die Ursachen der Agrarnoth und die Mittel zu ihrer Abhilfe auch „all= gemeine Fragen zu behandeln, höchst gefährlich erscheinen. Da es un möglich ist, den Kreis dieser allgemeinen" Fragen so zu beschränken, daß keinerlei vom Standpunkt des Autokratismus bedenkliches Thema mit zur Verhandlung kommen kann, so wird sich unter Anwendung dieser Formel aus den Vorarbeiten der Provinzialkomitees für die besondere Konferenz" leicht eine Art Plebiszit der in den Semstwos vertretenen russischen Intelligenz gegen das ganze herrschende System entwickeln, denn, wie ic oben ausgeführt habe, ist es schlechterdings unmöglich, die Angehörigen der Semstwos als die einzigen wirklich Sachverständigen in agraren Tingen auch als Einzelpersonen von den Arbeiten der Provinzialkomitees auszu

"

[ocr errors]

schließen. Herr v. Plehwe hat nun, entgegen dem Zirkular des Finanzministers, das die Behandlung allgemeiner Fragen" erlaubt, eine Verfügung erlassen des Inhalts, daß alle Erhebungen und Diskussionen über nicht rein lokale Bedürfnisse und Probleme, d. h. also eben über „allgemeine Fragen", von den Arbeiten der Komitees auszuschließen seien. Unter dem Gesichtspunkt der Aufgabe, die dem Minister des Innern mit seiner Berufung gestellt wurde, ist das nur folgerichtig gehandelt, denn da die Sizungen der Provinzialkomitees öffentlich sind, so kann, sobald es einige Mitglieder wollen, jede Verhandlung mit Leichtigkeit zu einer Debatte über politische Fragen erster Ordnung gemacht werden was natürlich eine Stärkung und Propagirung des liberalen Gedankens in Rußland bedeuten würde, wie sie zweckentsprechender kaum erdacht werden. könnte. Diese widerspruchsvolle Situation kennzeichnet sehr deutlich der nachfolgende Brief des Adelsmarschalls von Sudscha, Jewreinow, an den Finanzminister. Das interessante Schriftstück lautet:

4. August, Station Wileika (bedeutender Bahnknotenpunkt in der Nähe von Wilna), in Erwartung des Zuges.

Ew. hohe Exzellenz, hochgeehrter Sergei Juljewitsch!

Um zu beweisen, daß ich keine leeren Worte gemacht habe, als ich Ew. hohen Exzellenz auseinandersezte, es sei unmöglich, unter den Bedingungen, die das Ministerium des Innern den Lokalkomitees vorschreibt, zu arbeiten, bitte ich um die Erlaubniß, Ihnen einen Ausschnitt aus der Zeitung Russk. Wjed." über die Sizungen des Pensaschen Gouvernements und des Saratowjchen Kreiskomitees zu übersenden. Aus diesem Bericht werden Sie geneigtest ersehen, daß die Gouverneure es nicht gestatten, allgemeine Fragen anzurühren.

"

Zugleich wird uns aber die beklagenswerthe Situation, unter der wir in der Provinz leben müssen, um so klarer. Auf der einen Seite die ein= geschüchterte, zum Schweigen gezwungene Gesellschaft auf der anderen ein zügelloser Haufe von Anarchisten, der sich vor nichts fürchtet, nicht einmal vor dem Galgen und zwischen beiden das Ministerium des Innern, das fruchtlos den Kampf mit dieser Lernäischen Hydra führt. Jene schlimme Gesellschaft fürchten wir friedlichen Landleute nicht weniger, als das Ministerium des Innern. Alle diese Morde, Aufregungen und Strafen gewähren keine Möglichkeit. den Frieden zu erhalten und ruhig zu leben. Und nun – kaum wollten wir, ich und unser Kreis, auf die von der Regierung gestellten Fragen gewissenhaft darüber Antwort geben, was unser Leben und unsere Hauptbeschäftigung, die Landwirthschaft, schädigt, da erheben sich Donner und Bliz gegen diejenigen, die es gewagt haben, die Wahrheit zu sagen!

"

Was ist nun aber in dem Kreiskomitee von Sudscha selber geschehen? Folgendes. Am 14./27. September fand im Saal der Semstwoverwaltung die lezte Sitzung dieses Komitees statt; den Vorsitz führte der Adelsmarschall Jewreinow. zugegen waren 74 Mitglieder, darunter 31 bäuer

"

"

liche Experten; außerdem ein Publikum von etwa 80 Personen. Nach Verlesung der Berichte der vorbereitenden Kommission wurde zum Vortrag der Denkschriften der einzelnen Mitglieder geschritten. W. W. Ussow verlas ein glänzend geschriebenes, umfangreiches Memoire: Ueber die ruinirende Wirkung der Politik des Finanzministeriums". Nach Schluß lebhafte Applaudissements der Mitglieder und des Publikums. Der Steuerinspektor replizirte, das Komitee habe nicht das Recht, die Politik des Finanzministeriums im Allgemeinen zu kritisiren. Die Herren Jewreinow, Fürst Dolgorulow und Ussow bewiesen das Gegentheil. Es folgten u. A. folgende Referate: Ueber den von der Semstwo der Bevölkerung zu leistenden Rechtsbeistand", Reform des bäuerlichen Gerichtswesens". Schädliche Seiten des Branntweinmonopols“, „Wahlrecht der Kirchengemeinden“, „Ueber die Gründe, welche die jeßigen Semstwos daran verhindern, auf die Hebung der ökonomischen Lage des Volks hinzuwirken". Jedes Referat ist durchtränkt mit Anklagen gegen das System der administrativen Vergewaltigung. 11 Uhr Nachts. Der Vorsitzende Jewreinow erklärt, daß er aus von ihm unabhängigen Gründen die Debatten über das lezte Referat, da es die Frage der Selbstverwaltung berühre, nicht zulassen dürfe; ebenso jei er gezwungen, Arbeiten über die Preßfreiheit und das Sektirerwesen nicht zum Vortrag gelangen zu lassen. Fürst Dolgorukow erklärt, unter diesen Umständen verzichte er auf weitere Theilnahme an den Arbeiten des Komitees. Lauter und lang anhaltender Beifall der Komiteemitglieder und des Publikums; Rufe: bravo, bravo! Tas Mitglied Arnoldi erklärt, unter diesen Umständen sei es zwecklos, weiter zu arbeiten (lebhafter Beifall). Mitglied Ljachow: Man hat uns aufgefordert, uns offen über die Bedürfnisse der Landwirthschaft auszusprechen; jezt erlaubt man uns nicht zu reden! Sämmtliche Mitglieder des Komitees, darunter auch die bäuerlichen, geben hintereinander entsprechende Erklärungen ab. Der Vorsigende dankt für die bisher gethane wie er fürchtet, leider vergebliche Arbeit und stellt in Aussicht, sich an den Chef der „besonderen Konferenz" (Witte) wenden zu wollen. Fürst Dolgorukow betont, daß Herrn Jewreinow augenscheinlich keinerlei Vorwürfe träfen. Man kenne seine Ansichten und er schlage vor, ihm den Dank der Anwesenden zu votiren. Lebhafter, lauter langwiederholter Beifall. Schluß der Sitzung und der vorläufigen Arbeiten des Komitees von Sudscha!

Ich glaube, diese Reihe von Mittheilungen wird hinreichen, um eine Vorstellung von der Spannung der gegenwärtigen inneren Lage in Rußland zu geben. Wir sind P. v. Struve zu Dank verpflichtet, daß er uns durch seine Zeitschrift Befreiung" (Oswoboschdenije), nachdem das Fehlen fast jeden zuverlässigen Materials solcher Art jo lange ein Urtheil über die innerrussischen Dinge erschwert, ja unmöglich gemacht hat, jezt fortgesezt eine Fülle ausführlicher und gesichteter Nachrichten unterbreitet.

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »