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verliere, dann kann ich ja nicht mein Leben lang büßen. Und wie kann ich den Verstand bewahren? Keinen Gott wage ich zu bitten, daß er mir hilft."

,,Ich habe Sie vor vielen Jahren auf dem Spielplatz gesehen," sagte der Kandidat,,,eines Tages, als Sie auch nahe daran waren, den Verstand zu verlieren, und beinahe einen Jungen getötet hätten. Da hörten Sie eine Stimme,nein' rufen; das war ihre Stimme. Können Sie sich ihrer Stimme erinnern?"

Holger sah den Kandidaten mit großen runden Augen an. Sie füllten sich langsam mit Tränen, schließlich konnte er vor Tränen kaum sehen, aber er starrte doch den Kandidaten an, als sähe er nicht mit den Augen.

Ruhig, aber fest, als überbringe er eine Botschaft von einer überirdischen Macht, sagte der Kandidat:,,Jedesmal, wenn Sie im Begriff sind, den Verstand zu verlieren, werden Sie diese Stimme und dies ‚Nein' hören. Und jetzt wie damals werden Sie immer gehorchen. Sie sollen sie erlösen, Holger."

Holger erhob sich und starrte den Kandidaten noch immer an.

,,Manche glauben," sagte er langsam,,,daß sie in den Himmel hineinsehen können... Nein," brach er plötzlich ab und wandte sich ab. ,,Sie sollen nichts sagen. Das, was Sie von ihr gesagt haben, ist wahr in meinem Herzen. Mehr bedarf ich nicht."

Er ging hinaus an seine Arbeit.

Von Zeit zu Zeit hielt er inne und starrte vor sich hin wie ein Mann, der sein hartes Schicksal sah und auf sich nahm, arbeitete dann weiter, hielt abermals inne, sah noch mehr Leiden und nahm es auch auf sich. So fuhr er fort. Als der Tag vorüber war, kam er zum Kandidaten. Sein Wesen war verändert. Der treuherzig-schwerfällige Ausdruck, der immer herrenlos in seinem Gesicht herumgeflattert hatte, war verschwunden. Alles war mit harter Iland unter der Herrschaft eines Gedankens vereint. Es sah so aus, als wären die gewaltigen Kräfte seines Körpers,

die leidenschaftlichen Triebe seines Innern und die weiche Sorgfalt seines Herzens zu einem Willen geeint worden, der nicht imstande war, auch nur um eines Haares Breite von seinem Wege abzuweichen.

Er sah den Kandidaten an, der seinen Blick senkte vor all der Kraft, der er gegenüberstand.

,,Ich habe so meine Ansicht," sagte Holger,,,aber ich möchte gern wissen, ob es das war, was Sie dachten: Die kleine Verfehlung, die sie beging durch meine Schuld wurde sie groß, und deshalb muß sie durch mich gesühnt werden, ehe sie vollen Frieden findet. Haben Sie das gemeint?"

,,Ja."

Holger sah vor sich hin. Er senkte den Kopf mit einem langsamen Nicken, das eine Rechnung abschloß.

,,Dann soll mir nichts zu hart werden. Wie ein Jagdhund will ich die Strafe verfolgen im Offenen und im Verborgenen, bis ich zusammenstürze."

Kinder und Erwachsene standen vor Haustoren und Gartentüren in der milden Abendstunde. Ihre Augen fühlte der Verbrecher auf sich ruhen, als er nach Hause, nach der verfallenen Hütte ging, die er von der Gemeinde gemietet hatte. Die Gemeinde wußte, daß Geld das einzig Unbesudelte in der Welt ist und seinen Wert behält, von welcher Hand es auch kommen mag.

Vor der Tür blieb er einen Augenblick stehen und sah den Weg hinauf.

„Kleine Kinder ängstigen sich vor mir," sagte er halblaut,,,und sie wagen es nicht, des Abends allein an meinem Hause vorbeizugehen. Ihre Angst vor mir wird als Zuchtmittel gebraucht. Daß du mir nicht wirst wie Holger! Wenn du nicht artig bist, schicken wir dich zu Holger, und der schlägt dich tot.'

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Er ging in sein Haus hinein, nicht wie einer, der Ruhe nach des Tages Arbeit sucht.

46. KAPITEL

Die Begegnung

Dahl war dem Expeditionssekretär Skaarup auf dem Kongens Nytorv begegnet und hatte es nicht vermeiden können, mit ihm nach Hause zu gehen. Skaarup hatte ihn um seine Hilfe gebeten bei einem schwierigen Artikel in einer englischen theosophischen Zeitschrift.

Es wurde ein langer Besuch. Denn Skaarups Reden über Theosophie waren genau so wie seine Studien über dieses Thema endlos.

Aus Madame Blavatskys und Mrs. Besants Büchern hatte er mit unermüdlichem Fleiße eine metaphysische Kuppel über sich erbaut. Unter der saß er wohlgeschützt gegen alle Eindrücke des Lebens. Er befand sich in einem luftleeren Raum, in dem die Laute des Lebens erstarben.

Endlich kamen sie doch zu der englischen Abhandlung und kamen auch hindurch. Skaarup ging hinaus und bestellte Kaffee, kam zurück und nahm die Unterhaltung über das einzige, was ihn beschäftigte, wieder auf: über die Vorstellungen vom Leben nach dem Tode, über Karma und Reinkarnation, die seine Phantasie sich bei der Lektüre philosophischer Literatur gebildet hatte.

Dahls Kopf schmerzte, er gab es auf, zu folgen, versank in einen Halbschlummer, den Skaarup für Nachdenken hielt.

Daß jemand Kaffee hereinbrachte, entdeckte er erst, als Skaarup vorstellte:,,Meine Tochter May Studiosus Dahl."

Er sah auf und vergaß, aufzustehen.

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Sie stand mit dem Kaffeebrett vor ihm und sah in seine

Augen hinab, als suche sie nach etwas ganz so wie an jenem Tage unter der Buche draußen im Walde. Mit einem gedämpften Ausdruck der Freude, als habe sie das gefunden, wonach sie sah, stellte sie das Kaffeebrett auf den Tisch, und er stand auf und gab ihr die Hand.

Da glitt ein Lächeln über beider Gesichter und er war

nahe daran, zu sagen: „,Also hier sollen wir uns wiedersehen."

Als hätten sie beide verabredet oder gewußt, daß sie sich früher oder später wiedertreffen würden.

Welch ein langer, lebendiger, wortloser Augenblick, ehe sie ihre Ilände auseinanderlösten und sie das Zimmer verließ. Skaarup setzte seine Rede über die ,,heimliche Lehre" fort. Dahl saß glücklich und wohlbehalten außerhalb seiner methaphysischen Glasglocke und hörte nichts, sah aber um so mehr ein Grübchen, goldbraune Locken, ein Kleid aus Rohseide mit einem Sammetband um den Hals, schmale, weiße Finger. Nur den Blick sah er nicht; der war in ihm. Sie hatte ihn damals hinterlassen, als sie dastand und nach etwas suchte.

Skaarup wurde heiser und schwieg. Dahl stand auf, um zu gehen. Sie schüttelten sich die Hände und waren beide froh, der eine über den guten Zuhörer, der andre über alles mögliche. Skaarup wünschte, besser Englisch zu können. Dahl empfand einen entsprechenden Wunsch, ihn zu unterrichten. Skaarup holte ein Buch über Clairvoyance herbei und meinte, das könnten sie beim Unterricht benutzen. Das Buch war dick und Dahl sagte ja. Dann ging er, so erfüllt von May, daß er nicht einmal daran dachte, nachzusehen, ob sie im Wohnzimmer war, als er durch dieses ging. Hinterher wußte er, daß sie nicht da war, und er freute sich darüber. Das wäre zuviel gewesen und würde ihm die tiefe Sicherheit geraubt haben, die ihn erfüllte. Es schien sinnlos, aber es war so.

Am nächsten Tage suchte er einen Einpauker. Er wollte die ganzen Ferien in der Stadt bleiben und sich für das kommende Semester vorbereiten, damit er nicht wieder ganz von vorn anzufangen brauchte.

Er arbeitete fleißig. An bestimmten Tagen ging er zu Skaarup und übersetzte Clairvoyance, erhaschte einen Schimmer von May und erhielt eine Tasse Kaffee.

Bald richtete er es so ein, daß er etwas früher kam, ehe Skaarup aus dem Kontor heimkehrte. Dann saß May immer

im Wohnzimmer, und sie plauderten zusammen. Nicht viel und nicht lange. Was sie in gedämpftem Tone sagten, klang wie Kleinigkeiten, die sie beide dachten. Ein feines Lächeln zeigte, daß es vieles gab, an das sie noch nicht mit Worten rühren konnten, etwas, das gern gesehen werden konnte, das aber nicht gehört und an das auch nicht bewußt gerührt werden durfte.

47. KAPITEL
May

May Skaarup saß am Klavier und hätte niedergeschlagen sein müssen. Sie hatte ihre Musik verurteilt.

Sie begriff die andern nicht, nicht die Eltern, nicht ihren Lehrer, nicht Herrn Bjarnö, den Seraph, wie Studiosus Barnes ihn nannte. Wie konnten sie nur sagen, daß sie Talent hatte. Das leblose Zeug, das sie produziert hatte. Sie versuchte noch ein wenig. Nein, es wollte mit nichts von alledem gehen, das sie kannte. Es wurde immer wieder nau so wie vorhin. Stümperei!

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Nein, sie mußte etwas Neues haben. Das würde sie so spielen können, wie sie die Musik jetzt fühlte. Etwas Neues und am liebsten an einem neuen Ort.

Sie sah sich im Zimmer um und rümpfte die Nase über alle die gerechten Möbel, die da Schatten warfen. Man konnte förmlich sehen, daß sie Vater gehörten; so gut und fehlerlos waren sie.

„Aber der Puff dort, der gehört mir.“

Sie ging zu ihm hin und schlug mit der geballten Faust gemütlich auf den Bezug.

,,Du bist, weiß Gott, das einzige, das hier im Hause richtig lebt."

Der alte Puff, in dem sie ihre Hüte aufbewahrt hatte und den sie gekannt hatte, solange sie denken konnte. Den hatten sie ihr nicht entreißen können. Gott sei Dank!

21 Larsen

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