ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

Sell's Vortrag soll nur ein Versuch unter vielen sein. Möchte er verdientermaßen vielen den Weg zeigen zu den umfassenden Untersuchungen von Otto Harnack und Eugen Filtsch und, was mehr ist, von ihnen zu Goethe selbst. Wir laden die Leser unserer Protestantischen Monatshefte ein, sich an Sell's warmer, wohlthuender Darlegung zu erfrischen, zu erheben, zu erbauen; sie finden eine Fülle von feinen Beob. achtungen, von erwünschten Fingerzeigen zum Verständnis des großen Dichters und seiner Werke, gewiß viel Anregung, auch dem Christen Goethe gerecht zu werden. Das ist, auch abgesehen von der Beweglichkeit des Goethe'schen Geistes, keine leichte Sache. Schon den richtigen Maßstab zu finden, ist schwer. Denn es gibt nicht bloß Ein Christentum, sondern viele Christentümer“ (S. 2; 81); der katholische Christ muß ganz anders urteilen als der Protestant, der Lutheraner anders als der Reformierte, die orthodoxe Dogmatik anders als die Lebensauffassung des Pietismus, und der Pietist wieder anders als der aufgeklärte Rationalist. 11. E. sollte man gar nicht die Frage stellen, ob Goethe ein Christ war darüber kann kaum gestritten werden, außer in einer unfehlbaren Kirche oder einer Sekte, welche allein und ausschließlich die christliche Wahrheit für sich in Anspruch nimmt. Man sollte vielmehr die Frage stellen, welches Goethe's Christentum war, d. h. wie in ihm, in der Welt, die er sich baute und bildete, das Evangelium Gestalt gewonnen hat. Die leßte Entscheidung über die Treue, über die Größe im Himmelreich haben wir dem Herzenskündiger anheimzustellen (S. 2 und 3). Es will uns bedünken, Prof. Sell, mit dem wir principiell nicht in einem Dissensus zu sein. glauben, hat an verschiedenen Stellen seines Vortrags doch sich drängen lassen, einen Maßstab anzulegen, der nicht geeignet ist, Goethe's Christentum recht zu messen. Er redet zuweilen von einer christlichen Versöhnungslehre, und es gibt doch thatsächlich sogar unter den zünftigen Theologen sehr verschiedene Auffassungen von Versöhnung und dem Versöhnungswerk Gottes; er läßt dreimal Goethe eine Anleihe" machen bei dem Protestantismus, als ob der Protestantismus ein ihm eigentlich fremdes Bankhaus wäre; er weiß, daß der junge Goethe einen starken Zug zum lebersinnlichen, Unendlichen gefühlt hat, und daß der alte Goethe nach seiner eigenen Erklärung ein Mystiker wurde, daß er Verlangen hatte, ganz aufzugehen in Gott, um im nächsten Augenblick doch zufrieden zu sein, wenn er nur seinen Abglanz in der Welt sah und sein Ebenbild im Menschen. Dennoch schreibt er: darum weiß er mit der Seite des überlieferten Christentums, die über Natur und Menschenleben hinausragt, mit der Lehre (sic!) von Sünde und Versöhnung, der Rechtfertigung durch den Glauben und dem stellvertretenden Opfer Christi während seiner schöpferisch reichsten Zeit nichts (?) und später nur wenig anzufangen." Und wenn Goethe vorgehalten wird, daß er die kirchliche Lehre von der Erbsünde sich nicht aneignen konnte, wie sie in den Kreisen der Pietisten verstanden wurde, ist Goethe darum weniger Christ als die anderen? ist er nicht am Ende der einsichtigere Interpret biblischer Lehre und auch der Wirklichkeit? Wir Protestanten haben keine untrügliche Lehre wie die Katholiken, weder von der Erbsünde, noch von der Wiedergeburt, noch von Versöhnung und Erlösung; wir haben unser Bekenntnis von Gottes Thaten und unseren Erfahrungen immer von neuem zu prüfen an der immer gründlicher zu durchforschenden, immer richtiger zu verstehenden Schriftwahrheit. Es kommt überhaupt nicht auf die Lehre an die könnte ja bei einem einzelnen recht ungeschickt, sehr mangelhaft sein; sondern darauf kommt es an, daß wir von dem, was die Lehre säuberlich formuliert ausspricht, etwas innerlich erfahren haben; daß wir die christliche Frömmigkeit erleben, ihr Schuldbewußtsein und ihre Seligkeit, einen gnädigen Gott zu haben, ihr Ohnmachtsgefühl und ihre Freudigkeit, in Gott unüberwindlich zu sein. Am Ende steht Goethe mit seiner religiösen

[ocr errors]

Erfahrung dem ursprünglichen Christentum näher als die Lehre der römisch-katholischen oder der protestantischen Kirche. Wie, wenn Goethe auch auf religiösem Gebiet froß Sell ein Seher gewesen wäre, der mit seinem Christentum der Gesinnung und der That, das er gelehrt und gelebt hat, einer kommenden Zeit höhere Bahnen gewiesen hätte, auf denen sie aufwärts streben soll? Ist die Lehre vom dreieinigen Gott, wie sie meistens vorgetragen wird, wirklich so viel gläubiger, d. h. christlich frommer, als die Lehre von dem Allumfasser und Allerhalter, der unerforschlich und unbegreiflich ist und bleibt? Kann Goethe sich nicht auf Paulus berufen, der all unsere Erdenerkenntnis von Gott und den göttlichen Dingen im Verhältnis zu dem zukünftigen Schauen mit der Klugheit, den Gedanken, den Anschlägen eines Kindes vergleicht? Der geschichtliche Christus, nach dem Goethe geforscht hat, ist er der christlichen Gemeinde nicht wertvoller als der Christus, den die doch nur halb verstandene Metaphysik konstruiert? Und warum sollte Goethe nicht in Jesu Sinn die Wiedergeburt erlebt haben? Muß sie denn durchaus das Werk eines Augenblicks, eines bestimmt abzugrenzenden Lebensabschnittes sein? ist sie nicht ein Prozeß von längerer oder kürzerer Dauer, wie Gott ihn wirkt, und bei keinem jemals vollendet? Das stirb und werde" ist doch nur ein anderer Ausdruck für die Metamorphose, welche die Apostel in jedem Christenleben sich vollziehen sehen; plötzlich, wo das Evangelium in ein schon gefestigtes Menschenleben überkräftig hineingreift; langsam, wo das Menschenleben seit der frühesten Zeit, da alles noch im Werden war, unter dem Einfluß Christi und der Zucht seines heiligen Geistes gestanden hat, wenn auch in einer rationalistischen Zeit. Der weltfrohe Goethe hat doch bekannt, daß er in seinem langen Leben, alles zusammengerechnet, nicht vier Wochen reinen Behagens gehabt habe; er ist oft mühselig und beladen gewesen und hat um den Frieden gebeten, der vom Himmel ist. Und der naturfrohe Dichter hat Anwandlungen gehabt wie der Apostel Paulus, wenn er das Sehnen und Seufzen der Kreatur belauschte; er sagt, es sei ihm, wenn er des Abends unter den bestirnten Himmel trete, oftmals, als ob die Natur ihm tausend. stimmig zuriefe: erlöse mich doch! Der Mann, der fest steht in der realen Welt und sie zu beherrschen bestrebt ist, erfüllt er nicht den Willen Christi, seiner Propheten und Apostel? Und wenn er auf Spekulation verzichtet, welche doch das Göttliche nicht begreift, kann er sich nicht auf Johannes berufen: wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm? Vielleicht müssen wir, um recht zu lernen, was Versöhnung und Erlösung sei, Anselmus ganz vergessen und das Wort des Johannes nicht bloß verstehen, sondern thun: daran haben wir erkannt die Liebe, daß Er sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen. Dieses Thun erschließt uns erst das Verständnis der That Christi. Wer in der natürlichen und sittlichen Welt allenthalben Gesetz und Ordnung sucht und findet, und seine persönlichen Wünsche, Anliegen und Hoffnungen hintenanstellt und dem Ganzen unterordnet, von dem er nur ein kleines Glied ist, ist der ohne Gottvertrauen?

Ob nicht namentlich wir Theologen doch immer wieder in Gefahr geraten, bei Beurteilung anderer Persönlichkeiten den Maßstab unserer Dogmatik oder unserer eigenen Lebensführung und Lebenserfahrung anzulegen? Wie schwer ist es, objektiv zu sein! Wir haben alle darnach zu ringen. Wir lesen selbst die Bibel so gern durch die Brille unserer Dogmatik, wo wir den ganzen dogmatischen Bestand unserer und anderer Kirchen messen sollten an der heiligen Schrift. — Möge die Sell'sche Schrift vielen Gebildeten zum Bewußtsein bringen, daß man sich nicht auf Goethe berufen kann, wenn man die Religion entbehren und das Christentum gering achten zu können vermeint; möchten mit Sell viele, die Christen sein und bleiben wollen und Goethe kennen, ihre Zeitgenossen

überführen, daß auch Goethe Christ war, und daß er in protestantischem Christentum wurzelt und eben deshalb gelegentlich mit seinem Verständnis die katholische Kirche zu würdigen vermag. Er gehört keiner bestimmten Konfessionskirche an, keiner Partei, keiner Richtung“, er ist in freiester Aneignung des Evangeliums über sie alle hinausgewachsen; aber er gehört doch der Gemeinde der wahrhaftigen Anbeter an, welche Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten. Christentum der Gesinnung und der That! Der Verf. wolle es nicht ungut nehmen, wenn wir auf Goethe nicht bloß das Wort anwenden: du bist nicht fern vom Reiche Gottes", sondern wenn wir ihn denen zuzählen, die dem Himmelreiche angehören. Ob ein Kleiner, ob ein Großer das wird Gott entscheiden. Ein Arbeiter von unvergleichlicher Begabung, Riesenfleiß und unermüdlicher Ausdauer; ein Erzieher, der zuerst sich selbst erzogen hat; ein Mensch, der immer strebend sich bemüht hat, der Entsagung und Selbstüberwindung gelernt und unter heißen Thränen geübt hat, demütig vor Gott, liebreich gütig den Menschen, seinen Brüdern das ist Goethe gewesen und geblieben und in der That immer mehr geworden. Wir können alle von ihm lernen, auch von seiner Frömmigkeit und seinem Christentum; er wird ein heilsames Korrektiv sein für altes und neues Prophetentum solcher Christen, die wie Lavater genial und eitel sind, oder, ohne genial zu sein wie er, sehr verworren und noch eitler sind.

Frankfurt a. M.

Ehlers.

[ocr errors]

Das Princip des Katholicismus und die Wissenschaft. Von Georg Freiherrn v. Hertling. Freiburg i. B. 1899, Herder'sche Verlagshandlung; 102 S. 90 Pf.

In Rom hat Prof. von Hertling diese grundsätzlichen Erörterungen aus Anlaß einer Tagesfrage" niedergeschrieben, und der Fall Schell, der damit gemeint ist, soll die Romreise des deutschen Professors veranlaßt haben, den die „Grenzboten“ im vorigen Jahre als einen philosophisch gebildeten, dabei weltmännischen und sprachgewandten Katholiken von gemäßigter und humaner Gesinnung bezeichneten. Die vorliegende Schrift läßt auch v. Herts ling's streng kirchliche Richtung deutlichst erkennen. Drei Momente bestimmen nach dem Verf. den Charakter der katholischen Theologie: 1. der Ausgang von den Offenbarungswahrheiten, die sich an den Glauben wenden und vom Glauben aufgenommen werden müssen; 2. die geschichtlich bedingte menschliche Geistesthätigkeit; 3. die Ueberwachung durch das kirchliche Lehramt (S. 40).

Es ist ein freundlicher Irrtum des katholischen Gelehrten, wenn er in diesem letten Moment den principiellen Unterschied des Katholicismus auch von der Richtung in der evangelischen Kirche sieht, die er positiv -gläubigen Protestantismus“ nennt. Denn auerkannte Wortführer dieser Richtung haben wiederholt den Profefforen der protestantischen Theologie gegenüber mit denselben Worten genau dasselbe gefordert, was wir in der Hertling'schen Schrift S. 46 lesen: „Ein Professor der katholischen Theologie hat nicht seine subjektiven Einfälle, wie geistreich sie auch sein mögen, vorzutragen, sondern die Lehre der Kirche. Verstößt er dagegen, so muß er sich die Korrektur gefallen lassen." Und wenn jene Wortführer noch nicht einmal den humanen Rat von Hertling's hinzufügten, im gegebenen Falle Vorsicht und Milde walten zu lassen“ (S. 47), sondern seinen römisch-katholischen Grundsatz mit brutaler Rücksichtslosigkeit durchgeführt zu sehen verlangten, so durfte Holsten mit Fug und Recht von einem katholisch gewordenen Protestantismus reden.

Daß eine Theologie, die in ihrer mündlichen oder schriftlichen Darstellung unter der Aufsicht des kirchlichen Lehramts steht (S. 46), bewußten Protestanten nicht als Glaubenswissenschaft gelten kann, ist selbstverständlich. Aber es ist völlig aussichtslos, mit dem Verf. und seinen Gesinnungsgenossen darüber zu streiten. Uebrigens wollen wir gern anerkennen, daß Prof. v. Hertling für eine „gesunde theologische Durchbildung“ in seinem Sinne mit aller Entschiedenheit eintritt, um nicht bloß die Ausbreitung eines so ungeheuerlichen Schwindels, wie er sich an den Namen Taril knüpft, unmöglich zu machen, sondern auch „die in manchen kirchlichen Kreisen vorhandene übertriebene Wundersucht, .... die notwendigerweise in thörichtem Aberglauben und plumper Materialisierung des Geistigen endigt" (S. 79f.), wirksam zu bekämpfen. Wenn der dem Münchener Philosophie-Professor gesinnungsverwandte „hervorragende katholische Theologe, der jetzt einen deutschen Bischofssiß ziert (S. 79), seinen Seelsorgeklerus anwiese, einer solchen „ungesunden Vorliebe für das Geheimnisvolle und vermeintlich Uebernatürliche“ in den Gemeinden wie auch dem geringschäßigen Gerede gewisser katholischer Kreise von der „sogenannten deutschen Wissenschaft“ (S. 58) entgegenzuwirken, und wenn er den Theologiestudierenden „die richtige Wertschätzung der Wissenschaft und die methodische Beschäftigung mit ihr" empfehlen wollte, so würden wir uns als Deutsche und als Protestanten darüber aufrichtig freuen, obwohl uns der auch nach Prof. v. Hertling ans kirchliche Dogma gebundene, vom kirchlichen Lehramt überwachte katholische Theologe nicht als ein freier Mann und seine Glaubenswissenschaft" nicht als Wissenschaft gelten kann, wofür wir uns ja auf Duns Scotus berufen dürfen.

"

Im Unterschiede von den mittelalterlichen Tendenzen der Stifter und Gönner „freier katholischer" Universitäten findet nach unserm Verf., den das Zurückbleiben der Katholiken im wissenschaftlichen Wettbewerbe der modernen Welt schwer bedrückt, nur für den katholischen Theologen die Freiheit des Forschens und Lehrens ihre Schranke an der Autorität des kirchlichen Lehramts. Katholische Laien aber haben nach dem Freiherrn v. Hertling in ihrem wissenschaftlichen Forschen und Lehren nur das Recht ihrer der materialistischen entgegengesetzten christlichen Weltansicht zu wahren. Und so erklärt der Verf. in seiner jezt wieder abgedruckten Rede zur Eröffnung des 4. internationalen katholischen Gelehrtenkongresses von 1897: „Unter katholischer Wissenschaft verstehen wir die Wissenschaft katholischer Gelehrter, die in allen rein wissenschaftlichen Fragen keine anderen Regeln kennen, als die des allgemeinen wissenschaftlichen Verfahrens, die aber überall da, wo unbeschadet dieser Regeln der Standpunkt des Forschers seinen Ausdruck finden darf oder muß, ungescheut die Fahne ihrer aus übernatürlichem Grunde stammenden Glaubensüberzeugung aufpflanzen, fest durchdrungen von dem Saye, daß zwischen Glauben und Wissen kein Widerspruch möglich ist, so lange der Glaube wirklicher, auf göttlicher Offenbarung ruhender Glaube, und das Wissen wirkliches, vor keiner kritischen Prüfung zurückschreckendes, aber auch keiner grundlosen Behauptung Raum verstattendes Wissen » ist“ (S. 97). Er stellt sogar S. 72 dem „gläubigen“ Forscher frei, sich rückhaltslos den Methoden und Voraussetzungen der exakten Naturwissenschaft hinzugeben“. Nur soll er als Christ, aber zugleich auch als Forscher, der die Grenzen wissenschaftlicher Forschung kennt, verpflichtet sein, bei Anwendung der Entwicklungslehre auf die lebende Natur einen Vorbehalt bezüglich des Menschen zu machen (S. 69). Denn über den Ursprung des Menschen bringt der gläubige Forscher (S. 70) eine auf übernatürlicher Gewährleistung bernhende Ueberzeugung mit, die seinen wissenschaftlichen Takt verstärken und ihn somit nur um so besser für das Geschäft der Forschung ausrüsten wird! J. W.

Für die Redaction verantwortlich: D. Websky in Berlin W. Lutherstraße 51.
Druck und Verlag von Georg Reimer in Berlin S.W. Anhaltstraße 12.

-

381

Der moderne Mensch und die Religion.

Von

C. Bonhoff in Leipzig.

Es mag als ein Wagnis erscheinen, zur Debatte über ein Thema, das gerade in den letzten Jahren, und zwar bekanntlich auf Anregung des Herausgebers der Christlichen Welt'), so vielfach erörtert worden, ja selbst Gegenstand eines Wettbewerbs in der genannten Zeitschrift gewesen ist, noch einmal das Wort zu ergreifen. Indes wie schon der Recensent der „drei Skizzen und Vorarbeiten" von Bonus, Perino und Schian (Hefte zur Christlichen Welt 34/35) im Februarheft der Monatshefte" betonte: der Gegenstand ist und bleibt zu umfangreich, als daß die Verfasser der bisherigen Bearbeitungen alle einschlägigen Gesichtspunkte hätten berühren können oder wollen, und so mögen auch die folgenden Ausführungen als ein ergänzender, natürlich auch keineswegs erschöpfender Beitrag gelten, der den wichtigsten Ertrag jener vorausgegangenen Arbeiten berücksichtigt, zugleich aber das innere Verhältnis des modernen Menschen zur Religion im Lichte Eines Grundgedankens, richtiger: Eines Grundstrebens der neuen Zeit klar zu stellen sucht.

Eine Bemerkung zuvor. Wie wir unter dem modernen Menschen keinen Modemenschen verstehen, so wollen wir ihm auch nicht in einer gewissen Modemanier, die den Zorn sonst gewiß mildgestimmter Menschen herausgefordert hat (vergl. den Auffah Zur Debatte über R. Rothe im Augustheft d. I.), „hofieren". In der That find gelegentlich der allgemeinen literarischen Diskussion wahre Raketenfeuer von geist= reichen Aperçus abgebrannt worden, die auch da, wo man in einer ausgiebigen Selbst. ironisierung sich gefiel, den Eindruck koketter Selbstverhätschelung oder auch ungetrübten gegenseitigen Wohlgefallens deutlich genug werden ließen. Selbstverständlich müssen wir uns auch von dem Ehrgeiz freihalten, den modernen Menschen" um jeden Preis als ein ganz neues geschichtsloses Monstrum hinzustellen, das alles vor unserer Zeit Gewordene getrost zum alten Eisen werfen könnte, wie es denn andererseits ungerecht wäre, solche Pietätlosigkeit als für ihn besonders charakteristisch auszugeben. Vielmehr verstehen wir unter dem modernen Menschen das kämpfende Wesen, das mitten in der gegenwärtigen Entwicklung der Dinge steht und die Schmerzen und Freuden dieser Entwicklung an sich erfährt, das Erbe der Väter nicht geringschäßt und es doch aufs neue erwerben muß, um es wirklich besitzen und danach bereichern zu können.

[ocr errors]

Auf diesem geschichtlichen Boden stehend, glauben wir das Grundstreben dez modernen Menschen in kurzem als ein Streben nach Selbständigkeit auf allen. Gebieten kennzeichnen zu dürfen, solches Streben nicht als ein einfach geradliniges

1) Rade selbst hat einen Beitrag zu der Frage in seinen fünf Vorträgen über „die Religion im modernen Geistesleben“ geliefert (Mohr 1898), in denen er jedoch nicht dieses in seiner Eigentümlichkeit beschreiben, sondern das Verhältnis der Religion zu Geschichts und Naturwissenschaft, Kunst, Moral und Politik behandeln wollte.

Protestantische Monatshefte. 3. Jahrg. Heft 10.

31

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »