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und einmal Geübten allenfalls erklärliche Sitte ganze Nationen zum Aussterben gebracht sind 1). Völker, die sich selbst das Grab graben, weil sie eigensinnig an einem furchtbaren Brauch festhalten!

Bei den Römern wie bei den Germanen stand in alter Zeit das unbedingte Tötungsrecht (jus vitae ac necis) dem Familienvater zu 2). Er durfte unbedenklich sein Kind wie seinen Sklaven töten. Freilich, so weit die geschichtliche Erinnerung zurückreicht, wurde nur selten und nur innerhalb durch die Sitte gezogener Grenzen davon Gebrauch gemacht3) und scheint schon sehr früh in der tatsächlichen Übung auf die Aussetzung neugeborener Kinder beschränkt worden zu sein. Hierbei waren es insbesondere die kleinen Mädchen, denen man von je nicht hold war. Was man in der überwiegenden Zahl brauchte, waren kräftige Arme; wurden statt der erwarteten Söhne Töchter geboren, so gereichte es den armen Wesen oft zum Verderben. So sollte nach der Legende die Mutter des heiligen Ludiger als neugeborenes Kind ertränkt werden, weil ihrem Vater nur Töchter, nicht Söhne geboren wurden 1). So galt der Besitz von Töchtern der alten Vedenzeit Indiens

'PLOSS a. a. O. Bd. II, S. 251 ff. Der afrikanische Räuberstamm der Dschagga tötete die eigenen Kinder, um sich die Mühe des Aufziehens zu ersparen, und nahm die grösseren Kinder der besiegten und vernichteten Stämme als Nachwuchs in sich auf (SCHURTZ, Altersklassen und Männerbünde, S. 62).

2) Wegen der Gallier vergleiche CAESAR, bell. gall. 6, 19. Bei den Griechen und Römern wurde, offenbar als eine Milderung späterer Zeit, das Recht der Aussetzung von der Anhörung der Ältesten oder der nächsten Nachbarn abhängig gemacht (PLUTARCH, LYKURG c. 16; DIONYS VON HALIKARNASS II, 15).

3) LABAND, in Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Bd. 3, S. 145 ff. KONRAD MAURER, die Bekehrung des norwegischen Stammes zum Christentum, Bd. 1, S. 433, Bd. 2, S. 181.

4) GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 458, 459.

als ein »Jammer< '). Und nicht anders war die Anschauung der Griechen), wie der Römer3). Die Aussetzung geschah in der Regel in den Wald (unter einen Baum) oder auf das Wasser in einer Kiste), was auch mit den sagenhaften Überlieferungen anderer Völker (persische Königsgeschichte, Kindheit des MOSES) übereinstimmt.

Ähnliches lässt sich über die ganze Erde nachweisen. Wir hören von ganz denselben Dingen von den alten Arabern aus den Zeiten der »Unwissenheit« (vor Mohammed)"), von den Todas in den blauen Bergen des Dekan), wo einer Übervölkerung durch Massenmord der neugeborenen Mädchen vorgebeugt wurde und erst die englische Regierung dagegen einschritt, und ebenso in verschiedenen Gegenden der indischen Nordwest-Provinzen). Und China ist auch jetzt noch das klassische Land der Kindestötung, obwohl sie auch dort unter Strafe gestellt ist).

1) ZIMMER, altindisches Leben, S. 320.

2) HERMAN BLÜMNER, die griechischen Privataltertümer, S. 282, Anm. 2. 3) MARQUARDT, römische Privataltertümer, 2. Aufl., S. 3, Anm. I. 4) GRIMM a. a. O., S. 459.

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5) WILKEN, Matriarchat bei den alten Arabern, S. 53: » Kindesmord an Mädchen kam bei den alten Arabern mannigfach vor. Man pflegte die Mädchen, sobald sie geboren waren, lebend zu begraben. In Sprichwörtern wird dies als lobenswert bezeichnet. »Das Vorausschicken der Mädchen (in den Tod) gehört zu den edlen Taten«, heisst es, oder auch wohl das (lebendig) Begraben der Töchter gehört zu den edlen Handlungen«. MOHAMMED schritt dagegen ein, wie es in der 17. Sure des Koran heisst: >> Auch tötet eure Kinder nicht aus Sorge vor Verarmung; wir werden sie ernähren und euch selber; traun! ihre Tötung ist ein grosser Frevel, <<

6) Zeitschrift, Bd. 9, S. 14, Bd. 12, S. 462; RITTER, Erdkunde, Bd. IV, 1, S. 1035, MarshALL, A Phrenologist amongst the Todas, S. 193 ff.

7) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 11, S. 171. Wegen der Mädchentötung in Indien üherhaupt RATZEL, Völkerkunde, 2. Aufl, Bd. 2, S. 593.

8) KOHLER ebenda, Bd. 6, S. 379, Anm. 65; HUBERICH, paternal power in Chinese Law, S. 6.

Und fern weg von diesen Völkern, auf einem Kontinent, der von den übrigen durch einen Ozean geschieden ist, bei den Australnegern finden wir, dass der Kindesmord, insbesondere bei Missgestalten und illegitimen Kindern, noch heute erlaubt ist und auch dann zugelassen wird, wenn die Kinderzahl eine bestimmte Höhe übersteigt. Auch hier wird der Säugling mit der im Wochenbett gestorbenen Mutter begraben1). Also das nicht oder nicht mehr erwünschte Kind ist dem Tode verfallen.

Wir sehen erschüttert, wie in TOLSTOI's »Macht der Finsternis<< ein genialer Dichter mit schaudernder Hand den Vorhang zurückschlägt vor einem Bilde des Greuels und Entsetzens, wo das dem Ehebruch entsprossene Kind verscharrt wird, nachdem die abergläubischen Weiber es vor dem Erwürgen mit dem Kreuze des kinderfreundlichen Heilands gesegnet haben was diese Frauen tun, uns Greuel und Schrecknis, ist die tägliche Übung vieler primitiver Völker der Vor- und der Urzeit, ja solcher, die noch heute als unsere Zeitgenossen mit uns leben. Dieselbe Sonne bescheint sie, dieselbe Luft umweht sie, und welch' andere Gedankenwelt!

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Dieselben grausamen Sitten finden wir in Polynesien in ganz allgemeinem Gebrauch 2); auf den Radack-Inseln wird das Drei-Kinder System in der furchtbaren Form geübt, dass keine Mutter mehr als drei Kinder erziehen darf und das vierte und jedes folgende selbst lebendig vergraben muss3). Hiergegen erscheinen die russischen Bauernweiber in dem von der Kultur abgelegenen Dorf, wie TOLSTOI es so packend schildert, noch menschlich; was sagen wir zu einer Mutter, die ihr

1) KOHLER ebenda, Bd. 7, S. 355, Bd. 12, S. 421.

2) Zeitschrift, Bd. 14, S. 436, wegen der Marschall-Insulaner ebenda, Bd. 12, S. 445, wegen Tahiti W. ELLIS, Polynesian Researches, London 1830, Bd. 1, S. 81, 82; 322, 332 ff.

3) KLEMM, Kulturgeschichte, Bd. 4, S. 303.

eigenes Kind auf so entsetzliche Weise mordet! Und auch das ist Pflicht und durch das Alter geheiligte Sitte, und die Frau kann sonst oder vom Standpunkt der Radack-Insulaner auch im übrigen das Muster eines braven Weibes sein.

Und, wie hier, so war es auch bei den Rothautstämmen Nordamerikas1), wo es allerdings bei herumstreifenden Jägervölkern uns nicht Wunder nehmen kann, dass eine zahlreiche Schar kleiner Kinder das Umherziehen von Ort zu Ort behindert, auch die Frau in ihren Obliegenheiten als Arbeitstier des Mannes aufgehalten hätte.

Dieselben Gründe werden in Südamerika obgewaltet haben, WO LUBBOCK) von den Paraguay-Indianern kurzweg berichtet: >> Bei mehreren dieser Stämme war der Kindesmord mehr eine Regel als eine Ausnahme, und da eine Frau nur ein einziges Kind gross zu ziehen pflegte und zu diesem Zweck dasjenige verschonte, welches nach ihrer Vermutung das letzte sein würde, so behielten viele überhaupt keines.<<

Aus Afrika mögen hier die Hottentotten erwähnt werden, bei denen es auch ein Recht der Eltern ist, das neugeborene Kind auszusetzen, wovon bei Zwillingen, Missgestalten und Krüppeln Gebrauch gemacht wird3).

Was nun die Hintertreibung der Geburt angeht, so sind wir gewohnt, an sie als Begleitung der Sittenverderbnis zu denken, wie wir sie zu Zeiten des traurigen Verfalles römischer Art in der Kaiserzeit sehen *). Es berührt sich aber hier das Raffinement der Überkultur mit dem naiven Egoismus und

1) Vergl. die Nachweise bei KOHLER in Zeitschrift, Bd. 12, S. 368 ff. Bei mehreren Indianerstämmen sollen die Mütter ihre Töchter getötet haben, um ihnen ihr eigenes schweres Los zu ersparen (FRIEDRICHS in Zeitschrift, Bd. 10, S. 230), wahrlich ein schreckliches Zeugnis für

das schwere Geschick, das die Frauen in der Urzeit zu tragen hatten!

2) Vorgeschichtliche Zeit, Bd. 2, S. 231.

3) FRITSCH, die Eingeborenen Süd-Afrikas, S. 334.

4) GELLIUS, noctes atticae 12, I, 8.

der brutalen Zweckmässigkeit der Urzeit. Hüben wie drüben das Kind ein unnützes Übel, das nicht sein darf, weil es nicht gewollt ist. So zerstört man ohne Scheu das kommende Leben bei vielen Naturvölkern. Diese uns verbrecherisch erscheinende Sitte ist z. B. bei den Bantuvölkern Ostafrikas weit verbreitet'). In seltsamem Übergang zu späterer Rechtsbildung finden wir sie bei den Amaxosa-Kaffern; auch hier wird sie geübt, nur darf der Häuptling nichts davon wissen erfährt er es, so muss er mit schweren Strafen (Busse von 4 bis 5 Viehstücken) einschreiten und kann es nur gestatten, wenn die Tat zur Vorbeugung der Geburt eines unehelichen Kindes geschieht). Aber nicht nur in Afrika, auch bei Indianern und Polynesiern, ebenso bei den Papuas auf Neu-Guinea finden wir diese grause Sitte vor3).

Hier sehen wir die Mutter über das neue Leben, das sich in ihr regt, verfügen; sie kann es vernichten, wie es ihr ward. Das Kind ist als Teil der Mutter gedacht. Anders naturgemäss zu Zeiten eines entwickelten Vaterrechts. Hier ist der Vater der Herr des Hauses und alles dessen, was innerhalb der vier Wände ihm zuwächst. Ihm gehört die Frucht des Feldes, wie die Frucht des Weibes, und er allein darf daher entscheiden, zum Leben bestimmt ist und in seinem Haushalte heran wachsen darf. So ist bei den alten Germanen, wie bei den Römern der alten Zeit, das Niederlegen des Neugeborenen vor dem Hausherrn ein wichtiger Rechtsakt 4). Das Kind wird durch dieses äusserliche Zeichen der Gewalt des Hausvaters unterworfen; hebt er das Kind auf, so erkennt er es als ein

was

1) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 15, S. 35.

2) REHME ebenda, S. 54.

3) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 7, S. 374, FRIEDRICHS ebenda, Bd. 10, S. 235; wegen der alten Kariben auf den Antillen, PESCHEL, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen, S. 190; wegen Tahiti W. ELLIS, Polynesian Researches, Bd. 1, S. 129.

4) PLOSS, das Kind in Brauch und Sitte, Bd. 2, S. 243.

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