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Bis

II. Buch

Eltern und Kinder

is jetzt haben wir die Reihenfolge der Eheverfassungen auf den verschiedenen Stufen der Menschheit an uns vorüberziehen lassen wenige Blätter und eine Spanne unendlicher Zeiträume von der Periode ab, in welcher Menschen sich zu einer Gemeinschaft zusammenfanden und das Rechtsbedürfnis entstand, bis zu unserer heutigen Hochkultur, die uns als Gipfelpunkt aller bisherigen Entwickelung erscheint! Hierbei liess sich die Stellung der Gatten zu einander nicht loslösen von ihrer Stellung zu den gemeinschaftlichen Kindern; ja, das grössere oder geringere Recht des Mannes oder der Frau ihrer Nachkommenschaft gegenüber ist für den Charakter der Eheverfassungen von. solcher Bedeutung, dass wir vorhin von Mutter und Vaterrecht sprechen mussten. Auf diese Weise ist dem gegenwärtigen Buch vorstehend so vieles vor. weggenommen, dass es auf den ersten Blick als ein Nachtrag zu dem vorhergegangenen betrachtet werden könnte. Und jedenfalls wird es sich nicht vermeiden lassen, einzelne Punkte, die schon ausgiebig erörtert sind, nochmals in Erinnerung zu rufen. Denn was dort vom Standpunkt der Eltern aus behandelt wurde, erscheint auch hier, vom Standpunkt der Kinder aus, von Wichtigkeit. Und es liess sich nicht anders machen: wie bei der Knospe die Blätter noch alle sich dicht an und

in einander schliessen und ein gewaltsames Auseinanderreissen alles zerstören würde, so ist bei den Urzuständen des Rechts eine systematische Sonderung, wie auf späteren Stufen, nicht durchführbar. Denn hier ist alles im Keimen und Werden, und das Einzelne noch fest, wie in der Knospe, umschlossen. Das stete Ausgehen vom Frührot der Menschheit, das den Hauptreiz dieser Betrachtungen ausmacht, begründet auch ihre Schwierigkeit.

Man war in den alten Zeiten nichts weniger als sentimental. Ob man das Kind am Leben liess und wie man es behandelte, war in der Hauptsache eine Frage, deren Beantwortung davon abhing, ob es den Eltern oder dem Stamme willkommen war. Stämmen, die sich bereits auf der vorgeschrittenen Kulturstufe des Ackerbaues befanden oder in Kriegszügen den Bestand ihrer Erwachsenen dezimiert sahen, konnte der Zuwachs von Kindern genehm sein. Aber häufig waren Kinder kein Segen. Just wie der bayrische Bauer noch heute betet: »Schick uns Kühe, schick uns Rinder, schick uns doch nicht zu viele Kinder!« und wie PUFFENDORF1) vom Standpunkt der Zweckmässigkeit aus nicht mit Unrecht sagt: >Wie wenige würden nach Kindern trachten, die oft Leid, immer Sorgen und Mühen bringen!« Und der von ihm gemachte Zusatz: >>Wenn nicht über unsere Vernunft die Neigung der Natur dahin zöge«, gilt für uns, aber nicht für alle vergangenen Zeiten. Denn die Zärtlichkeit, mit der wir in unsern Kindern unsere verjüngte Zukunft, unsere Hoffnung über das Grab hinaus sehen und ihnen die Lebensbahn nach Möglichkeit glatter zu gestalten suchen, als sie uns selbst geworden ist entspricht keineswegs dem Gefühl ursprünglicher

Völker.

1) Jus naturae ac gentium 6, 1, 3. Quotusquisque enim liberis operam daret, qui saepe materiam dolendi, semper curarum et laborum praebent, ni super rationem etiam naturalis inclinatio eodem traheret.

In der Urzeit, auf der primitivsten Stufe, stand zweifellos den Eltern ein unumschränktes Verfügungsrecht über Leben und Tod der kleinen Kinder zu. Man betrachtete ganz naiv das Kind als Frucht und Eigentum der Eltern und fand in Kindestötung wie in Abtreibung des keimenden Wesens nichts Sündliches, ja Ungehöriges. Man ging soweit, den Kindesmord da zur Sitte zu erheben, wo die Sorge für die Ernährung der Kinder sich geltend machte oder die Arbeitskraft der Frau, die während des Stillens ihren Beschäftigungen entzogen wäre, unentbehrlich erschien. Der Schutz der Neugeborenen und gar des werdenden Lebewesens ist erst das Produkt späterer und verfeinerter Kulturperioden. Man Man muss auch zugeben, dass eine Übervölkerung bei den Nomadenzügen jener ältesten Kulturperiode zu unmöglichen Konsequenzen hätte führen müssen und daher um jeden Preis zu vermeiden war; uns erscheint dieser Preis freilich als ein Greuel, jene alten Zeiten fassen es als eine naturgemässe Notwendigkeit auf. Sie setzten sich mit eiserner Härte über die Bedenken hinweg, die uns die ersten Gesetze der Menschheit zu gebieten scheinen.

So kann man wie ungeheuerlich es erscheinen mag ruhig sagen, dass der Kindesmord, namentlich an Mädchen1), 1) So kommt in den indischen Sagen regelmässig neben mehreren Brüdern eine einzige Schwester vor. (BERNHÖFT in Zeitschrift, Bd. 9, S. 6). Wegen Roms vergleiche DIONYS VON HALIKARNASS II. 15 (ROMULUS habe das Gebot erlassen, alle Söhne und von den Töchtern die erstgeborenen aufzuziehen; dies würde voraussetzen, dass früher mitunter nicht einmal die erstgeborenen verschont waren, und dass später die jüngeren getötet werden konnten). Wegen der slavischen Völker MACIEJOWSKI, slavische Rechtsgeschichte Bd. 2, S. 224; wegen des Kaukasus DARESTE, Lois et coutumes du Caucase im Journal des savants 1893, S. 88. Vergleiche O. SCHRADER, Sprachvergleichung und Urgeschichte, S. 564. Wegen Athen PLOSS: Das Kind in Brauch und Sitte, Bd. 2, S. 176. Auf den Neu-Hebriden ist der Mädchenmord verbreitet; die Neugeborenen werden lebendig begraben (JUNG, Weltteil Australien, Bd. 3, S. 30). In gleicher Weise verfuhr man vor Annahme der christlichen Lehre auf Tahiti (W. ELLIS, Polynesian Researches, 1830, Bd. 1, S. 340).

eine Rechtseinrichtung der ältesten Völker war. So tötete man gewohnheitsmässig den Säugling, dessen Mutter gestorben war, wenn keine andere Frau zum Stillen bereit und künst liche Ernährung nicht vorhanden ist (bei Australiern, Eskimos, Indianern Nord- und Süd-Amerikas, Hottentotten und Negern 1): dies ist im Grunde nichts anderes, als ein Gnadenstoss, der dem armen, sonst zum Verhungern bestimmten Geschöpf versetzt wird. Ähnlich bei der Geburt von Zwillingen, wenn hier auch abergläubische Gründe häufig mit oder allein wirken 3).

Ebenso schlachtet man die Kinder, als die dem Stamm am wenigsten nützlichen, in Zeiten der Hungersnot3), und soll es sogar vorgekommen sein, dass Kinder von ihren Eltern verzehrt wurden).

Dies Alles kann durch die Not, die alle menschliche Rücksicht und Liebe vernichtende Gewalt schrecklicher Hungerperioden hervorgerufen gedacht werden. Aber dann kommt das Entsetzlichste, dass alles ursprünglich in den Bedürfnissen des Lebens Wurzelnde zur Schablone werden kann, erstarrt und bleibt, weil es war; so sehen wir mit Entsetzen, das durch nichts gemildert werden kann, die systematische Kindestötung bei manchen Völkern (Eskimos, Kamtschadalen, Mexikanern, Papuas u. s. w.) zu einem Gebot erhoben, dem sich jeder, auch wenn kein zwingender Anlass zum Umbringen des kleinen Wesens vorliegt, fügen muss, weil es die Rechtssitte so vorschreibt. Ja, es ist vorgekommen, dass durch diese unsinnige, nur durch den Hang des Menschen am Gewesenen

1) Vergleiche die Nachweise bei FRIEDRICHS in Zeitschrift, Bd. 10, S. 222.

2) Auch die Zwillingstötung ist ein weitverbreiteter Brauch; SO in Kamtschatka, Indochina, Nord- und Südamerika, bei den Malaien, Hottentotten, Negervölkern; vergleiche FRIEDRICHS а. a. O. S. 223, 224.

3) Z. B. bei den Australiern, Eskimos, Kaliforniern, Buschmännern ; FRIEDRICHS a. a. O. S. 224.

4) So bei den alten Wenden, SCHWEBEL, Geschichte der Stadt Berlin, 1888, Bd. 1, S. 26.

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