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Affekte sich gruppierenden Erregungen und Leidenschaften, die mit ihren vielfach krassen, oft bis zum Selbstmord führenden Folgen uns inmitten unserer Vollkultur wieder einen Sieg der rohen Natur enthüllen. Das Gebiet des willkürlichen psychischen Lebens erscheint uns, wenn wir unseren gegenwärtigen Zustand unter dem Gesichtspunkte der Entwicklungsgeschichte betrachten, gleichsam als ein spät aufgesetzter Oberstock, während wir in der tierischen Natur jener elementaren psychischen Funktionen noch ein Erbe früherer Zeiten zu tragen haben, das wir nur zu gern abschütteln würden. Es ist die Tatsache der Kontinuität und die Zweischneidigkeit dieser Tatsache, die sich uns auch hier wieder auf das lebhafteste aufdrängt; so wohltätig, wie wir früher schon betont haben, und unentbehrlich für alles geschichtliche Leben auch der Zusammenhang der Generationen ist, so hemmend wirkt er doch im Sinne einer radikalen Abstreifung der Vergangenheit, indem er die Erlebnisse und Erwerbungen früherer Geschlechter bis in die fernste Zeit nachwirken läßt.“

Ueber die Beschaffenheit jenes primitiven Sexuallebens, in dem die Prostitution wurzelt, dessen letzten Ueberrest sie darstellt, gibt die Urgeschichte des Menschen nur spärliche Aufschlüsse, das meiste Wissen darüber verdanken wir der vergleichenden Völkerkunde, deren Objekt sowohl die Kultur- als auch die Naturvölker sind.

Insbesondere liefert uns, als ein Teil der Ethnologie, die vergleichende Sitten- und und Rechtsgeschichte) das wichtigste Material für die Beurteilung der primitiven Sexualverhältnisse, indem sie auch in neueren Einrichtungen, Bräuchen und Sitten die Ueberreste primitiver Zustände und ihre Kontinuität im Laufe der Jahrtausende nachweist. Diese wiederum ermöglicht Rückschlüsse auf prähistorische Verhältnisse und Anknüpfung an die wenigen sicheren Tatsachen, die bis jetzt für das Sexualleben der Urzeit festgestellt wurden. So läßt sich ein lückenloser Zusammenhang der Erscheinungen primitiver Sexualität von der prähistorischen Zeit bis zur Gegenwart nachweisen.

Die Frage nach dem Zustande der geschlechtlichen Verhältnisse in der Urzeit hat schon die alten Dichter beschäftigt, und es ist auch für unser Thema nicht ohne Interesse, diese poetischen Phantasien kennen zu lernen. So ent

2) Vgl. die beiden vorzüglichen, in einem Hefte vereinigten Abhandlungen von Albrecht Dieterich, Ueber Wesen und Ziele der Volkskunde, und Hermann Usener, Ueber vergleichende Sitten- und Rechtsgeschichte. Leipzig 1902.

wirft der römische Dichter Lucretius (98 bis ca. 54 v. Chr.) im fünften Buche seines berühmten Lehrgedichtes ,,Von der Natur der Dinge" (Vers 911-994) eine malerische Schilderung des noch kulturlosen Urmenschen, der umherschweifend wie die Tiere die von der Natur dargebotene Nahrung sucht, in Höhlen wohnt, noch ohne Kleidung und Feuer sein Dasein fristet:

Auf das gemeinsame Wohi ward keine Sorge gerichtet;
Sitten kannten sie nicht, auch nicht den Gebrauch der Gesetze.
Was der Zufall jeglichem gab, das nahm er zum Raub hin,
Jeder nach seinem Trieb nur besorgt für Leben und Wohlsein.
Venus fügte zusammen der Liebenden Leiber in Wäldern;
Teils ergab sich das Weib aus gegenseitiger Neigung (cupido)
Oder durch Mannesgewalt und übermäßige Wellust (libido)
Oder auch um ein Geschenk von Eicheln, Birnen und Beeren.

Wir sehen, daß der Dichter schon in den frühesten Anfängen des Menschengeschlechtes neben der rein physischen Liebe zwischen den Geschlechtern, der Libido, auch bereits eine Art von seelischer Zuneigung (cupido) annimmt, und endlich auch die ersten Andeutungen der Prostitution, der käuflichen Liebe, schon in die Urzeit verlegt.

Nach Horaz gab es im Anfange noch keine Ehe3), sondern, ,,wenn nach wilder Tiere Art

Erhitzte Brunst sich wiehernd auf die erste,

Die beste Sie, die in den Wurf kam, sprengte",

so fand ein heftiger Kampf um den Geschlechtsgenuß statt, bei dem der Stärkste siegte und die anderen tötete. (Satirae I, 3 Vers 107-110 nach der Uebersetzung von Wieland.)

Beide Dichter nehmen also einen primitiven Zustand des Geschlechtslebens, entsprechend den primitiven Anfängen der Menschheit, an und lassen daraus erst im Verlaufe der Kulturentwicklung vollkommenere Zustände und ein eheliches Zusammenleben hervorgehen. Zweifellos haben sie sich damit mehr der Wahrheit genähert, als der dritte römische Dichter, der hierüber sich vernehmen läßt, als Juvenal. Dieser glaubt an einen Zustand paradiesischer Unschuld und Keuschheit, friedlichen ehelichen Zusammenlebens, das erst in späterer Zeit durch

3) So muß der Ausdruck,,incerta Venus" (Buch I, Satire 3, Vers 109) aufgefaßt werden. Vgl. Q. Horatius Flaccus, Satiren erklärt von Hermann Schütz, Berlin 1881. S. 43.

die Kultur entartet sei. Zu Anfang seiner diese geschlechtliche Entartung schildernden berühmten sechsten Satire beschreibt er uns das Sexualleben der Vorzeit folgendermaßen:

Daß auf Erden geweilt die Keuschheit unter Saturnus,

Glaub' ich, und daß man sie lange gesehn, als die frostige Höhle
Enge Behausung bot, und Herd und häuslichen Schutzgott,
Vieh und Gebieter zugleich umschloß in dem nämlichen Schatten,
Als ihr waldiges Bett die gebirgsbewohnende Gattin

Aus Baumblättern und Schilf und dem Fell nachbarlichen Wildes
Bereitete, Cynthia), dir nicht ähnlich sehend, auch dir nicht,
Welcher des Sperlings Tod getrübt die strahlenden Aeuglein,
Sondern die Brüste zum Trunk für kräftige Säuglinge tragend,
Und viel rauher noch oft, als ihr Eicheln rülpsender Gatte3).

Der Dichter schildert dann das allmähliche Schwinden der Keuschheit und die Entwicklung geschlechtlicher Korruption in der späteren Zeit. Er ist also im Gegensatze zu den beiden anderen der typische Vertreter der,,guten alten Zeit" und der Entartungstheorie, deren völlige Haltlosigkeit durch die Ergebnisse der neueren Forschungen erwiesen ist. 6) Darnach werden wir die Schilderung des Lucrez und des Horaz für mehr den realen Verhältnissen entsprechend halten als diejenige des Juvenal. Man darf sich aber nicht verhehlen, daß auch sie nur reine Phantasiebilder entworfen haben, für die der stringente Beweis fehlt. Das gilt auch für manche modernen Schilderungen des primitiven Sexuallebens. So ist z. B. offenbar Paul Lacroix (Pierre Dufour) teilweise von Lucretius beeinflußt, wenn er von der ältesten Zeit des Menschen sagt:

,,Im Zustande der einfachen Natürlichkeit, als die Menschen erst begannen, sich gegenseitig aufzusuchen und sich zu vereinigen, war die willkürliche Vermischung der Geschlechter die unvermeidliche Folge ihrer ungebildeten Roheit, die noch keine anderen Vorschriften kannte als die des Instinktes. Das tiefe Dunkel, in dem die menschliche Seele noch herumtappte, verhüllte ihr die einfache Kenntnis von

4) Cynthia war die Geliebte des Dichters Propertius, die über den Tod ihres Sperlings klagende ist Lesbia, die Geliebte des Dichters Catullus.

5) Des Decimus Junius Juvenalis Satiren. Uebers. von Alexander Berg. Stuttgart 1863. S. 121-122 (Satire VI, Vers 1-10). 6) Vgl. darüber mein Werk Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur modernen Kultur". 7.-9. Aufl. (41.-60. Tausend). Berlin 1909. S. 507-514.

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Gut und Böse"). Doch konnte schon da die Prostitution bestehen. Das Weib willigte ohne Zweifel ein, sich dem Verlangen des Mannes zu überlassen, selbst wenn sie seine Glut nicht teilte, um ein Stück Wildpret, das er getötet, oder einen Fisch, den er gefangen hatte, von ihm zu erhalten; für eine schimmernde Muschel, für eine leuchtende Vogelfeder, für einen glänzenden Stein bewilligte sie ohne Reiz und ohne Verlangen einem wilden Ungetüm die Rechte der Liebe. Diese wilde Prostitution ist, wie man sieht, älter als jede Religion und jedes Gesetz, und dennoch gab in diesen Urzeiten der Kindheit der Völker das Weib keinem Zwange nach, sondern nur ihrem freien Willen, ihrer eigenen Wahl und ihrer Habsuchts)."

Diese Schilderung bezieht sich auf die noch isoliert wohnenden Urmenschen. Für die Bildung von sozialen Verbänden und Gruppen stellte wohl mit am frühesten Burda ch) die Theorie einer geschlechtlichen Promiskuität oder wie er es nennt „Pantogamie" auf. Ihm folgte J. J. Bachofen, der in seinem berühmten Werke über das ,,Mutterrecht" auf der tiefsten Stufe des menschlichen Daseins eine völlig freie Geschlechtermischung und öffentliche Begattung annahm.,,Gleich dem Tiere befriedigt er den Trieb der Natur, ohne dauernde Verbindung mit einem bestimmten Weibe und vor Aller Augen." 10)

Hierbei knüpfte Bachofen schon an geschichtlich überlieferte Zustände an, an Mitteilungen von Herodot und Strabo über die Massageten und andere in geschlechtlicher Promiskuität lebende oder sonstigen Formen eines freien Geschlechtsverkehrs huldigende Stämme. Er betrat damit den einzig gangbaren Weg, um die primitiven Verhältnisse des Geschlechtslebens durch die Tatsachen der Ethnologie aufzuhellen und durch eine retrospektive Betrachtung zu erschließen, für die uns seitdem die vergleichende Geschichts- und Völkerkunde so viel Material ge

7) Diese sexuelle Amoral der Urzeit hat auch Gerhart Hauptmann in der jedem sich preisgebenden Gersuind in ,,Kaiser Karls Geisel" geschildert, die er sagen läßt:

Ich bin ein Kind von eurer Eva nicht
Und eurem Adam; meine Urureltern

Aßen von eurem Sündenapfel nicht!

Drum weiß ich also nicht, was Gut und Böse.

8) Pierre Dufour (= Paul Lacroix), Geschichte der Prostitution. Groß-Lichterfelde. Bd. I, Teil I, S. VII-VIII.

9) Karl Friedrich Burdach, Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft, Leipzig 1826, Bd. I, S. 360.

10) J. J. Bachofen, Das Mutterrecht, Stuttgart 1861, S. 10.

liefert hat, daß es uns heute schon einigermaßen möglich ist, dieses für die eigentliche Urgeschichte, die Prähistorie, zu verwerten und eine Kontinuität in der Entwicklung nachzuweisen.

Auch für das Geschlechtsleben gilt das Gesetz der Entwicklung. So groß wie der Unterschied zwischen dem modernen Kulturmenschen und dem Menschen der Diluvialzeit ist, so sehr ist auch seine Sexualität verschieden von der jenigen des Neandertalmenschen oder gar des Pithecanthropus erectus.

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der Mensch in seinen ersten Anfängen, von denen wir nichts wissen, noch ganz als einheitliches Triebwesen handelte, und daß bei ihm der Geschlechtsinstinkt noch keinerlei Differenzierung, keinerlei Trennung von Körperlichem und Geistigem erkennen ließ. Es war eine rein tierische,,Brunst", die die Geschlechter vereinigte, und als solche an eine ,,Brunstzeit" gebunden, die noch durch keinerlei geistigen Einfluß modifiziert wurde. An der der tatsächlichen Existenz dieser periodischen Brunstzeiten beim Urmenschen kann um so weniger gezweifelt werden, als sie noch heute bei primitiven Völkern, wie den Australiern, die nach allgemeiner Anschauung dem Urmenschen am nächsten stehen, deutlich nachweisbar sind.11)

Da der Mensch zu den Herdentieren gehört 12), so ist es ziemlich sicher, daß auch jene periodische Brunst sich innerhalb von Horden und Rudeln betätigt hat. Da noch jede individuelle, seelische Beziehung fehlte, so liegt gar kein Grund vor, an der tatsächlichen Existenz einer geschlechtlichen Promis. kuität zu zweifeln, die man sich allerdings nicht so vorzustellen hat, daß eine gleichzeitige wilde Vermischung stattfand, sondern daß eine Gemeinsamkeit des geschlechtlichen Be

11) Vgl. Otto Schoetensack, Die Bedeutung Australiens für die Heranbildung des Menschen. In: Zeitschrift für Ethnologie Bd. 33, Berlin 1901, S. 142; Friedrich von Hellwald. Die menschliche Familie, Leipzig 1889, S. 134; Iwan Bloch, Das Sexualleben unserer Zeit, S. 29-30.

12) Vgl. darüber Eduard Meyer, Ueber die Anfänge des Staates und sein Verhältnis zu den Geschlechtsverbänden und zum Volkstum. In: Sitzungsberichte der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften, Philosoph. -histor. Klasse vom 6. Juni 1907, XXVII, S. 508–538.

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