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dem uralten Glauben, den wir schon so oft erwähnt haben, dass die Seele in der ersten Zeit nach dem Tod ihr früheres Heim nicht verlässt, die alte Stätte umschwebt und noch den irdischen Dingen gehört. Es ist dies das Gottesurteil, das uns aus den Nibelungen 1) geläufig ist; denn wir alle wissen, wie Siegfrieds Wunden bluten, als der grimme Hagen zur Bahre tritt. Und ebenso blutet in SHAKESPEARE'S Richard III. die Leiche König Heinrichs bei Gloster's Nahen2):

>> Ihr Herrn! seht! seht! des toten Heinrichs Wunden
Öffnen den starren Mund und bluten frisch.«

Dieses Gottesurteil hat sich in Deutschland als Gerichtsgebrauch lange, bis in das 16. Jahrhundert hinein, erhalten; es war Sitte, dass der Beschuldigte nackt vor der Bahre niederknieen, einen Unschuldseid leisten und den Toten berühren, wohl auch küssen musste3). Der Gedanke dieses Ordals ist weit verbreitet, die Form seiner Ausübung verschieden. So wird bei den Bagirmistämmen der Sahara der Leichnam von Zauberern auf die Köpfe genommen, und diese fühlen sich durch geheimnisvolle Eingebung getrieben, bis sie an die Hütte des Schuldigen gelangen; es kommt auch vor, dass der Zauberer statt des Leichnams sich ein Bündel Gras auf den Kopf legt). Ähnlich ist die Bahrprobe bei den Australnegern gestaltet: mehrere Männer tragen die Bahre, und werden die

1) V. 984 ff.

2) Richard III. Akt I Scene 2.

3) GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 930, 931; BRUNNER, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 411, 412, OSENBRÜGGEN, Studien, S. 327 ff.

4) NACHTIGAL, Sahara und Sudan, Bd. 2, S. 686. Ähnlich ist die Ausübung der Bahrprobe an der Goldküste; CRUICKSHANK, 18 years on the Gold Coast of Afrika, Bd. 2, S. 177 ff.: zunächst wird auf diese Weise aus der Versammlung des Volks die Sippe ausgemittelt, zu welcher der Mörder gehört, dann aus der Sippe das Haus des Mörders und aus dem Hause dieser selbst. CRUICKSHANK macht hierbei mit Recht auf die eigentümliche Parallele im Buch JOSUA 7, 16 ff. aufmerksam.

Namen verschiedener Personen genannt; sobald man den rechten trifft, empfinden die Träger einen plötzlichen Impuls, sie fühlen sich vorwärts getrieben oder, ist der Mörder anwesend, so wird er von den Zweigen der Bahre berührt. Oder man legt einen Käfer oder eine Fliege ins Grab und beobachtet die Richtung, welche das Tier nimmt, oder die Richtung des Rauches beim Verbrennen des Leichnams, oder die Richtung, in welcher sich Sprünge im Grabe bilden1).

Wie hier der Zauberer von dem Geist des Toten getrieben wird, so ist es bei andern Ordalen die visionäre Eingebung des gottbegeisterten Sehers, durch die der Schuldige gefunden wird. Verschieden ist die äussere Form, in der sich die Vision vollzieht: bald sieht er den Täter im Traum, bald im Spiegel der Wasserfläche, bald in Kristall oder Scherben; aber immer ist die Verzückung das entscheidende Moment, das den Seher über die Grenzen der irdischen Einsicht hinausführt und ihn zum Mittler der Gottheit macht').

Ursprünglich ein Ordal war auch der Unschuldseid des Angeklagten. Denn man erwartete auch hier die Entscheidung von der Gottheit; frei von Schuld war der Verdächtigte, wenn nach der Eidesleistung das Unheil, das er im Fall der Schuld durch den Eid gegen sich beschworen hatte, nicht eintraf. So beschwört er bei den Malaien seine Unschuld und verwünscht sich, dass er, wenn meineidig, in einem Monat durch das Schwert fallen solle 3). Oder er trinkt bei der Eidesleistung Wasser und der Glaube besteht, dass selbst das Wasser ihm Verderben bereiten müsse, wenn er die Gottheit durch falschen

1) KOHLER, in Zeitschrift, Bd. 5, S. 369, Bd. 7, S. 366, 367, Bd. 12, S. 426; wegen Neu-Guinea ebenda, Bd. 14, S. 392, 393. Über solche Bräuche in der Provinz Bombay ebenda, Bd. 10, S. 187.

2) WILLIAM ELLIS, Polynesian researches, London 1830, Bd. 2, S. 240. MARTIN in Zeitschrift für Ethnologie 1877, S. 178.

3) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 6, S. 349.

Schwur verletzt habe 1). Von hier aus bis zu unserem Eide neuerer Zeit sind nur noch Zwischenstufen und Übergänge in Auffassung und Denkweise). So nimmt bei den Georgiern des Kaukasus der Beschuldigte durch feierlichen Eidschwur, bei dem er körperlich den Ankläger auf seine Schultern nimmt, dessen Sünden auf sich, falls er die Tat begangen haben sollte: >> Deine Sünden sollen beim jüngsten Gericht auf mir sein, und ich soll an deiner Statt verdammt sein, wenn ich das getan habe, dessen du mich anklagst«3). Wir sehen hier also den Eid auf das religiöse Gebiet gerückt; nicht Heil in der Zeitlichkeit, sondern das ewige Seelenheil verschwört der Bezichtigte, falls er schuldig ist.

Der Unschuldseid war auch unsern Vorfahren bekannt und wurde zunächst auf die Waffe geleistet. In alter Zeit steckte man die Spitze des Schwerts in die Erde und schwur, die Hand auf den Griff gelegt. Später legten die Freischöffen bei der Feme die Hand auf das breite Schwert und schwuren. Und in Holstein sagt noch bis in spätere Zeit der, »der den Eid stabt<, zu den Schöffen: »Tretet herbei, ihr Kerls, und haltet die Finger auf das Schwert und haltet sie nicht davon ab, ehe es euch geheissen wird«, und so taten sie, während der Eid geschworen wurde1).

Der Zusammenhang mit dem alten Waffenordal drängt sich hier auf, wie wir überhaupt bei den Germanen den Eid

1) BASTIAN, die Kulturländer des alten Amerika, Bd. 1, S. 561, Anm. 2.

2) Über den Unschuldseid bei den Hottentotten, von BURGSDORFF in Zeitschrift, Bd. 15, S. 357.

3) R. DARESTE, Études d'histoire de droit, S. 130.

4) GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 165, 166; SEESTERN-PAULY, die Neumünsterschen Kirchspielgebräuche, 1824, S. 32. So schwuren auch die heidnischen Russen auf das Schwert (MACIEJOWSKI, slavische Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 101).

im Zusammenhang mit dem Ordalverfahren finden1); auch hier scheint für den Unschuldseid möglich, dass derselbe Gedanke, wie bei den Malaien, ursprünglich obgewaltet hat: ich soll durch das Schwert fallen, wenn ich schuldig bin 2). So schwur man auch auf das Opfertier und verwünschte sich, der Blitz solle ihn, den Schwörenden, niederstrecken wie das Tier, das beim letzten Wort der Verwünschung niedergemacht wurde3). Und so fasste man später in Skandinavien den mit Opferblut geröteten, dem Gotte Ullr geweihten, im Tempel auf bewahrten Ring1), in christlicher Zeit durchweg das Kreuz oder die Reliquien an zum sichtbaren Zeichen, dass man, wenn meineidig, vom Heil verlassen sein sollte. Das Gottesgericht wurde aus dieser in jene Welt verlegt.

Dieser alte Zusammenhang zeigt sich uns am deutlichsten im indischen Recht. Denn im Sanskrit bezeichnet noch ein und dasselbe Wort Gottesurteil und Eid5), und beide Begriffe werden unter dem Ausdruck »göttliches Verfahren<< zusammengefasst 6). So sagt auch das Gesetzbuch des MANU), ganz in diesem Sinn den Eid als Gottesurteil auffassend: »Der, welchen das flammende Feuer nicht versengt, welchen das Wasser nicht emportauchen lässt, oder dem nicht bald (nach seinem Eide) ein Unglück widerfährt, muss als gerechtfertigt hinsichtlich seines Eides erkannt werden.<<

Also, um noch einmal zusammenzufassen, man beschwur in alter Zeit nicht, wie heute, bestimmte einzelne tatsächliche

1) BRUNNER, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 437 ff.; über das Verhältnis von Ordal und Eid im germanischen Recht, K. MAURER in Germania, N. Reihe, Bd. 7, S. 146 ff.

2) Über den Vieheid der Friesen, bei welchem der Schwörende sein Hab und Gut verfluchte, vergl. BRUNNER a. a. O., S. 430.

3) DAHN, Bausteine, Bd. 2, S. 118.

4) GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 895.

5) JOLLY in Zeitschrift, Bd. 3, S. 252, Anm. 1 zu V. 109.

6) JOLLY a. a. O., S. 263, Anm. 2 zu V. 178.

7) Buch 8, V. 115.

Behauptungen, sondern der Eid war ursprünglich Unschuldseid. Er war eine Verfluchung für den Fall, dass der Schwörende schuldig war, und die Bestätigung des Eids erwartete man zunächst grobsinnlich in dieser Zeitlichkeit; nicht der Eid, sondern der Ausgang, dass der Schwörende nicht von dem Unheil, das er auf sich herabschwur, heimgesucht wurde, entschied. Dann ging man davon aus, dass Niemand so frevelhaft sein würde, sein eigenes Heil meineidig bei der Gottheit zu verschwören, und übertrug die Verwünschung auf das ewige Heil.

So werden wir uns den Entwickelungsgang des Eids vorzustellen haben. Hier trat uns aber immer der Einzelne als Schwörender entgegen, und dies ist der Entwickelung bereits vorgegriffen. Denn, wie wir sowohl im Strafrecht (Haftung der Sippe für die Tat des Sippengenossen) wie in der Geschichte des Eigentums (Hausgenossenschaften) sahen: es ist ein gewaltiger Schritt nach vorwärts, wenn sich der Einzelne als solcher aus der Masse seiner Genossen loslöst. Der Begriff des Individuums ist ein später Kulturbegriff; der Einzelne ist zunächst immer nur Einer von Vielen, er zählt und geht nur mit der Menge der Seinen in Stamm, Sippe, Genossenschaft. So in der Dichtung mit den Volksepen und dem Volkslied, dessen einzelne Dichter wir nicht kennen; so in der Kultur überhaupt und auch im Recht. Eins hängt mit dem Andern untrennbar zusammen, weil die Grundauffassung, die den Charakter jener alten Zeiten bestimmt, die nämliche ist. So können wir voraussetzen, dass in ältester Zeit der Unschuldseid nicht vom Beschuldigten allein, sondern von seiner gesamten Sippe geleistet wurde. Und wir finden dies durch die Tatsachen bestätigt. Im alten Arabien musste der ganze Stamm den Reinigungseid schwören; wer dies nicht tat, kam verhältnismässig für die Blutbusse auf1). Nicht anders wird,

1) ROBERTSON SMITH, Kinship and marriage in early Arabia, S. 35.

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