105 Taillefer ormannenherzog Wilhelm sprach einmal: Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal? Wer singet vom Morgen bis in die späte Nacht So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht ? " Das ist der Taillefer, der so gerne singt Im Hofe, wann er das Rad am Brunnen schwingt, Da sprach der Taillefer: „Und wär' ich frei, Nicht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild Auf einem hohen Pferde mit Schwert und mit Schild. Der Herzog Wilhelm fuhr wohl über das Meer, Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt, „Manch Jährlein hab' ich gesungen und Feuer geschürt, Manch Jährlein gesungen und Schwert und Lanze gerührt. Und hab' ich Euch gedient und gesungen zu Dank, Zuerst als ein Knecht und dann als ein Ritter frank, So laßt mich das entgelten am heutigen Tag: Vergönnet mir auf die Feinde den ersten Schlag ! “ Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer Und als das Rolandslied wie ein Sturm erscholl, Dann sprengt er hinein und führte den ersten Stoß, Dann schwang er das Schwert und führte den ersten Davon ein englischer Ritter am Boden lag. Normannen sahen's, die harrten nicht allzulang, Bis Harald fiel und sein troßiges Heer erlag. Herr Wilhelm steckte sein Banner aufs blutige Feld, Da saß er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand, " Mein tapfrer Taillefer, komm, trink mir Bescheid! Du hast mir viel gesungen in Lieb' und in Leid; 106 E Des Sängers Fluch Es stand in alten Zeiten ein Schloß so hoch und hehr, Weit glänzt' es über die Lande bis an das blaue Meer; Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz, Drin sprangen frische Brunnen im Regenbogenglanz. Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich, Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich; Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut, Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut. Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar, Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar; Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß, Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß. Der Alte sprach zum Jungen: „, Nun sei bereit, mein Sohn! Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton! Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz! Es gilt uns heut zu rühren des Königs steinern Herz." Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal, Und auf dem Throne sizen der König und sein Gemahl; Der König furchtbar prächtig wie blut'ger Nordlichtschein, Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein. Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll, Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll; Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor, Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor. Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit, Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott, ,, Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?“ Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib; Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt, Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hochauf springt. Und wie von Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm, Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm; Der schlägt um ihn den Mantel und sezt ihn auf das Roß, Er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß. Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sängergreis, ,Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang Weh euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht! Weh dir, verruchter Mörder, du Fluch des Sängertums! |