Anregung ausgegangen, um immer mehr und mehr auf eine wissenschaftliche Erkenntniß der in Christo geschichtlich gegebenen Einheit des Göttlichen und Menschlichen hinzuleiten, so bemüht sich dagegen die neueste negative Ent: wickelung der Theologie, in der mythischen Betrachtungs weise die geschichtliche Basis des Lebens Christi zu unter: graben, und so durch Vernichtung des geschichtlich Gegebenen der Wissenschaft wie der Kirche ihre Lebensquelle zu ents ziehen. Der Glaube der Kirche, welcher die Thatsachen des Lebens Christi zu seinem unmittelbaren Gegenstande hat, wird als unvereinbar dargestellt mit den Resultaten historischer Kritik und philosophischer Forschung, so daß es nur darauf ankommen soll, das ungenügende, sich wider: sprechende und geschichtlich nicht genug bezeugte Substrat des Lebens Jesu zu beseitigen, welches allein auf der un tergeordneten Stufe der Vorstellung einen propädeutischen Werth habe, und der Idee an sich zu der ihr gebührenden Herrschaft zu verhelfen. Wissenschaft und Glaube können aber nicht als sich ausschließende Gegenfäße einander gegenüber gestellt werden. Die wahre theologische Wissenschaft ist nur eine besondere Form, in welcher das Glaubensbewußtsein sich entwickelt hat, welche, während sie aus der gemeinsamen Quelle der geschichtlichen Ueberlieferung des in Christo erschienenen göttlichen Lebens Nahrung und Leben zieht, bewußtvoll sich Rechenschaft giebt von dem Grunde und dem Inhalte dieses Glaubens. Ist im Ganzen nun die Straußsche Bear: beitung des Lebens Jesu einer kritischen Zerseßung und Vernichtung des geschichtlich gegebenen Fundamentes, dessel ben gleich zu sehen, denn das dürre: Gerüste, welches der Verfasser übrig gelassen, wird schwerlich einen solchen Namen in Anspruch nehmen können, so mußte, je mehr die Negation gegen das Positive in der Entwickelung unserer Zeit liegt, dieselbe auch jenen Kampf hervorrufen, der seit längerer Zeit schon fortdauert, und bedeutsame Bewegungen selbst auf dem kirchlichen Gebiete hervorrief, deren Ende, wenn auch für die Wissenschaft, doch für das kirchliche Leben nicht abzusehen ist. Es sind daher auch die Glieder der Ges meinde von diesem Kampfe in der Theologie berührt, und wenn gleich die innere Erfahrung des Christenthums von der wissenschaftlichen Erkenntniß der Wirklichkeit seiner historischen Basis unabhängig ist, so tritt doch unleugbar, je mehr die Zweifel der Kritik an der historischen Realität der von dem Leben Jesu uns überlieferten Thatsachen den Glauben des Einzelnen bedrohen, der sich ihrer zu erwehren nicht die nothwendigen Bedingungen in sich trågt, das Bedürfniß hervor für diejenigen, welche wissenschaftlich genug befähigt sind unter den Nichttheologen, der wissen: schaftlichen Verhandlung über den Grund ihres Glaubens zu folgen, und die theologische Wissenschaft darf zur Förde rung ihrer Erkenntniß den Beistand nicht versagen. In dieser Ueberzeugung hielt ich während des Winter: semesters 1837-1838, da mein Amt mir überdieß die Pflicht auflegt, über einen Gegenstand meiner Wissenschaft jährlich eine öffentliche Vorlesung zu halten, Vorträge über das Leben Jesu, in denen ich im Gegensaße zu jener kritis schen Zergliederung und Zerlegung des historischen Sub strats des Lebens Jesu die geschichtliche Basis zu sichern, und nach Beseitigung des von der Kritik Eingewandten eine positive Darstellung des Lebens Jesu zu geben ver suchte. Ich darf sagen, daß diese Vorträge sich großer und stets gleich bleibender Theilnahme zu erfreuen hatten, und mir selbst ist die Erinnerung an jene Stunden der geistigen Gemeinschaft mit so vielen, die über den Grund ihres Glaubens forschten, um so lieber and theurer, als sie mir einen Beweis gaben, daß die großen Gegenstände des Glau )(* bens, um die es sich handelt, wohl auch in einem größeren und von den verschiedensten Ueberzeugungen bewegten Kreise können zur Sprache, gebracht werden, wenn dieses in ernster und gewissenhafter Weise geschieht. Mir ward von manchen Seiten damals der Wunsch ausgesprochen, diese Vorlesungen, so wie sie gehalten worden, zu veröffentlichen, aber nicht nur, daß ein so erhabener und zugleich so schwieriger Gegenstand doppelt mahnen mußte, nicht das bloß zum Behuf der Vorträge Ausgearbeitete und in freier Rede, wie das Bedürfniß und die Anregung des Augen: blickes es zu fordern schienen, Mitgetheilte darzubieten, sons dern auch mehrere Erscheinungen der Literatur, welche sich auf das Straußsche Werk bezogen, und nach Beendigung jener Vorlesungen hervortraten, endlich auch die zu erwar tende dritte Ausgabe des Straußschen Werkes hätten mich schon bestimmen müssen, mit der Herausgabe jener Vors lesungen zu warten, um die nöthige Rücksicht auf dieselbe nehmen zu können, selbst wenn ich nicht eine neue Arbeit beabsichtigt hätte. Aber der Umstand, daß ungeachtet der zahllosen Menge von Schriften, welche über das Leben Jesu von Strauß erschienen sind, verhältnißmäßig nur wenige speciel auf das Einzelne eingehen, da die meisten derselben sich mit der Erörterung des Straußschen Princips beschäftigen, brachte in mir die Ueberzeugung hervor, daß noch immer die Aufgabe vorliege, bei einer geschichtlichen Entwickelung des Lebens Jesu Schritt für Schritt der Kritik zu folgen, ihre Eins würfe zu widerlegen, und zugleich dem gegenüber Positives aufzustellen. Indem ich mir diese vorfekte, mußte ich, auch von jeder mehr populären Haltung absehen, und so unter: nahm ich, nur die Form der Darstellung in Vorlesungen beibehaltend, allein von wissenschaftlichem Standpunkte ausgehend, vorliegende Bearbeitung des Lebens Jesu, Vorwort. IX welche, wie Inhalt und Form zur Genüge zeigen werden; Man wird die Berücksichtigung dessen, was irgend mals, als der Druck begann, noch nicht zu Händen gekom men war, doch erhielt ich ihn sehr bald darauf gegeu Ende des vorigen Jahres, so daß auch dieser zweite Band überall, wo er zu berücksichtigen war, berücksichtigt werden konnte. Daß ich die entgegenstehende Straußsche Ansicht stets wort lich citirt habe, hat darin seinen Grund, daß ich, um mög lichst treu und gewissenhaft zu verfahren, jeden Einfluß subjectiver Auffassung fern zu halten wünschte. Ich glaube hoffen zu dürfen, daß man wissenschaftlichen Ernst in der Bekämpfung des Entgegenstehenden, aber auch Gerechtig keit und Gewissenhaftigkeit in der Behandlung des Gegners nicht vermissen wird. Ueber das Princip meiner Auffassung des Lebens Jesu und über die Stellung dieser Bearbeitung zu der Kritik brauche ich hier nichts mehr hinzuzufügen, da ich in der ersten einleitenden Vorlesung mich darüber ausgesprochen habe. Da diese Vorlesungen sich insbesondere die Erdr terung des Thatsächlichen im Leben Jesu vorgesetzt haben, so habe ich absichtlich jede Lehrentwickelung, die Erörterung der Reden Christi, sofern sie nicht die Mittelglieder zu ge schichtlichen Ereignissen waren, und die Entwickelung der Parabeln ausgeschlossen, wodurch bedeutender Raum für die Erörterung der Thatsachen gewonnen wurde. Dieß schien um so geeigneter zu seyn, da Neanders Leben Jesu gerade hier sehr umfassend ist, und eine Entwickelung dar bietet, welche auf der tiefsten innern Erfahrung des in Christo geoffenbarten göttlichen, Lebens beruht. Es bedarf hier kaum der ausdrücklichen Erwähnung, was ich dem theuren und verehrten Manne auch in seiner Bearbeitung des Lebens Jesu verdanke, da die Schrift selbst zur Genüge den Einfluß derselben bezeugt, und bei mannigfacher Abweichung und Verschiedenheit doch in der Grundanschauung übereinstimmt. Was endlich die chronologische Entwickelung |