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XV. Kapitel.

Die religiöse Literatur Babyloniens.

In dem Pantheon einer Religion lernen wir zunächst nur ihre Aussenseite während der verschiedenen Stadien ihrer Entwickelung kennen. Wollen wir in ihren inneren Kern eindringen, ihr Wesen und Wirken würdigen, so gilt es, der religiösen Gedankenwelt nachzugehen, wie sie in der nationalen Literatur zum Ausdrucke kommt. Der Anfang der babylonischen Literatur nun ist in Dunkel gehüllt. Wir sahen zwar, dass wir ihn noch vor die Zeit Hammurabis setzen dürfen, aber die Frage, wann und wie sich literarische Bestrebungen zuerst in Babylonien betätigt haben, wird wohl noch für lange, wenn nicht gar für immer unbeantwortet bleiben müssen. Die grossen politischen und religiösen Zentren Babyloniens, wie Ur, Erech, Sippar, Agade, Eridu, Nippur, vielleicht auch Schirpurla, sowie später Babylon sind die Brennpunkte der literarischen Tätigkeit gewesen, ebenso wie von ihnen auch der Handel seinen Ausgang genommen hat. Diese enge Verbindung von Religion und Literatur hat ihren Stempel sämtlichen Zweigen der babylonischen Literatur aufgedrückt, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben.

In gewissem Sinne ist die gesamte Literatur Babyloniens religiös. Selbst die juridischen Formeln in den Geschäftsurkunden zeigen einen religiösen Anstrich. Da die Schreiber zugleich Priester waren, so war jeder Vertrag zwischen zwei oder mehreren Parteien eine religiöse Übereinkunft. Der den Vertrag schliessende Eid bedingte eine Anrufung der Götter. Die Entscheidung der Richter in einem Streitfalle ward durch einen Appell an die Götter bekräftigt. Die Ausdrücke, durch welche sich die Parteien verpflichteten, bestanden grossenteils aus religiösen Formeln, und endlich enthielt auch das Datum der Täfelchen oftmals

einen Hinweis auf ein religiöses Fest oder sonst ein Ereignis religiöser Art, wie z. B. die Erbauung eines Heiligtums. So lange es eine Wissenschaft in Babylonien gegeben hat, hat diese niemals das Band gelöst, das sie mit den bestehenden religiösen Anschauungen verknüpfte. Die Beobachtung der Sterne betrieb man, weil man an einen Einfluss der Himmelskörper auf das Geschick der Menschen glaubte; aber so erstaunlich auch die Höhe ist, welche die astronomischen Berechnungen und Messungen erreicht haben, die Mathematik hat sich doch nie über das Niveau der Astrologie erhoben.

Ebenso fiel die Medizin in den Bereich der Priester. Krankheit galt als eine göttliche Strafe, die entweder ein direkt im Körper hausender verderblicher Geist oder doch der geheime Einfluss eines solchen hervorgerufen hatte. Die Heilung bewirkte man vermittelst Beschwörung des Plagegeistes unter symbolischen Handlungen durch vorgeschriebene Formeln, denen man magische Kräfte beimass. Es gibt in der Tat keinen Zweig des menschlichen Wissens, der bei allen Völkern des Altertums derartig dauernd im Zusammenhange mit der Religion geblieben ist, als die Medizin, die doch nach unseren heutigen Anschauungen einzig und allein auf rein materialistischem Grunde fusst. Infolgedessen haben die Babylonier medizinische Heilmittel niemals ohne Gebet an die Götter in Anwendung gebracht, wennschon sie in ärztlicher Behandlungsweise und besonders in der Diagnose manche Fortschritte gemacht haben. Von dem Hersagen der Formeln glaubte man, es stelle durch deren magische Kraft erst die Wirkung der medizinischen Tränke sicher, die man dem Leidenden eingab.

Was die historischen Texte anlangt, so haben wir in den vorhergehenden Abschnitten gezeigt, wie sie voller religiöser Anspielungen stecken, und wie man in ihnen allenthalben den Einfluss ihrer Verfasser, der Priester, spürt. Fast alle Vorkommnisse erscheinen in einer religiösen Färbung. Dass diese Texte uns für unsere Zwecke ein so reiches und wertvolles Material liefern, erklärt sich eben dadurch, dass auch die historische Literatur Sache der religiösen Führer und Häupter des Volkes war, die im Auftrage von Herrschern schrieben, welche ihre Abhängigkeit von den Göttern des Landes auf das Stärkste betonten, weil sie in ihnen die Hauptstützen ihrer eigenen Autorität erblickten.

Bei diesem Charakter der babylonischen Literatur ist es nicht immer leicht, eine scharfe Scheidelinie zwischen religiösen und mehr weltlichen Werken zu ziehen. So ist beispielsweise das babylonische Tierkreissystem, das wir noch später zu besprechen haben werden, trotz seines scheinbar wissenschaftlichen Aussehens in Wirklichkeit ein Ergebnis religiöser Spekulation. Und so muss man auch sonst weltliche Vorstellungen heranziehen, um religiöse Dogmen richtig zu verstehen. Wie die Dinge liegen, können wir die religiöse Literatur der Babylonier im engeren Sinne in fünf Klassen einteilen:

1. Die Zaubertexte und Rituale;

2. Die Hymnen und Gebete;

3. Omina und Vorzeichen;

4. Die Kosmologie;

5. Epen, Mythen und Legenden.

Augenscheinlich dienten die ersten drei Abteilungen vorwiegend praktischen Zwecken, während die beiden letzten mehr literarischen Charakters sind. Die Zaubertexte, die Hymnen, Gebete, Omina und Vorzeichen verfasste man, als man ihrer bedurfte, und man begreift auch, wie man bereits in früher Zeit darauf kam, sie niederzuschreiben. Da die Beschwörungsformeln dem bereits erwähnten praktischen Zwecke dienten, Geister zu bannen, so ist es erklärlich, dass solche, die sich als wirksam erwiesen hatten, populär wurden, und dass man den Wunsch hegte, sie späteren Geschlechtern zu erhalten. Es wurde üblich, sie in bestimmten Heiligtümern zu hinterlegen, wo sich dann ein festes Zeremoniell an sie anknüpfte. Man fixierte die Beschwörungen schriftlich, damit eine Priestergeneration sicher sein konnte, sie der anderen in orthodoxer Fassung zu hinterlassen. Einmal niedergeschrieben, gehörten sie dann zu dem Bestande der Tempelarchive und fanden in diesen neben den Geschäftsurkunden Aufnahme, für welche die Heiligtümer des Landes ebenfalls als Depositorien dienten. Die grosse Menge der Zaubertexte, die man in Aschurbanapals Bibliothek aufgefunden hat1), erklärt sich mit all ihren Abweichungen und Verschiedenheiten unter einander wahrscheinlich dadurch, dass die in die Bibliotheken des Südens ausgesandten Schreiber des Königs ihr Material an verschiedenen Quellen gesammelt haben. Als sicherstehend darf man annehmen, dass sich jeder grosse Tempel im Laufe der Zeit sein eigenes Ritual ausgebildet hat, das zwar nicht wesentlich von dem an anderen Orten üblichen abwich, aber doch im einzelnen charakteristische Eigenheiten aufwies. Bei einigen der erhaltenen Texte vermag man an gewissen Besonderheiten noch das religiöse Zentrum zu erkennen, aus dem sie herstammen. Mit grösserer Sicherheit lässt sich dies bei den Hymnen und Gebeten entscheiden. Da diese an bestimmte Gottheiten gerichtet sind, so darf man annehmen, dass sie für die Tempel dieser Gottheiten bestimmt waren und dass sie entweder zum Gebrauche der Frommen oder zu Ehren bestimmter Heiligtümer aufgezeichnet wurden, in denen sich Bildsäulen der in ihnen gefeierten Götter befanden.

Ferner finden sich in die historischen Inschriften der assyrischen wie neubabylonischen Periode Gebete eingestreut, bei denen uns gewöhnlich ausdrücklich der Anlass ihrer Abfassung und der Ort, wo sie gebräuchlich waren, mitgeteilt wird. Wir dürfen danach annehmen, dass diejenigen Gebete, welche als selbständige Texte auf uns gekommen sind,

1) Vgl. oben S. 5 ff.

ihre Abfassung ebenfalls zunächst praktischen Zwecken verdanken und also nicht nur für bestimmte Anlässe, sondern auch für bestimmte Örtlichkeiten niedergeschrieben sind.

Die praktische Verwendung der Omina und Vorzeichen bei Planetenund Sternbeobachtungen, bei menschlichen wie tierischen Missgeburten, bei wunderbaren Ereignissen, Unglücksfällen u. dgl. liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erklärung. Wenn demnach für die Entstehung der Zaubertexte, Hymnen, Gebete und Omina das grösste Gewicht auf das praktische Bedürfnis zu legen ist, so darf man doch andrerseits diesen Gesichtspunkt nicht zu sehr urgieren. War das Ritual der verschiedenen Tempel endgültig festgelegt, so war doch damit dem Bedürfnis nach literarischer Betätigung in einem Zeitalter hoher geistiger Bestrebungen keine endgültige Schranke gesetzt. An die Stelle des praktischen Bedürfnisses trat die reine Freude am Schriftstellern. Ernste und begabte Priester musste ihre Anhänglichkeit an bestimmte Heiligtümer oder Städte zu weiteren Leistungen anspornen. Solche Texte wird es also sicher gegeben haben, obwohl wir sie unter den uns erhaltenen Beschwörungen und Hymnen nicht mit Sicherheit nachweisen können. Diese Hypothese empfiehlt sich auch auf Grund der Texte, welche kosmologische Anschauungen widerspiegeln, also der Mythen und Legenden, aus denen die zweite Hälfte der religiösen Schriften Babyloniens besteht.

Theorien über die Entstehung des Weltalls finden sich schon in den ältesten Epochen der Entwicklung menschlicher Kultur. Es wird kaum ein Volk geben, mag seine Kulturstufe auch noch so primitiv sein, das nicht Neugier genug besessen hätte, um einer Lösung der sich tagtäglich vor seinen Augen abspielenden Geheimnisse nachzuspüren. Zu einem Systeme aber werden solche Spekulationen erst entwickelt, wenn unter einem Volke eine Reihe denkender Köpfe ersteht, welche die phantastischen, populären Auffassungen in logischen Zusammenhang zu bringen oder ihnen wenigstens eine sinnvolle, einigermassen vernünftige Deutung unterzulegen vermögen. Dieser Vorgang, der in Babylonien schliesslich ein ganzes Schöpfungssystem hervorgebracht hat, braucht geraume Zeit. Die intellektuellen Strömungen verschiedener Zeiten werden dabei ihren Einfluss geltend machen; und je mehr die Anschauungen sich allmählich abklären und sich zu einem umfassenden Systeme zusammenordnen, um so deutlicher werden sie die Gedankenarbeit der verschiedenen Generationen widerspiegeln, die sich an ihrer endgültigen Formulierung beteiligt haben. Schliesslich legt man dann diese Mythen und Spekulationen in schriftlicher Form nieder, und zwar geschieht dies einmal, um ihnen eine grössere Dauer zu sichern, andererseits, um die Lehrsätze der Schulen fester zu begründen und damit gewissermassen die Grundlage für weiteres theologisches und philosophisches Denken zu legen.

Bei einer Untersuchung über die kosmologischen Theorien der Babylonier, wie wir sie in der Literatur finden, müssen wir also streng

zwischen den uralten Schöpfungen volkstümlicher Phantasie und den augenscheinlich in den Schulen ausgearbeiteten Lehren unterscheiden. Ferner müssen wir bis zu einem gewissen Grade den Inhalt und die Form dieser Spekulationen auseinander halten. Wir werden später noch sehen, wie sich in den Anschauungen der Babylonier über den Ursprung der Dinge ein gewisser Bruchteil geschichtlicher Überlieferung, wenn auch in etwas getrübter Form, erhalten hat. Handelte es sich doch für die Babylonier bei der Ergründung der Uranfänge nicht nur um die Entstehung der Götter, Menschen, Tiere und Pflanzen, sondern gleichzeitig um die der Städte und Kultur im allgemeinen. Noch stärker tritt der geschichtliche Sinn in den Epen und Legenden hervor, die hier, wie bei anderen Völkern, mit der Zeit an Umfang zunahmen und noch Veränderungen erlitten, als sie schon längst schriftlich aufgezeichnet waren. Die grossen Helden der Vergangenheit entschwinden dem Gedächtnisse eines Volkes ebenso wenig, wie die Erinnerung an grosse Ereignisse je völlig aufhört. Je mehr die Überlieferungen der Vergangenheit verblassen, um so leichter vermengen sie sich mit populären Mythen von Naturereignissen. Der volkstümliche Grundstock dieser Legenden durchläuft, ehe er sich in literarischer Form abklärt, dieselben Zwischenstufen, die wir bei den kosmologischen Ideen kennen gelernt haben. Nur ist der Vorgang hier mehr literarisch als bei der Systematisierung der herrschenden Anschauungen über den Ursprung und die Ordnung der Dinge, da die dogmatisierende Tendenz hier wegfällt. Der Hauptbeweggrund für eine Sammlung der Geschichten beliebter Helden, sowie tiberhaupt der Überlieferungen und Sagen der Vergangenheit mochte für die Literaten - vielleicht neben dem blossen Vergnügen an der Niederschrift an sich der Wunsch sein, sie künftigen Geschlechtern zu erhalten. Dazu konnte in zweiter Linie noch die pädagogische Absicht kommen, das Material zum Studium der heiligen und weltlichen Wissenschaften zu vermehren.

Freilich dienten gelehrte Studien in Babylonien stets vorwiegend praktischen Zwecken. Es handelte sich darum, junge Männer für den Schreiberdienst oder den priesterlichen Beruf vorzubilden, sie dazu anzuleiten, rechtliche Urkunden aufzusetzen, die Bewegungen der Sterne zu beobachten, die Zeichen der Natur zu deuten oder dergleichen. Aber nachdem so das geistige Interesse einmal angeregt war, musste sich dann auch die Freude am Wissen als solchem einstellen, oder doch wenigstens eine Neigung für literarische Tätigkeit entstehen, selbst wenn diese nicht unmittelbar praktischen Zwecken diente.

So etwa kann man sich die verschiedenen Zweige der religiösen Literatur in Babylonien entstanden denken. Ehe wir uns jedoch zu eingehender Behandlung der einzelnen wenden, müssen wir noch hervorheben, wie verhältnismässig gering der Anteil Assyriens dabei gewesen ist. Die

1) Siehe Kapitel XXI.

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