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375. Die Vaterliebe.

Es erzählte ein gottseliger Prediger, daß er in seiner Jugend von seinem frommen Vater, der auch ein Diener Chrifti und seiner Kirche gewesen, sehr hart wäre gehalten worden; als aber der Vater in seinem Lezten sich befunden, habe er ihn vors Bett lassen kommen und gesagt: Ich habe dich bisher, mein Kind, ob du wohl mein einziger Sohn gewesen, nicht wissen laffen, wie lieb ich dich hatte; nun aber will ich dich der Gnade Gottes befehlen und dich segnen, und du sollst mit Gottes Hülfe wohl gesegnet bleiben. So recht, sagte Gotthold, so sollten es billig alle Väter machen; denn es ist ein Stück der väterlichen Liebe, die Liebe verbergen und die Kinder nicht zu zeitig lassen merken, daß man sie liebt; die frühzei= tige Entdeckung der Liebe ist den Kindern wie den Bäumen das warme Wasser, dadurch sie zwar etwas zeitiger ausschlagen und grünen, hernach aber verdorren. Nun der liebreichste und weiseste Vater über alle andern hält es nicht anders, seine liebsten Kinder müssen oft lange nicht wissen, wie lieb er sie hat. Sie müssen von Jugend auf in die Kreuzschule gehen, ihr geringstes Versehen wird mit einer wachsamen und scharfen Ruthe gestraft, sie müssen Thränenbrod effen, werden hart gehalten und färglich erzogen, der himmlische Trost, die geistliche Freude, die süße Genießung ihres Glaubens, der Anblick des göttlichen gnädigen Antliges wird ihnen sparsam gereicht, sie bitten oft mit betrübtem und zerschlagenem Herzen und mit viel tausend Thränen um die Versicherung der Vergebung ihrer Sünden und um den gänzlichen Frieden ihres Gewissens, fie flagen über die Schwachheit ihres Glaubens und bitten um Vermehrung desselben, sie klagen über die hinterstelligen Sünden in ih rem Fleisch, sie klagen und schreien über der Welt Zunöthigung und Bedrängniß, und es scheint, als achte es der Vater nicht, er thut, als hörte ers nicht. Die größten Liebhaber des Wortes können manches Mal keinen Schmack, noch Süßigkeit darinnen finden, die andächtigsten Beter bleiben oft lang ungetröstet, welche ihren Jesum am liebsten haben, und die sich Tag und Nacht nach seinen Wunden, wie ein Kind nach der Mutter Brüsten sehnen, gerathen oft in die schwerste Anfechtung, und er sagt zu ihnen mit ernstem Ge

sicht: was hab ich mit dir zu schaffen? Welche an ihrer Seligkeit täglich wirken und zu derselben in Christo erwählt sind, ehe der Welt Grund gelegt ward, denen ist das Kabinet und die Bücher des himmlischen Vaters oft so fest verschlossen, daß sie ihren Namen darin angeschrieben nicht erblicken können. Hier ist nun traun Lachen zu verbeißen und denkt oft ein frommes Herz: heißt das Gottes Kind sein? nicht eine fröhliche Stunde fast haben, nicht einen väterlichen freundlichen Anblick, nur immer in der Schule, immer unter der Ruthe, und dergleichen? Allein dies ist die zwar wunderliche, doch unvergleichliche Liebe und Güte Gottes, der am besten weiß, wie er uns halten und zum Himmel erziehen soll; er bleibt jedennoch Vater, und ich sein Kind; er sehe süß oder sauer, er stäupe oder herze, er gebe das Wasser der Trübsal oder den Wein der Freuden, so bleibt er, der er von Ewigkeit gewesen ist, ein treuer liebreicher Vater in Christo Jesu. Die Sonne bleibt allezeit eine Sonne und scheint mit hellleuchtenden Strahlen, ob schon ein Nebel oder eine dicke Wolke zwischen ihr und unserm Gesicht sich sezt. So auch bleibt das Herz Gottes und seine Liebe in voller Kraft, wenn er uns schon nach seinem heiligen Rath mit dem Nebel der Widerwärtigkeit umgiebt. Darum müssen uns die Versicherungen seiner Gnade und die theuren Verheißungen in seinem Worte, wie auch die mancherlei Proben seiner väterlichen Liebe, gewiffer und gültiger sein, als alles, was unsere Vernunft und das fündliche Fleisch sagt. Der Apostel empfand die Faustschläge des Satans und einen Pfahl im Fleisch und mußte doch vorlieb nehmen mit dem: Laß dir an meiner Gnade genügen! 2. Cor. 12, 9. Wohl sagt der geduldige Hiob 13, 15., 16.: So mich gleich der Herr tödten wollte, so will ich doch auf ihn hoffen, und weiß, daß er dennoch mein Heil sein wird. Nun, mein Gott und Vater! stelle dich, wie du willst, du bist dennoch mein Gott, mein Vater, und ich dein Kind. Halt mich hier hart und dort wohl, laß mich mit Seufzen, Klagen, Weinen meinen Weg vollführen, wenn er mich nur in den Himmel führt; mein Glaube sei schwach oder stark nach deinem heis ligen Willen, wenn er mich nur selig macht. Eins bitte ich noch, mein Vater! laß mich doch in meinem Leßten wissen, daß du mich je und je geliebt hast, und laß mich, meiner Kindschaft und des himmlischen ewigen Erbes versichert, fröhlich von hinnen scheiden! Ende gut, alles gut!

376. Die Rechtssache.

Ein Freund klagte, daß er einen schweren Rechtshandel hätte mit jemand bekommen, der ihm nicht allein große Unkosten, sondern auch viel Verdruß und Unruh verursachte. Gotthold sprach: Es hat jener berühmte Jurist sehr wohl gesagt, ein Mensch, der rechten wolle, müsse drei Taschen haben, eine zu den Briefen und Urkunden zum Beweisthum und sonst nöthig, die andere zum Gelde und Unkosten, die dritte zur Geduld, wenn die Sache lange währt oder gar verloren wird. Vielleicht habt ihr euch auf diese Taschen noch nicht geschickt; wie aber, habt ihr denn kein Mittel gefunden, mit eurem Widersacher euch zu vergleichen, als das heutige verdrießliche und gottlose Rechten? Verwundert euch nicht, daß ich dem Rechten ein solches Beiwort hinzuseße, maßen es leicht sonnenklar zu erweisen ist, daß es ein solches wohl verdient, und es urtheilt ein hochberühmter Gottesgelehrter (Chemnitz), daß bei jezigen Läuften und Sitten nach der welt- und fleischlichgesinnten Gewohnheit einer mit gutem Gewissen nicht rechten könne. Ich habe einmal von einem vornehmen und gelehrten Rechtskundigen gehört, daß er mit großem Ernst sagte, es wäre, leider! heutiges Tags mit dem Rechten dahin gekommen, daß, wenn er tausend Reichsthaler zu fordern hätte, und er sollte sie seinem Gegner mit Rechtsstreit oberhalten, so wollte er lieber hundert dafür nehmen und den Streit fahren lassen. Ein anderer spricht: Ein rechtschaffner Mann soll zu keinem Recht kommen, als mit langsamen Tritten, und mit Adlerflügeln davon eilen; es ist besser einen magern Vertrag, als eine fette Sentenz zu erwarten. Zu beklagen ist es, daß wegen der menschlichen Bosheit das Zanken und Rechten so sehr überhand nimmt. Ich finde, daß ein hoher Potentat selbst es bedauert, daß im kaiserlichen Hofgerichte lie Sachen sich übermaßen sehr häuften, daß fast alle Wochen funfzig neue Sachen und mehr einkommen. Man möchte wegen des vielfältigen Gezänks sagen, die heutige Welt sei einem verwilderten Acker gleich, der allenthalben mit Disteln, Dornhecken und Klettenbüschen verwachsen ist, oder dem wüthenden und wallenden Meer, da eine Welle über die andere schlägt und alles sauset und brauset. Die unendlichen Rechtshändel und deren listiges Umtreiben sind nach eines klugen Mannes Ausspruch ein rechter Schandfleck des Christen

thums, sintemal die Mohren und Mahomedaner ohne alle Weitläuftigkeit und Bitterkeit ihre Streitigkeiten können in einer Stunde schlichten und beilegen, darüber wir viel Jahre oft zubringen und unser Herz in Bitterkeit und Galle vertiefen und verzehren. Summa, da viel Rechtens ist, das ist eine gewisse Anzeige, daß da nicht viel Christen sind, wie obgemeldeter Theologus abermal redet. Bei den Juden war, wie bekannt, gebräuchlich, daß die Gerichte in den Thoren der Stadt gehegt und gehalten wurden. Die Ursache nach der Gelehrten Urtheil war diese, daß nicht allein jedermann, der ausund einging, möchte zuhören, weil die Richter ihres Ausspruchs keine Scheu hatten, sondern auch, daß sie die innerliche Uneinigkeit gleichsam aus der Stadt verweisen und zum Thor hinaus, die äußerliche aber, (oder die sich von außen ereignete,) im Thor aufhalten und zurückweisen und also ihrer Stadt Einwohner in Liebe und Friede erhalten möchten. So sollte es billig in der Stadt Gottes sein. Es müßte in allen Thoren angeschrieben stehen: Ist jemand uns ter euch, der Luft zu zanken hat, der wisse, daß wir solche Weise nicht haben, die Gemeine Gottes auch nicht. 1. Cor. 11, 16. Ach, wie kann die Gemeine Lust zu zanken haben, welche auf Liebe gegründet, in Liebe verbunden und zur Liebe berufen ist? Ach, wenn wir Christen allezeit wollten bedenken das artige Sinnbild der Niederländer, welches sie im Jahr 1588 auf eine Münze haben lassen prägen, nämlich zween Töpfe auf dem Wasser schwims mend mit der Beischrift: Zusammen stoßen ist zerstoßen. Was mich betrifft, will ich stets vor Augen haben die Worte des h. Apostels: Es ist schon ein Fehl unter euch, daß ihr mit einander rechtet. Warum lasset ihr euch nicht viel lieber Unrecht thun? Warum lasset ihr euch nicht viel lieber übervortheilen? 1. Cor. 6, 7. Ich habe eine Rechtssache vor dem höchs sten Richterstuhl, die mir so viel zu thun macht, daß ich alles ans dern Rechtens gerne vergesse; die Sache betrifft meine Sündenschuld, mein Ankläger ist der Satan, sein Sachwalter mein Gewissen; Zeugen bedarfs nicht, weil der Beklagte die Schuld gesteht; mein Fürsprecher und Advokat ist Jesus, der Gekreuzigte, der nicht allein mit seinem Munde, sondern auch mit seinem Blut und Wunden für mich redet; mein Richter ist mein Vater, der barmherzige und gnäs dige Gott, mein Freund und Beistand der H. Geist; wie kann ich anders, als ein gewünschtes Urtheil bekommen?

377. Die Zuhörer.

Als Gotthold mit einem gottseligen Freunde aus der Kirche kam, sagte dieser, er hätte sich heute über die große Menge der Zuhörer müssen wundern und erfreuen, weil er Hoffnung hätte, daß unter einer so volkreichen Versammlung der edle Same göttlichen Wortes doch etliche feine Herzen müßte antreffen, darinnen er zur Frucht gedeihen könnte. Gotthold fagte hierauf: Ich muß gestehen, wenn ich eine solche Menge sehe, die das Wort Gottes zu hören bei einander ist, daß es mir geht wie einem geizigen Kaufmann, der viel Volks um seinen Laden sieht auf einer Messe und desto mehr Hoffnung zu vielem Gewinn hat. Die Welt spricht: die Priester sind geizig. Ich will es nicht leugnen. Was rechtschaffene Diener Jesu Christi sind, die müssen geizig sein, doch wie ihr Handel nicht weltlich oder irdisch ist, so ist auch ihr Geiz, ihre Begierde und Verlangen auf vergänglichen Gewinn nicht gerichtet, sondern Seelen suchen ste zu gewinnen und ihrem Herrn Jesu zuzuführen. Aber ach! wie oft werden wir im Geist betrübt, wenn wir an den meisten, ja unserm äußerlichen Dünken nach fast an allen unsere Arbeit und Hoffnung müssen verloren sehen! Viele Hörer, wenig Thäter. Die meisten Zuhörer find dem mit Del getränkten Papier gleich, darauf keine Schrift haften will; ihre Herzen sind mit weltlichen Gedanken und herrschenden Sünden eingenommen, wie soll man ihnen denn den himmlischen Lebenssaft beibringen? Wir sind gewohnt, in die Predigt zu gehen, aber auf das gepredigte Wort nicht zu achten; beides haben wir von Jugend auf gesehen und bleiben dabei. Wie kann ein Knabe etwas Tüchtiges lernen, der aus Zwang und mit Widerwillen ein paar Stunden in der Schule sigt, hernach aber, wenn er entlassen wird, die Bücher in einen Winkel wirft, und seinem Muthwillen den ganzen Tag folgt? Und wie kann ein Mensch in der Schule des H. Geiftes die Geheimnisse des Reichs Chrifti lernen, wenn er aus Gewohnheit mit Unluft zur Kirche geht, mit schläfrigem Herzen zuhört und hernach den ganzen Tag (wie gemeiniglich am H. Ruhetag des Herrn geschieht) in Ueppigkeit und Sünden zubringt? Gesezt, daß manchem ein Fünklein des göttlichen Feuers durchs Wort ins Herz gefallen ist, wie kann es zu Licht und Flamme werden, da es mit

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