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Daß es zu einem derartigen Kampfe früher oder später kommen mußte, ist für denjenigen, der die ihm vorangegangenen Zustände mit Aufmerksamkeit und Unbefangenheit beobachtet hat, schon seit lange außer Zweifel gewesen. Haben sich doch schon seit einer be= trächtlichen Reihe von Jahren zwei einander widerstreitende und gleich extreme Richtungen einander gegenüber gestanden und sich gerade durch ihren extremen Charakter unter den dafür nur allzu empfänglichen großen Massen eine solche Geltung zu verschaffen gewußt, daß sie, nach dem Umfang ihrer Verbreitung betrachtet, geradezu die Bedeutung dominirender Zeitrichtungen besaßen.

Auf der einen Seite schwor man auf die Materie und sinnliche Wahrnehmung, und von einem daneben bestehenden Höheren und Uebersinnlichen wollte man schlechterdings nichts mehr wissen. Nur was sich mit Augen sehen, mit Händen greifen läßt, erklärte man für wahr, wirklich existirend und beachtenswerth. Selbst die Annahme eines zur Materie in ebenbürtigem Verhältniß stehenden Geistes und einer nicht bloß ihrerseits vom Leibe abhängigen, sondern auch auf den Leib einwirkenden Seele galt für abgeschmackt und abgethan. Im Denken und Erkennen sah man nichts als eine rein mechanische, chemische oder physiologische Gehirnfunction, im Empfinden und Fühlen nichts als eine von Außen kommende Affection der sensorischen, im Streben und Wollen nichts als eine durch diese bewirkte Erregung der motorischen Nerven. Eine Berücksichtigung dessen, was sich an diese Thätigkeiten sonst noch anknüpfte, eine Vertiefung in die Gemüthsbewegungen als solche, eine Kritik und Feststellung der Begriffe, eine Untersuchung über die Freiheit des menschlichen Willens, über Grund und Zweck des menschlichen Daseins, über die Unsterblichkeit der Seele, über Sein und Nichtsein, kurz über alle nicht mit Zollstock und Waage, mit chemischem und physikalischem Experiment zu erledigenden Fragen, ward als leere Träumerei, als völlig nuglose Verirrung in metaphysische Abstrusitäten angesehen, und gar eine Beschäftigung mit Gott und anderen dem religiösen Gefühl entstammenden Begriffen in anderer als negirender Weise glaubte man als eine höchst bemitleidenswerthe Beschränktheit betrachten zu müssen. Lich man sein Ohr nur den Stimmführern dieser Richtung, dann mußte man annehmen, als sei Gott

und der Glaube an einen solchen, ja selbst ein ernstlich gemeintes Nachdenken über ihn, das bloße Sprechen von ihm, geschweige seine Verehrung und Anbetung ein vollkommen überwundener Standpunkt, und vergegenwärtigte man sich, welche beifällige Aufnahme und weite Verbreitung die Schriften dieser Nichtung im großen Publicum fanden, oder beobachtete man das Thun und Treiben eines großen Theils der das lebende Geschlecht repräsentirenden Gesammtheit, dann hätte man glauben können, als sei wirklich alles über die Materie Hinausliegende so gut wie abgethan: so lau und dürftig war das Interesse, das man Fragen von rein geistigem oder religiösem Charakter noch entgegenbrachte, so gleichgültig blieb man mahnenden und warnenden Stimmen einzelner Denker gegenüber, so mitleidig zuckte man über Jeden die Achseln, der nur Miene machte, einen derartigen Gegenstand zum Gespräch zu bringen.

Und doch ein wie ganz anderes Bild gewann man, wenn man die thatsächlich bestehenden Zustände von der anderen Seite betrachtete. Nach wie vor waren in Städten und Dörfern die Kirchen die erhabensten und heiligsten aller Gebäude, nach wie vor ward in denselben gepredigt und Messe gelesen, gesungen und gebetet, nach wie vor versammelten sich in denselben Tausende und aber Tausende von Menschen zur gemeinsamen Verehrung und Anbetung desselben Gottes, der nach den Anschauungen der Materialisten nichts als ein glücklich beseitigtes Object eines blinden Köhlerglaubens fein sollte. Und nicht bloß Gott als Vater, Sohn und heiliger Geist hatten sich nach wie vor dieser Verehrung zu erfreuen, sondern im weiten Umfange der katholischen Welt in nicht geringerem, vielleicht noch höherem Grade auch die unbefleckte Jungfrau, die Apostel und zahllose Märtyrer und Heilige. Auf allen Wegen und Stegen begegnete man ihren Bildnissen, unzählige von Kirchen und Kapellen, Klöstern und Orden, ursprünglich ihnen zu Ehren gegründet, waren noch jezt ihrem Dienste geweiht. Man feierte ihnen Feste, man bewarb sich mit Gelübden, Processionen und Wallfahrten um ihre Fürbitten, und glaubte nicht nur an ihre einst vollbrachten Wunderthaten, sondern hoffte, daß sie sich für irgend eine ihnen dargebrachte Opfergabe noch heute zu gleichen Wundern verstehen würden.

Kaum geringer war der Nimbus, mit dem sich die Priesterschaft,

vom obersten Bischof mit der dreifachen Krone bis zum baarhäuptigen Bettelmönch herab, zu umgeben wußte, ja von den Kanzeln herab konnte man vernehmen, daß der schlichteste Priester in gewissem Betracht größer und mächtiger als Gott selber sei, sofern er beim Meßopfer Gott den Sohn, welchen Gott der Vater nur einmal erzeugt habe, so oft zu erzeugen vermöge, als er Lust habe, und die Gemeinde ließ sich das ohne ernstlichen Widerspruch gefallen. Und nicht bloß auf das religiöse und kirchliche Gebiet beschränkte sich die Macht und Glorie der die Gottheit auf Erden repräsentirenden Geistlichkeit, sondern in allen Daseinsgebieten und Lebenslagen machte sie sich geltend. Es ward kein Mensch geboren, getauft, erzogen, in die Zahl der Erwachsenen aufgenommen, copulirt, zum Eide zugelassen, mit einem wichtigen Amte betraut, vom Glück begünstigt, vom Unglück heimgesucht und schließlich in die Gruft versenkt, ohne daß dabei die Geistlichkeit in der einen oder anderen Weise ihre Hand im Spiel gehabt hätte und es verstand sich hiebei nicht nur von selbst, daß bei solchen Gelegenheiten jedes Ereigniß, jede Lebenswendung als eine Fügung des Alles beschließenden und Alles vollziehenden, also noch keineswegs als quiescirt zu betrachtenden Gottes hingestellt wurde, sondern jeder Einzelne im Staate, wie der Staat im Ganzen, ließ es auch geschehen, daß den Kindern, dem aufblühenden Geschlecht auch alle diejenigen specifisch kirchlichen Vorstellungen und Glaubensartikel eingeimpft und eingeprägt wurden, welche sich nicht nur mit der Anschauungsweise des Materialismus, sondern auch mit den unanzweifelbaren Ergebnissen der Wissenschaft und den ewigen Grundwahrheiten der Vernunft in unvereinbarem Widerspruch befinden. Ja noch mehr, man ließ es sich auch gefallen, oder erhob wenigstens keinen energischen, thatkräftigen Widerstand dagegen, daß die Kirche gegen alle Lehren der Vernunft und Wissenschaft, die zu ihren Dogmen und Anschauungen nicht stimmen wollten, einen Kampf auf Tod und Leben eröffnete und auf Alle, die einer solchen Lehre anhingen, ihre Excommunicationsdecrete und Bannflüche schleuderte.

Läßt sich ein schrofferer Gegensat als der, wie er zwischen diesen beiden extremen Richtungen bestand, denken? Gleichwohl bestand er Jahre hindurch in seiner vollen Schärfe fort, ohne daß es zwischen ihnen zu einem wirklich thätlichen Kampfe gekommen wäre. Es lagen

in den damaligen Verhältnissen ungleich drängendere Impulse zu den Kämpfen auf rein politischem Gebiet, die nothwendig vorher ausgekämpft werden mußten. Unter diesen Umständen fehlte es denen, die jenen Kampf mit Erfolg hätten aufnehmen können, nicht nur an Stimmung, sondern auch an Zeit. Dazu kam, daß die große Mehrheit derer, die zwischen jenen Extremen ihre Stellung nahmen, zu sehr vom Indifferentismus ergriffen war, als daß sie ein dringendes Bedürfniß empfunden hätte, über den Widerspruch der einseitig spiritualistischen und einseitig materialistischen Richtung hinaus zu kommen und den Mahnungen derer Gehör zu schenken, welche bemüht waren, die beiden einander entgegengesetzten Anschauungen mit gleicher Unbefangenheit zu prüfen und in der einen wie in der anderen das Wahre anzuerkennen und das Falsche zu verwerfen. Bestrebungen dieser Art gingen naturgemäß hauptsächlich von der Philosophie aus. Diese aber, die von den Naturalisten und Supranaturalisten in gleichem Maaße perhorrescirt wurde, war auch bei dem großen Publicum theils durch ihre eigene Schuld, theils durch die Anfeindungen der sich durch sie bedroht glaubenden kirchlichen und politischen Reaction seit dem Mißerfolg der achtundvierziger Bewegung dergestalt in Mißcredit gerathen, daß selbst treffliche Leistungen derselben fast unbeachtet blieben. Die Vertreter der beiden Extreme erblickten in denjenigen Philosophen, welche die Grundwahrheiten der Religion und Wissenschaft in ihrer ursprünglichen Einheit zu erfassen suchten, nichts als wankelmüthige Zwischenträger und principløse Vermittler; die aus Scheu vor jeder ausgeprägten Entschiedenheit alle Risse verkleistern, alle Widersprüche und Gebrechen bemänteln, gleichzeitig Fünf gerade sein und das „Zweimalzwei ist vier“ gelten lassen möchten. So schroff die Extreme sich selbst gegenüberstanden, harmonirten sie doch darin miteinander, daß sie diese Vermittler mit gleicher Erbitterung bekämpften, oder, wenn sie sich ihnen nicht gewachsen fühlten, einer Widerlegung gar nicht würdigten. Und die große indifferente Masse stellte sich wenigstens insofern auf ihre Seite, als auch sie von derartigen Vermittlungsversuchen nichts wissen mochte schon darum nicht, weil ihr dieselben minder interessant und pikant erschienen, weil dieselben nicht so leicht zu verstehen waren, weil es zu ihrer Auffassung eines selbstständigen, zusammenhängenden

Denkens, einer unbefangenen Abwägung der Gegensäge, kurz einer
Aufmerksamkeit und Mitthätigkeit bedurfte, zu welcher man weder
Zeit noch Lust, ja in den meisten Fällen auch wohl nicht die aus-
reichende Vorbildung besaß. Um wie viel leichter und bequemer hatte
man es den Ausführungen derer gegenüber, die für das eine oder
andere der Extreme in die Schranken traten. Der Materialismus
durfte seine Lehren ohne Weiteres auf die Untrüglichkeit der Er-
fahrung, der Sinnenerkenntniß stüßen; er konnte dafür die schlagen-
den Gründe des greif- und sichtbaren Experiments, des blendenden
Erfolgs, der bestechenden Verwerthbarkeit in's Feld stellen — was
ließ sich dagegen einwenden? - Der kirchliche Spiritualismus da
gegen verkündigte seine Dogmen unter Hinweis auf deren über-
menschlichen göttlichen Ursprung, auf die unantastbare Autorität der
Offenbarungen und Ueberlieferungen und auf das unerbittliche jen-
seitige Strafgericht, das diejenigen ereilen werde, welche diesen Ver-
kündigungen ihr Ohr und Herz verschließen; er bemächtigte sich der
Gemüther durch niederschmetternde Schilderungen der menschlichen
Schwäche, Verderbtheit und Hülfsbedürftigkeit, durch verlockende Aus-
malungen der himmlischen Seligkeit für die Gläubigen, durch haar-
sträubende Bilder höllischer Qualen für die Ungläubigen
Viele hätten dem zu widerstehen vermocht?

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wie

So war es natürlich, daß alle diejenigen, die über diese Fragen nicht selbstständig und gründlich nachzudenken vermochten, der einen oder der anderen dieser entgegengesetzten Strömungen erlagen. Jenachdem sie daher mehr der Kategorie der Gefühls- oder der Verstandesmenschen angehörten, mehr am Alten oder am Neuen Geschmack fanden, mehr in der Erhaltung des bisher Bewährten oder in der Beseitigung des Hinfälliggewordenen das Heil erblickten, mehr dem gläubigen Optimismus oder dem zweifelnden Pessimismus ergeben waren, ließen sie sich lieber einerseits von den Extravaganzen des Dogmatismus, andererseits von den Extravaganzen des Materialismus fortreißen, als daß sie geneigt gewesen wären, die Wahrheit in der Mitte zu suchen. Ja nicht selten kam es auch vor, daß dieselben Personen, welche heute mit innerstem Kitel den Gottesleugnern und Tempelzertrümmerern lauschten, morgen mit nicht geringerer Befriedigung den dagegen geschleuderten Bannflüchen der Orthodoxen und

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