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Es durchschauerte ihn. In höherem Maße, als er selbst wußte, hatte er gefühlt, daß das Leben und der Tod wie ein Paar Zwillinge dicht nebeneinander in derselben Wiege schlafen, und damit waren seine Gedanken in das Uferlose hinausgeraten.

Woher wir wohl kommen? Wo sind wir, ehe wir hier sind?" Er starrte den Kleinen an, der unter seinem Blick erwachte und die Augen aufschlug. Sie sahen Jens nicht, sie sahen nichts von dem, was in der Stube war; es war kein Grund in ihnen, aber tief unten lag Brüderchen selbst und schaute in der andern Richtung nach etwas aus, woher er eben zurückgekommen war, und Jens guckte durch Brüderchens Augen mit hinab, um zu sehen, was es war.

Während er starrte, hatte er das Gefühl, daß seine Augen die des Kleinen berührten, und gleichzeitig spürte er in seinen Augen eine Veränderung, die gut tat. Etwas aus Brüderchens Augen war in die seinen hineingekommen und machte, daß sie sich auf eine wunderschöne Weise weiteten. Sie wurden fröhlich. Der Mund war auch fröhlich geworden, denn er lächelte, und in der Brust war das Allerfröhlichste von allem, die Gewißheit, die jetzt in seinen Kopf hinaufstieg: er hatte einen Schimmer von dem gesehen, wonach Brüderchen zurückschaute und woher es eben gekommen war. Das war ja der Himmel.

So geht es zu! Aus dem Himmel kommen wir. Da waren wir, ehe wir hierher kamen. Brüderchen erinnerte sich noch daran, war gewiß fast noch da, wenn er schlief. Wenn er doch nur sprechen könnte und sagen, was er noch davon wußte.

Da lächelte Brüderchen, und Jens wußte, daß er ihn verstand, wenn er auch nicht sprechen konnte. Denn in ihren Augen war derselbe Schimmer, um ihren Mund dasselbe Lächeln und dieselbe Freude in ihnen beiden. Es war keine Spur von Unterschied. Sie erinnerten sich gemein

sam.

Und darum müssen wir sprechen lernen, wenn wir geboren sind; denn im Himmel sprechen wir nicht so wie

hier. Wir sind so fröhlich, daß wir kein Wort sagen können. Und das sollen wir auch nicht, denn wir sehen einander an und wissen das Ganze auf einmal. Die Himmelssprache ist so. Alles auf einmal und froh über das Ganze. Mehr liegt nicht darin. Wir können sie von selbst.

Wir können sie auch nicht vergessen. Aber wir können vergessen, daß wir sie können. Wie das wohl zugeht?

Er sah sich in der Stube um und sah, wie wunderlich sie war. Er erkannte dieses Wunderliche wieder. So war es einmal gewesen.

Aber es kam ein Tag und noch einer alle Tage kamen in die Stube herein und nahmen ihre Plätze ein und richteten sie her. Der allerletzte, der kam, war der heutige Tag, und die Stube war fertig; da war ein Stuhl und da war ein Tisch, und er hieß Jens, und die Buchdruckerkunst war erfunden.

,,So geht es zu, daß wir vergessen,“ dachte er; „die Tage kommen und wandeln alles um.

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Er vergaß Brüderchen, weil er denken mußte. Er ging in die Haselhecke hinaus und setzte sich in den Stuhl und wunderte sich über alle die Tage, die kamen und das umwandelten, was wir sehen.

Aber im Himmel ist es vielleicht immer das gleiche? Er schlug mit der Faust auf den Stuhl und sprang auf. ,,Ja, das ist es!" sagte er.,,Denn es steht geschrieben: Ein Tag vor dem Herrn ist wie tausend Jahre, und tausend Jahre sind wie ein Tag. Das steht in meinem Katechismus. So ist es das Ganze auf einmal.“

Die Wonne der Himmelssprache füllte sein kleines irdisches Ich, und er ging zu dem einzigen von allen seinen Bekannten hinein, der mit ihm sprechen konnte.

Dieser eine hatte sie völlig vergessen. Brüderchen weinte vor Unglück über seine neue Welt. Der Küster und seine Frau redeten und redeten und suchten zu trösten und schaukelten die Wiege hin und her. Je lauter sie sprachen, je mehr sie wiegten, um so wilder schrie der Kleine. Natürlich. Er verstand ja kein Wort.

Jens trat an die Wiege.,,Laßt mich einmal," sagte er. Sie ließen die Wiege los und starrten ihn verwundert an. Er hatte gesprochen, wie ein Erwachsener zu Kindern spricht.

Er hielt die Wiege an und berührte die Hand des Kleinen. Er war seiner Sache ganz sicher; denn er hatte die Himmelssprache in sich.

Brüderchen sah zu ihm auf, klemmte die Hand um seinen Finger und lächelte.

Sie lächelten beide und teilten sich einander mit in der wortlosen Himmelssprache.

Brüderchen machte seiner Freude Luft in dem ersten Versuch der Menschensprache in einer langen Reihe trillernder Rrr.

,,Merkwürdig," sagte der Küster.,,Deine Mutter konnte ihn nicht zum Schweigen bringen, und ich"

Das spezifische Gewicht seines Ich war so groß, daß er nichts Passendes hinzuzufügen wußte. Er wollte auch nicht gern geradezu eingestehen, daß er den kürzeren gezogen hatte. Jens antwortete trocken:,,Ihr habt ja mit ihm in einer Sprache geredet, die er noch nicht gelernt hat. Das ist doch dumm."

Dies war nun freilich nichts weiter als eine Wiederholung des Urteils, das der Küster gestern über diejenigen gefällt hatte, die mit einem Ausländer dänisch redeten. Aber wenn unser täglicher Beruf uns Anlaß gibt, mit einem Gefühl steigender Überlegenheit andre,,dumm“ zu nennen, so wird es leicht ein großes Verbrechen, wenn das Wort auf uns selbst angewandt wird.

Der Küster nahm seinen Sohn bei der Hand und ließ den Prügel ihn lehren, Vater und Mutter zu ehren.

Nach einer Weile stand er steif wie ein Stock in der Haselhecke. Der stille Jubel war ihm ausgetrieben, und die Stelle, wo die Beschwörung erfolgt war, gestattete ihm nicht, sich zu setzen.

6. KAPITEL

Pastor Barnes

Kreisarzt Lohse verabschiedete sich von Pastor Barnes. ,,Die Krisis tritt im Laufe der Nacht ein," sagte er. Wenn sie es übersteht, geht alles gut. Wenn nicht

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Der Pfarrer sah den Arzt flehentlich an. ,,Wenn nicht, so wird das Schlimmste eintreten," sagte der Arzt und wandte sich ab.

Pastor Barnes ging in sein Zimmer. Das Schlimmste! Ja, das war das Schlimmste, was ihm widerfahren konnte, daß seine Frau starb. Er konnte es auch nicht glauben. Er selbst mochte vielleicht eine Prüfung verdienen, aber sein Beruf würde diese nicht ertragen können, und sein Beruf war der Dienst des Herrn, und dessentwegen hatte der Herr seine Frau nötig. Er streifte den angenehmen Glauben, daß sie gerettet werden würde, weil er Pfarrer war. Über Nacht aber kam die Krisis, und er wollte wachen, wachen und beten. Wachet und betet, wie geschrieben steht. Ein wohlgeformtes Gebet stieg in seinen Gedanken auf, ward aber, ehe es laut wurde, durch die furchtbare Erkenntnis zerstört, daß es ein Gebet war, bestimmt, laut gebetet und von andern gehört zu werden. Ein andres kam nicht. Pastor Barnes fühlte, daß er die Gebete der Gemeinde beten konnte, aber nicht seine eignen. Zerknirscht beugte er das Haupt und stöhnte: „Herr, hilf mir, hilf mir!" Das gab ihm einen Augenblick Ruhe, und er ging in das Krankenzimmer. Seine Frau war nicht bei Bewußtsein. Die Angst kehrte wieder. Er ging ins Studierzimmer zurück und wanderte unruhig nach allen Richtungen hin und her, berührte Gegenstände auf dem Schreibtisch, ordnete sie, ließ aber ein Bild schief hängen, weil es so gehangen hatte, als sie zuletzt in der Stube gewesen war. Und wenn sie nun nie wieder herein käme... Nie wieder! Es war, als ginge seine Seele in Stücke. Er würde künftig kein ganzer Mensch mehr sein. Nein. Denn selbst wenn sie lange Jahre nicht daran gedacht und auch nicht

viel davon gemerkt hatten, so war es doch wahr, was er in der Verlobungszeit frei nach Plato zu ihr gesagt hatte: sie waren Zwillingsseelen, die zusammen einen ganzen Menschen ausmachten.

Zwillingsseelen haben ihre Aufgaben im Leben gemeinsam. Wenn aber der Tod das eine wegrafft, ist das andre krank auf den Tod. Gibt es dann keine Heilung? Doch, das wissen wir, das wissen wir, daß das andre in der Welt der Engel ist, daß es dort für das Hinterlassene durch seine Fürbitte wirkt und das dürfen wir glauben hinieden seine irrenden Füße lenkt. Es gibt nichts Größeres, als seine Zwillingsseele im Himmel und näher bei Gott zu haben - und so ihm selber näher zu sein. Lobpreisen wir...

Entsetzt blieb er mitten im Zimmer stehen. Er hatte ja seiner Frau die Leichenrede gehalten.

War er ein selbstsüchtiger, von sich selbst eingenommener Mensch! Er war echten Kummers unfähig und empfand nur Angst, selbstsüchtige Angst, etwas zu verlieren, das ihm gehörte! War es vielleicht Gottes Absicht, seine Selbstsucht zu zertrümmern? Mußte vielleicht seine Frau sterben, um ihn aus seiner Selbstgefälligkeit herauszureißen! Er stürzte hinaus. War sie vielleicht schon

Die Krankenpflegerin bedeutete ihm, ruhig zu sein. Er hatte Geräusch gemacht. Nicht einmal so weit konnte er sich selbst vergessen, daß er sich in acht nahm. „Lebt sie?" flüsterte er.

Die Krankenpflegerin nickte.,,Aber es muß hier ganz ruhig sein."

Er ging wieder in sein Zimmer zurück.

Wenn sie doch am Leben bliebe! Er sah ihren jugendfrischen Lenz, als sie ihm ihre Liebe schenkte und sich seinem Leben hingebungsvoll einfügte. Die farbengesättigten Tage wann hatten sie angefangen, grau zu werden? Niemand von ihnen hatte es bemerkt; leise hatte der Alltag sich eingeschlichen. Jahr für Jahr hatte sie ihre einförmige Sklavenarbeit verrichtet und selten von ihr auf

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