ÀҾ˹éÒ˹ѧÊ×Í
PDF
ePub

Ausloosung vor Gericht.

637

nicht, so folgt ein weiteres Verfahren: jeder von den sieben hat sein eigenes Stäbchen mit seiner Marke zu zeichnen, so dass er und die andern erkennen können, dass es das seinige ist.') Die sieben Stäbchen werden wieder mit reiner Wolle umhüllt, wieder auf den Altar oder auf die Reliquien gelegt, und es nimmt der Priester oder Knabe vom Altar hinter einander die einzelnen Stäbchen und fragt, wem das Stäbchen gehöre. Wer als letzter sein Stäbchen erhält, gilt für den Schuldigen, die andern sechs als unschuldig. Das Verfahren ist durchaus heidnisch, die Anpassung an christliche Verhältnisse rein äusserlich, sie beschränkt sich darauf, christliche Heiltümer an Stelle der heidnischen zu setzen.

Mit den angeführten Stellen ist die Sitte, durch Looswurf die Gottheit um Auskunft anzurufen, hinreichend bezeugt. Es wurde eine Frage vorgelegt, die Antwort ergab sich aus der Art der Fragestellung als einfaches ja oder nein, aber auch als förmlicher Spruch. Die Befragung geschah mit Loosen, mit Holzstäbchen, die mit auszulegenden Zeichen, im Norden auch mit den gewöhnlichen Schreiberunen versehen waren. Opfer leitete die Handlung ein, unter Absingen von Gebeten oder Beschwörungen wurden die vermutlich auch schon unter besondern Förmlichkeiten zugerichteten Loose ausgeworfen und aufgelesen, hierauf je nach der Frage mit kürzerem oder längerem Spruche gedeutet. Möglicherweise stammt die dreifache Bezeichnung des Begriffes,,lesen" in den germanischen Sprachen - ahd. as. afries. lesan, an. lesa; ags. radan, engl. read, eigentlich ,,raten"; got. siggwan aus der alten Gewohnheit des divinatorischen Loosens.) Die deutsch-nordische Bezeichnung hält sich ans Auslesen und Aufnehmen der beritzten Stäbchen, die englische ans Raten und Deuten, die gotische endlich an den feierlichen Vortrag des Spruches, der in Liedesweise gesungen ward. In wichtigen Angelegenheiten oblag dem Priester diese Loosung, welche Vertrautheit mit der Dichtung verlangt. Es war Kenntniss der Lieder vonnöten, wodurch Götter und Geister zur Offenbarung ihres Willens oder zukünftiger Ereignisse herangezwungen wurden, ferner unter Umständen auch die Fähigkeit,

1) Lex Frisionum tit. 14 tunc unusquisque illorum septem faciat suam sortem i. e. tenum de virga et signet signo suo, ut eam tam ille quam caeteri qui circumstant cognoscere possint. Es sind vermutlich die Hausmarken der einzelnen Leute gemeint, die vielfache Verwendung beim Loosen fanden, vgl. Homeyer, Die Haus- und Hofmarken, Berlin 1870.

2) Vgl. E. Schröder, ZfdA. 37, 262.

aus den eingeritzten Zeichen der Stäbchen die darin angedeuteten Formeln abzulesen und zu Verkündigungen zusammenzusetzen. Looswurf, mit Opfer, Zauberlied und Zeichendeuterei verknüpft, entstammt dem Heidentum und war priesterliches Amt. Darum ist solches Loosen auch späterhin als heidnischer Greuel verfehmt und verachtet. Das unschuldige Loos, das nur zur Ausscheidung eines einzelnen oder mehrerer aus einer Menge diente, konnte ruhig weiter bestehen und fand auch bis auf die Gegenwart bei Aufteilung von Gemeindeland und ähnlichen Dingen immer Verwendung.

Eine seltsame Loosung begegnet in der Jómsvíkingasaga Kap. 42.) Der Jarl Hakon besass eine Wage mit zwei silbernen, ganz vergoldeten Schalen, dazu zwei Loose, ein silbernes und ein goldenes, beide mit Götterbildern versehen. Darin lag eine wundersame Kraft, weshalb der Jarl in allen wichtigen Angelegenheiten sich dieser Loose bediente. Er legte sie in die Wagschalen und bestimmte, was jedes von ihnen für ihn bedeuten sollte. Wenn die Loosung gut ausfiel und das, was er sich wünschte, herauskam, da wurde das Loos, das seinen Willen bedeutete, unruhig in der Schale und gab einen Klang von sich. Die Sache ist wol so zu denken, dass die gleich schweren Loose, deren eines, was man wünschte, das andere, was man nicht wünschte, bezeichnete, in die Schalen gelegt wurden. Dasjenige Loos, das zuerst in Bewegung kam und stieg, dachte man, werde in Erfüllung gehen.

Um die Zukunft zu erforschen, wurde auch eifrig auf Vorzeichen geachtet und zwar nicht bloss auf solche, die sich zufällig von selber einstellten, sondern namentlich auf solche, die mit Opfer und Gebet oder Beschwörung von den Göttern oder Geistern verlangt worden waren. Auf Vorzeichen, die einem zufällig begegnen, achtet ja noch der heutige Aberglaube. Ein schönes Beispiel fürs Heidentum gewährt das Reginslied 20 ff., wo Odin die dem Helden günstigen Zeichen aufzählt:

20. Viele Vorzeichen sind, wenn das Volk sie wüsste,
Günstig beim Schwingen des Schwerts!
Heilbringender Angang für Helden ist es,

Wenn ein schwarzer Rab' sie umschwebt.

1) Fornmannasögur 11, 125 ff.; Flateyjarbók 1, 188 ff.; zur Stelle R. Keyser, Samlede afhandlinger S. 376.

[blocks in formation]

Unter Eschen du heulen hörst,

Und Glück verspricht's, erspähst du den Gegner
Eher als er dich sieht.

24. Fürchte Gefahr,

wenn dein Fuss gestrauchelt

Auf dem Weg, den du wanderst zum Streit;
Böse Disen stehn dir zu beiden Seiten

Und wünschen dir Wunden an.

639

Keine Art von Aberglauben hat durchs ganze Mittelalter tiefere Wurzel geschlagen als die Vorbedeutungen, die man unter den Benennungen aneganc, widerganc, widerlouf verstand.1) Tier, Mensch, Sache, auf die man frühmorgens, wenn der Tag noch frisch ist, beim ersten Ausgang oder Unternehmen einer Reise unerwartet stiess, bezeichneten Heil oder Unheil und mahnten, das Begonnene fortzusetzen oder wieder aufzugeben. Aber hier ist nicht der zufälligen Vorzeichen zu gedenken, sondern derer, die mit Kultbräuchen unter Einwirkung von Priestern und Weissagern von den höheren Mächten erbeten wurden.

Tacitus spricht im Kap. 10 auch von den Vorzeichen und nennt allgemein Befragung der Vogelstimmen 2) und des Vogelfluges. Leute, die der Vogelsprache kundig sind, erfahren die Zukunft. Das Zeichen, das die Vögel mit Flug und Stimme geben, gilt allen Völkern und so auch den Germanen für gut oder böse, verheisst Glück und Unglück, ermuntert und warnt bei allem Vorhaben. Wie befiederte Worte rauschen sie durch die Luft, der Kundige versteht es, sie zu deuten. Wohin und woher sie fliegen, legt er ebenso als Zeichen aus wie ihre Gestalt und Stimme. Prokop bell. got. 4, 20 erzählt, wie Hermigisel, König der Warner,

1) Über Angang und andere von selber sich darbietende Vorzeichen vgl. J. Grimm, Myth. 1072 ff.; Vorzeichen aus nordischen Quellen bei Maurer, Bekehrung 2, 122 ff.; das meiste Material steht bei A. Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart. 2. Aufl. Berlin 1869, § 262 ff.

2) Ahd. fogalrarta (rarta got. razda, Stimme), fogilrartôd wird mit auspicium, augurium glossiert; ebenso ags. fugelhwâte; vgl. J. Grimm, Myth. 3, 324. Über Augurien und Auspicien vgl. W. Wackernagel, nu ategóɛvta, in den Kleineren Schriften 3, 196 ff., 205 ff.

über Feld reitend, auf einem Baum einen Vogel erblickte und krähen hörte. Auf Vogelgesang sich verstehend, sagte der König seinem Gefolge, es werde ihm sein Tod nach vierzig Tagen geweissagt. In der Rigspula 45 wird von Konr dem Jungen, dem Sohne des Jarl gerühmt, er verstand die Stimmen der Vögel zu deuten. Im Lied von Helgi dem Hjorwardssohne 1-4 spricht Atli mit einem weisen Vogel, der im Haine Glasir haust. Dem Sigmund und der Borghild verheisst ein Rabe die künftige Heldengrösse ihres Sohnes Helgi (Helgakv. Hund. 1, 5,6). Sigurd, dem der Genuss von Fafnirs Herz dazu verhalf, hörte in den Reden der Spechtmeisen (igdur) sein künftiges Schicksal (Reginsm. 32 ff.). Nach Sigurds Ermordung ruft ein Rabe zum Adler im Baumesgipfel, dass Atli es rächen werde. Gunnar versteht das Gerede der Vögel (Brot af Sigurparkviþu 5 u. 13). Also namentlich Königen und Edelingen eignet die Gabe, Vogelstimmen auszulegen. Sicherlich verstanden sich ebenso die opfernden Priester darauf. Jarl Hakon opferte vor einem Kriegszug dem Odin. Als zwei laut krächzende Raben während des Opfers geflogen kamen, sah er darin ein gutes, glückverheissendes Zeichen (Heimskringla, Olafssaga Tryggvasonar Kap. 28).

Tacitus') berichtet ferner von weissen, zu keinem Menschendienste benützten Rossen, die in Hainen und Wäldern auf öffentliche Kosten gehegt wurden. Diese werden an den heiligen Wagen gespannt, worauf der Priester und König oder Fürst des Staates sie begleitet und auf ihr Schnauben und Wiehern achtet. Kein Vorzeichen geniesst grössere Glaubwürdigkeit nicht allein beim Volk, sondern auch bei den Edelingen, bei den Priestern. Sich selber halten sie für die Diener, jene Rosse aber für die vertrauten Mitwisser der Götter. In Norwegen bei Drontheim weideten Freys Rosse im Umkreis seines Tempels, vermutlich zum selben Zweck. Der indiculus superstitionum XIII handelte de auguriis vel avium vel equorum und auch der heutige Aberglaube (J. Grimm, Nr. 239) hält Pferdegewieher für ein Glückszeichen.

Opferschau vollzieht der weissagende Priester (sacerdos sorti

1) Germ. Kap. 10 proprium gentis equorum quoque praesagia ac monitus experiri. publice aluntur isdem nemoribus ac lucis, candidi et nullo mortali opere contacti; quos pressos sacro curru sacerdos ac rex vel princeps civitatis comitantur hinnitusque ac fremitus observant. nec ulli auspicio maior fides, non solum apud plebem, sed apud proceres, apud sacerdotes; se enim ministros deorum, illos conscios putant.

Weissagung aus Vogelstimmen, Rossewiehern und Opferblut.

641

legus) bei den Menschenopfern, welche die Normannen nach Dudos Erzählung vor der Ausfahrt zu vollbringen pflegten. Dem Opfer wurde der Schädel zerschmettert und das Gehirn blossgelegt; dann wurde aus den Herzfasern des zu Boden Gestreckten geweissagt. Die Wahrsagerinnen der Kimbern fällen ihren Spruch aus dem Blute, das aus der durchschnittenen Kehle des Opfers in den Kessel strömte (Strabo 7, 2). Die nordische Sprache gebraucht das Wort „hlaut" für Opferblut. Im Hymirlied 1 gewinnen die Götter eine Weissagung, indem sie Looszweige warfen und das Blut beschauten (hristo teina ok á hlaut soo). Hlautbolli ist die

Schale, die das Blut der geopferten Tiere aufnimmt, hlautteinn oder hlautvidr der ins Blut getauchte Zweig. Die Etymologie von hlaut (zu got. hlauts, d. h. Loosen und Wahrsagen)') lehrt die Thatsache der Opferschau, der Weissagung aus dem Opferblut. Denn das Opferblut heisst ja sicher nur darum,,Loosung", weil es zur Loosung diente.

8. Zauberlieder.

Der Zauber, der in Lied (galdr, rúnar) und Zeichen (rúnar) beschlossen liegt, galt im Norden für eine höchst wertvolle, nicht im geringsten unehrliche Kunst, und so hielten es, wie die mit rûna gebildeten zahlreichen Frauennamen lehren, auch die übrigen Germanen. Ist doch Odin selber Urheber und Erfinder des Runenzaubers (galdrs fadir) und weiss die aus dem Schlummer erweckte Brynhild dem Sigurd nicht besser zu lohnen als mit Unterweisung in der Runenkunde. Bei der Anwendung von Runen war Lied und Zeichen vereinigt, beim Galdr wird meistens allein das Lied erwähnt. Beim nordischen Runenzauber wird das Lied gesungen, und darauf werden die entsprechenden Zeichen, meist die Anlaute der Hauptbegriffe, eingeritzt. Denn im Norden trat ja die Schreiberune an Stelle der alten bei Tacitus vorkommenden magischen Zeichen. Brynhild gedenkt der Siegrunen, die unter Anrufung Tyrs aufs Schwert zu ritzen sind, der Bierrunen, welche gegen Zaubertränke unter Segenssprüchen aufs Trinkhorn, auf den Rücken der Hand, auf den Fingernagel zu ritzen, der Bergerunen, die auf die innere Handfläche geritzt, bei Absingen von Liedern (Oddrúnar

1) Zur Etymologie von hlaut vgl. Gudbrand Vigfusson, Dictionary 269; Müllenhoff, Altertumskunde 5, 155; vgl. auch oben S. 631 Anm. 1.

Golther, Germ. Mythologie.

41

« ¡è͹˹éÒ´Óà¹Ô¹¡ÒõèÍ
 »