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THEOLOGICAL LIBRARY
CAMBRIDGE, MASS.

7.12

1885

Blicke in die römische Missionspraxis.')

Die römische Mission macht es gern zu einem Gegenstande des Selbstruhms, daß sie älter ist als die unsrige. Die Thatsache ist richtig und sie gewährt unsern Gegnern ohne Zweifel auch manchen Vorteil; unter andern den, daß sie bereits einen Reichtum an Erfahrungen gesammelt hatten, als wir erst zu lernen anfingen. Aber merkwürdigerweise scheint man bis heute diese jahrhundertlangen Erfahrungen noch niemals in ein wissenschaftliches Missionssystem zusammengefaßt zu haben. Wenigstens ist es mir nicht gelungen, in der ziemlich umfangreichen katholischen Missionsliteratur, die ich durchwandert, Spuren eines solchen Systems zu entdecken. Nicht einmal einzelne missionsmethodische Artikel sind mir zu Gesicht gekommen. Gewiß eristieren detaillierte Instruktionen für die Missionare, aber wie es scheint, werden sie geheim gehalten. Auch in diesem Stück steht es wesentlich anders in der evangelischen Mission. Je länger sie arbeitet, desto mehr hat sie es sich angelegen sein lassen, ihre Erfahrungen zu sammeln, zu sichten, zu festen missionsmethodischen Grundsätzen zu gestalten, kurz zu einer Missionswissenschaft zu gelangen. Und wenn auch bis heute diese Wissenschaft noch nicht ausgebaut ist, so werden doch von Jahr zu Jahr immer mehr Bausteine zu ihr zusammengetragen. Abgesehen von den vielen missionsmethodischen Artikeln in den größeren Missionszeitschriften, den missionswissenschaftlichen Abschnitten der praktischen Theologien und verschiedenen selbständigen missionstheoretischen Arbeiten specieller oder genereller Art, bieten die in den letzten Jahrzehnten immer häufiger gewordenen allgemeinen Konferenzen der Missionsleiter wie der Missionare eine ganz erstaunliche Fülle missionstechnischen

1) Dieser Artikel bildet das 10. Kapitel meiner „Protest. Beleuchtung der römischen Angriffe auf die evang. Heidenmission“, deren zweite (Schluß-) Hälfte so eben erschienen ist. Die Mitteilung eines längeren Abschnittes ist vielleicht die praktischste Selbstanzeige dieses mühsamen Buches, das nicht bloß für die evang. Mission sondern für die protestantische Polemik gegen Nom überhaupt als „ein Zeughaus voll Waffen“ bezeichnet worden ist. Es thut mir fast leid, daß ich aus der ersten Hälfte nicht in ähnlicher Weise das 3. Kapitel: Ein Wort wider Janssen veröffentlicht habe. Die „Protestantische K.-Ztg.“ (Nr. 46 u. 47) hat dieses Kapitel zu einem speziellen Aufsaße: „Warneck wider Janssen“ verarbeitet und in diese Verarbeitung eine ebenso verständnisvolle wie wohlwollende Besprechung der ersten Hälfte meines Buches verflochten. Eine um so objektivere Kritik, als sie nicht durch Parteiinteresse beeinflußt ist. Möchten auch andere kirchliche wie politische Blätter nach dem Vorgange der Prot. K.-3. das Buch verwerten.

Warneck.

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Materials, das nur aus seiner Zerstreuung gesammelt und gesichtet zu werden braucht, um sich zu einer systematischen evangelischen Missionslehre gestalten zu lassen.

Es ist charakteristisch, daß sich die so viel ältere katholische Mission auch in dieser Beziehung von der jüngeren evangelischen überholen läßt. Sie geht ja in ganz bestimmten Bahnen, aber diese Bahnen sind wesentlich die einer traditionellen Praxis, die wenig unter das klärende Licht der wissenschaftlichen Kritik und Methodik gestellt worden zu sein scheint. Allerdings hat die katholische Mission der Gegenwart manchen methodischen Grundsaß der sonst von ihr principiell verurteilten evangelischen Mission adoptiert, z. B. die Pflege der Schule, die Producierung einer einheimischen Literatur, die Heranbildung eingeborner Mitarbeiter u. dgl.; im ganzen aber geht sie die alten besonders von dem gefeierten Xavier gebahnten Wege. So können wir uns denn auch nicht auf die Prüfung eines eigentlichen römischen Missions systems einlassen, wenn wir die Grundsäge, nach denen die römische Mission handelt, kennen lernen wollen, sondern müssen uns damit begnügen, einige Blicke in die traditionelle Praxis zu werfen.

Wir beginnen mit der römischen Taufpraxis. Und zwar zuerst mit der Taufe von Heidenkindern, die angeblich oder wirklich sich in Todesgefahr befinden. Die Rechtfertigung dieser Praxis liegt in dem römischen Sakramentsbegriff, nach welchem die sakramentliche Gnade magisch ex opere operato wirkt. Es liegt auf der Hand, daß es wesentlich ein andres ist, wenn auch wir Kindern christlicher Eltern, die so wie so getauft würden, auf den ausdrücklichen Wunsch der Eltern in Sterbensgefahr die Nottaufe erteilen, als wenn in der römischen Mission zum großen Teil von besonders dazu bestellten und abgerichteten1) Laien (Männern und Frauen) Heidenkinder, die sonst wahrscheinlich ungetauft blieben, mit heimlicher List ohne Wissen ihrer Eltern getauft werden. Zunächst einige statistische Mitteilungen über den ungeheuren Umfang, den diese Praxis genommen hat, und zwar wesentlich aus der neusten Zeit.

Unter den verschiedenen römischen Missionskorporationen liefert die Gesellschaft der auswärtigen Missionen von Paris die regelmäßigste und relativ lückenLoseste Statistik. Nach derselben wurden im Bereiche der von dieser Gesellschaft besetzten Gebiete in Japan, China, Tonkin, Cochinchina, Tibet, Hinterund Vorderindien Heidenkinder (es ist nicht gesagt, ob nur in Todesgefahr) getauft:2)

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1) Jahrb. 1873, VI, 25. Man hat in China förmliche Schulen für TäuferÄrzte" errichtet: Kath. M. 1884, 130.

2) Kath. M. 1877, 132. 1879, 135. 1882, 206.

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also in 6 Jahren: 1447 130.1) Das ist doch eine ganz exorbitante Summe! Und sie umfaßt nur die Gebiete der Pariser Missionen, auf denen 1881: 604 europäische Priester thätig waren! Zum Beweise, daß diese Ziffer aber nicht etwa eine Ausnahme in der römischen Mission bildet, sondern so ziemlich das normale Maß ist noch einige Beispiele, allerdings wesentlich aus den asiatischen Missionsgebieten, auf denen vornehmlich die in Rede stehenden Taufen so massen haft vorzukommen scheinen. Es wurden Heidenkinder getauft im westlichen Tonkin 1869 bis 70: 52935;2) im öftlichen Tonkin 1864: 13 370, und 1865: 36 000;3) im mittleren Tonkin 1864: 35 241 und 1865: „die staunenswerte Zahl von 60 947."4) In China, in den Vikariaten Kiangsi 1871: 4000;5) Kiagnan 1874: 14 913, 1875: 17 372; seit 1848 (bis 1860) über 130 000;6) Peking 1875: 7578;7) Petscheli in 20 Jahren 100 000,8) später durchschnittlich 11-13 000 jährlich; Sutschuen 1839: 12 483; 1840: 15 766; 1841: 17 825; 1842:

1) In denselben Jahren sollen auf denselben Gebieten erwachsene Heiden getauft worden sein: 1876: 13 835

1877: 37 484

1878: 60 496 (das Hungerjahr).

1879: 28 737

1880: 18 369

1881: 18 983

Summa: 177 904. Dazu kommen noch in denselben

Jahren 166 038 Laufen von Christenkindern, so daß also von 1876-81 die Gesamtzahl der katholischen Christen ungerechnet die tausende leben gebliebener getauften Heidenkinder fich um 343 942 vermehrt haben müßte. Nun wird aber der wirkliche Bestand auf den qu. Gebieten in

1876 auf 701 444 und

1881 auf 796 710 angegeben; hiernach hätte die Vermehrung nur 95 266 Seelen betragen. Es bleibt also eine Differenz von 248 676 Seelen. Es ist doch nicht möglich, daß diese alle, d. h. über 30% gestorben sein können! Die römische Statistik hat eben immer ihre Rätsel.

2) Jahrb. 1871, IV, 14. 3) Jahrb. 1866, V, 25. 1867, I, 58: „getauft und gekauft." 4) Ebd. 1866, V, 36. 1867, I, 55.

5) Kath. M. 1873, 19.

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6) Ebd. 1875, 105. 1878, 82. Jahrb. 1867, V, 23. 1876, I, 32. 7) Kath. M. 1876,

83.

8) Ebd. 1878, 154. 1879, 62. Jahrb. 1874, IV, 8.

20 068; 1843: 22 292; 1868: 24 381 und 1875 gar 56 347;1) Kuytscheu 1875: 10 881 und 1876: 6805;2) sogar in dem kleinen Hongkong im Durchschnitt pro Jahr 1500 bis 2000, während die Taufen Erwachsener zwischen 27 und 64 betragen.) In Barma wurden 1862: 1075, in Madura in 22 Jahren 22 000 in Todesgefahr schwebende Heidenkinder getauft.4) Und diese „zahlreichen Taufen von Kindern in Todesgefahr“ werden ausdrücklich als „die besten Früchte“ der römischen Mission bezeichnet. 5)

Wir erinnern uns, daß Marshall behauptet: die Missionsmethode der römischen Missionäre sei bis auf diese Stunde dieselbe wie die des heiligen Paulus (S. 64). „Kath. Schriftsteller übertreiben nichts" versichert uns derselbe Klassiker. Wenn wir nun nicht diese beiden Beteurungen für wir wollen nur sagen: rhetorische Phrasen halten sollen, so bitten wir, uns aus den Schriften des Neuen Testamentes den Beweis zu liefern, daß der heilige Paulus sterbende Heidenkinder getauft und zwar in solchen Massen, heimlich und mit List.

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Abgesehen von der Unmöglichkeit einer biblischen Rechtfertigung dieses Taufmißbrauchs, abgesehen von der Bequemlichkeit: auf diese Art „Christen" oder gar wie die katholischen Quellen sich überschwenglich ausdrücken "Engel" und Fürsprecher im Himmel") zu machen und von den Konsequenzen, die aus dieser Missionsmethode folgen, — so ist nämlich auch die Art und Weise, auf welche diese Taufen zustande kommen, geradezu eine Schmach für die christliche Mission. Man stellt eine große Menge 8) heidenchristlicher und selbst heidnischer) Frauen und Männer an, welche den Beruf haben, meist als Ärzte oder Ärztinnen sich in die Häuser zu schleichen und mit frommer List oder wie die Jahrbücher geradezu sagen: mit „frommem Betrug“ „unvermerkt“,10) ohne daß die Eltern ahnen, was mit ihren Kindern vorgenommen wird, die Taufen zu vollziehen.

1) Venn 42. Jahrb. 1876, II, 58. 2) Ebd. 1878, II, 53.

3) Kath. M. 1881, 18.

5) Jahrb. 1878, IV, 47.

4) Jahrb. 1864, I, 12. Kath. M. 1878, 236.

6) Jahrb. 1867, I, 55. 1872, I, 51 2c.

7) Eigentlich würde nach dieser Methode der Himmel am sichersten „mit Engeln bevölkert", wenn Gott ein großes Sterben über alle heidnischen Kinder kommen ließ und die römischen Missionare und ihre Helfershelfer nichts weiter thäten als diese sterbenden Kinder taufen!

8) „Tausende von Christen und Christinnen“ treiben dies Geschäft. Jahrb. 1867, V, 23. Allein in dem kleinen Vikariate Hongkong waren es zwischen 62 und 90 (Kath. M. 1881, 18). Wiederholt wird besonders diesen taufenden Frauen das höchste Lob gespendet, sie werden bewunderungswürdig" genannt (ebend. 1878, 236) 2c.

9) Kath. M. 1874 Beilage, 3. 1882 Beilage, 12. vgl. Allg. M.-Z. 1882 Beiblatt, 59, wo diese charakteristische Geschichte abgedruckt ist.

10) Abgedruckt in Allg. M.-3. 1876 Beiblatt, 46.

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