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daß sein Vater nicht ganz angekleidet war, wenn er allein war.

Pastor Barnes stand einen Augenblick unsicher da, sah in den Spiegel und begegnete einem Gesicht, das komisch wirkte im Zustand der Eingeseiftheit und Unschlüssigkeit. Er wusch die Seife ab, spiegelte sich wieder und stützte, wollte das Gesicht nicht als sein eigenes anerkennen. Es war nicht ähnlich, es war unbedeutend.

Er machte eine Bewegung, wie ein Turner, der sich reckt und nach einem Turngerät umsieht. In seinem Gehirn drängten sich die Erinnerungsbilder. Er war mit ihnen nicht zufrieden, zauderte, verweilte endlich erleichtert bei dem gestrigen Begräbnis. Sein Gesicht bekam einen Ausdruck heller Sicherheit. Hätte sein Sohn jetzt zum Fenster hineingesehen, so würde er einen gutgekleideten bedeutenden Mann vorgefunden haben.

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Denn bedeutend war Pastor Barnes bei besonderen Gelegenheiten, selten unter vier Augen. Wenn aber viele zugegen waren, konnte ihn eine Situation packen und mit fortreißen. Er war gut bei Konfirmationen, vortrefflich bei Hochzeiten, unvergleichlich aber bei Beerdigungen. Er war der beste Grabredner weit und breit. Der alte Niels Madsen sprach auf seinem Sterbebette vielen aus dem Herzen, als er auf die Frage des Pastors, ob er nun alle irdischen Gedanken über Bord geworfen habe, die Antwort gab:,,Ja, alle, bis auf den einen, Herr Pastor: ich möchte gar zu gern die Rede mit anhören können, die Sie an meinem Grabe halten."

Nur der eigene Sohn des Pastors teilte nicht die allgemeine Bewunderung, und dabei hatte er noch Glück gehabt bei der ersten Beerdigung, der er beiwohnte, dem Begräbnis seiner Tante. Sie war seit seinen allerersten Lebensjahren im Pfarrhause gewesen und ihr Erscheinen im Garten oder in den Stuben hatte in seiner ersten Kindheit auf ihn gewirkt wie eine Wolke, die an einem Frühlingstag vor die Sonne tritt. Endlich fand der liebe Gott, nun könne es genug sein, und streckte sie aufs Totenbett.

Christian sei jetzt groß genug und könne mit zum Begräbnis gehen, sagte sein Vater.

Das war ein stolzes Gefühl. Nicht nur groß war er, er lebte auch. Ausnahmsweise einmal triumphierte er über die Tante. Diese war gut aufgehoben. Der Sargdeckel war fest zugeschraubt; er hatte selbst zugesehen. Sie konnte nicht aufstehen und fauchen: „Er ist zu klein, er darf nicht mitkommen!"

Er war sehr gespannt gewesen auf die Rede, die der Vater am Sarge der Tante halten würde. Aber er hatte schnell den Faden verloren vor Erstaunen über die Stimme des Vaters, die so ganz anders war als im täglichen Leben, größer und breiter, ungefähr so wie er selber, wenn er seinen neuen Anzug anhatte. Als er mit dem Staunen fertig war, wurde er schläfrig. Vor dem Hinfallen rettete ihn der Anblick einer schluchzenden Frau. Sie war wohl krank. Aber da weinte ja noch eine und noch eine und auch mehrere Männer! Er unterhielt sich damit, zu zählen, wie viele weinten, und über den Grund nachzudenken. Niemand konnte ihm weismachen, daß es ihnen leid tat, künftig die Tante nicht mehr zu sehen zu bekommen. Auf einmal wurde es ihm klar, daß sein Vater sie weinen machte, und nun wandte er ihm seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu. Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung stellte er schließlich fest, daß er unzweifelhaft die richtige Lösung gefunden hatte. Sein Vater weinte selbst nicht; er kannte ja die Tante ganz genau. Aber es machte ihm Vergnügen, die Leute zum Weinen zu bringen, genau 80 wie den Mägden in der Küche, die sich damit amüsierten, ihn mit Gespenstergeschichten zu ängstigen, an die sie selber nicht glaubten.

Die nächste Leichenrede, die er hörte, war die gestrige, über die sich sein Vater jetzt freute. Er hatte sich vorgenommen, ganz genau aufzupassen, aber er vergaß seinen Vorsatz, weil ihm sein Vater plötzlich größer zu werden schien, als er an den Sarg herantrat. Es sah so aus, als träte er auf die Leiche, um besser gesehen werden zu

können. Als dem Knaben erst diese Vorstellung gekommen war, konnte er sie nicht wieder loswerden. Sein Vater trat auf die Leiche, die er einsegnen sollte. Hin und wieder hielt er im Reden inne und sah so aus wie zu Hause am Schreibtisch, wenn es nicht mehr weitergehen wollte. Sooft das geschah, senkte er den Blick und sah einen Augenblick auf den Sarg hinab. Dann warf er den Kopf zurück und sprach laut, und dann fingen noch ein paar an zu weinen. Christian gab sich jetzt aber keine Mühe mehr zu zählen; weit mehr interessierte ihn jetzt, wie oft sein Vater auf den Sarg hinabsehen mußte, wie ein Junge, der in sein Buch guckt.

Aus dieser Beschäftigung wurde er durch seine Phantasie aufgeschreckt. Es kam ihm plötzlich so vor, als sähe sein Vater aus wie ein großer schwarzer Vogel, der in etwas hineinhackte, einen langen Hals machte und es verschlang. Was vor dem Vogel lag, war eine Leiche, und das Unglück wollte, daß Christian kürzlich von großen Vögeln gelesen hatte, die von Aas lebten. Es wurde ihm übel; ihm war, als könne er die Leiche durch den Sarg riechen. Nie hat ein Amen so erquickend geklungen wie das, das aus Pastor Barnes' Mund kam in dem Augenblick, als sein Sohn ein Taschentuch an den Mund führte, weil er sich erbrechen mußte.

Nun schlich der Knabe gebückt durch den Garten, von dem Gedanken gepeinigt, er könne gegen das vierte Gebot gesündigt haben. Er sprang über den Zaun und lief auf das Feld hinaus, dort kletterte er auf einen Heuschober, legte sich auf den Rücken und sog den Duft ein.

Er sah in den tiefblauen Himmel hinein und fragte sich, ob die Tante wohl wirklich dort sein könnte. Oder war sie vielleicht in die Hölle gekommen? Er mußte lachen bei dem Gedanken, wurde aber sogleich wieder ernst.,,Ich hoffe, ich bin nicht schlecht," sagte er entsetzt.

Er sah lange fragend in den Himmel hinein, bis er fühlte, daß er gut war. Es war herrlich, das zu wissen, und daher fuhr er fort, zum Himmel emporzustarren. Als er eine Weile so gelegen hatte, begann der Heuschober

sich zu bewegen. Er schwankte nicht, die Erde selbst fuhr mit ihm herum. Die Erde schwebt ja auch frei in der Luft und bewegt sich. Das steht im Geographiebuch. Jetzt spürte er, daß es wahr war. Diese Erkenntnis kam ihm, als er in den Himmel hinaufstarrte. Von dorther kommt alles Gute, alle Weisheit! Das steht in der Bibel.

Je länger er in das Himmelsblau starrte, um so blauer wurde es; schließlich glaubte er, seine Augen wären auch blau. Im selben Augenblick wurden sie müde; er schloß sie und sah, daß er inwendig blau war. Das Blau in ihm war dasselbe wie das Blau am Himmel, und nun wollte er mit dem ganz eins werden, um durch und durch blau und gut zu werden und da begann er zu schweben; der Heuschober schwebte auch, er war auch blau geworden.

Immer höher, immer schneller flog er auf seinem Heuschober und es stimmte, was erzählt wurde, der Himmel war bis ins Unendliche offen. Man konnte geradewegs hineinschweben, und da war blaue Seligkeit nach allen Seiten. So war es also, selig zu sein. Aber wo waren die andern? und wie verhielt es sich damit? die Seligen sind ja doch tot aber er war ja selig, er war doch wohl nicht tot!? Ein Schrecken durchfuhr ihn, aus schwindelnder Höhe fiel er tief, tief hinab, ängstigte sich, daß er sich weh tun würde aber wenn er fallen konnte, war er doch auf alle Fälle nicht tot und vielleicht konnte der Heuschober den Stoß abfangen - jetzt kam es da lag er am Fuße des Heuschobers auf der Erde; das Hinterteil schmerzte ihn, aber sein Herz war selig.

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Während er sich noch hinten rieb, sah er plötzlich die Seite in der biblischen Geschichte vor sich, wo Stefanus sagt: „Ich sehe den Himmel offen.“ „Ja,“ sagte er sich, ,,das hab' ich gesehen. Ich sah den Himmel offen. Ich schlief nicht, denn ich dachte die ganze Zeit über das nach, was geschah. Und so, wie ich noch bin, so blau, ich meine, so fröhlich und gut, das schenkt uns nicht der Schlaf. Ich kann gewiß nie wieder schlecht werden."

Ein guter Junge muß so etwas seiner Mutter erzählen;

die wird sich darüber freuen. Christian Barnes ging nach Hause und sagte zu seiner Mutter, er habe in den Himmel hineingesehen.

,,Ach, red' nicht solchen Blödsinn," sagte sie. Es war kurz vor Tisch, und der Braten konnte anbrennen.

,,Ja, aber Stefanus," begann er,,,der hat ja auch —“ ,,Laß deinen Vater so etwas nicht hören," sagte sie.,,Geh jetzt hinein und wasche dich; wir wollen essen.'

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Aber war denn das, was er erlebt hatte, nicht viel wichtiger als ein Rinderbraten?! Sie hatte nicht einmal daran gedacht, ihn zu fragen, was er damit meinte, daß er in den Himmel hineingesehen habe! Aber er war so gut, daß er ihr nicht zürnen konnte. Er ehrte Vater und Mutter, gehorchte und wusch sich, setzte sich zu Tisch und sah zum Fenster hinaus zu dem blauen Himmel empor, gelobte sich, seinen Vater und seine Mutter sein ganzes Leben zu ehren und bekam einen Puff von seiner Mutter und einen strengen Blick von seinem Vater, der wieder von vorn anfing:,,Komm, Herr Jesus, sei unser Gast." Der Ton war hart und düster, weil der Sohn die Hände nicht gefaltet hatte, und erinnerte an die gestrige Leichenrede. Christian beugte sich über seinen Teller, betrachtete das Stück Rinderbraten, das seine Mutter daraufgelegt hatte, und mußte daran denken, daß der Ochse tot war. Er sollte Leichenfleisch essen, es war ihm unmöglich. Er entschuldigte sich, er könne nicht essen. Warum? Ja, warum? Nach dem Erlebnis mit dem offenen Himmel dachte er nicht daran, die Wahrheit zu sagen.

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,,Das Fleisch ist so fett," sagte er.

,,Unsinn,“ ermahnte Pastor Barnes,,,man darf nicht so wählerisch sein! Wenn dir das Fett widersteht, so iß es schnell hinunter. Sieh mich an, ich mag auch kein Fett."

Pastor Barnes beugte sich über seinen Teller, nahm ein Stück von dem Fetten, stopfte es in den Mund, warf den Kopf zurück wie bei der Leichenrede und verschlang das Fett.

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