ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

geblickt. Niemand kannte sie, sie war nur die Pastorsfrau in Küche und Speisezimmer. Ja, wenn er selbst darüber nachgedacht hätte oder wenn er von draußen als Gast gekommen wäre, dann hätte er sie gewiß langweilig gefunden. Aber nun sah er deutlich, daß das Gefühl ihrer Jugend das Kleid gewechselt hatte. Dies Gefühl hatte es ihr möglich gemacht, in der täglichen Arbeit aufzugehen, ohne zu murren. Die Liebe hatte das bewirkt. Sie hatte nur nicht mehr den Kraftüberschuß gehabt, der sich in Lächeln und in Liebkosungen Luft macht. Sie hatte nicht einmal gewußt, was ihr Kraft und Willensstärke gab, und er hatte es ihr nicht gesagt und es auch nicht gesehen.

Jetzt aber war er sehend geworden, und sie sollte wissend werden. Der Lenz sollte in ihnen wieder aufblühen und dauern. Eine unbändige Freude stieg in ihm auf, als wollte er wieder um sie werben. Er konnte kaum bis morgen warten, wenn die Krisis überstanden war, um vor ihr niederzuknien und zu bitten: Willst du in Wahrheit meine Gattin sein?“

Wenn die Krisis überstanden war! Wenn aber

Er mußte dem Unglück ins Auge sehen, vielleicht genügte das. Vielleicht legte Gott ihm keine härtere Prüfung auf, wenn er sich freiwillig unter den Schlag beugte und seine Selbstgefälligkeit zertrümmern ließ. Aber das mußte ohne Hintergedanken geschehen. Denn sie konnte sterben. Er zwang sich, das zu begreifen, sah sie, tot, leblos, im Sarge. Er hielt es nicht aus. Aber er wollte, er mußte. Er sah den Sarg, die Blumen, spürte ihren Duft, den Duft von Blumen, die auf den Sarg seiner Frau gestreut waren, sah die Kirche, das Gefolge, die ganze Gemeinde, er fühlte einen Schmerz im Herzen, als würde es zusammengepreßt und zerdrückt, und er dachte:,,Jetzt sterbe ich,“ und stand auf, um, wie er glaubte, für immer zusammenzusinken.

Aber er fiel nicht. Sein Körper war aufrecht, seine Glieder geschmeidig wie Stahl, ein klares strahlendes Licht brannte in seinen Augen, und im selben Augenblick fühlte er in sich die Rede auf seine Frau. In seinem Innern trug

er sie, fertig, ein vollendetes Kunstwerk, wie von Gott selbst geschaffen.

Halb in dankbarem Rausch, halb in tödlicher Angst stürzte er in das Krankenzimmer, wo die Pflegerin ihm an der Tür zuflüsterte:,,Die Krisis ist da. Ich glaube, sie wird sie überstehen. Warten Sie, bis ich rufe!"

Sie glaubt, sie wird sie überstehen! Er dankte Gott auf den Knien.

Nun warten, geduldig warten, bis die Krankenpflegerin ruft, und dann hinein zu seiner Frau und das neue, das wirkliche Zusammenleben beginnen!

Die Gedanken mußten beschäftigt werden; sie waren so erregt. Lesen konnte er nicht; denn seine eigenen Gedanken drängten sich vor. Vielleicht konnten sie in der Grabrede festgehalten werden, die in demselben Augenblick, als er glaubte, selber sterben zu müssen, seinem Geiste fertig entsprungen war. Er setzte sich und fand in seinem Innern die Stelle, wo er die neugeschaffene Rede barg, und als er aufstand und hin und her ging, entfaltete sie sich in allen Einzelheiten, ergreifende Gedanken, in unvergängliche Worte gemeißelt, die die stumpfsten Seelen wecken mußten. Heilige Künstlerschauer durchbebten ihn, während das Kunstwerk geformt wurde. Seine Wangen wurden bleich, seine Augen feucht; er erhob sich über Raum und Zeit und trat mitten unter die Gemeinde, ihr gesamtes Fühlen beherrschend.

Gott sei Dank, daß er diese Rede jetzt nicht zu halten brauchte. Aber einmal, nach vielen Jahren, wenn er selbst ihr bald ins Grab folgen mußte, wollte er gern die Rede auf sie halten. Sie hatte es verdient. Die Rede sollte leben als Erinnerung an sie. Er sah sie vor sich, gedruckt und herausgegeben: Rede von Pastor E. Barnes, gehalten an der Bahre seiner Gattin, den

Die Tür tat sich auf, und die Krankenpflegerin trat ein:,,Es ist vorbei!"

Pastor Barnes sah sie verständnislos an. Die Krankenpflegerin ging, Pastor Barnes blieb sitzen. Er hatte noch

3 Larsen

33

nicht verstanden... Bis zur Beerdigung sah er aus wie ein Mann, der nichts verstand. Als er gefragt wurde, ob er selbst die Grabrede halten wolle, antwortete er mechanisch:,,Ich habe die Rede in dem Augenblick geschrieben, als sie starb."

Christian, der die Antwort hörte, wandte sich voller Abscheu von seinem Vater ab, ging in den Garten hinaus und war ganz allein in der Welt.

Am Begräbnistage, als das erste Lied gesungen war, flüsterte Barnes wie ein hilfloser Junge dem Pfarrer der Nachbargemeinde zu:,,Wollen Sie für mich sprechen?"

Der Pfarrer trat an den Sarg und sprach unvorbereitet und stammelnd. Nachdem die Erde auf den Sarg geworfen war, vergaß Pastor Barnes für die Teilnahme zu danken. Er nahm Christian bei der Hand und ging nach dem Pfarrhaus hinüber. Vor der Tür blieb er stehen, sah Christian an und fing an zu weinen wie ein wertloser unglücklicher Mensch. Christian sah seinen Vater zum ersten Male, weinte mit ihm und liebte ihn.

7. KAPITEL

,,Das Offene"

Sobald Jens mit Brüderchen allein war, glitt er von selbst in jenen stummen, allerersten Teil seines Ichs hinein, der ganz er selbst war, ehe er wußte, daß es etwas gibt, was man darf, und etwas, was verboten ist. Er war in der glücklichen Welt der Himmelssprache, und das Gefühl, daß sie beide das alles voneinander wußten, blieb bestehen.

Es blieb nicht allein bestehen; es erweiterte sich und galt allmählich mehr als sie selber.

An einem frühen Sommermorgen gingen sie ins Freie hinaus, während der Tau noch an den Gräsern hing und ihnen zublinkte.

Jens sah auf den Weg und merkte, daß er ihn gern hatte. Er liebte ihn auf dieselbe Weise, wie er Brüderchen liebte, und ihm war, als könne er es dem Wege ansehen, daß der ihn auch leiden konnte.

Er konnte es bis in seine Fußsohlen hinein spüren, in denen es kribbelte vor Lust, den Weg zu berühren. Er zog Schuh und Strümpfe aus.

Brüderchen, das dasselbe zu tun pflegte wie Jens, zog die seinen auch aus und lief voraus über den Spielplatz. Und Jens folgte ihm und betrachtete die weichen Abdrücke der kleinen nackten Füße. So lebendig sahen die Spuren aus, daß ihm war, als könne er sie nicht nur sehen, sondern auch hören und fühlen.

Die Spuren führten über den Spielplatz, dicht nebeneinander her wie Zähne in einem Mund. Die Sonne trat aus einer Wolke hervor und streute ihr Licht auf die Erde. Der Spielplatz lächelte.

Vor dem Holunderbaum an der Kirchhofsmauer blieb Brüderchen in Gedanken stehen; Jens ging hin, um zu schauen, was es da gab.

Da war nichts. Aber Brüderchens Augen waren unergründlich. Jens guckte in sie hinein und sah, daß Brüderchen offen stand. Jens konnte sehen, wie er war und wie er merkte, daß er so war. Die Himmelssprache war größer, als er gewußt hatte. Er begriff, wie der liebe Gott allwissend sein konnte.

Als er sich nach dem Holunderbaum umwandte, sah er, daß er auch wie Brüderchen offen stand, und wußte, daß darüber Brüderchen in Gedanken versunken war. Er konnte sehen, was der Holunderbaum war und wie der merkte, daß er es war.

Es war, als atmete der Holunderbaum in ihn hinein, und als der Atem des Holunders in ihn hineingekommen war, spürte er eine große Freude, die er schon kannte, die Freude der Himmelssprache. Auch der Holunderbaum sprach im tiefsten Innern die Himmelssprache. Denn Gott hatte den ja natürlich auch geschaffen.

In ihm war etwas, das wollte, daß er sich unter ihn setzte; Brüderchen war schon im Begriff, sich zurechtzusetzen. Er wußte also auch, daß der Holunderbaum sie zu sich einlud.

Da waren die drei zusammen und freuten sich über das, was wir nicht sagen können. Da wollten sie ein Augenblickchen sitzen bleiben. Das taten sie, und die Zeit stand in ihren Herzen ein Augenblickchen still.

In ihren Magen aber, die in der geschlossenen Welt heimisch waren, ging die Zeit ihren Gang, und um die Frühstücksstunde hatte sie ihre deutlichen Spuren zurückgelassen: sie waren sehr hungrig.

Sie standen auf. „Die Zeit muß unmerklich vergangen sein," sagte Jens.

Sie gingen über den Spielplatz. Aber bei Jakob Hansens Tor wurden sie von Gebell und lautem Frauengeschrei aufgehalten.

Der Kettenhund hatte sich losgerissen und sprang sie an. Die Magd sah es, lief schreiend ins Haus und rief: „Jetzt beißt Hektor die Kinder tot."

Jakob Hansen und die Knechte sprangen vom Frühstückstisch auf, wagten aber nicht, dem Hund ohne Waffen entgegenzutreten. Einer griff nach einer Büchse, ein anderer nach einem Spaten und einer nach der Mistgabel. Währenddessen schrie die Magd, die Kinder wären wohl schon totgebissen, sie habe gesehen, wie der Hund auf beide losgefahren sei, aber sie habe nicht gewagt hinzugehen, Hektor sei ja bissig wie ein Wolf.

Der Hund sprang auf die Knaben los, als sie eben unter dem Holunderbaum herausgekommen waren. Trotz des Hungers hatten sie sich noch nicht ganz wieder in das Geschlossene eingelebt, wo man sich Gedanken macht und sieht, wie schlimm es gehen kann.

Als Jens den Hund mit gesträubtem Haar und entblößten Zähnen herankommen sah, fiel ihm nicht ein, daß er ihm vielleicht etwas tun wolle. Er sah nur, daß der Hund offenstand. Er sah, wie Hektor war und wie der merkte, daß

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »