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die ersteren ganz unvergleichlich mehr schablonenhaft und konventionell gehalten sind, während die letzteren sich zur höchsten Höhe sittlichen Ernstes, religiöser Reife, poetischer Ausdrucksformen erheben, deren die babylonische Literatur überhaupt jemals fähig gewesen ist.

In den Er-scha-Ku-mal-Texten kommen persönliche Nöte, das Schuldbewußtsein des Individuums, das lähmende Gefühl der Gottverlassenheit zu ergreifendem Ausdruck. In den anderen sind unglückliche Ereignisse, die das ganze Land oder ganze Städte betroffen haben, Kriegsnöte, widrige Naturereignisse u. ä. der Gegenstand der Klage. Tritt in den ersteren der Betende meist in ein intimes Zwiegespräch mit seinem Gott, mit dem er sich innig verbunden weiß, oder von dem er sich schmerzvoll verlassen fühlt, so treten in den anderen ganze Legionen von Gottheiten auf den Plan, und nicht nur zahllose Götter, auch alle ihre Städte und Tempel werden beschworen, das Geschrei des Landes, das Seufzen der Kreatur zu hören und Abhilfe zu schaffen. Die Struktur dieser Klagelieder ist gleichwohl der Hauptsache nach in beiden Fällen die gleiche. Hier wie dort eröffnet eine hymnologische Einleitung das Ganze, folgt die Schilderung des Elends, die Bitte um Abhilfe. Auch die für diese ganze Klasse von Texten charakteristischen Formeln, wie „,wie lange noch“, „das Herz möge sich beruhigen“, „verkünde Versöhnung“ u. a. kehren in allen Texten gleichmäßig wieder. Und doch unterscheiden sie sich gerade in der Art und Weise, wie diese allgemeinen Elemente des Klageliedtypus hier und dort zur Verwendung kommen, so stark, daß kaum einmal, auch nicht in den vielen Fällen, wo die Unterschriften keinen Anhaltspunkt geben, ein Zweifel bestehen kann, welcher Gattung ein Lied zugeschrieben werden muß. In den Er-Schem-ma-Liedern sind die hymnologischen Einleitungen ebenso wie die direkten Gebetsanrufungen meist zu langatmigen Litaneien ausgeartet, die für die Religionsgeschichte wohl wertvolle Fundgruben sind, die ästhetische Wirkung des Liedes aber schwer beeinträchtigen.

Der am tiefsten begründete Unterschied zwischen beiden Gattungen von Klageliedern liegt in der Veranlassung, die den Bittenden treibt, bei der Gottheit Hilfe zu suchen. Sind es dort äußere Nöte, die die Gesamtheit betrafen, und im großen und ganzen dem einzelnen nur in ihrer materiellen Wirkung empfindlich wurden, so waren es hier persönliche Angelegenheiten, die der

Auch wenn es

Betende mit seinem Gott abzumachen hatte. nicht gerade das Bewußtsein der Sünde an sich war, wenn es sich auch hier wohl zumeist um körperliche, materiell spürbare Nöte gehandelt hat, so kommt doch in diesen Liedern zu ergreifendem Ausdruck, daß der Beter den letzten Grund seines Zustandes nicht außerhalb, sondern in sich selbst, in seinem Verschulden sucht, das den Zorn der Götter auf ihn gerichtet hat. Man darf sich freilich über die diesem Schuldgefühl zugrunde liegenden sittlichen Anschauungen keine ausschließlich von den uns in Fleisch und Blut übergegangenen Forderungen abgeleitete Vorstellungen machen. Die Verschuldung war sicherlich in vielen Fällen entweder grob-sittlicher oder noch häufiger kultischer Art

die geringste Abweichung von den peniblen Vorschriften des Rituals genügte ja, den Zorn der Götter heraufzubeschwören. Aber darauf kommt es hier gar nicht an. Welchen letzten Grund das Schuldbewußtsein auch immer gehabt haben mag, es kommt in einer Form zum Ausdruck, die reiner, rührender, ergreifender und wirkungsvoller auch die denkbar entwickeltsten sittlichen Vorstellungen nicht hervorbringen könnten.

Es ist nun eine fast wehmütig stimmende Beobachtung, daß auch so erhebende Zeugnisse einer tiefen sittlichen Empfindung gelegentlich eng verknüpft sind mit dem einfältigsten Hokuspokus des Beschwörungsformelkrams, wenn beispielsweise das schöne Gebet an Istar (Zimmern, AO VII 3, S. 19 ff.), das im Zusammenhang der Serie der „Handerhebungsgebete" überliefert ist, am Schlusse durch rituelle Anweisungen verunziert wird, wie die, daß man gewisse Formeln dreimal hersagen und dabei ja das Antlitz nicht rückwärts kehren soll. Die starre Form der kultischen Übung hat auch die Verfeinerung des sittlich-religiösen Empfindens, das reifende künstlerische Gefühl nicht zu sprengen vermocht.

Dieses eine Beispiel es ließe sich leicht verdutzendfachen predigt eindringlich, daß auch im alten Babylonien Religion und Religiosität zwei wesentlich verschiedene Dinge sind, die nicht mit einander verwechselt, ja nicht einmal mit einander verglichen werden dürfen. Es ist eine vollständige Verkennung und Verdrehung des wahren Sachverhaltes, wenn man die Vorstellungen von der babylonischen Religion einseitig auf Grund der im Verhältnis zu den andersgearteten Zeugnissen spärlichen - Proben individueller religiöser Herzensergüsse beurteilt oder darstellt. Man darf diese Zeugnisse vielleicht überhaupt weniger als Proben

einer religiösen, denn als Proben einer allgemein menschlichen, künstlerischen, dichterischen Begabung ansehen und werten.

In bezug auf die Form der Überlieferung sei noch erwähnt, daß die Mehrzahl der Klagelieder zweisprachig, viele aber auch nur sumerisch oder nur semitisch erhalten sind. Für die mutmaßliche Entstehungszeit geben uns geben uns die altbabylonischen Rezensionen einen vorläufig festen Punkt, die letzten Jahrhunderte des 3. vorchristlichen Jahrtausends, an die Hand. Namentlich die Klagelieder allgemeinen Inhalts reizen durch ihre Anspielungen zu genaueren Fixierungsversuchen; doch ist der Spielraum meist zu weit, als daß sichere Resultate zu erhoffen wären.

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Hervorzuheben ist noch, daß gerade in den Klageliedern die Form der Wechselrede Priester und Büßer beliebt ist (Beispiele bei Zimmern, AO VII, 3, S. 25 ff.). Die Texte dieser Art bilden die Brücke zu den Beschwörungstexten, denen sie auch innerlich nahe stehen, aus denen sich große Partien herausgreifen ließen, die durch geringe redaktionelle Änderungen zu Bußpsalmen die sie vielleicht in manchen Fällen ursprünglich waren umgestaltet werden könnten, wie umgekehrt auch die Mehrzahl der außerhalb dieses Zusammenhangs überlieferten Texte unmittelbar in den Zusammenhang des Beschwörungsrituals hineingedacht werden kann. Vgl. das oben über das Ineinandergreifen der literarischen Gattungen Bemerkte.

Indem für weitere Textproben auf die meisterhaften Übersetzungen Zimmerns (1. c. S. 17ff.) und die erschöpfenden Mitteilungen bei Jastrow, Religion II, 1 ff., verwiesen wird, begnüge ich mich hier mit der Wiedergabe zweier Beispiele, die den Charakter der beiden Hauptgattungen des babylonischen Klageliedes veranschaulichen sollen.

1. Das instruktivste Beispiel für den Typus der Er-schemma-Lieder ist der große Text Reisner I (S. 130 ff.)1. Er ist erhalten in einer Abschrift aus griechischer Zeit und zweisprachig abgefaßt. Er zerfällt in drei Hauptteile. Dem ersten Hauptteil gehen zwei Verszeilen vorauf:

Die Hürde Bels klagt bitterlich,

Die Hürde, die Hürde Bels bitterlich

die, wie so vielfach in den lyrischen Dichtungen der Babylonier, als Introduktion den Hauptinhalt des ganzen Stückes skizzieren

1 Bearbeitet von Messerschmidt, Dissertation; Jastrow, Religion II, 13ff. und z. T. von Zimmern, AO VII, S. 31.

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und charakterisieren. Das Ganze ist ja ein Klagelied, das eine schwere Bedrängnis der Belstadt Nippur zum Inhalt hat. Der ganze erste Hauptteil ist sodann eine Apostrophe an Bel, dessen Macht über alles von ihm, dem Schöpfergott, Erschaffene gepriesen, auf den aber auch der Notstand im Lande zurückgeführt wird. Der zweite Hauptteil enthält die eigentliche Klage, die in Zimmerns Übersetzung folgendermaßen lautet:

O Herr des Landes, Bel, unerschütterlicher, wie lange will sich
dein Herz nicht beruhigen?
Vater Bel, deine Augen, die da blicken, wie lange wollen
sie sich nicht beruhigen?

Der du dein Haupt mit einem Tuch verhüllst, wie lange 1?
Der du deinen Nacken in deinen Schoß legst3, wie lange?
Der du dein Herz wie eine Tonne zudeckst, wie lange?
Gewaltiger, der du deine Finger in die Ohren steckst,

lange?

O Vater Bel! Sie sind überwältigt,

sind vernichtet.

wie

O Herr des Landes! Das Mutterschaf stößt ihr Lamm von sich, die Ziege ihr Zicklein. Wie lange noch wird in deiner treuen Stadt die Mutter, die es geboren, ihr Kind von sich stoßen? Das Weib des Helden die junge Tochter, ihr Kind, von

sich stoßen?

[Die Gattin] ihren Gatten von sich stoßen?

[O Vater Bel!] Himmel und Erde sind niedergeworfen,

ist nicht vorhanden.

O Herr des Landes! Die Sonne geht über dem Lande

zend nicht auf.

[O Vater] Bel! Der Mond geht über dem Lande

nicht auf.

Sonne und Mond gehen über dem Lande

O Vater Bel! Da du nach

Licht

glänleuchtend

glänzend nicht auf. die Leute innen

tötetest du;

innen riefst,

O Herr des Landes! Da du nach außen riefst,

da du in die Täler riefst,

die Leute

außen tötetest du:
mit Blut wurden sie angefüllt;

in das Innere des Landes riefst,

Den letzten Teil bildet eine

zu Trümmerhügeln machtest. du es.

lange Litanei, in der Götter

und Kultusstädte: Nippur, Sippar, Babylon, Borsippa samt ihren

1

1 Erg.: will sich dein Herz nicht beruhigen?

2 So wörtlich. Der Sinn ist, wie in der vorangehenden Zeile, daß

Bel sein gnädiges Auge der Stadt nicht zuwendet.

3 D. i. die Leute von Nippur.

Tempeln angerufen werden, durch ihre Fürbitte das erzürnte Herz Bels zu besänftigen". Sie wird eingeleitet durch die Zeilen: Herr, Bel, Himmel und Erde mögen dir Ruhe verschaffen! Krieger, Marduk, Himmel und Erde mögen dir Ruhe verschaffen! Herr des Landes, dein beschwertes Herz beruhige sich!

Um dein Herz zu beruhigen, mögen die Anunnaki betend vor dich hintreten,

Mögen die Anunnaki, das Erzeugnis Anus, betend vor dich hin

treten,

Mögen die Anunnaki, das Erzeugnis der Antum, betend vor dich

hintreten.

Vater Bel, deine Gemahlin Ninlil möge das Gebet dir ver

künden.

Vierunddreißig weitere Götter werden angerufen, „das Gebet zu verkünden". Zum Beschluß werden die oben genannten Städte und ihre Tempel, die Bel als ihren Herrn und Hirten verehren, mit denselben Worten um ihre Fürbitte angegangen. Schlußzeile:

Die

Der mit Klage Beladene kann die Klage nicht zurückhalten. entspricht in ihrer Stellung zur ganzen Komposition den einleitenden Zeilen. Vgl. die Einleitungs- und Schlußzeilen in dem Mondhymnus 4 R 9 (oben S. 129 ff.).

Die Litanei bildet einen mehr oder weniger großen Bestandteil fast aller Klagelieder. Ihre Bedeutung liegt auf der religionsgeschichtlichen Seite. Ihre Gleichförmigkeit ist für die ästhetische Wirkung dieser Lieder von großem Nachteil.

2. Als Probe eines ,,persönlichen" Klageliedes sei das schöne Lied 4 R 10 mitgeteilt1. Auch dieser Text, der sich in seiner sittlichen und religiösen Reife von den meisten ähnlichen Erzeugnissen der babylonischen Literatur unterscheidet, kann sich von der den Klage- und Bußliedern eigentümlichen Form der Litanei nicht völlig freimachen. Die Zahl der Gottheiten ist allerdings beschränkt, es ist in ihm nur von Gott und Göttin, vom bekannten und unbekannten Gott oder Göttin die Rede. Dieses Absehen von der Nennung einer bestimmten Gottheit kann, äußerlich angesehen, auch darin seinen Grund haben, daß das Lied, wie es sonst häufig zu beobachten ist, für jeden Gott beliebig verwendbar sein sollte. Daß das Lied im kultischen Gebrauch

1 Übersetzt von Zimmern, KAT3, 611 f.; AO VII, 3, S. 22 ff., vgl. auch Jeremias, Monotheistische Strömungen; Jastrow, Religion II, 100 ff.

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