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nicht nur, wie bei andern Völkern, Tötung, Verwundung, Entführung eines Mädchens, Untreue gegen die Braut u. s. w. angesehen, sondern jede Beleidigung, ja sogar ungünstige Zeugenaussagen in einem Prozess, Streitigkeiten über Weidegerechtigkeiten und was noch sonst ist, sodass die Blutrache mitunter nicht nur den Straf-, sondern auch den Civilprozess zu ersetzen scheint. Und jede Kleinigkeit kann ein unabsehbares Blutvergiessen nach sich ziehen 1). Es genügt zu fürchterlichster Blutrache, wenn vom Bart eines andern mit Geringschätzung gesprochen, oder dass die Herde an der Quelle eines andern Dorfes getränkt wird. Ganz, wie bei andern Völkern, wird dieser Kampf von Geschlecht zu Geschlecht, von Dorf gegen Dorf geführt, und die vollzogene Blutrache ruft von der andern Seite wieder neue Rache hervor (vendetta traversa). Und wie wir bei den Germanen sahen, auch hier wird kein Unterschied zwischen dem Schuldigen und dem Unschuldigen, dem zum Kampf gerüsteten und dem sich ihrer nicht erwehrenden Manne gemacht. Nicht einmal die Geistlichen sind davor geschützt, wie es noch vor 50 Jahren vorgekommen ist, dass man den Priester in der Kirche erschoss, als er das Evangelium verlas und nur, weil er als Bewohner seines Dorfs der Blutrache preisgegeben war. Die Strafgewalt des Staats, als ein Stück fremder aufgedrängter Kultur, wird ignoriert, und es hat sich in den österreichischen Provinzen sogar zugetragen, dass die Richter vor der Sippe des Verurteilten ihres Lebens nicht sicher waren. So wütet die Rache verheerend in diesen Ländern, und droht mitunter die Ausrottung der männlichen Bevölkerung ganzer Gegenden. Denn nur die Frauen und die Kinder sind vor der Blutrache gesichert und

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1) So wird berichtet, dass noch heute in Montenegro Leute zu erzählen wissen, dass aus dem Grunde der Blutrache an einem Tage 72 Mann deshalb gefallen sind, weil ein Mitglied ihres Stammes ein Mädchen eines anderen Stamms ausgelacht hat (WESNITSCH a. a. O., S. 470).

ebenso der Gastlichkeit dieser Völker entsprechend,

Fremde. Und gerade die Frauen sind es an die Erinnyen der Hellenen!

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der

man denke dabei

die die blutigen Kleider

des Erschlagenen aufbewahren und sie den unmündigen Kindern zeigen, um, wenn sie dereinst zu Männern heranwachsen, die Bluträcher zu werden. Liegt das Kind noch in der Wiege, wird ihm das blutige Hemd oder ein in das Blut getauchtes Tuch unter den Leib gelegt und die Mutter spricht in seinem Namen den Racheeid, den sie sicher nicht vergisst und dem Kinde später mit Tränen einprägen wird, bis endlich für Blut wiederum Blut geflossen ist1).

Bei den Albanesen Nord- und Mittelalbaniens soll die Blutrache noch heute gesetzlich anerkannt sein 2). Und wird uns von ihnen bezeugt, sie seien dermassen auf die Blutrache erpicht, dass sie der Verlust eines teuren Toten weniger schmerzt, als die Unmöglichkeit, Rache zu nehmen, wenn der geflohene Mörder keine Verwandten oder Freunde zurückgelassen hat. Dann geschehe es nicht selten, dass der Bluträcher solche Leute erschiesse, welche mit dem Mörder gar nichts zu tun hatten, als dass sie vielleicht einmal mit ihm gesprochen haben. Doch rüste sich dann wieder die Sippe des Getöteten gegen den Rächer und seine Familie, sodass auch hier die Blutrache ins Unendliche ihre Kreise ziehe und sich mitunter durch Jahrzehnte fortpflanze3).

1) WESNITSCH in Zeitschrift, Bd. 9, S. 54 ff.; J. G. KOHL, Reise nach Istrien, Dalmatien und Montenegro, Dresden 1851, S. 406 ff. Vergl. auch den von LÖFFLER (Die Schuldformen des Strafrechts, Bd. 1, S. 18) mitgeteilten Schwurgerichtsfall aus Dalmatien aus dem Jahre 1894, wo der Totschläger wegen Notwehr freigesprochen ist und nunmehr die Bluträcher den ahnungslosen 14 jährigen Bruder des Täters, der ein Liedchen trällernd des Weges daherkommt, töten.

2) WESNITSCH a. a. O., S. 470; FR. MIKLOSICH a. a. O., S. 163 ff. 3) GOPCEVIC, Oberalbanien und seine Liga, S. 325.

Mit der gleichen erschreckenden Naturgewalt, wie in diesen Ländern, tritt die Blutrache (vendetta) in Korsika auf. Auch hier ist sie heilige Pflicht, und gilt es als ehrlos, die Tat nicht am Täter zu rächen. Ganz, wie bei den Nordgermanen, werden auch hier die Kinder in die blutigen Fehden mit hineingerissen, und sind Fälle vorgekommen, in denen die Knaben aus feindlichen Geschlechtern einander erdolcht oder erschossen haben. Der bekannte Schilderer Korsikas, GREGOROVIUS, erzählt in anschaulicher Weise von den Schrecknissen der Vendetta1): »Sobald die Tat (der Totschlag) ruchbar geworden ist, greifen die Verwandten des Gefallenen zu den Waffen und eilen, den Mörder zu treffen. Der Mörder entsprang zum Buschwalde, er klimmt dort vielleicht zum ewigen Schnee empor und lebt mit dem Wildschafe; seine Spur ist verloren. Aber der Mörder hat Verwandte, Brüder, Vettern, einen Vater; die Verwandten wissen, dass sie mit ihrem Blute für die Tat einstehen müssen. Sie bewaffnen sich also und sind auf ihrer Hut. Das Leben derer, welche sich im Stande der Vendetta befinden, ist nun ungemein elend. Wer die Vendetta zu fürchten hat, schliesst sich in sein Haus und verrammelt sofort die Türen und Fenster, in welchen er nur Schiessscharten übrig lässt. Mit Stroh und Matratzen werden die Fenster verkleidet. Das korsische Haus in den Bergen, schon an sich hoch, fast turmartig, enge, mit einer sehr hohen steinernen Treppe wird leicht zur Festung. In dieser Schanze hält sich der Korse, immer auf seiner Hut, dass ihn nicht eine Kugel durch das Fenster erreiche. Bewaffnet ackern seine Verwandten, stellen Wachen aus, sind keines Schrittes mehr auf dem Felde sicher. Man erzählte mir von Beispielen, dass Korsen 10, ja 15 Jahre lang ihre verschanzte Wohnung nicht verliessen und in steter Todesangst so lange Zeit ihres Lebens

1) Korsika, Bd. 1, S. 147. Über die Blutra che auf Sardinien MIKLOSICH in den Denkschriften der Wiener Akademie der Wissenschaften, Bd. 36 (1888), S. 173.

belagert hinbrachten.

Denn die korsische Rache schläft nimmer, und der Korse vergisst nicht. Es ereignete sich in Ajaccio vor kurzer Zeit, dass ein Mann, welcher 10 Jahre in seinem Zimmer gelebt und endlich sich auf die Strasse gewagt hatte, bei seiner Rückkehr vor der Schwelle seines Hauses tot niederstürzte. Die Kugel dessen, der 10 Jahre lang über ihm gewacht hatte, hatte ihm das Herz durchbohrt.« Von der Masslosigkeit und der Schrecken erregenden Leidenschaftlichkeit, mit welcher die Korsen sich der Blutrache hingeben, mag eines ihrer Vendettalieder, durch welche an der Bahre des Toten die Hinterbliebenen angefeuert werden, eine Vorstellung gewähren 1):

» Wartet nur, bis auf dem Lande

Ist der Winterschnee zerflossen,
Rache wird dann ausgegossen
Von den Bergen bis zum Strande.
Rache ist wie Flammenbrände,

Allerweilen fasst es behende.

Wenn ein Dutzend wird erstochen

Von den Ersten und von den Reichen,

Sind mit diesem Dutzend Leichen

Seine Stiefel kaum gerochen.<<

So hat die Blutrache bis in die neuste Zeit hinein in Korsika Mord auf Mord gehäuft; wer Näheres darüber erfahren will, dem möchte ich nicht nur das prächtige Werk unseres Landsmanns Gregorovius, sondern auch die Meisternovelle des Erzählers und Ethnologen PROSPER MÈRIMÉE, Colomba, als Lesestoff empfehlen; hier wird uns unter getreuer Schilderung von Land und Leuten eine Schwester vorgeführt, die, an die Elektra der Antike erinnernd, die Rache schürt, eine Frau, die zum Blutbade anfeuert. Aber dies alles ist keine Besonderheit Montenegros oder Korsikas oder irgend eines einzelnen Landes, sondern wie die Grundzüge des menschlichen

1) GREGOROVIUS, Korsika, Bd. 2, S. 62.

Entwicklungsgangs der Menschheit gemeinsam sind - so finden wir die Blutrache nicht hier und dort, nicht in diesem oder jenem Lande, sondern in allen Ländern, die sich ursprüngliche Verhältnisse bewahrt haben, und wo dies nicht mehr ist, in ihrer Vergangenheit. Ausnahmen vom Wege, den die Dinge im allgemeinen genommen haben, mögen auch hier vorgekommen sein. Wie es Menschen gibt, die Hass und Streit wie ihr Lebenselement lieben und ihre Nebenmenschen bis auf das Blut verfolgen, weil ihre Natur es ihnen gebietet, und hin und her auch solche, die friedfertig wie Lämmer sind, so mögen ja auch Völker dergestalt verschieden veranlagt sein; und gerade wie sich darüber streiten lässt, wer der nützlichste Bürger ist, das umstürzende Genie oder der Mann mit dem beschränkten Gesichtskreis, der mit Fleiss tut, was der Tag von ihm fordert so mag es auch mit der Abwertung der einzelnen Nationen ein schwierig Ding sein. Aber das glaube ich ohne Bosheit sagen zu können, dass es immer mehr Rachsüchtige als Friedfertige gegeben hat. Das mag nun so sein. Jedenfalls sind die Spuren eines früheren allgemeinen Vorkommens der Blutrache auch in Europa weit verbreitet, und wir müssen uns immer gegenwärtig halten, dass sie in alter Zeit die einzige Verfolgung des Verbrechens, also der Vorläufer unseres heutigen Strafverfahrens war. Sie muss auch in dem neuen Griechenland diese Rolle gespielt haben; denn wenigstens bei dem Stamm der Mainoten im Felsengebirge des Taygetus war sie noch im Jahre 1831 in allgemeiner Übung 1).

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1) G. GEIB, Darstellung des Rechtszustandes in Griechenland, Heidelberg 1835, S.99 ff.: auch hier offener Kriegszustand zweier Familien, der sogar auf die nachfolgende Generation übergehen konnte. Auch hier, wie in Korsika, verschliesst sich der mit der Blutrache Verfolgte in seine gefestigte Wohnung oder Burg (úpyos), und nur die Frauen sind unverletzlich.

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