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Die delphische Amphiktionie im III. Jahrhundert.

Von Julius Beloch.

Die Zusammensetzung der Amphiktionie, wie sie von Philipp nach dem heiligen Kriege geordnet worden war, ist uns jetzt durch delphische Rechnungsurkunden bekannt geworden (Bull. Corr. Hell. XX 207, XXI 322, POMTOW in PAULY-WISSOWA IV 2, 2679 ff.); sie war wie folgt:

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Dieselbe Zusammensetzung zeigt die Amphiktionie dann wieder am Anfang des 2. Jahrhunderts, nach dem Kriege der Aetoler gegen Rom (MICHEL 256 DITTENBERGER 293, aus 178/7 v. Chr.). Dagegen war die Amphiktionie bekanntlich während der Periode der aetolischen Vorherrschaft im III. Jahrhundert (ca. 290-190) ganz anders zusammengesetzt. Die Könige von Makedonien und eine Reihe der bisher teilnehmenden Völker verschwinden; dafür erscheinen die Aetoler mit meist sehr beträchtlicher Stimmenzahl und auch einige andere Mitglieder werden neu in die Amphiktionie aufgenommen.

Wir verdanken die Kenntnis der Organisation der Amphiktionie in dieser Zeit ausschliesslich den Beschlüssen des Hieromnemonenrates, die uns auf epigraphischem Wege erhalten sind. Sie tragen alle an der Spitze den Namen des delphischen Archon, der in dem betreffenden Jahre im Amte war; da uns aber die delphischen Fasten dieser Zeit nicht erhalten sind, so hilft uns das zunächst für die chronologische Anordnung der Beschlüsse nicht weiter. Auch der Schriftcharakter kann dafür ebensowenig ein entscheidendes Kriterium abgeben, wie bei den gleichzeitigen attischen Steinurkunden. Es bleibt uns also nichts übrig,

als die Dekrete nach der Form ihrer Abfassung und nach dem Inhalt zu ordnen, wobei dann allerdings in der Regel nur eine approximative chronologische Bestimmung zu erreichen ist. Darum hat sich namentlich POмTOW Verdienste erworben, dem wir auch die Sammlung und kritische Behandlung der erhaltenen Urkunden zu verdanken haben.') Leider sind die bei den letzten französischen Ausgrabungen gefundenen Amphiktionendekrete bisher erst zum Teil veröffentlicht.

Das wesentlichste Kriterium bildet die Zahl der aetolischen Stimmen, die in unsern Texten von 2 bis zu 14 schwankt. Es ist klar, dass das mit der allmählichen Ausdehnung des aetolischen Bundes zusammenhängen muss; und in der That lässt es sich nachweisen, dass die Urkunde, in der die Aetoler mit nur 2 Stimmen auftreten, in die erste Zeit der aetolischen Vorherrschaft gehört, während die Urkunden, welche die grösste aetolische Stimmenzahl aufweisen, in die letzten Jahrzehnte des III. Jahrhunderts gehören (s. unten). Da die Aetoler der Amphiktionie ursprünglich fern standen, und noch unter Philipp und Alexander keinen Anteil daran gehabt haben, so sind die aetolischen Stimmen offenbar die Stimmen der amphiktionischen Völker, die in den aetolischen Bund aufgenommen wurden; denn die Organisation des aetolischen zowòv als Einheitsstaat duldete keine Vertretung der einzelnen dazu gehörigen Stämme in Delphi. Dass es sich wirklich so verhält, zeigt die Amphiktionenliste des Jahres 178,7 (DITTENBERGER 293); hier ist der Name der Aetoler verschwunden, und es erscheinen dafür wieder die Namen der zum Bunde gehörigen Stämme (Aenianen, Herakleioten, beide Lokrer, Dorier aus der Metropolis); aber die Hieromnemonen, die diese Stämme vertreten, sind mit einer einzigen Ausnahme (Herakleia) Bürger aus Ortschaften des eigentlichen Aetolien, also vom aetolischen Bunde ernannt.) Daraus ergiebt sich dann, dass in den Listen des III. Jahrhunderts alle die Stämme fehlen müssen, die zum aetolischen Bunde gehört haben, und da uns die territoriale Entwicklung des Bundes in den Hauptzügen bekannt ist,) so haben wir hier ein Mittel, die Zeit der uns aus dieser Periode erhaltenen Listen approximativ zu bestimmen, während anderseits unsere Listen auf die Territorialgeschichte des Bundes neues Licht werfen.

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1) POмTOW, Fasti Delphici II 1 und 2 (Jahrb. f. Philol. 1894 S. 497-558, 1897 S. 737 ff., 795 ff., die Listen der Hieromnemonen auch in PAULY-WISSOWA IV 2, 2685 ff., wo die weitere Litteratur verzeichnet ist. S. ausserdem BAUNACK, Delphische Inschriften, 4. Teil (COLLITZ, Sammlung der griechischen Dialekt-Inschriften II, Heft 6).

2) Das hat zuerst GAETANO DE SANCTIS gesehen (in meinen Studi di Storia antica II S. 131 Anm. 3, Rom 1893); später hat dann DITTENBERGER (Hermes 32, 1897, S. 161 ff.) die Sache noch einmal entdeckt. Vgl. Hermes 32, 667.

3) Darüber SALVETTI in meinen Studi di Storia antica II S. 93ff., eine Arbeit, die natürlich jetzt infolge der neuen epigraphischen Funde mancher Ergänzungen und Berichtigungen bedarf.

Einen weiteren Anhaltspunkt giebt uns das konstante Fehlen der beiden makedonischen Stimmen. Die Aetoler haben also die makedonischen Könige von der Amphiktionie ausgeschlossen; und sie konnten natürlich nicht gewillt sein, ihnen indirekten Einfluss zu gestatten dadurch, dass sie die von Makedonien abhängigen Völkerschaften zum Amphiktionenrat zuliessen. Demgemäss fehlen die Perrhaeber und thessalischen Magneten in allen Listen; die Thessaler selbst kommen nur einmal vor, ganz am Anfang unserer Periode, zu einer Zeit, wo Thessalien wahrscheinlich von der makedonischen Herrschaft frei war (s. unten). Es ist demnach klar, dass die Listen, in denen die Athener aufgeführt werden, nicht in die Zeit vom chremonideischen Kriege bis zum Tode des Demetrios gehören. können; und auch die Phoker, Euboeer und peloponnesischen Dorier können. zu der Zeit, wo sie in den Listen vorkommen, nicht unter makedonischer Oberhoheit gestanden haben.

Wichtig in chronologischer Hinsicht ist auch, was unsere Listen über das Schicksal der ionischen Stimmen uns lehren. Bekanntlich wurde im IV. Jahrhundert die eine dieser Stimmen von Athen, die andere von Euboea geführt; und so ist es auch noch in einem Teile der Listen aus der aetolischen Periode. In dem grössten Teile dieser Listen aber fehlen die Euboeer, und wir finden an ihrer Stelle die Chier.') Da beide niemals zusammen auftreten, so werden wir uns dem Schluss nicht entziehen können, dass die euboeische Stimme auf die Chier übertragen worden ist; folglich gehören alle Listen, in denen die Chier vorkommen, einer späteren Zeit an, was sich in einer Reihe von Fällen auch auf direktem Wege beweisen lässt.

Dies vorausgeschickt, schreiten wir zur chronologischen Klassifikation unserer Listen. Die älteste ist die aus dem Jahre des delphischen Archon Hieron (CIA. II 551). Die Thessaler stehen nach dem alten Brauche voran; dann folgen die Aetoler, Boeoter und Phoker, alle mit je 2 Hieromnemonen; andere Völker werden nicht aufgeführt. Da die Phoker nach dem heiligen Kriege aus der Amphiktionie ausgeschlossen worden waren, und erst zum Lohne für ihre wackere Haltung gegen die Gallier im Jahre 278 wieder aufgenommen wurden (Paus. X 8, 3), so kann das Dekret (es ist aus einer Frühjahrspylaea) frühestens in das Frühjahr 277 gehören; anderseits kann es nicht wohl später gesetzt werden, da die Thessaler wahrscheinlich 276 von Antigonos unterworfen wurden, während sie zur Zeit des gallischen Einfalls dank der in Makedonien herrschenden Anarchie selbständig waren. Allenfalls liesse sich noch an die Zeit denken, wo Pyrrhos nach seinem grossen Siege über Antigonos (Sommer 274) Herr von Thessalien

1) Der chiische Hieromnemon wird in den älteren Dekreten als Xios oder iz Xiov bezeichnet, in den Dekreten aus dem Ende des III. Jahrhunderts steht dafür Xiov, vgl. die Zusammenstellung Bull. Corr. Hell. XX 631.

war, also an das Frühjahr 273 oder 272; doch ist das, wie wir gleich sehen werden, aus andern Gründen wenig wahrscheinlich. - Die beiden aetolischen Stimmen müssen die alten Stimmen der westlichen Lokrer und der Herakleioten sein, da diese beiden Stämme damals bereits dem aetolischen Bunde angehörten; wir sehen zugleich, dass dieser bis dahin andere Erwerbungen noch nicht gemacht hatte. Sehr auffallend bleibt das Fehlen der Athener, die ja in dieser Zeit zu den Aetolern in engster Beziehung standen; um so auffallender, als es sich in unserem Dekret um Privilegien handelt, die den dionysischen Künstlern in Athen erteilt werden. Kaum weniger überrascht das Fehlen der südthessalischen Stämme, also der Aenianen, Malier, Dolopen und Pthioten; es ist absolut kein Grund abzusehen, warum diese Völkerschaften, die zwischen Aetolien und dem eigentlichen Thessalien in der Mitte liegen, sich damals der Amphiktionie hätten fernhalten sollen. Vor allem aber ist das Fehlen der Delpher allein unter der Voraussetzung zu erklären, dass unser Dekret nur den Anfang der Amphiktionenliste giebt; wir besitzen die Urkunde nämlich nicht im Original, sondern in einer, 150 Jahre später in Athen gemachten Abschrift. Jedenfalls ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die Liste gekürzt ist, und wir werden also aus den fehlenden Stimmen keine Folgerungen für die Ausdehnung der Amphiktionie in dieser Zeit ziehen dürfen.

Dann folgt eine Gruppe von Dekreten, in denen die Aetoler mit 5 Stimmen vertreten sind, und die auch sonst in der Zusammensetzung des Amphiktionenrates sich scharf von allen übrigen Dekreten unterscheiden. Nur in dieser Gruppe finden sich die Euboeer, Lokrer, Sikyonier und Epidaurier; nur hier, abgesehen von der Liste aus dem Jahre des Hieron, haben die Phoker 2 Stimmen, während sie sonst entweder fehlen oder nur mit 1 Stimme vertreten sind. Endlich finden sich hier die Athener, die dann für lange Zeit aus den Listen verschwinden. Wir müssen also unsere Dekrete entweder vor den chremonideischen Krieg oder nach der Befreiung Athens beim Tode des Demetrios setzen; da aber in der letzteren Periode Euboea unter makedonischer Herrschaft stand, so kann es damals nicht im Amphiktionenrat vertreten gewesen sein, und unsere Listen gehören also vor den chremonideischen Krieg. Andererseits stand Euboea, wenigstens Eretria, zur Zeit der Schlacht bei Lysimacheia (277) noch unter Antigonos Herrschaft (Laert. Diog. II 141) und ist wahrscheinlich erst nach dem grossen Siege des Pyrrhos über Antigonos (274) von diesem abgefallen (der Abfall folgt aus Laert. Diog. II 127. 142), woraus sich eine obere Grenze für die Datierung unserer Dekrete ergeben würde.

Die zu dieser Gruppe gehörigen Dekrete sind datiert nach den Archonten Archiadas, Eudokos, Straton und Damosthenes (MICHEL 246-249 - Dial-Inschr. 2515-17, 2519); erstere 3 folgten sich unmittelbar in dieser Ordnung; Damosthenes scheint etwas später im Amte gewesen zu

sein, da unter ihm die Histiaeer an Stelle der Euboeer treten (vgl. Poмrow, Jahrb. 1894, S. 517 ff.). Das Jahr des Straton war nach Pomtow (a. a. O. 1894, S. 522, 1897 S. 839) ein Pythienjahr; mir scheint es vielmehr evident, dass erst das folgende Jahr ein Pythienjahr war. Denn in dem Dekret wird der Argeier Eudoxos geehrt, weil er versprochen hatte, für die Pythienfeier 10 Schilde zu stiften; das Fest stand also noch bevor, und da das Dekret auf einer Herbstpylaea erlassen ist, kann es sich offenbar nur um die Feier des nächsten Jahres handeln. Auch würde Πυθίοις datiert sein, und nicht πυλαίας ὀπωρινῆς, wenn das Dekret in die Herbstsession eines Pythienjahres gehörte. Die Pythien, um die es sich hier handelt, können aber frühestens die des Jahres 270 sein, da, wie wir gleich sehen werden, zwischen Straton und Hieron mindestens 4 Archontenjahre liegen; und auch an 266 wird kaum gedacht werden dürfen, da es höchst unwahrscheinlich ist, dass Chalkis bis 267 von Antigonos unabhängig geblieben sein sollte. Folglich gehören die Archonten Archiadas, Eudokos, Straton in die Jahre 273 2, 272 71, 271/0.

Eine Bestätigung dieses Ansatzes giebt der Umstand, dass unter Archiadas und Eudokos (Frühjahr und Herbst 272) ein sikyonischer Hieromnemon im Amphiktionenrate gesessen hat, was, soweit unsere Listen ein Urteil gestatten, in der aetolischen Periode weder früher noch später der Fall gewesen ist. Daraus ergiebt sich, dass Sikyon damals von Antigonos unabhängig war, oder doch nur in einem losen. Abhängigkeitsverhältnisse zu ihm stand, etwa in der Art wie Athen vor dem chremonideischen Kriege. Das hängt ohne Zweifel mit der Ermordung des Tyrannen Kleon zusammen, infolge deren in Sikyon eine republikanische Verfassung eingeführt wurde. Kleinias, der in dieser Zeit an der Spitze des Staates stand, ist nun aber im Jahre 269 8 ermordet worden, denn sein Sohn Aratos, der bei Kleinias Tode 7 Jahre zählte (Plut. Arat. 2), ist 245 4 zum ersten Male achaeischer Stratege gewesen: wenn er nicht früher zu dem Amte gelangt ist, so kann der Grund nur darin liegen, dass er das gesetzliche Alter (30 Jahre) noch nicht hatte, sodass er 276,5 geboren sein muss, denn er ist doch ohne allen Zweifel suo anno Stratege geworden. Die Angabe des Polybios (II 43, 3), er sei bei der Befreiung von Sikyon 251 0 20 Jahre alt gewesen, ist kein Gegengrund, da es sich um eine runde Zahl handelt, und die Abrundung offenbar nach unten hin vorgenommen ist; ein Knabe hätte ein Unternehmen wie die Befreiung Sikyons nicht durchzuführen vermocht. Also fällt Kleinias Regierung in eben die Jahre, in denen ein sikyonischer Hieromnemon in Delphi sass. - Wenn im Herbst 271 ein Abgeordneter von Epidauros am Amphiktionenrat teilnahm, so muss dort eine ähnliche Erhebung erfolgt. sein, wie in Sikyon. Auch Argos war ja in dieser Zeit von Antigonos unabhängig (Plut. Pyrrh. 31).

Zu derselben Gruppe gehört auch das unvollständig erhaltene Dekret

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