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58.

Am neunzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Wer jemals ernsthaft über die Ursachen nachge

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dacht hat, M. 3., warum die Wahrheit überall so viel Hindernisse findet, warum das Gute aller Art so wenig Fortschritte macht, warum die Heilsamsten Bemühungen und die nüßlichsten Unternehmungen fast immer vereitelt werden, und ohne Wirkung bleiben: dem wird es nicht entgangen seyn, daß vornämlich eine gewisse Unart der menschlichen Nas tur hieran schuld ist, welche man gewöhnlich für etwas unschädliches, und oft genug sogar für et was Rühmliches hält. Das voreilige Entscheiden und Absprechen über Dinge, weiche man nicht genug kennt, deren Beweise man nicht geprüft, deren Folgen man nicht überlegt hat, ist diese Unart; nichts Stiftet mehr Schaden, nichts verursacht ben jeder neuen Anstalt, ben jeder vorzunehmenden Verbesserung mehr Schwierigkeiten, als dieses schnelle, bestimmte, alles auf einmal gleichsam zu Boden schlagende Urtheil, welches gemeiniglich mit so vieler Selbstgefälligkeit und Anmaffung gefällt wird. Habt ihr jemals die Pflicht, oder den Willen gehabt, Vorurtheile auszurotten, neue Wahrheiten vorzutragen, nüßliche Vorschläge zu thun, wichtige Geschäfte auszuführen: o so müsset ihr es mit Unwillen, so müsset ihr es mit dem tiefften Schmerz empfunden haben, daß euch Niemand mehr daben im Wege B

D. Reinh, vollk. Predigtfammtg. 4. Th.

stand, daß euch Niemand alles mehr erschwerte, als jene voreilige, stolze Gattung von Menschen, die euch verurtheilten, ehe sie euch gehört hatten, die über euch entschieden, ohne euch verstanden zu haben, die euch mit einem kurzen Machtspruch abwiesen, noch ehe sie recht wußten, wovon eigentlich die Rede sey. Und wie ist es zu bedauern, daß wir zu dieser Unart, zu diesem voreiligen Entscheiden und Absprechen, mehr oder weniger alle geneigt sind. Wir seßen uns nur allzuoft durch einen Spott, durch ein wegwerfendes Urtheil, durch ein Kraftwort, das Andre abschreckt und zum Stillschweigen bringt, über Dinge weg, die unsers aufmerksamsten Nachdenkens, und unsrer sorgfältigsten Beherzigung werth gewefen wären, und nicht selten wünschen wir uns zu der Entschlossenheit, mit der wir uns aus derglei chen Angelegenheiten zu ziehen wissen, mit einer Art von Selbstzufriedenheit sogar Glück.

Das Evangelium, über welches ich jezt reden foll, M. 3., ist ein klarer Beweis, wie sehr auch Jesus mit dieser Unart seiner Zeitgenossen zu kämpfen hatte, wie viel Hindernisse dieses schnelle Entscheiden und Absprechen ihm ben allem in den Weg legte, was er lehrte, unternahm und that. Einem Elenden, der sich aller Wahrscheinlichkeit nach durch seine Ausschweifungen eine gefährliche Lähmung zugezogen hatte, und bey Jesu Hülfe suchte, ruft er im Evangelio die Worte zu: sen getrost; mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Ohne über den Sinn nachzudenken, den diese Worte haben konnten, ohne abzuwarten, ob Jesus sein Recht, so zu sprechen, beweisen werde, ohne untersucht zu haben, wer Jesus sen, und wofür man ihn halten müsse: entscheiden einige Schriftgelehrte, welche dieß mit angehört hatten, sogleich, Jesus sen ein GottesLästrer, er masse sich ohne Ursache an, was nur ein Vorrecht Gottes sen. Und abgewiesen, verurtheilt,

für einen groben Verbrecher erklärt würde Jesus gewesen seyn, wenn er nicht Gelegenheit gehabt hätte, seine voreiligen, unberufenen Richter auf der Stelle zu beschämen, und vor den Augen der ganzen Versammlung dem seine Gesundheit wieder zu geben, welchem er vorher Verzeihung und Gnade bloß angekündigt hatte..

Christen, die ihr Empfindung habt, die ihr Billigkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit liebet, ich berufe mich auf eure Erfahrung, ob edler Unwille nicht oft eure ganze Seele empört, ob_euch nicht zuweilen das Herz blutet, wenn ihr die stolzen, entscheidenden, wegwerfenden Machtsprüche höret, mit welchen das Laster in Schutz genommen, und die Unschuld verurtheilt, der eitle Prahler bis in den Himmel erhoben, und das wahre Verdienst gelästert, mit welchen ununtersucht und ungeprüft die wichtigsten Wahrheiten, die heilsamsten Vorschläge, die nüßlichsten Unternehmungen abgewiesen und vers worfen werden. O ein viel zu großes Uebel, ein viel zu wenig erkannter Fehler ist jener anmassende, stolze Ton, in welchem Manche iminer, und Andre wenigstens zuweilen über Dinge absprechen, die sie erst mit, bescheidner Gelehrigkeit besser sollten kennen lernen, als daß ich es nicht nöthig finden sollte, einmal ausführlich davon zu reden, und euch zu zeigen, wie wenig es Christen gezieme, so zu handeln. Warnungen wider voreiliges Entscheiden und Absprechen werd ich also heute an euch ers gehen lassen, M. Br. Nothwendig muß ich die Beschaffenheitdieser Unart etwas genauer erklären; hernach wollen wir sehen, wie schändlich sie sey; wir wollen uns von dem Scha= den unterrichten, der daraus entspringt; dieß wird uns denn zulezt auf einige Folgen führen, die wir als Regeln für unser Vers halten, und als Mittel betrachten wollen,

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diesen gefährlichen Fehler zu verbessern. Geist der Weisheit, der Sanftmuth und der Liebe möchtest du uns erleuchten, möchtest du uns den Sinn für Wahrheit und die stille Bescheidenheit geben, die gern höret und prüft, die gern Lehre annimmt, und sich weisen läßt; möchtest du uns bilden nach dem Muster dessen, der sanftmüthig war, und von Herzen demüthig. Wir flehen um diese Gnade in stiller Andacht.

Evangelium: Matth. IX. v. 1—8.

Da trat er in das Schiff, und fuhr wieder_herüber, und kam in seine Stadt. Und siehe, da brachten sie zu ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bette. Da nun Jesus ihren Glauben sahe, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Sen getrost, mein Sohn, deine Sünden find dir vergeben. Und hiehe, etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bey sich selbst: Dieser lästert Gott. Da aber Jesus ihre Gedans ten sahe, sprach er: Warum denket ihr so Arges in euren. Herzen? Welches ist leichter zu sagen: Dir find deine Sün den vergeben; oder zu sagen: Stehe auf, und wandele? Sluf daß ihr aber wiffet, daß des Menschensohn Macht habe, auf Erden die Sünden zu vergeben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, hebe dein Bette auf, und gehe heim. Und er stund auf, und gieng heim. Da das Volk das sahe, verwunderte es sich, und preisete Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat.

Voreiliger kann man fast nicht entscheiden und absprechen, M. 3., als die Schriftgelehrten in dem vorgelesenen Evangelio. Kaum hatte Jesus die Worte gesagt: sey getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben: so war es nach ihren Gedanken schon ausgemacht, er lästre Gott, Sie erklärten ihn, ohne weitere Erläuterungen und Beweise abzuwarten, ben sich selbst für einen strafbaren Verbrecher.

Lasset uns von diesem merkwürdigen Beyspiel eines voreiligen Entscheidens und Absprechens Gelegenheit nehmen, die Beschaffenheit dieser Unart et: was genauer zu erklären, damit es uns möglich

werde, die im gemeinen Leben vorkommenden, fast unzähligen Ausbrüche und Wirkungen derselben gehörig zu überschan. Nicht alles entscheidende Üb sprechen ist fehlerhaft, M. 3. Leuchtet die Wahrs heit oder Falschheit, die Rechtmäßigkeit oder Unrechte mäßigkeit, die Nüßlichkeit oder Schädlichkeit einer Sache so stark in die Augen, daß gar kein Streit darüber seyn kann; haben wir bey Dingen, deren wahre Natur nicht so unmittelbar deutlich ist, sorgs fältige Untersuchungen angestellt, und alles gesam melt, alles geprüft, was zur Vorbereitung eines gründlichen Urtheils erforderlich war: so können wir allerdings in einem festen Tone, mit männlichem Vertrauen, und mit entscheidender Gewißheit sprechen; sich auch in solchen Fällen nicht bestimmt erklären zu wollen, würde Unverstand, oder Zweifelsucht seyn. Allein unzählige Menschen nehmen Par then, und äussern sich mit entscheidender Anmassung ben Dingen, die nichts weniger, als unmittelbar deut lich sind, und von denen sie sich keinesweges so unter: richtet haben, wie es die Geseße einer vorsichtigen und gründlichen Prüfung fordern. Wer so leichts finnig und vorschnell ist, wenn es darauf ankommt, über Lehren, Absichten, Handlungen und Personen ein Urtheil zu fällen; wer eine bestimmte Meynung dafür oder dawider faßt, ohne alles gehörig untersucht, überlegt und abgewogen zu haben, was das bey in Betrachtung zu ziehen war: der hat die Unart an sich, von welcher ich rede, der macht sich eines voreiligen Entscheidens und Absprechens schuldig. Auf eine dreyfache Art kann also dieser Fehler begangen werden; wer sich für oder wider etwas erklärt, noch ehe er es gehö rig verstanden, noch ehe er die Beweise dafür angehört, noch ehe er die Wirkun gen und Folgen davon abgewartet hat, ent scheidet voreilig, und spricht mit einer Schnelligs keit ab, die auf keine Weise entschuldigt werden kann.

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