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Bei den Slaven haben sich solche Überzeugungen lange lebendig erhalten. Verwandte des Täters wurden mitbestraft1), und die ganze Ansiedelung war für Verbrechen, welche in ihrer Gemarkung verübt wurden, verantwortlich 2).

In Indien, dieser seltsamen Sammelstätte der Vergangenheit, finden wir Spuren noch bis auf den heutigen Tag. So wird uns wenigstens von den Khasia, einem indischen Volk am Brahmaputra berichtet, dass mit den Übeltätern auch ihre Familien bis in die neueste Zeit haftbar gemacht wurden3).

Und ebenso wie in Hellas und Rom, fand auch in China die Bestrafung von Verwandten des Täters bei Hochverrat in weitem Umfang statt1). Dagegen macht der Islam die Kinder nicht für die Missetaten der Eltern verantwortlich 5). Die Strafe fällt nur auf den Täter, die Verwandten gehen frei aus. Und wieder können wir nicht erstaunen, bei den noch wenig von der Kultur berührten Negern Afrikas die Haftung der Sippe noch vorzufinden. So kommt sie bei den Ephenegern in Togo noch heute vor: gelingt es bei Menschenraub nicht, den Räuber zu fangen, so bemächtigt man sich jemandes aus seiner Sippe und behält diesen als lebendes Pfand bis zur

1) MACIEJOWSKI, slavische Rechtsgeschichte (übersetzt von Buss und NAWROCKI), Bd. 2, S. 149, 225 ff.

2) RUNDSTEIN in Zeitschrift, Bd. 15, S. 217. So sagt ein altes slavisches Rechtssprichwort: »der Dieb stiehlt, die Gemeinde trauert« (ebenda, S. 235).

3) HELLWALD in TREWENDT's Handwörterbuch der Zoologie, Anthropologie und Ethnologie, Bd. 4, S. 474. Auch in Siam werden die Nachkommen von Priestern, die sich gegen die Klostergelübde vergangen haben, Sklaven der Regierung (HESSE-WARTEGG, Siam, S. 91) auch hier hat sich anscheinend ein uralter Brauch zuletzt in einem religiösen Herkommen erhalten.

4) TA TSING LEU LEE, mis en français par F. RENOUARD DE SAInte CROIX, Paris 1812, sec. 254, Bd. 2, S. 3.

5) TORNAUW in Zeitschrift, Bd. 5, S. 149.

Rückgabe des geraubten Menschen und bis zur Erstattung der Busse zurück1).

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So richtet sich die Blutrache in ihrem Anbeginn von Geschlecht gegen Geschlecht; wie die alten Sippen festgefügt zu Gedeih und Verderb auf derselben Scholle zusammen sassen, so standen sie auch zusammen, wo es die Abwehr nach aussen hin galt und überkamen das, wie es später dem Staate zukam was wir heute Strafverfolgung nennen würden. Es entspricht dies dem Gang der Entwickelung, indem die Menschheit allüberall von den engeren Vereinigungen erst mit dem Wachsen der Kultur zu weiteren und stärkeren Verbänden emporstieg, und der Staat konnte seine jetzt herrschende Rolle erst übernehmen, als die der alten Hausgenossenschaften ausgespielt war. Daher auch der durchaus altertümliche Charakter der Blutrache, die in einer Art von Symbiose mit den Vereinigungen alter Zeit und insbesondere den Hausgenossenschaften vorkommt, sich anscheinend aus diesem Grunde in Europa am längsten in den südslavischen Ländern bewahrt hat und untergeht, wo der moderne Staatsgedanke obsiegt. Dies mögen die folgenden Blätter bestätigen, die uns das universale Auftreten der Blutrache über den ganzen Erdball hin vorführen sollen. Für unsere Vorstellungen wilde und grausame Bräuche, bei denen Ströme von Blut in endlosen Fehden einer sich immer fortzeugenden Rache gefordert werden die furchtbare Verkörperung des Grundsatzes »Auge um Auge, Zahn um Zahn<< und doch der erste Beginn eines Strafverfahrens und der Ahn unserer Strafrechtspflege..

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Beginnen wir bei den Hebräern! Die Bücher des alten Testaments gewähren uns hier ein deutliches Bild. Die Blutrache lag der ganzen Verwandtschaft des Getöteten ob. So klagt das Weib, das vor den König David trat, dass, da einer ihrer Söhne den anderen im Zank erschlagen hatte, nunmehr

1) HENRICI ebenda, Bd. 11, S. 146.

>> die ganze Freundschaft< wider den Täter aufstehe und ihn für die Seele seines Bruders, den er erwürgt hat,< töten wolle1). Also die Strafvollziehung lag noch, altertümlichem Recht entsprechend, in der Hand der gesamten Sippe. Dagegen war man, wie wir gesehen haben, zur Zeit der jüdischen Könige schon zu der Erkenntnis vorgedrungen, dass die Tat nur dem Täter selbst und nicht seinen Angehörigen zuzurechnen sei. Schwer mit dieser hohen Stufe vereinbar scheint, dass das althebräische Recht auf dem Standpunkt der strengen alten Blutrache stehen geblieben und nicht zu einer Abgeltung der Tat durch Entrichtung einer Busse übergegangen ist, ja diese geradezu verbietet. Deine Augen sollen seiner nicht verschonen, und sollst das unschuldige Blut aus Israel tun, dass dir's wohl gehe). Und wer Menschenblut vergiesset, dess Blut soll auch durch Menschen vergossen werden< 3). Stellen dieser Art zeigen deutlich den Grund des Fortbestands; denn hier sind Recht und Religion untrennbar, der Mörder hat durch den Mord das ganze Volk mit Blutschuld befleckt und er muss wie ein Opfertier fallen, um das Volk wieder zu entsühnen. Es scheint, als ob man in späteren Zeiten durch Prozessvorschriften, die eine Verurteilung des Angeklagten auf das Äusserste erschwerten, der strengen alten Blutvergeltung des mosaischen Rechts, die man wegen ihrer religiösen Weihe nicht umzugestalten vermochte, die Spitze abzubrechen suchte

ganz ähnlich, wie wir es bei den Eheverfassungen sahen, wo man ebenfalls uralte Anschauungen aus religiöser Scheu nicht beseitigte, sie aber durch Vorkehrungen (wie die Kinderverlobung) unschädlich machte. Im talmudischen Recht ist das einzige zur Überführung des Angeklagten zulässige Be weismittel die Bekundung zweier unbescholtener und völlig unbefangener Augenzeugen der Tat; sogar das Geständnis des

1) 2. SAMUELIS 14, 7. II.

2) 5. MOSE 19, 13; so auch 4. MOSE 35, 19. 21. 31.
3) 1. Mose 9, 6.

Angeklagten war ohne jede rechtliche Bedeutung. Und das
Allersonderbarste ist, dass, wenn alle Richter übereinstimmend
sich für schuldig aussprachen, Freisprechung erfolgen musste;
denn, wie das im Jahr 589 n. Chr. abgeschlossene Rechtsbuch
der Gemara sagt, müsse man dann annehmen, die Richter
hätten sich ohne genügende Überlegung von einem Vorurteil
leiten lassen. Sollte man aber in der Tat die Verurteilung
nur erschwert haben, weil die alten Grundsätze den neuen
Geschlechtern zu blutig erschienen? Es wäre dann also der-
selbe Entwicklungsgang wie bei der Ehe, nur in anderen Er-
scheinungen und unter anderen Verhältnissen
Gedanke und derselbe äussere Vorgang.

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derselbe innere

So bei den Hebräern. Aber die Blutrache war eine unter allen Zonen verbreitete Einrichtung. So fand sie sich in alter Zeit bei allen Völkern Europas 1). Der Vortritt gebührt den Hellenen. Denn ihre alte Heldensage hallt von den fürchterlichen Kämpfen der Biutrache im Atridenhause wieder, bis alles überbietend Orestes die leibliche Mutter erschlug, um den Mord des Vaters zu rächen. Wir haben kein gewaltigeres Beispiel, wie zwingend und furchtbar heilig, im Widerstreit der Pflichten alle anderen überwindend, diesen alten Geschlechtern die Pflicht der Blutrache vorschwebte, und was für eine Gewissenslast der zu ihr Berufene überkommen konnte. Und gierigen Ohres lauscht Orestes bei ÄSCHYLOS den aufreizenden Worten, die, bezeichnend genug, von Frauen, den Dienerinnen des Totenopfers, ausgehen2):

wie gewaltig

der Hass der Toten in der Tiefe sei,

Und der Erschlag'ne grolle seinem Mörder.

1) KOHLER, Shakespeare, S. 130-185. POST, Bausteine, Bd. 1, S. 142 ff. Beide mit zahlreichen Nachweisungen aus den verschiedensten Gegenden der Erde. TYLOR, Einleitung in das Studium der Anthropologie, übersetzt von SIEBERT, S. 500 ff.

2) Choëphoren V. 37 ff.: κριταί τε τῶνδ ̓ ὀνειράτων θεόθεν ἔλακον ὑπέγγυοι – μέμφεσθαι τοὺς γᾶς - νέρθεν περιθύμως - τοῖς κτανοῦσί τ ̓ ἐγκοτεῖν.

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Und weiter1):

Kind, nicht bewältigt wird der Toten Sinn

Vom raschen Zahn der Glut; es zeigt der Zorn
Spät erst, doch grässlich seine grimme Kraft.
Bejammert wird die Mordtat, aufgespürt

Der Mörder; Vätern und Voreltern schreit

Nach voller Rache ringsher wilde Klage.

dem der grosse Dichter Ganz ebenso finden wir voller Übung. Die Täter

Das ist das alte grause böse Rachelied der Menschheit, das aus Blut neues Blutvergiessen rief und die Geschlechter zu immer neuem Hass entflammte hier eherne Worte geliehen hat. auch bei HOMER die Blutrache in fliehen vor ihr2), und gelingt es ihnen nicht zu entrinnen, so ruft die Vollziehung wieder neue Blutrache von Seiten ihrer Sippe hervor. So sehen wir die Angehörigen der getöteten Freier in der Odyssee sich zur Rache als einer ihnen obliegenden Pflicht rüsten; denn Schande wäre es, der Söhne und der Brüder Tod nicht an den Tätern zu rächen3); und

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1) ebenda, V. 322 ff.: τέκνον, φρόνημα του θανόντος οὐ δαμάζει πυρὸς μαλερὰ γνάθος, φαίνει δ ̓ ὕστερον ὀργάς ὀτοτύζεται δ' ὁ θνήσκων, ἀναφαίνεται δ' ὁ βλάπτων. πατέρων τε καὶ τεκόντων γόος ἔνδικος ματεύει

τὸ πᾶν ἀμφιλαφὴς ταραχθείς. Wegen des furchtbaren Schicksals dessen, der sich der heiligen Pflicht der Blutrache entzieht, ebenda die Drohungen Apolls an Orestes, V. 272 ff.; und andererseits wieder die Schilderung des Orestes von der Scheu, mit der man ihn nach vollbrachter Rache wie einen Aussätzigen, weil Blutschuld auf ihm lastete, behandelte, bei EURIPIDES (Iphig. Taur. 954). »Und als ich ankam (in Athen), nahm zuerst kein Gastfreund freiwillig in sein Haus mich auf als gottverhasst; doch die's erbarmte, setzten Gastkost vor mich hin, wiewohl im selben Zimmer, am geschiedenen Tisch, und hielten schweigend mich vom Redewechsel fern, damit ich Mahlzeit sowie Trank abseits genoss.« Sicher ist in dieser Dichterstelle die Ansicht und Überzeugung des Volkes wiedergegeben,

2) Odyss. 13, 256 ff.; 15, 272 ff. Ilias 23, 85 ff. Vergl. auch PLATO, de legibus 9, 8, wo als Grund der Flucht, gerade wie bei ÄSCHYLOS, angegeben wird, dass der Geist des Toten die alten Stätten umschwebe und dem Täter Unruhe und Gemütsverwirrung bringe.

3) Odyss. 24, 432 ff.

WILUTZKY, Vorgeschichte des Rechts III

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