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weisen. Es hat den Anschein, als ob für die spätere weitgehende Durchführung des Talionsprinzips im Mittelalter die Vorschriften des mosaischen Rechts massgebend gewesen wären 1). Nunmehr wird dem Brandstifter der Feuertod, dem Meineidigen das Abhauen des Schwurfingers oder der Hand, dem Verräter das Ausreissen der Zunge angedroht 2) kurz, es wird, wie das Sprüchwort sagt, bar für bar« in gleicher Münze heimgezahlt3). Auch fehlt es nicht an Ausschreitungen der Idee in fürchterlichster Art. Dem, der einen Baum abgeschält hat, sollen die Gedärme aus dem Leibe gerissen und wie ein Ersatz der Rinde um den Stamm gewickelt werden; auf das Beschädigen von Grenz- und Marksteinen wird Tod durch den Pflug gesetzt; wer die Schöffen eines ungerechten Urteils zeiht, soll mit der Zunge so lange an den Pfahl genagelt werden, bis er sich selbst die Zunge abschneidet1). Und was es sonst an raffinierten und unmenschlich ausgeklügelten Grausamkeiten gibt. Diese auf das alte Testament zurückführende Talion ist dem ganzen Mittelalter gemein und hat ihre dichterische Verkörperung in den Strafen des DANTE'schen Inferno gefunden. Was hier die Verstorbenen erdulden, ist Geist von demselben Geist, in dem den Lebenden Recht gesprochen wurde 5).

Auch der Islam kennt die Talion; er geht offenbar auf alte semitische Vorstellungen zurück, wenn im Koran erheblichere Diebstähle mit Verlust der rechten Hand bestraft werden).

1) WILDA, Strafrecht der Germanen, S. 158, Osenbrüggen, Studien

zur deutschen und schweizerischen Rechtsgeschichte, S. 150 ff.

2) Vergl. z. B. Carolina Artt. 107, 108, 125. Bamberger Stadtrecht, Ausgabe von ZÖPFL, 1839, §§ 144, 138. Über Ausreissen der Zunge auch OSENBRÜGGEN, Studien, S. 294 ff.

3) SIEGEL, deutsche Rechtsgeschichte, S. 407.

4) GRIMM, Weistümer, Bd. 3, S. 489, 590.

5) Über die italienischen Statuten des Mittelalters, vergl. KOHLER, Studien aus dem Strafrecht, Heft 2, S. 144 ff.

6) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 8, S. 255; über das Recht der Beduinen BURCKHARDT, Bemerkungen über die Beduinen und Wahaby, S. 100.

Unabhängig vom Islam finden wir in Afrika bei einzelnen Stämmen diesen Grundsatz streng durchgebildet. So wird von den Ephenegern in Togo berichtet, dass die Bestrafung für Mord und Totschlag möglichst in derselben Weise und sogar mit derselben Waffe vollstreckt wird, mit der die Tat geschah, nach dem Grundsatz: »Stich auf Stich, Hieb auf Hieb, Gift auf Gift« 1); so wird die Vergeltung zu einem Spiegelbild der Missetat gestaltet und dem Täter kommt im vollsten Sinne das heim, was er verbrochen hat. Und ebenso hören wir von den Hottentotten, dass bei ihnen früher nach den nämlichen Grundsätzen verfahren ist2).

So sehen wir, dass die raffiniert grausamsten Strafen, welche eine DANTE'sche Hölle in die Wirklichkeit zu übertragen scheinen, nicht den ursprünglichen Zeiten, sondern - wie auch jede Folterkammer, die man den Fremden vorweist, uns zeigt - der sehr späten Kulturstufe unseres Mittelalters angehören. Die uralte Idee verliert an ihrer Einfachheit und wird zum Gegenstand von Spitzfindigkeiten, die mit Leib und Blut des Menschen ein schauerliches Spiel treiben genau dasselbe Schauspiel, das uns die Hexenverfolgung im Mittelalter bietet, wo gleichfalls ein ältester Gedanke von einer gereifteren Kultur fast zu einer Wissenschaft des Unheils und des Blutdurstes ausgebildet wird.

Auffällig ist die Fülle von Todesstrafen in alter Zeit. So kehrt in den Straf bestimmungen des uralten babylonischen Gesetzbuchs des Königs HAMMURABI die Todesstrafe so häufig wieder, dass man den Eindruck gewinnt, dass damals das Leben billiger, ein geringeres Gut gewesen sein muss als in den heutigen Zeiten, in denen das Individuum freier dasteht und sich selbst ausleben kann.

1) HENRICI in Zeitschrift, Bd. 11, S. 146, 149; ähnlich bei den Herero, wo sogar bei Ehebruch die Frauen des Ehebrechers geschändet werden (Zeitschrift, Bd. 14, S. 316).

2) VON BURGSDORFF ebenda, Bd. 15, S. 353.

Dasselbe Gesetzbuch kennt bereits Geldstrafen1).

Es ist

dies eines der vielen Zeugnisse, die wir für die hohe Kulturentwickelung der alten Babel besitzen. Denn diese Strafe setzt notwendig den Begriff des gemünzten oder doch wenigstens zugewogenen Geldes als eines allgemein verbreiteten Zahlungsmittels voraus. Wir können sie daher auch begriffsmässig nur in Ländern mit bereits hochentwickeltem Verkehrsleben finden. Die Geldstrafe kann somit gar nicht die älteste Vermögensstrafe sein, sie ist es auch nicht, sondern ihr sicherlich vorausgegangen ist die Zerstörung des geringen Privateigentums, das sich zunächst finden mochte. Ihre Urform ist daher die Wüstung, durch die z. B. in Polynesien die Hütte des Täters eingeäschert wird).

Und als sich die Geldstrafe zunächst entwickelte, war es auch sicher nicht leicht, sie vom Täter beizutreiben, da wie wir es noch heute im Osten Europas finden das Geld ängstlich verborgen gehalten und behütet wurde. So sehen wir ein drastisches Anzeichen, wie sich in diesen Dingen der Übergang zur Strafvollstreckung gebildet haben mag — bei den ostafrikanischen Bantuvölkern die Übung, dass der Missetäter gebunden und solange geprügelt wird, bis er hoch und teuer die Bezahlung einer Geldstrafe verspricht3). Erst dann konnte man sicher sein, dass das Geld aus seinem Versteck gebracht wurde.

Kehren wir nun zum Ausgangspunkt der Betrachtung dieses Buches zurück was für eine Fülle von Erscheinungen zog an uns vorüber! Seit dem ersten nebelhaft chaotischen Zustand, in welchem von Verbrechen und Strafe in unserem Sinne überhaupt noch nicht gesprochen werden kann, bis zu den raffi

1) z. B. §§ 8, 198 ff., der Übersetzung von WINCKLER.

2) Zeitschrift, Bd. 14, S. 418; W. ELLIS, Polynesian Researches, 1830, Bd. 2, S. 371, 372. Über die Strafe der damit verwandten Dachabdeckung im altdeutschen Recht GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 723 ff. 3) MERKER bei KOHLER ebenda, Bd. 15, S. 62.

nierten Rechtsgebilden einer späten Periode! Und wie das Recht, so der Prozess. Haben wir vorhin gesehen, dass man sich in ganz primitiver Zeit noch nicht zu dem Begriff einer Strafe als solcher erhoben hatte, so konnte es in Ermangelung eines Strafrechts naturgemäss auch kein Strafverfahren geben. Die Waffe des Rechts war die Gewalt, der Gekränkte musste sich selbst sein Recht holen und, wenn er von den Angehörigen einer anderen Sippe oder eines anderen Stamms verletzt war, standen hinter ihm seine eigenen Gesippen oder Stammesgenossen. Oder mit anderen Worten, die älteste Strafjustitz war das Lynchrecht oder das Abbild des Krieges. Von einer auch nur ganz roh geordneten Rechtspflege oder überhaupt der Erkenntnis, dass die Wahrung des Strafrechts Sache der Allgemeinheit ist, war zunächst keine Rede. So können uns die Beobachter ursprünglicher Völker sagen, dass jeder nach seinem eigenen Urteil handelt und nur allenfalls durch die tatsächliche Autorität eines mächtigen Häuptlings, nicht aber durch eine Staatsgewalt eingeschränkt wird

ein atomistischer Zustand, der mit der Gewalttat auf die Gewalttat erwidert, und in einem allgemeinen Unheil enden müsste, wenn nicht die Sitte einen beschwichtigenden Einfluss übte1). Diese hatte damals eine grössere Bedeutung als heute,

1) So sagt TACITUS von den Germanen, dass gute Sitten bei ihnen mehr gelten als gute Gesetze (Germania C. 19 a. E.: plus ibi boni mores valent quam alibi [er meint natürlich Rom] bonae leges) und SCHOOLCRAFT, (Bd. 2, S. 131) von dem Indianerstamm der Comanches: No individual action is considered as a crime, but every man acts for himself, according to his own judgement, unless some superior power, for instance that of a popular chief, should exercise authority over him. They believe, that when they were created, the Great Spirit gave them the privilege of a free and unconstrained use of their individual faculties. Der Beobachtungsfehler, nach welchem in ursprüngliche Verhältnisse das moderne Bewusstsein des Individuums als solchen hineingetragen ist, scheint offenbar; in Wahrheit handelt es sich um den ungeformten urnebelhaften Zustand, der den

weil die in demselben Hause oder Stamm Geborenen näher und fester zusammenstanden, als es in unserem heutigen Zeitalter sein kann, das dem einzelnen die Verlegung von Heim und Existenz gestattet und ihn sich beliebig ausreihen und angliedern lässt. Damals musste jeder, wo er geboren war, leben und sterben; heute steht die ganze Welt dem einzelnen offen und er gehört sich selbst, mehr als es je der Fall war. Freilich hängt damit auch zusammen, dass die alte Scheu vor den Hausgöttern wie vor den Haus- und Stammesgenossen geschwunden ist, die das Gewissen der alten Zeit bildete. Die Missachtung der Mitmenschen, die »Schande vor den Leuten<< war gewissermassen en greifbares Ding von gefürchteter Wesenheit. So ermahnt Telemach die Freier, aus seinem Hause zu gehen, und hält ihnen als Folge ihrer Gewalttaten vor die üble Nachrede bei den benachbart wohnenden Menschen, dann den Zorn der Götter und endlich die Blutrache, die ihnen bei der Rückkehr des Odysseus drohen könnte 1), ein lehrreiches Beispiel, wie gross in alter Zeit die Scheu vor der Meinung der Menschen, unter denen man lebte und starb, eingeschätzt wurde. Dies und die Autorität der Haus- und Stammesgenossen mochte oft eingreifen und die schlimmsten Auswüchse verhüten, die in solcher Zeit, bevor die Staatsgewalt die strafrechtliche Ahndung übernahm, sonst unausbleiblich erfolgen mussten; die Hausältesten und mit ihrem Beirat der Häuptling schlichteten, was sich schlichten liess, und im übrigen herrschte die Faust.

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Das ist in ihrem ältesten Anfang die Blutrache, die nichts anderes war, als die Selbsthilfe des Verletzten und seiner Angehörigen. Der Geschlechtsverband, die Sippe, der er als ein Teil angehörte, war der Rückhalt des einzelnen, an dem er eine Stütze bei der Vergeltung des ihm widerfahrenen Unrechts

festgefügten Bildungen vorausging, nicht um die späteren Perioden vorbehaltene Verkörperung des Invidualbegriffs.

1) Od. 2, 65 f.; ähnlich 22, 39 f. (οὔτε θεοὺς δείσαντες, οἳ οὐρανὸν εὐρὺν ἔχουσιν, οὔτεστιν ̓ ἀνθρώπων νέμεσιν κατόπισθεν ἔσεσθαι); 2, 101, 134 ff.

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