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hunderten nichts als Reaction und Bigotterie erlebt, für faul und erstorben ansieht? Der Bann einer starren Familientradition und beschränkten Erziehung ist schließlich doch stärker als die Lehren der Geschichte und Vernunft.

Man scheint hier in maßgebenden Kreisen die Wandlung der Dinge in Spanien nicht so ungünstig anzusehen. Für dies seltsame republikanische Staatsangebinde auf dem classischen Boden des absoluten Königthums, das von vornherein für eine dauernde lebensfähige Schöpfung sich selbst kaum ausgab, konnte man freilich auch keine große Sympathie empfinden. Man scheint die Aussicht, daß die bourbonische Restauration in Spanien die ultramontan - legitimistischen Tendenzen auch anderwärts wieder beleben, den gesunkenen Muth der zahlreichen „Depossedirten“ wieder anfachen können, nicht für begründet oder gefährlich zu erachten, und wir wollen mehr hoffen als glauben, daß die Optimisten Recht behalten. Das deutsche Reich ist im Grunde in der Lage, die Vorgänge in dem entkräfteten Pyrenäenlande mit Gleichmuth zu betrachten; zum Wohlwollen aber sehen wir keinen Grund. Daß der junge „König“ seine verrufene Mutter einstweilen noch außer Landes zu lassen gedenkt, ist uns keine Bürgschaft, daß nicht doch über kurz und lang die würdige Isabella und der heilige Franz von Assisi mit dreifachem päpstlichen Segen und der ganzen Last politischer und moralischer Sünden am Manzanares sich wieder niederlassen werden.

Eine gute Mahnung und Lehre scheint uns der sechsjährige Kreislauf der spanischen Dingezu enthalten: die Entreprenneure leichtsinniger Umsturzversuche und Revolutionen werden vielleicht in Zukunft etwas bedachtsamer und vorsichtiger zu Werke gehen, und davon wird im Allgemeinen das conservativmonarchische System - im guten Sinne eine Stärkung und Festigung in der öffentlichen Meinung gewinnen. Darum sechs Jahre lang Bürgerfriege und innere Unruhen, ausländische Herrschaften und Soldatenconspirationen, die Intriguen ehrsüchtiger Marschälle und die Schwärmereien impotenter Idealisten, politische und materielle Schäden der schwersten Art, um dann das vertriebene und unwürdige Herrscherhaus in einem jungen Sprossen zurückgerufen zu sehen, von dem man im besten Fall noch nicht wissen kann, weß Geistes Kind er ist? Daß die Republik sich wieder einmal in unserem monarchischen Erdtheil als unfähig und unmöglich erwiesen hat, betrachten wir als eine werthvolle Thatsache, wenn auch der Träger des spanischen Königthums dennoch unsere Sympathie nicht besitzt.

Doch nun von der großen Weltbühne, wo in einer Nacht Republiken stürzen und Könige auferstehen, ein ganzes Volk mit Regierung und Völkermacht klingenden Spieles von einem Lager ins andere zieht, zurück zu den kleinen Tageserlebnissen unserer Residenz! Die Sylvesternacht, welcher der friedliche Staatsbürger sonst nur mit einer Art Grauen entgegensah, deren

Trophäen zahllose angetriebene Cylinder, eingeworfene Laternen, wüstes Gebrüll, gelegentlich auch zerschlagene Knochen zu sein pflegten, sie ist diesmal ohne erhebliche Störung vorübergegangen, Dank den imposanten Streitkräften, welche die Polizei neuerdings bei solchen festlichen Gelegenheiten entfaltet. Der Chef der hiesigen Polizei, Herr von Madai, der sonst in der Verwaltung seines dornenvollen Amtes sich nicht gerade des allgemeinen Beifalls erfreut, hat doch in Verdrängung des Unfugs in jeglicher Gestalt von der Straße Einiges geleistet. Während früher bei solchen Anlässen selbst die „Linden“ faum zu passiren waren und die berühmte Ecke bei ,,Kranzler", wo die zwei mächtigsten Verkehrsströme in einander münden, zu einem geradezu lebensgefährlichen Engpaß wurde, müssen jezt die aus Profession oder Liebhaberei Excesse suchenden Gentlemen schon die dunkleren Vorstädte oder die Hasenhaide zum Schauplatz ihrer Belustigungen erwählen, fund der friedliche Berliner Familienvater freut sich der sicheren Ruhe — und räsonnirt den nächsten Morgen an der Hand der „Bossischen“ oder der Staatsbürgerzeitung“ über Polizei, Militär, Steuern und andere lustige Dinge, die nun doch einmal in unserem unvollkommenen Zeitalter nicht zu entbehren sind.

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Von unseren Bühnen ist viel Neues oder Hervorragendes nicht zu berichten. Des meisten Zuspruchs erfreut sich das Friedrich - Wilhelmstädtische Theater mit seiner neuen Lecocqschen Operette „Giroflé—Girofla“, einer Vorstellung, die mit einer gefälligen, oft einschmeichelnden, frischen und munteren Musik eine humoristische Grundidee, eine Reihe höchst scherzhafter Situationen und Personen und eine außerordentlich prächtige Ausstattung verbindet. Lecocq verdrängt überhaupt auf der deutschen Bühne mehr und mehr den nachgerade ausgeflungenen und in Manierirtheit und Affectirtheit verfallenen Offenbach, was wir nach den letzten Erzeugnissen dieses Tondichters keineswegs bedauern können. Die neueste Operette, von der wir sprechen, versetzt uns nach Spanien, aber in das alte romantische Spanien der Mauren und Piraten. Da lebt ein würdiger Caballero, der zwei Töchter hat, welche sich so ähnlich sahen, daß kein Mensch sie unterscheiden kann. Beide sollen ihre Hochzeit feiern; da wird die eine von Seeräubern entführt. Um nun dies fatale Ereigniß dem überaus wilden und jähzornigen maurischen Schwiegersohn (einer Figur von vollendeter drastischer Komik) zu verheimlichen, muß die andere Schwester die Rolle der Entführten mit übernehmen, und den beiden verlangenden Gatten sich für die richtige Angetraute ausgeben, eine schwierige und auf die Dauer unhaltbare Situation, die begreiflicher Weise zu höchst komischen Scenen führt und trotz der Versuchung, das pikante Thema nach der lasciven Seite auszunugen, im Ganzen decent durchgeführt ist.

Das lettere kann man von einem andern neuen Producte, womit uns die nun einmal unvermeidliche französische Bühne beschenkt hat, nicht be

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haupten. Die kleine Marquise“ von Meilhac und Halevy, welche uns das „Residenztheater“ als Weihnachtsgabe bot, hat denn doch selbst bei dem keineswegs prüden hiesigen Publikum, welches der „Kameliendame", der „Fernande“ und ähnlichen widerlichen „Sittenbildern“ donnernden Beifall spendete, durch die vollendete Schamlosigkeit und Frechheit und bei alledem Langweiligkeit und Fadheit so entschiedene Mißbilligung erfahren, daß das traurige Machwerk nach drei- oder viermaliger Auszischung von dem Repertoire abgesezt werden mußte. Ich mag Sie nicht mit der Analyse dieses Schmutzes belästigen, obwohl es von culturhistorischem Interesse wäre, zu zeigen, was für nichtswürdige Gemeinheiten und Unanständigkeiten man nicht nur einem Pariser Publikum zu bieten, sondern mit rapider Schnelligkeit auf die Bühnen des gesammten Europa zu verpflanzen wagt. Hoffentlich ist das Schicksal der ,,kleinen Marquise" eine Warnung, in Zukunft wenigstens mit etwas mehr Geschmack und Kritik bei den Acclimatisationsversuchen von Pariser Sumpfpflanzen auf dem Boden des deutschen Theaters zu verfahren.

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Literatur.

Der höhere Lehrerstand in Preußen. Von Herbert Soller. Berlin, R. Oppenheim. - Nicht leicht hat eine lobende Anerkennung einem Stande so geschadet, wie die, daß es der preußische Schulmeister gewesen sei, der bei Königsgräß gesiegt habe, und wir können unserem Moltke gar nicht dankbar genug sein, daß er gegen diese Phrase aufgetreten ist. Nicht nur hat dieselbe uns Lehrer zu einer Ueberschätzung unseres Werthes und zu einer Selbstberäucherung verleitet, welche uns gegen unsere Fehler fast blind gemacht hat, sondern gerade sie hat wesentlich dazu mitgewirkt, daß noch immer langsam und von allen Seiten mit Widerwillen zu einer Verbesserung unserer äußeren Lage geschritten wird. Wenn man schon für so billiges Geld so vorzügliche Lehrer gehabt hat, ist es da nicht mindestens unwirthschaftlich, wenn nicht gar gefährlich, sie, welche bisher ja immer schlechter gestellt waren, als die anderen Beamten, nunmehr diesen gleichzustellen? Auch für unser äußeres Interesse ist es daher entschieden vortheilhafter, anzuerkennen, daß auf die Hebung des Lehrerstandes auch von Staatswegen dauernd hingearbeitet werden muß, damit derselbe seiner hohen Aufgabe immer vollkommener genügen könne.

Aber die Rücksicht auf dieses Interesse könnte die vorliegende Schrift nimmermehr rechtfertigen. Dieselbe entwirft von unserem Stande ein Bild, welches jeden Freund des Vaterlandes entweder mit ernster Besorgniß, ja mit tiefer Scham erfüllen, oder seinen Widerspruch herausfordern muß. Und in beiden Fällen,

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sollte man meinen, ist es mindestens uncollegialisch, so öffentlich die Schwächen seines Standes zu behandeln. Wäre der Inhalt der Schrift etwa in einer Lehrerversammlung vorgetragen, wäre die Sache als interne Angelegenheit behandelt, dann wäre im schlimmsten Falle kein Schaden angerichtet worden. Aber seine schmutzige Wäsche vor aller Leute Augen waschen, sogar den Schülern zeigen, wie ein Lehrer über sich und seine Collegen denkt! Nur wer die Ueberzeugung hat, daß die tiefen Schäden unseres Unterrichtswesens nicht anders als durch öffentliche Besprechung zu heilen sind, daß dem Staate aus der Unkenntniß seiner Organe über entsetzliche Zustände unabsehbarer Schaden erwachse, darf über seinen Stand öffentlich so sprechen, wie der Verfasser es thut. Der sittliche Ernst, der heilige Zorn, der die ganze Schrift durchweht, und der dem aufmerksamen Leser auch durch die satirische Form hindurch aus jeder Zeile entgegenathmet, zeigt, daß es diese Ueberzeugung gewesen ist, welche den Verfasser zur Herausgabe der Broschüre bewogen hat. Die Verantwortung hierfür müssen wir ihm überlassen; aber nachdem er diese traurige Angelegenheit einmal an die Ceffentlichkeit gezogen hat, kann ich aus voller Ueberzeugung die Skizze allen Lehrern und Allen, die es mit uns gut meinen, nur aufs dringendste empfehlen. Dieselbe wird ihrer höchst ansprechenden Form wegen sicher von Vielen gelesen werden, für die sie nicht bestimmt ist. Andere werden sich an der satyrischen Form stoßen, welche ausschließlich die Schattenseiten, und auch diese möglichst dunkel darstellt. Aus diesem Grunde wird die Schrift dem Lehrerstande in gewisser Hinsicht unzweifelhaft schaden, und nur die Hoffnung, daß es dem Verfasser gelingen möge, die Aufmerksamfeit unserer höheren und einflußreicheren Vorgesetzten auf Zustände zu lenken, welche sie, weil sie fast ausnahmslos einem andern Berufskreise entnommen find, nie kennen gelernt haben, kann mit einem Schritte aussöhnen, der wohl Jedem gewagt, Vielen unklug erscheinen wird.

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W.

Zehn Jahre deutscher Kämpfe 1865-1874. Schriften zur Tagespolitik. Von Heinrich v. Treitschke. (Berlin, G. Reimer.) Wenn Herr v. Treitschke in der Vorrede zu dieser neuen Sammlung politischer Auffäße sich die Bedenken nicht verhehlt, die einem unveränderten Abdruck derselben entgegenzustehen schienen, so kann man bei weiterer Betrachtung ihm und uns nur Glück wünschen, daß er der Versuchung, an ihnen zu ändern, widerstanden hat. Es ist damit nicht gemeint, daß alles Mitgetheilte auch gleiches Anrecht hat auf den Platz, an dem es steht. Was aber gegeben werden durfte, mußte gegeben werden, wie es war. Mag immerhin ein scharfes und ungerechtes Wort, das ein Federstrich leicht bessern oder beseitigen konnte, mag immerhin ein sachlicher Irrthum hie und da mit unterlaufen, wer möchte bei ruhiger Ueberlegung es im Ganzen doch anders wünschen? Denn durch irgend welche Aenderung, mag sie an sich unbedeutend scheinen, würden diese Aufsätze, wie uns dünken will, Schaden nehmen an ihrer Seele. iegt doch nicht ihr geringstes Verdienst in der Frische und Fülle tiefer Empfindung, wie sie in der Noth des Tages nur der persönlichen Erregtheit des vollen Herzens entspringen kann, in jener momentanen Ueberzeugungsfraft der ergriffenen Seele, die zu allen Zeiten den großen Redner bildete, in dem feinberauschenden Dufte der blühenden Rede. Ist es doch die große Leidenschaft des politischen Fühlens, die uns Deutschen so lange ab

handen gekommen schien, die scharf martirte Neigung und Abneigung in Dingen des Staates, die charaktervolle und bewußte Entschiedenheit, die in erster Linie den Verfasser zum Rang des größten Publicisten unseres Volkes erhoben hat. Was er immer schreiben mag, er schreibt immer Reden, immer steht er mitten in den Dingen, über die Dinge zu reden, scheint ihm versagt. Des Mannes eminente Begabung ist vorwiegend publicistischer Natur. Wer hat außer ihm wohl je verstanden die abstractesten Fragen der Staatsweisheit dem sinnlichen Verständnisse der Menge näher zu rücken. Und Niemand hat in den Tagen des Zweifels, die uns zeitlich noch nicht gar so ferne liegen, gewaltiger auf die deutsche Jugend durch Schrift und Wort gewirkt, als er. Wenn er seine Stimme erhob, ward andachtsvolle Stille in den weiten Sälen, in denen Kopf an Kopf die Hörer lauschten, und selbst die Alten fühlten sich hingerissen von der Macht seines Wortes. Seit den Tagen Dahlmanns war der Gedanke des Vaterlandes noch nie mit solchem Feuer vom akademischen Katheder in die jungen Seelen geworfen, noch nie die nothwendige Erbärmlichkeit kleinstaatlichen Treibens so scharf und hohnvoll gezeichnet, das Bedürfniß, einem großen Staate anzugehören, noch nie so unabweislich erweckt worden, als in jenen Vorlesungen im Anfang der Sechziger Jahre. Wahrhaft gestärkt und erhoben pflegten sich die Hörer zu trennen: selten mag wohl der moralische Einfluß eines akademischen Lehrers größer gewesen sein. Freilich war den Gemüthern noch manche harte Prüfung auferlegt bis zu den unvergeßlichen Jahren unserer Wiedergeburt im heiligen Geiste eines befriedigten Existenzbewußtseins. Daß aber die deutsche Jugend, die an diesem Kampfe theilnahm und bis zu seiner endlichen Vollendung an ihm theilnehmen wird, den Ereignissen mit Verständniß und Begeisterung entgegenkam, daß sie sich nicht genöthigt sah, halb widerwillig und vom Erfolg besiegt den Verhältnissen Rechnung zu tragen, das ist zum großen Theil mit das Verdienst Heinrichs v. Treitschke. Und da somit seine Worte und Schriften vor vielen anderen der bewegten Zeit Thaten gewesen sind, so gehören sie als solche auch der Geschichte an mit allem, was ihnen ihren dauernden Werth verleiht, wie mit allem, was minder gut und vergänglich an ihnen ist. Nicht ihr Jnhalt allein, auch ihre Form ist historisches Gut. Wie sie den Lebenden oft die Wege gezeigt und ihr Thun begleitet haben, so werden sie den Kommenden einen Blick gestatten in die Ideen, die diese Zeit bewegten, und dem fernen Geschichtsschreiber unserer größten Epoche werden sie zur Erkenntniß des Zeitgeistes dienen können wie nur je die besten politischen Schriften vergangener Zeiten, dann auch, wenn ihm die Thatsachen überall noch klarer liegen werden, als uns sie zu schauen heute schon verstattet ist. Es ist ein ansehnliches Stück deutscher Geschichte, das in diesen Blättern vor uns liegt. Mit stolzer Freude durchläuft man die Stufenleiter aller Empfindungen, die seit damals die Brust aller Freunde des Reichs erfüllten, noch einmal durchlebt man alle Hoffnungen von der leisen Ahnung bis zur freudigen Gewißheit. Wohlthuend vor allem aber ist, daß man zwei Dingen, die unsere politischen Auslassungen früherer Tage gar oft zu begleiten pflegten, nimmer begegnet auf diesen Seiten: der Weisheit des Pessimismus und der herzlosen Verzagtheit.

Verantwortlicher Redacteur: Konrad Reichard in Leipzig.
Ausgegeben: 8. Januar 1875. Verlag von S. Hirzel in Leipzig.

Rd.

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