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zu können meinten. Allein das ist doch eine leichtfertige und unrichtige Auffassung der damals herrschenden Sachlage. Man hat vielleicht in einigen, notorisch mit dem hiesigen auswärtigen Amt Fühlung erhaltenden Preßorganen etwas zu kräftig in die Lärmtrompete gestoßen und dem politischen Stimmungsbild ein gar zu schwarzes Colorit gegeben; aber daß das französische Cadresgesetz mit seiner riesigen Vermehrung der Feldbataillone bei rascher und vollständiger Durchführung einen bedrohlichen und für einen ganz nahen Zweck berechneten Charakter trug, war doch verständiger Weise nicht in Abrede zu stellen, und Gefahren beseitigt man nicht, indem man die Augen verschließt. Kurzum, es ist kein Zweifel, daß man an maßgebender Stelle in Berlin die Lage eine Zeit lang für sehr bedenklich hielt und sich verpflichtet glaubte, die öffentliche Meinung auf alle schlimmen Möglichkeiten vorzubereiten; der Vorwurf des Chauvinismus oder der unnöthigen Allarmirung ist unter solchen Umständen keineswegs gerechtfertigt; es ist aber auch nicht einzusehen, warum dieselben Regierungsblätter, die zuerst das Gefährliche der Situation kennzeichneten, jezt mit einemmal am politischen Horizont niemals ein dunkles Wölklein bemerkt haben wollen. Etwas mehr Offenheit und Klarheit im diplomatischen und (was sich heutzutage vielfach berührt) im journalistischen Verkehr wäre sehr zu empfehlen und würde wesentlich dazu beitragen, Mißverständnisse zu beseitigen und die Besorgnisse auf das richtige Maß zurückzuführen. Wir wollen uns in die wunderbaren Preßverzweigungen und Auswüchse, welche bei dieser Gelegenheit wieder einmal zum Vorschein kamen, nicht weiter vertiefen, sondern uns an der erfreulichen Thatsache genügen lassen, daß warnende Worte und stillschweigende Pressionen, an dem ewigen Site europäischer Beunruhigungen angebracht, ihre Wirkung diesmal offenbar nicht verfehlt haben und daß eine kleine gereizte Auseinandersetzung vielleicht besser ist, als schleichendes Mißtrauen und heimlicher Groll.

So lebhaft und angeregt es noch auf politischem Gebiete hergeht, so fühlbar macht sich auf dem Felde der geselligen und künstlerischen Genüsse bereits die beginnende Sommersaison. In den vier Monaten etwa, denen wir jetzt entgegengehen, kann Berlin in der That nicht den Anspruch erheben, in dieser Hinsicht einen hervorragenden Plaß einzunehmen. Wem es die Zeit und ein hinlänglicher Besit an Reichsmark erlaubt, rüstet sich bereits, in den Bädern der Ostsee oder in der Bergluft der Schweiz Erholung zu suchen, oder man bezieht die beliebten Sommerwohnungen in der näheren Umgebung der Residenz, um ein zweifelhaftes Landleben und eine noch zweifelhaftere Luftfrische zu genießen. In der Stadt aber beginnt es öde, still und einförmig zu werden, sofern man bei dem rastlosen Verkehre von nahezu einer Million Menschen diese Adjectiva billigerweise anwenden darf.

Ein hübscher theatralischer Genuß wurde uns übrigens dieser Tage noch

durch die Feier des zwanzigjährigen Jubiläums von Karl Helmerding geboten. Der Künstler gehört freilich weit länger schon den weltbedeutenden Brettern an, denn er ist wohl einer der ältesten deutschen Schauspieler; seit zwanzig Jahren aber ist er ununterbrochen die Zierde des „Wallnertheaters“ und hat dieser Bühne den wohlverdienten Ruf verschafft, die erste in Deutschland im Reiche der komischen Muse zu sein. Helmerding repräsentirt in der That eine eigene Kunstgattung; er versteht es wie kein Anderer, aus dem reichen, frischen Volksleben, speciell dem Berliner Typus, naturwahre, heitere, lächerliche und auch wieder wehmüthig-rührende Züge zu schöpfen, Gestalten von Fleisch und Blut, von Leben und Wahrheit darzustellen, nicht blos verzerrte Carricaturen eines gezwungenen Wizes. Für seine besten Rollen hat Kalisch die Stücke geschrieben, und unter einem so humor- und gemüthreichen Dichter und einem so begabten Interpreten erreichte es die Berliner Localposse, daß sie eine Zeitlang die einzig gelungene Form darstellte, in welcher sich die komische Seite der dramatischen Kunst in Deutschland äußerte. Der Dichter dieser Stücke ist jetzt todt und hat einen auch nur annähernd ebenbürtigen Nachfolger bisher nicht gefunden, und auch der Schauspieler, wenn man gleich seiner unverwüstlichen Lebenskraft die Jahre nicht anmerkt, wird in nicht allzu ferner Zeit an die Grenze seiner Wirksamkeit gelangen, und dann fürchten wir, daß diese ganze Kunstgattung mehr und mehr verschwindet. Das bedauern wir aber lebhaft, denn an die Stelle eines harmlosen Humors, der die menschlichen Schwächen gutmüthig verspottet und aus dem wirklichen Leben des Volkes seine gehaltvollen Stoffe zieht, wird mehr und mehr das frivole Genre des französischen Luft- und Singspiels, oder auch fade Abgeschmacktheit und baarer Unsinn treten, wie dies leider schon jetzt auf vielen unserer Bühnen allzusehr vorherrscht.

Ein neuer Versuch, die deutsche Komödie zu bereichern, ist seit Kurzem von den nach Neuigkeiten haschenden Dramenfabrikanten mit der Bearbeitung der Fritz Reuterschen Dichtungen gemacht worden. Nachdem wir erst die „Franzosentid“ dramatisch zurecht gemacht genossen, ist nun auch die „Stromtid" unter dem Titel „Onkel Bräsig“ auf der Bühne erschienen. Mußte doch dieser überreiche Schat gemüthvollen Humors als eine reiche Fundgrube für geistes- und wizarme Poeten erscheinen, und es war nicht gut anders möglich, als daß ein heiterer Abglanz des ursprünglichen Werkes auch auf der Bearbeitung hafte. Das letztere zu vermeiden, hat allerdings der dramatische Umbildner sein Möglichstes gethan. Wer Reuter nicht kennt, wird ihn hier schwerlich lieb gewinnen, und wer ihn kennt, erst recht abgestoßen werden. Wir wissen nicht, ob eine geschicktere Bearbeitung bessere Erfolge erzielt hätte; wir halten den ganzen Versuch von vornherein für gänzlich unglücklich; die unzähligen kleinen feinen Charaktermalereien, die liebevolle

Zeichnung des oft unscheinbaren Details, der breite volle Strom der Erzählung, die Schilderungen anziehenden Stilllebens bei oft verhältnißmäßig geringer Handlung, die lange innerliche Entwickelung durch zwei Jahrzehnte, wie kann man alle diese Grundzüge des Originals dramatisch verwerthen, ohne mit roher Hand das Beste zu verwischen? Die Bedingungen einer humoristischen Erzählung und einer Komödie sind nun einmal grundverschieden, und es ist noch Niemanden eingefallen, etwa Jean Paul dramatisiren zu wollen. Dieser neueste poetische Missethäter hat denn auch mit unglaublicher Dreistigkeit sein edles Opfer zerfeßt und zerschnitten, zusammengepreßt und aneinandergestückelt, häßliche Flicken eigenen Machwerks aufgenäht und den äußerlichsten Requisiten eines Dramas zulieb die schönsten Partien der Erzählung unbarmherzig abgeschlachtet. Wenn trot alledem und alledem noch eine Spur Friß Reuterschen Geistes übrig blieb, so zeugt dies eben nur von der unverwüstlichen Lebenskraft des letzteren. Als ein weiterer Uebelstand kommt hinzu, daß es nicht möglich ist, wenigstens hier, und auch schwerlich anderswo, eine Schauspielergesellschaft vorzuführen, die in allen ihren Gliedern des platten Idioms von Grund aus mächtig ist. Was hilft es, wenn die eine oder andere der Hauptpersonen ihre Rolle in sprachlicher Hinsicht wirklich beherrscht, die übrigen aber sich mühsam eine fremde Mundart anzuquälen suchen oder auch ungenirt Hochdeutsch sprechen und damit auf unleidliche Weise den Gesammteindruck stören. Kurzum, das Einzige, was wir bei diesen Reuterdramen anzuerkennen vermögen, ist der Umstand, daß man damit wenigstens gewartet hat, bis der Meister im Grabe ruhte. D.

Literatu r.

Gymnasium und Realschule. Von Ernst Laas. (Berlin, Karl Hebel.) - Durch die Ernennung des Gymnasial-Directors Dr. Bonit zum Decernenten des höheren Unterrichtswesens im preußischen Cultusministerium ist offenbar schon die Richtung angedeutet, in der demnächst über die Organisation der höheren Lehrinstitute die Entscheidung im Unterrichtsgesetz fallen wird. Denn, wenn schon von einem Mann wie Bonit nicht erwartet werden darf, daß er rücksichtslos in die bestehenden Verhältnisse eingreifen und mit einem Gesetzparagraphen die Abschaffung der Realschule decretiren lassen werde, so ist doch andererseits sicher, daß diese höheren Lehranstalten sofort von selbst eingehen werden, sobald ihnen der Schutz entzogen wird, der ihnen bisher

zum unberechenbaren Schaden ebensosehr der Gründlichkeit der gelehrten Bildung wie der Unbefangenheit des deutschen Volksthums von Seiten der Regierung zu Theil wurde. Man gebe nur den Mittelschulen ohne Latein das Recht, das Zeugniß zum einjährig freiwilligen Militärdienst auszustellen, und man wird es in kurzer Zeit erfahren, daß diese Schulen gar keinen Boden in der Nation haben, daß sie eben nur durch das geschraubte Berechtigungswesen künstlich gehalten wurden. Lange Zeit freilich überredete sich der Liberalismus, daß gerade die Realschule seine Schule sei und Großes zu leisten vermöge, namentlich in nationaler und freiheitlicher Erziehung. Der so umfangreiche Betrieb der Naturwissenschaften und die modernen Sprachen schien gegenüber dem im Studium der todten Sprachen verknöcherten Gymnasium den Fortschritt zu bezeichnen. Bestärkt wurde in dieser Auffassung die allgemeine Meinung, weil die als conservativ wohl bekannte Regierung scheinbar für diese Schulen sich gar nicht interessirte und ihre Gründung fast durchweg den Communen überließ. Und doch die Realschule diente in Wahrheit nur gleichsam als ein „Ableiter“, damit sich der Gymnasialunterricht desto entschiedener gegen die realistischen und modernen Disciplinen abschließen konnte. Das Verdienst, dies auf das Klarste dargelegt zu haben, gebührt dem durch seine Arbeiten über den deutschen Unterricht bereits über die Kreise der Pädagogen hinaus rühmlichst bekannten Professor der Philosophie und Pädagogik zu Straßburg, Dr. E. Laas. Seine obengenannte Abhandlung verdient die höchste Beachtung aller derer, die sich über die wichtigen Aufgaben, die der Schule unserer Tage gestellt sind, ein gründliches Urtheil bilden wollen. Ein philosophisch durchgebildeter scharf denkender und urtheilender Universitätslehrer, der bis zu seiner Berufung nach Straßburg als Gymnasiallehrer in den unteren und oberen Klassen eine reiche Erfahrung auf diesem Gebiete gesammelt hatte, spricht sich in so überzeugender Weise über die Fragen des höheren Unterrichtswesens aus, daß auch der Laie durch die Lectüre dieser Ausführungen, die historisch fundamentirt sind, zu einer klaren Auffassung der Sachlage angeleitet wird. Einer historischen Darstellung über den Ursprung und die allmähliche Entwickelung der heutigen Realschule folgt die Erörterung des inneren Widerspruches der Organisation dieser Anstalten. Angezogen wird die auch für unsere Zeit sehr beherzigenswerthe Schrift des Abtes Resewiz: die Erziehung des Bürgers zum Gebrauch des gesunden Verstandes und zur gemeinnüßigen Geschäftigkeit 1773, in der es u. A. heißt: „Es ist der unsinnigste Zeitvertreib, wenn der Knabe, der zum Handwerker bestimmt ist, sich vier, fünf Jahre mit Erlernung einer Sprache zermartern muß, von der er künftig nur den einzigen Gebrauch des Vergessens machen kann. Aber das ist leider der größte Fehler unserer Schulen, daß sie alle die Form von Werkstätten der Gelehrsamkeit haben.“ Denn daß diejenigen, die heut

zu Tage durch die Gymnasien und Realschulen gehen, wirklich eine gelehrte Bildung brauchten, wird Niemand behaupten. Ist es nicht bezeichnend, daß auf die drei Städtchen in Mecklenburg-Strelitz von zusammen 15000 Einwohnern drei Gymnasien und eine Realschule kommen? So will nun Laas für das Bedürfniß des Bürgerstandes durch die von Hofmann in Berlin vorgeschlagenen Mittelschulen ohne Latein gesorgt wissen, wogegen der Unterrichtsplan der Gymnasien so reformirt werden soll, daß er, wie sehr glücklich Müßell einmal sich ausgedrückt hat, die Jugend zu einer tieferen Auffassung des nationalen Lebens in seiner Besonderheit und in seinem Zusammenhang mit der Gesammtentwickelung des Menschengeschlechtes vorbilde. Zu einer solchen Bildung aber gehört nicht, daß auf den Gelehrtenschulen ferner noch lateinische Aufsätze angefertigt und metrische und lateinische Sprachübungen angestellt werden, während darüber die allgemeine Bildung empfindlich vernachlässigt wird, so daß ein Gymnasialabiturient z. B. Statik und Statistik verwechselt, von einem erratischen Block Nichts erfahren hat, Bücher wie Helmholzs populär-wissenschaftliche Vorträge nicht zu verstehen vermag. Auf diesem Wege werden zwar Philologen, aber auch nur solche herangezogen „welche die Verkümmerung des Geistes, an der sie laboriren, weiter und weiter tragen, bis durch diese künstliche Zucht ganze Schichten der höheren deutschen Gesellschaft degenerirt sind.“ In dieser Beziehung sollte doch die Erfahrung viel zu denken geben, daß bekanntlich die Resultate im philologischen Oberlehrerexamen Jahr für Jahr sich ungünstiger gestalten. Also selbst in der Philologie wirkt die jetzige Organisation der Gymnasien erschlaffend. Und nun zeigt Laas, wie sich ein Gymnasium sehr wohl herstellen lasse, das die Realschule überflüssig macht, eine Aufgabe, an der bekanntlich. Wiese in den Octoberconferenzen verzweifelte. Vor zwei Jahren brachte diese Zeitschrift bereits einen ähnlichen Vorschlag, wie ihn jezt Laas machte. Wenn es nun der uns verstattete Raum zuließe, so würde es uns eine angenehme Aufgabe sein, im Einzelnen den Lehrplan des Laasschen Gymnasiums zu besprechen. Allein wir verweisen lieber auf die Schrift selbst und erwähnen als charakteristisch nur dreierlei: 1. unter Abstellung der lateinischen Auffäße wird dem deutschen Aufsaß eine erhöhte Bedeutung beigelegt. 2. die Ziele in Geographie, Geschichte und Naturwissenschaft werden dem Stande der heutigen Wissenschaft entsprechend erweitert; 3. im philologischen Unterricht tritt das Griechische und zwar die Lectüre in den oberen Klassen in den Vordergrund. Re.

Verantwortlicher Redacteur: Konrad Reichard in Leipzig..
Ausgegeben: 21. Mai 1875. Berlag v von S. Hirzel in Leipzig.

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