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qio) entgegen, wehrte ihm weiter vorzudringen und weissagte sein nahes Ende (Dio Cass. 55, 1). Später übte nach der Sage vom Ursprung der Langobarden bei diesem Volk Gambara durch Weisheit und Voraussicht grossen Einfluss. Im Jahr 577 zog König Gunthram eine Frau ,,habentem spiritum phitonis, ut ei quae erant eventura narraret" zu Rat (Greg. Tur. 5, 14); einer noch weit jüngeren Thiota, die aus Alamannien nach Mainz gekommen war, gedenken fuldische Annalen im Jahr 847 (MG. 1, 365).

Im Norden treffen wir Tempelpflegerinnen, Tempelbesitzerinnen unter der Bezeichnung gydjur; das weibliche Seitenstück zum godi oder gudi. Tempeldienst, Opfer und Weissagung wird ihr Amt gewesen sein. Dem Nerthuspriester steht die schwedische Freyspriesterin (Fornmanna sögur 2, 73 ff.) gegenüber. Sie wird als Freys Frau (kona Freys) bezeichnet; zum Dienste Freys ward ein junges, schönes Weib (kona ung ok fríd) genommen. Dass eine Frau am Landestempel zu Uppsala allein Dienst that, ist höchst unwahrscheinlich. Auch gedenkt Adam von Bremen 4, 27 der Staatspriester (sacerdotes, qui sacrificia populi offerant). Immerhin aber bleibt im Hinblick auf die gydjur in Norwegen und Island die Thatsache bestehen, dass Frauen im Norden zum Tempeldienst zugelassen wurden. Die 60 Priesterinnen im grossen Tempel in Biarmland (Fornaldarsögur 3, 627) sind natürlich fabelhaft. Die weissagenden Frauen (spákonur, volvur) greifen in den privaten, nicht in den öffentlichen Kult ein.

6. Die Wissenschaft der Priester.

Gebundene, kunstvoll gefügte Rede stand in Urzeiten vorwiegend im Dienste der Religion. Im Liede wurden bei Opfer und Festen die Götter gepriesen. Heilige Hymnen bilden daher den ältesten Bestand der Dichtkunst, und so eröffnen auch die altgermanischen Leiche1) die Geschichte germanischer Poesie. Wo aber ein priesterlicher Leiter oder Vorsteher des Gottesdienstes vorhanden ist, ruht auch die mit dem Gottesdienst verknüpfte Dichtkunst in seiner Hand. Erst später löst der weltliche Sänger den geistlichen ab. Der germanische Priester war einmal auch

1) Über die germanischen Chorlieder, die als laikaz, mhd. leich bezeichneten Hymnen, die aber natürlich vom Chore nur gesungen, nicht auch gedichtet wurden, vgl. Kögel, Geschichte der deutschen Litteratur I, 1, 7 ff.

Die Wissenschaft der Priester.

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der germanische Sänger. Neben genauer Kenntniss des Opferwesens musste der Staatspriester erschöpfende Wissenschaft aller göttlichen Dinge besitzen, Göttersage, Rechtskunde, deren Vortrag im Zusammenhang und lehrhafte Anwendung im einzelnen, z. B. beim Heilzauber, bei Verträgen und Dingformeln fiel ihm zu. Alles das musste aber in feierlich gestabter Rede, in dichterischer Form, gesagt und gesungen werden.

In merkwürdig übereinstimmender Form hat sich das epischmythische Lied bei den vedischen Indern und bei den Germanen entwickelt. Die mythische Erzählung ist aus Prosa und strophisch angeordneten Versen gemischt. In poetische Form werden nur die Reden und die wichtigsten Stellen der Handlung gekleidet, das übrige ergänzt der vortragende Priester nach Gutdünken durch erzählende Prosa. Diese gemischte Form wies Oldenberg 1) in der ältesten indischen Litteratur nach. Einzelne Hymnen des Rigveda sind scheinbar Bruchstücke; sie waren eben dazu bestimmt, durch Prosaerzählung ergänzt zu werden, und solche prosaische Zwischensätze begegnen auch wirklich in der Überlieferung. Nach ihrem Muster ergänzt bieten die Hymnen, von denen eben nur die metrisch verfassten Stücke zur Aufzeichnung gelangten, etwas Ganzes, Abgeschlossenes, eine aus gebundener und ungebundener Rede gemischte Erzählung. Hierzu stimmen nun mehrere der ältesten Eddalieder, in denen ebenso die gemischte Form die herrschende ist. Müllenhoff (ZfdA. 23, 151 ff.) sagt darüber: „Zwei Formen der epischen Überlieferung, prosaische Erzählung mit bedeutsamen Reden Wechsel- oder Einzelreden - der handelnden Personen in poetischer Fassung und erzählende epische Lieder in vollständig durchgeführter strophischer Form finden wir im Norden neben einander in Gebrauch und keineswegs ist die Prosa der gemischten Form nur eine Auflösung oder ein späterer Ersatz der gebundenen Rede." Innerhalb der Edda und auch in der Saxo vorliegenden Überlieferung waren viele Götter- und Heldenlieder als Wechsel- oder Einzelrede, dramatisch bewegt, in einen freien prosaischen Rahmen eingestellt. Am schönsten ist die Wechselrede im Skirnirliede durchgeführt, wie Skirnir für Freyr um die schöne Gerd wirbt, oder im Grimnirlied, wie Odin dem Agnar die

i) Ztschr. d. deutschen morgenländischen Gesellschaft 37, 1883, S. 54 ff, 67 ff., u. ebenda Bd. 39, 1885, S. 52 ff.; die Vergleichung der indischen Form mit der germanischen führt Kögel, Geschichte der deutschen Litteratur I, 1, 98 durch.

Herrlichkeit von Walhall verkündigt. Die Gedichte sind freilich so spät, dass sie nur als Ausläufer und Nachklänge einer uralten, vielleicht gemeingermanischen Gattung gelten können. Merkwürdig aber berührt die Einstimmung mehrerer mit dem Gottesdienst aufs engste verbundenen Dichtformen der Inder und Germanen, die vielleicht auf gemeinsamen Ursprung hinweisen. Da hier wie dort gerade die Göttersage, und wol in Nachahmung derselben auch die Heldensage, so behandelt wurde, liegt der Schluss nahe, dass dereinst die Priester an hohen Festen einzelne Mythen, die mit der Kulthandlung in Zusammenhang standen, also z. B. beim Tiuzfeste des Gottes Brautwerbung, die Erweckung der bräutlichen Erdgöttin, ihre Befreiung aus den Banden des winterlichen Todesschlafes, in dieser aus gebundener und ungebundener Rede gemischten Kunstform zum Vortrag zu bringen pflegten, dass überhaupt die Mythendichtung, die Erzählung von den Thaten der Götter, das Preislied und feierliche Gebet ursprünglich allein von den priesterlichen Sängern ausging.

Erscheint uns hier der Priester als Dichter und Sänger von wechselreichen, kunstvoll gestabten Götterliedern, der dem Volksglauben die Weihe poetischer Gestaltung verlieh, so war er nicht weniger Verkündiger des Rechts, ésago. Das germanische Recht wendet sich nicht bloss an den nüchternen Verstand, sondern auch ans Gemüt.') Die alten Volksrechte bedienen sich häufig poetischer Ausdrucksmittel. Sie gebrauchen ähnliche bildliche Wendungen wie die epischen Gedichte, sie reden vom hellichten Tage und von leuchtender Sonne, von der nebeldüstern Nacht, vom glänzenden Gold und vom weissen Silber, vom grünen Rasen, vom hohen Helm und roten Schild, vom wilden Meer und vom salzigen See, vom heissen Hunger, von glühender Glut. Der Deich heisst ein goldener Reif, der um ganz Friesland liegt. Die Unendlichkeit von Zeit und Raum spricht sich in den Wendungen aus: so weit als der Wind von den Wolken weht und die Welt steht, so weit als Wind weht und Kind schreit, Gras grünt und Blume blüht. Hochpoetisch ist die ergreifende Schilderung der drei Nöte im friesischen Recht. ,,Das ist die erste Not: wo immer ein Kind gefangen und gefesselt wird nördlich über das Meer

1) Die Poesie im germanischen Recht behandelt Kögel, Geschichte der deutschen Litteratur I, 1, 97 u. 242 ff., wo der Nachweis versucht wird, dass die friesische Rechtspoesie zum grossen Teile stabreimend war; vgl. J. Grimm, Rechtsaltertümer S. 31 ff. über die Formeln.

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oder südlich in das Gebirge, so muss die Mutter ihres Kindes. Besitz verpfänden und veräussern, und ihr Kind lösen und sein Leben retten. Die zweite Not ist diese: wenn da schlimme Jahre kommen und der heisse Hunger über das Land fährt, und das Kind Hungers sterben würde, so muss die Mutter ihres Kindes Besitz verpfänden und veräussern und ihm damit kaufen Kuh und Korn, und solche Dinge, womit sie ihm das Leben retten kann. Die dritte Not ist diese: wo immer das Kind ist stocknackt oder hauslos, und dann die nebeldüstre Nacht und der bitterkalte Winter über die Umfriedungen sich herabsenkt, so fährt da jeglicher Mann in seinen Hof und in sein Haus, und das wilde Tier sucht den hohlen Baum und der Berge Schlüfte, um sein Leben zu erhalten; dann weint das unmündige Kind und jammert über seine nackten Glieder und seine Hauslosigkeit, und betrauert seinen Vater, der ihm helfen sollte wider den kalten Winter und wider den heissen Hunger, dass er so tief und so dunkel unter Eichenbrettern und Erde eingeschlossen und festgehalten und bedeckt ist. Deshalb muss die Mutter ihres Kindes Besitz verpfänden und veräussern, weil sie die Verantwortung und Fürsorge dafür hat, so lange es noch nicht volljährig ist." Anstatt einfach zu bestimmen, wenn das Waisenkind durch Brand oder Raub ins Elend gerät, darf die Mutter die ihr anvertrauten Mündelgelder angreifen, wird mit so eindringlicher Kraft dem empfindenden Gemüt die Not vorgeführt, dass das Urteil nicht anders fallen kann, als es muss so geschehen. Der Rechtweiser wird zum Dichter, der das Herz des Hörers tief bewegt. Gewaltig sind auch die Flüche, welche das ganze Unheil des Verfehmten, seine Rechtlosigkeit, wo immer er auch hinkehre, lebendig schildern. Wer beschworenen Frieden (trygdamál, gridamál) bricht, soll geächtet sein, so weit Menschen landflüchtig sein können, soweit Christenleute in die Kirche gehen und Heidenleute in ihren Tempeln opfern, soweit Feuer brennt und Erde grünt, Kind nach der Mutter schreit und Mutter Kind gebiert, Holz Feuer nährt, Schiff schreitet, Schild blinket, Sonne den Schnee schmelzt, Feder fliegt, Föhre wächst, Habicht fliegt. den sommerlangen Tag und der Wind steht unter seinen Flügeln, Himmel sich wölbt, Welt gebaut ist, Winde brausen, Wasser zur See strömt und Männer Korn säen. Ihm sollen versagt sein Kirchen und Gotteshäuser, guter Leute Gemeinschaft und jederlei Wohnung, die Hölle ausgenommen.) Die Verfehmung geschieht

1) Über solche Formeln vgl. J. Grimm, Rechtsaltertümer 39 ff.; die ausGolther, Germ. Mythologie.

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durch das sinnliche Ausmalen alles dessen, was dem Missethäter entzogen wird.

An vielen Stellen der altgermanischen Gesetze bricht deren einstige teilweise dichterische Gestalt deutlich durch. Längst sind die zahlreichen stabreimenden Formeln hervorgehoben, die ebenso wie die epischen Formeln dem erzählenden Gedichte den Rechtssatzungen ein eigenartiges Gepräge verleihen und mit bewusster poetischer Absicht geschaffen und wirkungsvoll angewandt sind. Aber auch regelrechte Stabreimverse begegnen in den nordischen, englischen und friesischen Rechten. Zumal die letzteren zeigen viele rhythmische Gesätze. Daraus ist zu schliessen, dass dereinst der Rechtsvortrag, wenigstens teilweise, in feierlich gehobener, formelhaft gestabter Rede geschah. Zu den Spuren, die auf einstige poetische Form, auf Stabreimverse, hinweisen, stehen ebensoviele Nachklänge schwungvoller, bilderreicher und doch schlichter Dichtersprache. Der Priester-Sänger verkündigte auch das Recht wie die Göttersagen in kunstreich gefügten Stabreimen.

Im Veda begegnet eine Sammlung von Rätselfragen und Rätselsprüchen, deren Entstehung in priesterlichen Kreisen zu suchen ist.') Es war Sitte, dass der leitende Priester beim Opfer den, der dasselbe darbrachte, mit ritualen und mythologischen Fragen ausforschte. So wird beim Pferdeopfer der das Opfer spendende König gefragt nach dem äussersten Ende der Erde, nach dem Nabel der Welt, nach dem Samen des Hengstes, nach dem höchsten Himmel des Wortes, worauf der Opferer antwortet, dass der Opferaltar das äusserste Ende der Erde, das Opfer der Nabel der Welt, der Somasaft der Same des Hengstes, der Brahmapriester des Wortes höchster Himmel sei. Solche Fragen kamen gegen den Schluss grosser Opfer häufig vor. Nicht bloss dem Opferer wurden von einem der Priester Rätsel zur Lösung vorgelegt, sondern auch die Priester mussten einander Rätsel aufgeben und der Gefragte hatte sie auf die vorgeschriebene Weise zu beantworten. So fragt ein Priester den anderen: Wer wandelt

führlichste nordische Formel bietet die Heidarvígasaga in den Islendinga sögur 2, 379 ff.

1) Vgl. Haug, Sitzungsberichte der Münchener Akademie 1875, 2, S. 457 ff. Vedische Rätselfragen und Rätselsprüche; den Zusammenhang mit dem mythologischen Rätselliede der Nordleute heben Wilmanns, ZfdA. 20, 252 ff., Müllenhoff, Altertumskunde 5, 239 u. Kögel, Geschichte der deutschen Litteratur 1, 1, 64 hervor.

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