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ganze Wissen ihrer Zeit beherrschten; die lateinische Literatur hat in dieser Zeit noch namhafte Autoren aufzuweisen, die griechische im 2. Jahrh. eine Renaissance erlebt, die Rhetorik ihre grösste Blütezeit gefeiert; auch die Philosophie hat einen grossen Einfluss ausgeübt, aber eine einseitig praktische Richtung befolgt. Die Probleme der Logik und der Physik blieben meist im Hintergrund; man wandte sich ganz der Ethik zu und suchte aus den verschiedenen Systemen eklektisch dasjenige zusammen, was sich praktisch im Leben verwenden liess. Allerdings war die Folge davon, dass man mit den philosophischen Gedanken wirklich Ernst machte. Was Cicero noch als eine Ausnahme verzeichnete, dass man sich nämlich mit der Philosophie beschäftigte non disputandi causa, sed ita vivendi, war in dieser Zeit die Regel. Die Philosophie ward zur Lehrerin des Lebens, zur Trösterin im Leid: merkwürdig ist die Literatur der Trostschriften, in welchen Seneca und Plutarch, wie schon früher Cicero, philosophische Gründe zusammensuchten, um den eigenen Schmerz oder die Trauer ihrer Angehörigen und Freunde zu lindern. In dieser Zeit war die Philosophie wirklich, wie Ficinus sie Jahrhunderte später nannte, nihil nisi docta religio. Daher muss die Religionsgeschichte auf diese Rolle der Philosophie näher eingehen.

Die äussere Stellung der Philosophen war sehr verschieden und nicht immer ungefährdet. Ihr Einfluss erweckte bei manchen Cäsaren Verdacht; den Tyrannen sind die Ideologen immer unbequem. In den aristokratischen Kreisen der Opposition unter Nero gingen stoische Grundsätze und republikanische Sympathien Hand in Hand; selbst Vespasian ergriff Massregeln gegen die Philosophen, und Domitian verbannte sie aus Rom. Nach ihm fand ein förmlicher Umschwung auch in dieser Hinsicht statt: mit Marc Aurel bestieg die Philosophie den Thron, und die Philosophen kamen zu hohen Ehren.

In einer Zeit, wo alle Stände Hilfe und Rat bei der Philosophie suchten, waren natürlich die äusseren Umstände der Philosophen sehr verschieden: neben dem reichen Minister Neros, Seneca, steht der freigelassene Sklave Epiktet. Auch gab es viele, die durch die Philosophie für ihren Unterhalt sorgen mussten, und es entstand also neben der freien, meist schriftstellerischen Wirksamkeit eines Seneca und eines Plutarch das Amt des Philosophen. Die Literatur dieser Zeit zeichnet uns das Bild des Philosophen in den verschiedensten Verhältnissen und zwar zuerst als Hausfreund. Manche vornehmen Familien hielten sich einen Hausphilosophen als geistigen Berater und Erzieher der Jugend. Von der unwürdigen Behandlung, welche ein solcher Beichtvater oder Hauskaplan oft erfahren musste, hat Lucian ein

grelles Bild entworfen. Merkwürdig bleibt es immerhin, dass so viele vornehmen Leute dieser Zeit das Bedürfnis nach geistiger Führung fühlten. Sogar in die Provinz nahm man seinen Beichtvater oft mit. Mehrere Beispiele zeigen uns, dass man, um sich auf den Tod vorzubereiten, seinen Philosophen rufen liess und in den letzten Augenblicken sich mit ihm über die Natur der Seele und die Trennung von Geist und Körper unterhielt. Diese individuelle Seelenleitung war aber nicht beschränkt auf die Wirksamkeit der Philosophen, die zur Klientel vornehmer Häuser gehörten; manche schöne und freie Verhältnisse sind diesem Bedürfnis entsprossen; so blieb Marc Aurel seinen Lehrern herzlich dankbar, und Seneca beschäftigte sich eingehend mit dem Seelenheil derjenigen, die ihn um Rat und Hilfe angingen; in den Briefen erteilt er dem Lucilius Belehrungen über allerlei Fragen, in De tranquillitate animi bekämpft er das taedium vitae seines Freundes Serenus, in De vita beata belehrt er seinen Bruder Gallio usw. Der Gesichtspunkt, unter dem Seneca dieses Verhältnis betrachtet, ist der einer Krankenstube oder eines Spitals, der Philosoph ist der Arzt der Seele.

Unabhängiger als die Stellung der Hausphilosophen war die der Lehrer an den öffentlichen Schulen oder der wandernden Redner. In Rom, in Athen, sogar in kleineren Städten, wie Nikopolis in Epirus, wo Epiktet lehrte, nachdem er infolge des Edikts Domitians Rom hatte verlassen müssen, hielten Männer, wie Musonius, Epiktet, Plutarch, Apulejus und viele andere, Vorträge, meist um die erwachsene Jugend in die Philosophie einzuführen. Freilich rügt die Literatur dieser Periode auch an dieser Tätigkeit starke Schattenseiten. Die Lehrer forderten von ihren Schülern Geld und suchten deshalb zum Teil durch rhetorische Künste, Wortschwall und Schmeichelei eine grössere Zuhörerschaft anzulocken und zu fesseln. Aber auch die Schüler vereitelten oft den Zweck des Unterrichts, indem sie ohne Vorbildung und Ernst in die Schule liefen, bloss um die Zeit zu vertreiben, wie man ins Theater geht oder den Rhetor deklamieren hört. Trotz dieser Schäden haben aber mehrere Philosophen mit diesen öffentlichen Vorträgen eine sittlich erspriessliche Tätigkeit entwickelt; wir wissen dies namentlich von Epiktet durch seinen Schüler Arrian. Dass es sich bei diesem Unterricht nicht um theoretische, sondern um sittliche Bildung handelte, beweist u. a. die Beschreibung des Musonius von der Wirkung, welche die Rede des Philosophen beim Schüler, der sich im Gewissen gepackt fühlt, hervorbringt 1.

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Den tiefgreifendsten Einfluss übten die Philosophen in dieser Periode als Volksprediger aus. Eigentlich kommen hierbei bloss die Cyniker in Betracht. Nicht allein durch ihre Reden, welche man oft mit Kapuzinerpredigten verglichen hat, sondern durch ihr ganzes Leben waren diese Bettelmönche des Altertums" Lehrer und Erzieher ihrer Zeitgenossen. In dieser Periode gelangte der Cynismus zu einer weit grösseren Bedeutung, als er sie je im alten Griechenland besessen hatte. Der Cyniker war ein Mann, der ohne Besitz wie ohne Familie, frei im Leben wie im Tode, alle Menschen in freimütiger Rede warnte und ermahnte, ein Herold und Bote der Götter, ein Bruder aller Menschen, deren Seelenheil er auf dem Herzen trug. So beschrieb ihn in idealem Licht Epiktet1 als einen Aufseher der übrigen Menschen, der, einem göttlichen Ruf folgend, allen durch Rede und Beispiel den Weg des Heils zeigte. Für den grossen Einfluss der Cyniker bringt die Geschichte mehrere Beispiele. So war im 1. Jahrh. in Rom eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Cyniker Demetrius, der grosse Summen, die Caligula ihm anbot, mit Hohn zurückwies, mit dem Thrasea sich in seiner letzten Stunde unterhielt, der endlich auch Vespasian entgegentrat; dieser wollte aber den „bellenden Hund" nicht töten. Das Schmähen der Kaiser gehörte fast zum Amt des Cynikers, so wagte es einer sogar, Titus wegen der Berenice öffentlich zu schelten. Es gab aber neben guten auch manche schlechte Cyniker, die, unverschämt und eitel, eigennützig und betrügerisch, die äusseren Kennzeichen des Cynikers, langen Bart und Stock, zur Schau trugen, um die Leute zu prellen und sich selbst zu mästen. Ein besonders gehässiges Licht fällt auf diese Volksprediger bei Lucian, der bloss für den Athener Demonax eine Ausnahme macht. Am heftigsten verfolgte Lucian den Peregrinus Proteus, dessen ganzes Leben er als eine Reihe von Schandtaten beschreibt und dessen Selbstverbrennung in Olympia er verspottet. Die Erzählung Lucians über das Lebensende des Peregrinus ist sehr verschieden beurteilt worden, namentlich die Frage, wie die Episode von Peregrinus' Zugehörigkeit zu den kleinasiatischen Christengemeinden aufzufassen sei. AUBÉ und HAUSRATH haben geglaubt, die Bekämpfung des Christentums sei dem Lucian Hauptsache und das Lebensende des Peregrinus eine Parodie des christlichen Martyriums. Allgemeiner verbreitet ist die Ansicht, dass die Pfeile Lucians hier wie öfters in erster Linie gegen die Cyniker gerichtet sind. Jedenfalls darf man den Streitschriften Lucians viel weniger Glauben schenken, als der idealisierenden Beschreibung

'Arrian, Diatrib. III 22.

Epiktets. Gewiss gab es unter den Cynikern manche falschen Brüder und Betrüger, gegen Lucians Zeugnis ist aber die Bemerkung von BERNAYS zutreffend, dass die Spötter so sehr wie die Fanatiker in blinde Ungerechtigkeit verfallen können“1.

In dieser Periode gaben sich in der Philosophie die verschiedenartigsten Bestrebungen kund. Im allgemeinen waren wohl die Strömungen im religiösen Leben und in der Philosophie, welche sich dem Leben so nahe wie möglich anpasste, dieselben. Wie sich die Denker mit der Fortuna viel beschäftigten (Lucan, Plutarch u. a.), so war auch im ausgehenden Heidentum der Tychekult verbreitet. Als letzte Blüte der philosophisch-religiösen Mythenbildung nennen wir aus dieser Zeit das sinnige Psychemärchen, worin Apulejus ein aus Indien entlehntes Motiv im Geist seiner Zeit umbildete. Der Restauration des Glaubens und der Herrschaft mancher Formen des Aberglaubens entsprach eine supranaturalistische Richtung und ein mystischer Zug in der Philosophie, der Theokrasie die synkretistische und eklektische Vereinigung von Anschauungen verschiedener Herkunft. Dennoch muss man sich hüten, die Tatsachen, die mit dieser allgemeinen Charakteristik nicht im Einklang stehen, zu übersehen. Es hat auch in den zwei ersten Jahrhunderten Ungläubige und Spötter gegeben, wie den eben genannten Lucian, wie Plinius den Aelteren, wie die Epikureer. Plinius der Aeltere vereinigte mit einer energischen Leugnung der Götter und der Unsterblichkeit eine gewisse religiöse Ehrfurcht vor der Natur, dem Weltall und war sogar von Aberglauben und Leichtgläubigkeit durchaus nicht frei. Der Epikureismus war im Abnehmen, in der Kaiserzeit hat diese Richtung keine namhaften Vertreter gehabt; dennoch zitiert Seneca in seiner Korrespondenz vielfach Sprüche Epikurs als eines sehr verehrten Meisters; Epiktet und Plutarch finden es angemessen, die Epikureer nachdrücklich zu bekämpfen, und Lucian erwähnt sie lobend, weil sie die Künste des Betrügers von Abonoteichos durchschauten.

Was nun den zweiten Punkt, den synkretistischen und eklektischen Standpunkt der Lehrer dieser Zeit anbelangt, so ist richtig, dass Seneca allerlei sacrarum opinionum conditores, sogar Epikur hoch verehrte, dass man in den Kreisen der Stoiker Sokrates und Diogenes neben Zeno und Chrysippus stellte, dass der Stoiker Epiktet die Cyniker über die Massen lobte; dagegen bekämpften sowohl Epiktet als Plutarch gegnerische philosophische Schulen: der erstere die skeptischen Akademiker und die Epikureer, der zweite nicht bloss die Epi

1 J. BERNAYS, Lucian und die Cyniker (1879).

kureer, sondern auch die Stoiker. Es ist interessant, die Gründe dieser Polemik, die mehrere Hauptstücke Arrians und mehrere Traktate Plutarchs füllt, kennen zu lernen, namentlich die, welche der Platoniker Plutarch gegen die Stoiker geltend macht. Hier sehen wir, wie dem Glauben dieser Zeit die Verteidigung der Religion in der Weise der Stoa nicht mehr genügte. Die Stoiker lösten die Götter in Abstraktionen von Naturkräften oder von Leidenschaften auf; sie verschlossen sich die Möglichkeit einer richtigen Fassung der ethischen Probleme, indem sie eine allgemeine Ordnung und Notwendigkeit annahmen, die keinen Platz für die Erkenntnis des Bösen in der Welt und für die menschliche Freiheit liess, sie machten einen zu starken Unterschied zwischen den wenigen Idealwesen und dem grossen Haufen der Toren. Dies sind einige der Hauptbedenken, welche Plutarch gegen die Stoiker hegt, welchen er übrigens so viel Seitenhiebe als möglich zu versetzen nicht versäumt.

Der Stoa gehörten in diesem Zeitalter viele einflussreiche Männer an. Wir haben Seneca, Musonius, Epiktet, Marc Aurel schon erwähnt. Die besten Vertreter der Literatur und Gesellschaft unter Nero waren stoisch beeinflusst, so Lucan, Persius u. a. Im Stoizismus dieser Periode traten die philosophischen Lehrsätze in den Hintergrund. Man kann sich daher nicht wundern, hier Ausdrücke zu finden, welche eigentlich zu dem System nicht passen. Sogar Epiktet meinte, es sei müssig, sich in die Schriften Chrysipps zu vertiefen, man solle die Weisheit im Leben betätigen. Allerdings hat Seneca mehrere Fragen der Schule behandelt, und Plutarch die stoischen Dogmen angegriffen; bei beiden aber fällt die wenig philosophische Haltung der Diskussion und die praktische Wendung auf, welche den Fragen gegeben wird. Es war den Stoikern dieser Zeit ausschliesslich um die Bildung eines hohen, fast unerreichbaren Tugendideals zu tun. So hat Epiktet den echten Stoiker beschrieben als eine äusserst seltene Erscheinung, als den Mann, der immer glücklich und stark bleibt in aller Trübsal und ohne Leidenschaften schon in dieser sterblichen Hülle zum Gott wird1. Daher auch die tägliche, genaue, ja peinliche Selbstprüfung, welche Seneca immer wieder anempfahl, und Marc Aurel durchführte. Nie sind die Pflichten der sittlichen Selbstbetrachtung und der Wert des inneren Lebens mit mehr Ernst anerkannt worden als durch diese Männer. Freilich zog die Religion dabei den Kürzeren. Seneca erwartete alles von der eigenen sittlichen Anstrengung; sibi fidere und fac te ipse felicem waren seine Losungsworte. Die Bestimmung der

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