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über jeden Zweifel erhabene Unabhängigkeit und Selbständig-
keit der Sexualwissenschaft zu fördern. Schon in der Vorrede
zum,,Sexualleben unserer Zeit" habe ich die Ueberzeugung
ausgesprochen, daß eine rein medizinische (geschweige denn
psychiatrische) Auffassung des Geschlechtslebens, obgleich sie
immer der Kern der Sexualwissenschaft bilden wird, nicht
ausreicht, um den vielseitigen Beziehungen des Sexuellen zu
allen Gebieten des menschlichen Lebens gerecht zu werden.
Diese Beziehungen als Ganzes machen den Inhalt der beson-
deren,,Sexualwissenschaft" aus, deren Aufgabe es ist, sowohl
die physiologischen als auch die sozialen und kulturgeschicht-
lichen Beziehungen der Geschlechter zu erforschen und durch
das Studium des Natur- und Kulturmenschen gewissermaßen
die sexuellen Elementargedanken der Menschheit auf-
zufinden, die übereinstimmenden biologisch-sozialen Erschei-
nungen der Sexualität bei allen Völkern und zu allen Zeiten,
den festen Grund für das Gebäude der neuen Wissenschaft..
Einzig und allein diese anthropologische Betrachtungs-
weise (im weitesten Sinne des Wortes) liefert uns für die
Sexualwissenschaft an der Hand von Massenbeobachtungen, für
die das Material nicht groß genug sein kann und immer noch
neu hinzuströmt, solche wissenschaftlich verwertbaren Grund-
lagen, daß sie denselben Anspruch auf Exaktheit und Objek-
tivität erheben können wie die rein naturwissenschaftliche
Einzelbeobachtung.

Es war für mich, der ich seit dem Jahre 1902, seit dem
Erscheinen meiner zuerst bewußt und systematisch die
anthropologisch-ethnologische Betrachtungsweise des Sexualtriebes
und der sogenannten „,Psychopathia sexualis" durchführenden
,,Beiträge zur Aetiologie der Psychopathia sexualis", ununter-
brochen an der anthropologischen Grundlegung der Sexualwissen-
schaft arbeite, eine freudige Ueberraschung, vor kurzem bei
keinem Geringeren als Wilhelm von Humboldt die ähnliche
Konzeption einer umfassenden Wissenschaft des Sexu-
ellen zu finden.

Im Jahre 1908 ist im siebenten Bande der von der Königlich
Preußischen Akademie herausgegebenen gesammelten Schriften
Wilhelm von Humboldts (S. 653-655) zum ersten Male
das Fragment einer Geschichte der Abhängigkeit im Menschen-
geschlechte" veröffentlicht worden, dessen beide ersten, auf eine

ältere Konzeption (aus den Jahren 1791-1795) zurückgehenden Kapitel den sehr interessanten Entwurf eines Systems der Sexualreform darstellen. Es erfüllt uns mit Bewunderung, daß hier bereits die sexuelle Frage als ein integrierender Bestandteil des großen Problems der Menschheitsentwicklung aufgefaßt wird, und mit noch größerer, daß sie mit tiefer Einsicht in den Mittelpunkt dieser Entwicklung gestellt wird. Der Freund Schillers und Goethes, dessen das Reale und Ideale gleichmäßig umfassender Geist uns erst durch die neue Akademieausgabe seiner Werke so recht offenbart worden ist, der das Bild des geistigen Kosmos in sich trug wie sein großer Bruder Alexander das des irdischen, wollte in einer Reihe von Einzeluntersuchungen die sexuelle Frage bis in ihre feinsten Verzweigungen verfolgen. Aus dem genannten Entwurf ersehen wir, daß er die Prostitution, die Ehe, den Geschlechtstrieb, die sexuellen Perversionen, die körperlichen und geistigen Eigentümlichkeiten der Geschlechter in einzelnen Kapiteln behandeln und aus der Betrachtung der geschichtlichen Phasen der sexuellen Abhängigkeit die Idee der sexuellen Freiheit genetisch entwickeln wollte. Auch er hatte schon ganz richtig erkannt, daß die Prostitutionsfrage das Zentralproblem der Sexualwissenschaft darstellt, daß man daher von ihr ausgehen müsse, um das Wesen der Sexualität und ihre so vielseitigen Beziehungen zur menschlichen Kultur zu erleuchten und zu verstehen. Daher plante er, wie wir aus einem um 1798 oder 1799 geschriebenen Briefe der Karoline von Wolzogen an Karoline von Humboldt ersehen, zunächst eine große Geschichte der Hurerei").

Die Konzeption dieser für jene Zeit wahrhaft bewunderungswürdigen Gedanken fällt in die Jahre 1791 bis 1795, also in die Jugendzeit Humboldts, das Ende des 18. Jahrhunderts, das ja namentlich in Frankreich die Idee einer Verbesserung und Reform der menschlichen Zustände auf allen Gebieten so eifrig ventilierte. Der Entwurf seines Systems der Sexualreform kam nicht zur Ausführung, nachdem die als Bruchstücke des geplanten Werkes 1795 in Schillers Horen

1) Vgl. Werke Bd. VII, S. 655, und hierzu auch Gustav von Stryk, Wilhelm von Humboldts Aesthetik als Versuch einer Neubegründung der Sozialwissenschaft. Berlin 1911, S. 16-16.

veröffentlichten Abhandlungen über den Geschlechtsunterschied3) und über die männliche und weibliche Form3) nur geringes Verständnis gefunden hatten. So sehr wir dies bedauern müssen, um so mehr, als die Behandlung einer solchen Frage damals gewiß noch größere Vorurteilslosigkeit erforderte als heute, so dürfen wir uns nicht verhehlen, daß die Zeit für ein solches Unternehmen noch nicht gekommen war. Die Kulturgeschichte sowohl als auch die allgemeine Naturwissenschaft bewegten sich noch ganz in aprioristischen Konstruktionen, die Völkerkunde war noch in ihren ersten allerbescheidensten Anfängen, kurz, es fehlte alles zu einer objektiven Grundlegung der Sexualwissenschaft und der auf diese gegründeten Sexualreform. Es bedurfte noch eines vollen Jahrhunderts exakter naturwissenschaftlicher Forschung, der Einführung ähnlicher exakter Methoden in die sogenannten Geistes- und historischen Wissenschaften, der Anhäufung eines ungeheuren Tatsachenmaterials auf dem Gebiet der Völkerkunde und der vergleichenden Sittenund Rechtsgeschichte, um den Versuch auf einer gesicherteren Basis zu erneuern.

Diese sichere Basis der Sexualwissenschaft als reiner Wissenschaft liefert allein die anthropologisch-ethnologische Betrachtungsweise, deren Ueberlegenheit über die medizinisch-klinische Methode ich zuerst 1902 und 1903 in meinen Beiträgen" erwiesen habe, wo ich die überall wiederkehrenden, dem Genus Homo als solchem eigentümlichen Grundzüge und Grundphänomene der Vita sexualis zu ermitteln versucht habe, wo ich zuerst (wie später noch nachdrücklicher in meinem ,,Sexualleben") die sogenannte Entartungstheorie widerlegte und lange vor Sigmund Freud den Begriff der sexuellen Aequivalente" aufgestellt und ihre ungeheure Bedeutung für das Menschen- und Kulturleben nachgewiesen habe1). In weiterer Ausführung dieser Gedanken

2) Ueber den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die organische Natur." Neudruck in der Akademieausgabe, Berlin 1903, Bd. I, S. 311-334.

3),,Ueber die männliche und weibliche Form." Ebendort, Seite

335-369.

4) Freud selbst hat schon in seiner ersten sexualspychologischen Schrift Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" (Wien 1905, S. 80) mich ausdrücklich als den Begründer der anthropologischen Theorie der Sexualwissenschaft bezeichnet. Ebenso sagt der Freudianer

habe ich dann 1906 in meinem ,,Sexualleben" als Erster auf die innige Verknüpfung der menschlichen Arbeit mit der Sexualität hingewiesen und im Schlußkapitel jenes Werkes nachdrücklich betont, welche ungeheure Bedeutung gerade die Arbeit für die zukünftige Entwicklung der modernen Liebe haben. wird3).

Dieses sind die wesentlichen Grundgedanken und Forschungsprinzipien, auf denen sich auch das von mir unter Mitwirkung hervorragender Autoren herausgegebene „Handbuch der gesamten Sexualwissenschaft in Einzeldarstellungen" in durchaus einheitlicher Weise aufbauen wird. Diesem großen Handbuch liegt die Lösung der Aufgabe ob, die uns in dem natürlichen Entwicklungsgange unserer jungen Wissenschaft nunmehr erwächst: die völlige Neubearbeitung und allseitig erschöpfende kritische Durchdringung und Aufhellung der wesentlichsten Einzelfragen der Sexualwissenschaft auf der Grundlage der, Natur und Kultur gleichmäßig umfassenden, anthropologisch - ethnologischen

Methode. Ein

Wilhelm Stekel (,,Nervöse Angstzustände und ihre Behandlung“, Berlin-Wien 1908, S. 311): „Iwan Blochs Forschungen haben den exakten Nachweis geliefert, daß diese Perversionen nicht das Produkt der Degeneration sind, sondern daß sie sich bei Naturvölkern finden und sogar viel häufiger als bei den angeblich raffinierten dekadenten Menschen, die, der normalen Genüsse müde, nach neuen Sensationen lechzen“. Ich muß hierauf hinweisen, weil sich neuerdings das Bestreben zeigt, Freud als Urheber der anthropologischen Auffassung in den Vordergrund zu schieben, während doch seine sexuelle „Psychoanalyse" nur eine spezielle Anwendung und eine trotz des übertriebenen Symbolismus zweifellos bedeutsame praktische Verwertung meiner anthropologischen Methode darstellt.

5) Vgl. auch meinen Vortrag:,,Ist die Prostitution ein notwendiges Uebel?" auf der II. Generalversammlung des Deutschen Bundes für Mutterschutz, 16. April 1909 (Neue Generation 1909, Seite 179-190, 224-236), sowie meinen Vortrag: „Die sexuelle Frage im Altertum und ihre Bedeutung für die Gegenwart" auf dem Internationalen Kongreß für Mutterschutz- und Sexualreform, 29. September 1911 (Neue Generation 1912, S. 21-29, 87-99). Ich lege auch hier wieder auf die Angabe der Daten (1906, 1909, 1911) Wert, weil im Anfang des Jahres 1912 ein Autor unter völligem Verschweigen meiner Priorität die Idee der Verknüpfung der Sexualität mit der Arbeit als eine völlig neue, von ihm erst jetzt entdeckte verkündet hat!

solches Werk kann nur allmählich sich gestalten, nur durch organisches Wachstum eine wirkliche Vollendung erreichen. Denn nur diejenigen können zur Mitarbeit an diesem Unternehmen berufen werden, die ,,Autoritäten" der Wirklichkeit und nicht bloß dem Titel und der Reklame nach sind, die das von ihnen zu bearbeitende Problem aus vieljähriger Beschäftigung und Erfahrung bis in seine kleinsten Einzelheiten. kennen. und die last not least gleich mir von der absoluten Superiorität der anthropologischen Forschungsmethode überzeugt sind. Deshalb ist es mir eine besondere Freude, bereits zwei Männer für die Mitarbeit an dem Handbuch gewonnen zu haben, die nicht nur durch persönliche Freundschaft mir verbunden sind, was immerhin eine nicht geringe Gewähr für ein einheitliches und harmonisches Zusammenarbeiten ist, sondern die auch im wesentlichen meine Grundanschauungen über die bei der Grundlegung der Sexual wissenschaft zu befolgenden Richtlinien und Forschungsmethoden teilen. Nach Erscheinen der beiden. ersten Bände dieses Handbuchs, die die Prostitution, dieses Zentralproblem der ganzen Sexualwissenschaft, behandeln. wird Herr Dr. Magnus Hirschfeld als dritten Band die,,Homosexualität des Mannes und des Weibes" in einer umfassenden Monographie kritisch bearbeiten und diese merkwürdige Erscheinung in biologischer, psychologischer, pathologischer und juristischer Beziehung erschöpfend darstellen und ihre Bedeutung für Kultur und Rasse eingehend würdigen. Dr. Hirschfeld ist der unbestritten erste Kenner der Homǝsexualität, über die er während mehrerer Dezennien eine geradezu gewaltige, über die ganze Welt sich erstreckende Erfahrung gesammelt hat. Das ihm zur Verfügung stehende Material über diese Frage hat an Umfang und Vielseitigkeit nicht seinesgleichen. Der verdiente Herausgeber des Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen", der Entdecker der beinahe unglaublichen, aber doch wirklich existierenden Gruppe der ,,Transvestiten“, der ausgezeichnete Lehrer, dessen persönlicher Belehrung so viele Aerzte des In- und Auslandes ihre Kenntnis des Wesens und der Erscheinung der Homosexualität verdanken, war der wissenschaftlichen Welt längst ein ein umfassendes und grundlegendes Werk über diese Frage schuldig, das zu schreiben er vor allen anderen berufen ist. Im vierten und fünften Bande dieses Handbuchs wird Herr Ferdi

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