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die uns aus der Antike wohlbekannte, in Wahrheit aber viel weiter verbreitete Schuldknechtschaft zu rechnen. Ganz roh gilt nicht der Wille, sondern die Person, der Mensch selbst als gebunden, und die nichtbezahlte Schuld macht ihn zum Knecht. Am weitesten in geradezu grausamer Ausdehnung dieses Rechts ist man im alten Rom gelangt; wir erkennen hier das alte, starre Bauernvolk, das das Recht des Eigentums konsequent und streng ausgebildet hat, auch darin wieder, dass dies Recht an der Person des Mitbürgers mit einer Schärfe, als ob der Gläubiger Herr und Eigentümer des Schuldners wäre, ausgebildet ist. Der dem Bauern eigene Hass gegen den schlechten Wirt und Bankerottierer kommt hier zu einem in der gesamten Geschichte des Rechts wohl sonst unerhörten Ausbruch. Der Römer durfte seinen Schuldner wie einen Sklaven (servi loco) halten oder ins Ausland (über die Tiber, trans Tiberim) verkaufen, ja ihn totschlagen. Das war aber noch nicht das Äusserste, und unserm heute lebenden Geschlecht klingt es teuflisch, wenn die alten Gesetze der zwölf Tafeln, grausamer als der venezianische Senat in der Shakespeare'schen Dichtung es dem Verlangen des Shylock gegenüber war, ausausdrücklich fortfahren, ein Schnitt zu viel wäre für den Gläubiger kein Verbrechen (si plus minusve secuerint, sine fraude esto)1).

In Athen bestand in alter Zeit die Schuldknechtschaft als Verpfändung der eigenen Person, so dass der Mensch als Pfandstück gedacht wurde (ènì oúμacı daveilev); und war ihre

1) Ich bemerke, dass mir wohl bekannt ist, wie eine neuere Richtung diese Stelle als einen alten Schreibfehler hinstellen will (secanto statt eines älteren unverständlich gewordenen Wortes secunto). Dies trägt aber unsere heutigen Gefühle in die alte Zeit hinein; und bezeichnend genug haben die Alten, die ihre eigene Sprache doch selbst am besten kennen mussten, die Stelle nicht anders als von dem Zerschneiden des Schuldners durch mehrere Gläubiger verstanden. (GELLIUS, noctes Atticae 20, 1, 48 ff.; QUINTILIAN 3, 6, 84; TERTULLIAN, apol. 4.), Wollen wir nur nicht gar zu klug sein!

Beseitigung eine der segensreichsten Reformen Solon's 1). Man nimmt, und nicht ohne Anschein, an, dass Solon auf diese einschneidende Neuerung durch das Vorbild Ägyptens geführt worden ist3); denn hier kannte man die Schuldknechtschaft nicht, und Diodor, durch den wir dies wissen, billigt es mit den trefflichen Worten, dass der Bürger nicht dem Einzelnen, sondern dem Staat gehören dürfe und ihm sonst in der Stunde der Gefahr fehlen würde3). Wie viel Fäden führen in das alte Hellas aus Ägypten und aus dem Orient 4) hinüber, und wie viel hat die Antike und mit ihr auch unsere heutige Kultur dem zu verdanken, dass Hellas den, so weit uns bekannt, ältesten Kulturvölkern räumlich nahe war und dadurch auf den Schultern von Jahrtausenden stand!

Aber nicht nur aus Rom und Athen wissen wir von Einrichtungen der Schuldknechtschaft, sondern leider finden wir sie über einen guten Teil der Erde verbreitet. Man muss sagen, dass das Sondereigentum, sobald es erstarkt war, zunächst erschreckend schroff auftrat, und erst die zunehmende Kultur die Sache auf das richtige Mass zurückführte und der Überspannung gegenüber zur Geltung brachte, dass auch das Eigentum des Einzelnen am Interesse der Gesaintheit seine Schranke hat. Die spätere Schuldhaft war eine bedeutende Abschwächung der alten Schuldknechtschaft; der Staat zog wie ja auch

1) PLUTARCH, Solon, C. 13.

2) KOHLER, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, S. 19. 3) DIODORUS SICULUS I, 79; vergl. BERNHÖFT in Zeitschrift, Bd. 1, S. 14, Bd. 2, S. 292, Bd. 6, S. 286; Derselbe, Staat und Recht der römischen Königszeit, S. 241 ff.

4) Dort bestand die Schuldknechtschaft schon im Recht des alten Babel (Gesetzbuch des HAMMURABI §§ 115, 116), ebenso wie bei den Hebräern (2. Mos. 21, 2 ff.; 3. Mos. 25, 39; 5. Mos. 15, 12; JEREMIAS 34, 14; und wegen der Haftung der Familie des Schuldners 2. Könige 4, 1; JESAIAS 50, 1). Anders im talmudischen Recht, wo nur der Dieb, der den Wert der gestohlenen Sache nicht ersetzen konnte, der Schuldknechtschaft verfiel, (Rappaport in Zeitschrift Bd. 15, S. 183, Anm. 70; Bd. 16, S. 86 ff.)

sonst der allgemeine Entwickelungsgang in so vielen Dingen gewesen ist die Ausübung des Gläubigerrechts an sich und beseitigte dadurch die Auswüchse, die Hass und Wut des um seine Forderung gebrachten Gläubigers leicht mit sich bringen konnte. Ganz besonders bedenklich mussten sich ehedem die Zustände dort gestalten, wo nach dem anfänglichen Prinzip der Gesamthaftung nicht nur der leichtsinnige Schuldner, sondern seine ganze Sippe der Verfolgung des Gläubigers und in ihrer Konsequenz auch der Schuldknechtschaft preisgegeben war1).

Dass bei unsern Altvordern der Mann und sein Bürge für die Schuld mit dem eigenen Leibe als Pfand hafteten, ist allbekannt. Ich habe vorhin schon erwähnt, wie nach TACITUS beim Spiel man sich selbst, wenn alles Andere verloren war, mit eigenem Leib für die Spielschuld zum Pfande setzte und, wenn auch dieser Wurf verlor, verknechtet wurde2). Schon dies weist darauf hin, dass die Anschauung, wonach bei Verfall der Schuld der Schuldner selber zum Knecht wurde, bereits in einer sehr alten Zeit Deutschlands verbreitet gewesen sein muss. Wir haben aber auch andere Zeugnisse dafür, so insbesondere das alte Volksrecht der Bayern (die lex Bajuvariorum), welches für den Fall, dass jemand die verwirkte Busse nicht entrichten kann, seine Verknechtung bestimmt3). Noch im

1) So im Recht der Kands auf Ceylon; vergl. KOHLER, Studien S. 237, und über die Verbreitung der Schuldknechtschaft derselbe, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, S. 14 ff.

2) TACITUS, Germania, C. 24.

3) Lex bajuv. 2, I: componat secundum legem. si vero non habet, ipse se in servitio deprimat et per singulos menses vel annos quantum lucrare quiverit persolvat, cui deliquit, donec universum restituat. Für die Franken vergl. die Formulae MARCULFI 2, 27, 28, in denen sich der Schuldner der Schuldknechtschaft in härtester Gestalt und sogar körperlicher Züchtigung unterwirft: (27): licentiam habeatis, sicut ceteros servientes vestros disciplinam corporalem imponere (28) licentia habeatis, me qualemcunque volueritis disciplinam imponere vel venundare aut quod vobis placuerit de me facere,

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Mittelalter wurden die Schuldner, die nicht zahlten, gestöckt und geblöckt und ihren Gläubigern zu Hand und Halfter überantwortet1). Und der Sachsenspiegel 2) sagt: >>Wer einen Mann vor Gericht um solche Schuld fordert, die er nicht bezahlen und für die er nicht Bürgen setzen kann, dem soll der Richter für das Geld den Mann ausantworten, den soll er halten gleich seinem Ingesinde mit Speise und mit Arbeit. Will er ihn >spannen mit ener Helden«, das mag er tun, anders soll er ihn nicht peinigen. Entlässt er (der Gläubiger) ihn oder entläuft er ihm, so wird er damit des Geldes (der Geldschuld) nicht ledig; so lange er es ihm nicht zahlen und nicht voll bringen kann, so ist er immer sein Pfand für das Geld (so is he immer sin pand vor dat geld)«. Und, was unter dem »spannen mit ener Helden« zu verstehen ist, ergibt das alte Bild zu dieser Stelle des Sachsenspiegels, wo der Schuldknecht, der ein gabelförmiges Werkzeug zum Tagewerk trägt, an den Füssen gefesselt ist. Ähnliche Bestimmungen finden wir im alten schwäbischen Landrecht3) wo statt helde von Eisenpant oder Isenhalt gesprochen wird, und in den Stadtrechten von Lübeck, Magdeburg u. s. w.4).

So also war es im Mittelalter. Aber sogar bis in die neuere Zeit lassen sich in unserem eigenen Lande Spuren derartiger Auffassung verfolgen. Ich meine das sogenannte >>Verserven<< (auf gut deutsch »Verknechten«), das auf deutschen Auswandererschiffen bis zum Jahre 1831 vielfach üblich war nnd für das Überfahrtsgeld geradezu ein Pfandrecht an der Person des Auswanderers begründete, da er sich nicht nur zu Diensten verpflichtete, sondern sogar die Übertragung (Ver

1) GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 614; vergl. auch SIMROCK, Der gute Gerhard und die dankbaren Toten, S. 153 ff.

2) 3, 39, §§ 1, 2.

3) Vergl. Ausgabe von WACKERNAGEL, (1840), S. 230.
4) GRIMM, Rechtsaltertümer a. a. O.

äusserung) dieser Dienste möglich war, sodass man nicht wohl von einem blossen Dienstvertrag sprechen kann 1).

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Aber zurück in die Vorzeit, deren Durchforschung diese Blätter gewidmet sind! Wir finden diese harte Herrschaft des Gläubigers über den Schuldner, die den alten Zeiten des Vertragsrechts eigentümlich ist, auch bei den Galliern. Von ihren sozialen Verhältnissen entwirft uns Cäsar) ein geradezu jammervolles Bild. »Der gemeine Mann ist fast Sklave, von allen zurückgewiesen und von jeder Staatsverhandlung ausgeschlossen. Der grösste Teil begibt sich daher, gedrückt von den Schulden, den vielen Abgaben oder den Misshandlungen der Grossen, in den Dienst des Adels, der daduch über sie alle Rechte erhält, welche sonst Herren über Sklaven haben. << Also auch hier, wie in Athen beim Auftreten des Solon, ist die Schuldknechtschaft zu einer wahren Geissel geworden, die gesunde Verhältnisse nicht aufkommen liess nur dass sich für dieses Land kein Solon fand, und sich die Folgen dieser Zustände durch die Jahrhunderte hindurch geschleppt haben, so dass wir in Taines bändereichen Schilderungen die kurzen Sätze des Cäsar in ihrem wesentlichen Inhalt noch für die Zeit vor der französischen Revolution bestätigt finden. Die Verknechtung des Schuldners treffen wir aber auch in Indien an hier auch in der offenbar auf alte Zeiten zurückgreifenden Anwendung, dass auch der Sohn zur Abdienung herangezogen werden konnte3). Seltsam ist der Druck, den man dort zu Lande auf den Schuldner übte, um ihn zur Zahlung zu nötigen: entweder physisch, indem man ihn in seinem Hause regelrecht belagerte und ihm Wasser und Lebensmittel abschnitt, bis Hunger und Durst zur Befriedigung des Gläubigers zwangen eine Form der Zwangsvollstreckung, die auf kriegerische Leidenschaften und ein hohes Alter ihres

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1) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 8, S. 80 ff.

2) bell. gall. 6, 13.

3) So im Dekan; Zeitschrift, Bd. 8, S. 120 ff.

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