ii Deine Tugenden halte für allgemeine des Menschen, Deine Fehler jedoch für dein besonderes Teil. iii Was du teurer bezahlst, die Lüge oder die Wahrheit ? Jene kostet dein Ich, diese doch höchstens dein Glück! 201 Emanuel Geibel Der Mai ist gekommen 1815-84 er Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus, Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus! Wie die Wolken wandern am himmlischen Zelt, So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt. Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt' ! Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl! Und abends im Städtlein, da kehr' ich durstig ein: Und find' ich keine Herberg, so lieg' ich zu Nacht O Wandern, o Wandern, du freie Burschenlust! 202 Morgenwanderung er recht in Freuden wandern will, Da ist der Wald so kirchenstill, Noch sind nicht die Lerchen wach, Singt leise den Morgensegen. Die ganze Welt ist wie ein Buch, In bunten Zeilen manch ein Spruch, 203 Wald und Blumen nah und fern Da zieht die Andacht wie ein Hauch Da pocht ans Herz die Liebe auch Pocht und pocht, bis sich's erschließt Von lautem, jubelndem Preise. Und plöglich läßt die Nachtigall Stimmt in lichter Glut mit ein: Hoffnung Und dräut der Winter noch so sehr Mit trozigen Gebärden, Und streut er Eis und Schnee umher, Und drängen die Nebel noch so dicht Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht, Da wacht die Erde grünend auf, Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar Drum still! Und wie es frieren mag, Herz, gib dich zufrieden; Es ist ein großer Maientag Der ganzen Welt beschieden. Und wenn dir oft auch bangt und graut, Nur unverzagt auf Gott vertraut! 204 Mittagszauber Im Garten wandelt hohe Mittagszeit, Der Rasen glänzt, die Wipfel schatten breit; Von oben sieht, getaucht in Sonnenschein Und leuchtend Blau, der alte Dom herein. Am Birnbaum sigt mein Töchterchen im Gras; Die Märchen liest sie, die als Kind ich las; Ihr Antlitz glüht, es ziehn durch ihren Sinn Schneewittchen, Däumling, Schlangenkönigin. Kein Laut von außen stört; 's ist Feiertag Da kommt auf mich ein Dämmern wunderbar; 205 Ostseelieder Wie lieb' ich dann, ins Element enn überm Meer das Frührot brennt Und alle Küsten rauchen, |