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lange erhalten haben. Noch im Jahre 1332 stellte ein Johann von Brokau eine Urkunde aus, dass sein verstorbener Bruder ohne irgend einen Mitschuldigen einen gewissen Johann Hanẹ erschlagen habe, und dass er selbst, der Aussteller der Urkunde, nach dem Ableben seines Bruders die Blutrache (inimicitiae capitales) allein zu tragen habe1). Und gleiches wissen wir von den Friesen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts). Ja, es ist aus dem Erzstift Bremen sogar um das Jahr 1468 als >Gewohnheit und Sitte< (Wanheit und Sede) bezeugt, dass, wenn ein Totschlag geschehen, die ganze Sippe (Schlechte, d. h. Geschlecht) des Toten die ganze Sippe des Totschlägers befehde und wiederum diejenigen totschlügen, die daran unschuldig wären und denen der Totschlag auch leid war, und die ganze Sippe Fehde darum leiden musste, sodass mancher biedere Mann, der an der Sache unschuldig war, seines Leibes und Gutes nicht sicher sein konnte und seine Arbeit und Nahrung darüber versäumte < 3). Und ganz ebenso schreibt

1) E. J. WESTPHALEN, Monumenta inedita rerum Germanicarum praecipue Cimbricarum, Leipzig 1740, Bd. 2, S. 111 Nr. CXXXI. Ein Seitenstück hierzu ist das oben, Bd. 1, S. 168 erwähnte Vorkommen der Kaufehe bei den Dithmarschen am Ende des 15. Jahrhunderts.

2) FRAUENSTÄDT, Blutrache und Totschlagsühne, S. 10 teilt folgende Stelle aus einem zeitgenössischen Schriftsteller mit: Ab antiquissimo tempore in consuetudinem immanissimam habebant Frisones, ut occiso homine unius cognationis ab altera, occisum corpus non sepeliretur a suis, sed suspensum in loculo servaretur et desiccaretur in domo, quousque ex cognatione contraria in vindictam occisi plures vel saltem unum adversa cognatio pro morte vicaria trucidaret et tunc primum mortuum suum sepulturae debitae cum magna pompa tradebat. Die Geschichte der Ostfriesen berichtet aus dem 12. Jahrhundert, dass die Blutrache für einen Erschlagenen durch stufenweises Anschwellen eine 20 jährige Fehde zwischen Osteringern und Wangerländern und den beiderseitigen Verbündeten herbeiführte und Schlachten veranlasste, in denen Hunderte und Tausende fielen (Ausland 1873, S. 511).

3) JOHANN VOGT, Monumenta inedita rerum Germanicarum praecipue Bremensium, Bremen 1752, Bd. 2, S. 148 ff.

ein Lübecker Chronist aus dem 14. Jahrhundert1): »Und es
war in dem Lande zu Holstein eine jämmerliche, böse, schnöde
Sitte, nämlich dass ein Bauer den andern totschlug auf
seine Fehde: dies war ihre schnöde Willkür (d. h. selbstge-
kürtes Recht) und doch Unrecht. Diese Totschläge und Morde
geschahen gar viel und hatten eine wunderliche Weise, die
war also:
Wurde einem sein Vater oder sein Bruder oder
sein Vetter erschlagen, und hatte der Totschläger einen
Vater, einen Bruder, einen Vetter oder wer sonst sein Schwert-
mage sein mochte, den schlugen sie wieder tot, wenn es ihnen
gelang, gleichviel ob es ihm leid war (d. h. ob er die Bluttat
beklagte) oder nicht, ob er davon Wissen hatte oder ob er
zur Zeit des Totschlags über See war zu Rom (d. h. auf der
Pilgerfahrt) oder in Norwegen. Auf diese Art wurde mancher
biedere Mann erschlagen und war es richtiger Mord, für den
es auch Kaiser Karl erklärte, als er zu Lübeck war (1375)
und gebot, dass sie von der Mörderei ablassen sollten«. Es
ist jedenfalls sehr bezeichnend, dass sich gerade in Gegenden
mit vorwiegend bäuerlicher Bevölkerung die alte Blutrache
am längsten erhalten hat, und werden wir nicht fehlgehen,
den Grund in dem dortigen längeren Fortbestehen der alten
Hausgenossenschaften zu suchen. Seltener wird uns derartiges
aus den Städten berichtet, aber auch hier haben wir ein
grausiges Beispiel in der Erzählung eines elsässischen Chro-
nisten2): >>Als man zählte nach Gottes Geburt 1374 Jahr,
am St. Georgentag nach Nachtessen, da erhub sich ein Krieg
und ein Geschelle bei St. Thomas zwischen den zwei Ge-
schlechtern zu Strassburg genannt die Rebenstöcke und die
von Rosheim. Und derer von Rosheim wurden 3 erschlagen.
Darum wurde zwölfen von den Rebenstöcken die Stadt ver-
boten (d. h. wurden aus der Stadt verbannt), die zogen

1) FRAUENSTÄDT a. a. O., S. 13.

2) Bei FRAUENSTÄDT a. a. O., S. 32.

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hand nach Molsheim und waren da gesessen (machten sich daselbst ansässig). Als die von Rosheim erkundschafteten (befundent), dass ihre Feinde dass ihre Feinde zu Molsheim wohnten, da schlichen sie heimlich in die Stadt nach Molsheim und lagen so manchen Tag in einem Hause verborgen und warteten, wenn sie über ihre Feinde könnten kommen. Hierum wussten die Rebenstöcke nicht und gingen ungewarnt zehren und essen auf der Edelleute Trinkstube zu Molsheim. Und als die Rebenstöcke eines Mals alle zehn auf der Stube zu Nacht gegessen hatten und bei einander waren, da liefen die von Rosheim heimlich aus dem Hause, darin sie verborgen waren, und kamen gewaffnet auf die Trinkstube über die Rebenstöcke und stachen ihrer 8 zu Tode und zwei junge Knaben, die entrannen. Und als die von Rosheim ihre Feinde also erstochen hatten, da liefen sie an die Ringmauer zu Molsheim und da es Nacht war und die Pforten geschlossen waren, kamen sie mit Leitern und mit Seilen über die Mauer hinaus, wie sie es vorher bestellt hatten. Dies geschah an St. Valentinsabend nach Gottes Geburt 1375 Jahr. Danach klagten die Rebenstöcke, die noch zu Strassburg waren, vor dem Rate diesen Mord (d. h. sie erhoben die Klage auf Mord). Da erkannten Meister und Rat, dass die von Rosheim keinen Mord damit hätten begangen, dass sie ihre Feinde erschlagen hätten, und verboten jeglichen, die dies getan, die Stadt 10 Jahr, wie man denen tut, die einen Totschlag begangen haben.<<

Und vollständige Kriegszüge der Geschlechter zur Ausübung der Blutrache werden uns aus der Schweiz berichtet. Denn hier zog noch im Jahre 1533 Kaspar Wernli von Freiburg, um seinen Bruder zu rächen, »sampt seiner starken Freundschaft und Gesellschaft, auf 80 Mann gerechnet, alle wohl gewappnet«, auf Genf und begann hartnäckig einen Privatkrieg. So erteilt das Stadt- und Amtsbuch von Zug noch 1566 den Leib des Todschlägers, wenn er flüchtig geworden war und deshalb

verrufen und in den Unfrieden verkündet wurde, den Verwandten des Getöteten. Es war dies aber nicht nur dort, sondern ein mindestens über einen grossen Teil der Schweiz (Luzern, Thurgau, Glarus u. sw.) verbreitetes Recht und wird in einer >Ordnung« aus dem 15. Jahrhundert deutlich dahin ausgesprochen: »>so ihn (den Totschläger) der entlypten fryndschaft in der Landgrafschaft uff Wasser oder Land betreten, das sy in mit oder ohne Recht vom Leben zum Tode bringen mögend.<< Und wurde ihnen zu diesem Zweck nach einem hergebrachten Formular ein Freibrief erteilt, kraft dessen sie im Gebiet der Verrufung die Blutrache ausüben konnten1).

So also war es mit unsern Altvordern. Ähnlich wird uns aus dem alten Wales bezeugt, dass dort der Stolz auf die Reinheit und Ehre des Geschlechts und die den Kymren angeborene Leidenschaftlichkeit bei einer Verletzung des Bluts und der Familienehre das ganze Geschlecht gegen das Geschlecht des Täters zur Rache waffnete, und Mord mit einer gleichen Anzahl von Tötungen in der Sippe des Mörders vergolten wurde 2).

Ganz besonders war die Blutrache heimisch bei den slavischen Völkern, die in heidnischer Zeit einen eigenen Gott der Blutrache (Wit oder Wet)3) hatten. Bei den Russen kommt in ihrer ältesten Geschichte die Blutrache sogar in der Herrscherfamilie vor4). Und noch die sogenannte Russkaja Prawda des Fürsten Jaroslaw Volodimeritsch von Nowgorod (1018-1054) sanktioniert ausdrücklich die Blutrache und regelt,

1) OSENBRÜGGEN, deutsche Rechtsaltertümer in der Schweiz, Zürich 1858, S. 16 ff.

2) WALTER, Wales, S. 138.

3) F. S. TOBIEN, die Blutrache nach altem russischen Recht, Dorpat 1840, Bd. 1, S. 101 ff. Über diese Gottheit vergl. J. HANUSCH, die Wissenschaft des slavischen Mythus, Lemberg 1842, S. 171 ff.

4) J. EWERS, das älteste Recht der Russen, Dorpat 1826, S. 50 ff., 97 ff., 109 ff. TÓBIEN a. a. O., S. 169 ff.

wer zu ihr berufen ist: »Erschlägt der Mann einen Mann, so räche der Bruder den Bruder oder der Sohn den Vater oder der Vater den Sohn oder der Brudersohn oder der Schwestersohn < 1). Die Ähnlichkeit des Gesetzes mit dem nordgermanischen Recht ist so gross, dass einer der besten Kenner dieses Rechts Entlehnungen für sehr wahrscheinlich hält2).

In Polen findet sich die Blutrache sogar bis in den Anfang des 15. Jahrhunderts nicht nur zwischen den stolzen polnischen Adelsgeschlechtern, sondern auch unter der untertänigen Bauernschaft, und waren oft jahrelange Fehden die Folgen eines Totschlags3).

Auch in Böhmen galt sie bis in das 14. Jahrhundert hinein1), und war es hier insbesondere die katholische Kirche, die durch Einführung geistlicher Gerichte (Synodal- oder Sendgerichte) der Blutrache nach Kräften entgegenzutreten suchte 5).

Und jetzt zu einem klassischen Gebiet der Blutrache, den Ländern der Südslaven! In Serbien, Bosnien, Montenegro wo sich die Hausgenossenschaften bis in die Gegenwart hinein erhalten hatten! gilt die Blutrache als eine heilige Pflicht, der sich der Mann unterziehen muss, und wird entfesselt, wenn seine empfindliche Ehre auch nur im geringsten Gegenstande verletzt wird. Als Grund zur Blutrache wird

1) EWERS, S. 264, 273. Ähnliche genaue Regelungen enthält ein züricher Ratsbeschluss vom Jahr 1448, den OSENBRÜGGEN in seinen deutschen Rechtsaltertümern aus der Schweiz, Zürich 1858, S. 16 ff. mitteilt.

2) WILDA, Strafrecht der Germanen, S. 180 in der Anm. 2.
3) WESNITSCH in Zeitschrift, Bd. 8, S. 451.

4) WESNITSCH a. a. O., S. 454, KOHLER, Shakespeare, S. 147.

5) WESNITSCH a. a. O., S. 454; vergl. die Sühneurkunde bei FR. MIKLOSICH, Die Blutrache bei den Slaven, in den Denkschriften der Wiener Akademie der Wissenschaften, Bd. 36 (1888), S. 195. Über diese kirchlichen Sendgerichte vergl. auch FRAUENSTÄDT, Blutrache und Todschlagssühne, S. 113 ff.

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