Johann Heinrich Jung's, genannt Stilling, Doktor der Arzneikunde und der Weltweisheit, Großherzoglich • Badischer sämmtliche Schriften. 1 1. Auch eine heilige Familie. Ich habe oft von Männern, die am Christus - Eckel kränkeln, den Einwurf gehört: was denn doch die Religion Jesu viel müße, und genüht habe? -Die europäischen oder christlichen Nationen feyen ja doch in Ansehung ihrer sittlichen Vervollkommnung kinén Grod desser, als von jeher auch andere gebildete Völker gewesen sind. Im Ganzen genommen ist freilich etwas dran: die Staatspolitik ist noch immer eber so pfiffis, als fie bei den Assyriern, Babyloniern, Persern, Griechen und Römern war; und unsere Kriege haben durchgehends so wenig Christliches, daß man eine europäische Armee wohl schwerlich von Nebukadnezars oder Alexanders Heeren, was die Handelsweise betrifft, würde unterscheiden können. Was vollends den physischen und moralischen Lurus angeht, so geben wir darin den Völkern aller Orten und aller Zeiten nichts nach. Wenn wir aber in's Einzelne gehen, und die Volksmasse von Haus zu Haus, und von Familie zu Familie prüfen, so findet der ruhige und Gott · liebende Beobachter manches verborgene, aber eben darum desto reincre Gute; einen Fortschritt in der Heiligung, den man außer der Christenheit, in dem Grade, vergebens sucht. Man trifft allerdings unter Juden, Mahomedanern und Heiden auch einzelneedle Menschen an; aber bei weitem nicht in der Menge, und in dem hohen Grade der Menschengüte, als unter den Christen. „Das Reich Gottes ist einem Sauerteige gleich, den Jemand nahm, und ihn unter das Mehl verbarg, bis es ganz durchgesäuert ward." Noch immer ist der Leig nicht gesäuert, aber das Ferment wirkt im Verborgenen unaufhaltbar fort, und Er wird schon daraus machen, was daraus werden soll. Wenn Prediger und Aerzte Augen und Willen zum Beobachten haben, so können sie Wirkungen der Religion, besonders unter dem gemeinen Volke, entdecken, die Einem Herz und Seele erquicken. Ein treffliches Beispiel von der Art will ich jetzt erzählen; es geht ohnehin stark auf Mitternacht zu: wir werden über dem langen Warten auf die Zukunft unseres Herrn, schläfrig, und es giebt der muthwilligen Knaben so viele, die immer darüber aus sind, einem das ohnehin so schwach brennende Lämpchen unvermerkt auszublafen, welches sie aufklären nennen; so daß es höchft: nöthig ist, fich untereinander wachend zu halten: Und da ist bekanntlich, nichts besser und zweckdienlicher, als wenn man sich etwas Hübsches erzählt. Nun, Kinder, feyd aufmerksam! — Aber gebt auch Acht auf die pauss backigen Jungens, und häftet die Hand um das Flämmchen ! In dem herrlichen That, in welchem unten am Ende Schönthal liegt, blühen die Leinwand-Fabriken in einem hohen Grade; von Osten gegen Westen zu, zwei Stunden lang, sieht der ganze Grund einem Lustgarten voller prächtiger Landhäuser ähnlich; hier wohnen reiche Kaufleute und wohlhabende Fabrikanten zerstreut durcheinander. Jeder hat das, was er bedarf, um sich her, Alles wimmelt von Thätigkeit, und im Sommer staunt der Wanderer aus der Ferne die großen, prächtigen Fluren an. Er kann nicht begreifen, wie sich der Schnee, mit schwüler Sommerhihe verträgt; kommt er aber näher, so entdeckt er erst, daß sie über und über mit schneeweißem Garn belegt sind. In einer abgelegenen Ecke des großen Thals, da, wo ein kleiner Bach sich durch ein enges Thälchen herabschlän |